Verteidigungsministerium zieht Ergänzung zu Bundeswehr-Traditionserlass zurück
Die Ergänzung des Traditionserlasses der Bundeswehr, mit der der aus der Wehrmacht kommenden Gründergeneration der Bundeswehr eine besondere Rolle zugewiesen werden sollte, ist nicht mehr gültig. Das Verteidigungsministerium zog die so genannten Ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege zurück. Grund seien aufgekommene Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses, erklärte Generalinspekteur Carsten Breuer.
Die Ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege der Bundeswehr wurden am 12. Juli vom Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, unterzeichnet. Es gehe dabei um eine Klarstellung zur Auslegung des Traditionserlasses, hatte Rohrschneider das Dokument begründet. Maßgeblich sei die Frage, wie der in dem Erlass genannte Wertemaßstab auszulegen sei, ebenso wie der Spielraum für traditionsstiftende Beispiele militärischer Exzellenz auch außerhalb der bundeswehreigenen Geschichte.
In einem Rundschreiben vom (heutigen) Mittwoch erklärte der Generalinspekteur, diese Regelung sei aufgehoben:
Die ergänzenden Hinweise haben Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen. Um diese auszuräumen und ein klares Bekenntnis zu den zentralen Bezugspunkten des Traditionsverständnisses, den Festlegungen zu
traditionswürdigem Verhalten und der Verpflichtung der Bundeswehr auf die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen der Bundesrepublik Deutschland zu unterstreichen, haben wir entschieden, die Ergänzenden Hinweise mit sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen.
Der Traditionserlass aus dem Jahr 2018 ist unverändert gültig.
Für Traditionswürdigkeit in der Bundeswehr waren, sind und bleiben Wertebindung und das klare Bekenntnis zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zwingend. Nur auf Grundlage dieser Wertebindung, die sich nicht allein auf professionelles Können im Gefecht reduziert, kann soldatisches Selbstverständnis sinn- und traditionsstiftend sein. Ich bitte Sie, dies auch weiterhin für die Traditionspflege in Ihren Verantwortungsbereichen umzusetzen.
Die neue Lage erläuterte der stellvertretende Ministeriumssprecher Oberst Arne Collatz in der Bundespressekonferenz:
(wird ggf. ergänzt)
„Picard leadership tip: The larger the audience and the higher your position, the greater the need to communicate with care and precision.“
Richtige Entscheidung, und mein Dank an den Generalinspekteur für seine klaren Worte. Man sieht, dass er das Problem verstanden hat.
Unterm Strich war die ganze Klamotte hochgradig unnötig. Und wenn man die Ergänzung angesichts des jetzt nicht allzu lauten Protestes (einige kritische Nachfragen, Tweets und Artikel in der TAZ sind für mich kein Aufschrei) so schnell zurücknimmt, gehe ich davon aus, dass es von Anfang an kritische Stimmen im Haus selbst gegeben hat.
Finde ich spannend, dass der Angriffskrieg im ehemaligen Jugoslawien unseren freiheitlich demokratischen Rechts- und Werteempfinden entspricht.
Selbst der Afghanistan Einsatz ist mit heutigem Wissen und unter Bezug auf die Argumentation in folgendem Dokument (https://www.bundestag.de/resource/blob/414628/089374d34be27c472c6ef706343ee857/WD-2-014-07-pdf-data.pdf) rechtlich fraglich, schaut man sich Punkt 4.1 „Die Vereinbarkeit des ISAF-Einsatzes mit den Resolutionen des Sicherheitsrates“ an.
„Die Hauptaufgabe des ISAF-Einsatzes ist es, entsprechend den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ein sicheres Umfeld zu gewährleisten, in dem sowohl die afghanischen Behörden als auch internationale Hilfsgruppen gemeinsam den Wiederaufbau des Staates vorantreiben können. Um diese Ziele zu erreichen, hat die NATO die oben dargestellten Maßnahmen ergriffen. Die bisherigen Erfahrungen im
Rahmen des ISAF-Einsatzes lassen nicht den Schluss zu, dass diese Maßnahmen ihren Zweck, die Sicherheitslage in Afghanistan dauerhaft zu stabilisieren, verfehlt hätten. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die ISAF-Maßnahmen vollkommen wirkungslos oder gar kontraproduktiv sind. Wenn durch vereinzelte ISAF-Maßnahmen tatsächlich Personen profitieren sollten, die den Zielen von ISAF entgegenwirken, so dürfte dies den Gesamtcharakter von ISAF nicht in Frage stellen. Insofern ist nicht davon auszugehen, dass der ISAF-Einsatz sich außerhalb des Mandats der Vereinten Nationen bewegt.“
Aber immerhin wurde die Ergänzung zurückgenommen.
[Bei aller Lust an der Provokation bleibt’s bitte beim Thema. T.W.]
Da gab es wohl ein bisschen Gegenwind? Hätte man wissen können.
Verstehe überhaupt nicht warum dieses riesige Fass aufgemacht wurde. Das es medial und politisch hochkochen würde war ja klar, aber welchen Nutzen sollte das Ganze haben? Die Truppe kann neben Stauffenberg keine weiteren Namen aufzählen (neben eigenen Gefallenen aus dem Verband) und das wahrscheinlich auch nur weil der Attentatsversuch mal verfilmt wurde.
Da war die interne Abstimmung zu diesem Thema wohl eher kurz…
Dadurch wirkt es wieder wie „gewollt und nicht gekonnt“.
Das grundsätzliche Thema ist mit Sicherheit schwierig. Ohne alle Biographien der in der Erweiterung genannten Personen zu kennen wird es wohl Gründe für ihre Nennung geben. Ebenso wird man wird man immer Gründe finden warum sie nicht Traditionswürdig sind. Da kann jeder eine Eigene Meinung zu entwickeln wenn er sich intensiv mit dem Personenkreis beschäftigt.
Im Fall von Erich Hartmann sollte man z.B. bedenken das er für seine „Erfolge“ im WW2 ca. 10 Jahr in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbracht hat.
Und um das BMJ zu zitieren: „In einem Rechtsstaat kommt der Rehabilitierung und Resozialisierung von Personen eine besondere Bedeutung zu. Ziel der Resozialisierung ist es (ehemaligen) Straftäterinnen und Straftätern wieder einen Einstieg in das gesellschaftliche Leben zu ermöglichen und erneute Straftaten zu verhindern.“
Davon ausgehend war der Einsatz in der Bundeswehr von z.B. Erich Hartmann folgerichtig. Er hat nach seiner Gefangenschaft das in die Gesellschaft eingebracht was er augenscheinlich gut konnte und was beim Aufbau der Bundeswehr dringend benötig wurde. Bleibt dann die Frage ob er seine Aufgaben so gut erfüllte das er traditionswürdig ist….
Aber auch „Rehabilitierung und Resozialisierung“ ist ein heikles Thema….
Gruß….
Unsere „Unternehmensphilosophie“, Hinweise wieder „vom Markt nehmen“ – da weiß man, wohin die Reise geht. Viel Spaß damit, mit dieser Denke einen möglichen Krieg gegen Russland zu gewinnen…
Am Traditionsverständnis kann man sich offensichtlich leicht die Finger verbrennen. Ich habe die Aufzählung vorbildlicher Soldatinnen und Soldaten in den Ergänzenden Hinweisen jedenfalls mit Interesse gelesen. Sind die dort genannten Personen jetzt etwa nicht mehr als Vorbild geeignet? Was passiert mit dem Abteilungsleiter, der den Erlass herausgegeben hat? Immerhin fällt im BMVg ein solches Papier nicht zufällig vom Aktenbock, sondern wurde sicherlich erst nach sorgfältiger interner Prüfung herausgegeben. Da finde ich den Rückzieher schon ziemlich peinlich. Wie kommt dieses Vorgehen in der Truppe an? Der (rechts-)sicheren Anwendung des Traditionserlasses hat man damit keinen Gefallen getan. Das Rundschreiben des GI hilft auch nicht weiter.
Sehr gut.
Es wäre auch weiterhin wünschenswert sämtliche andere „Ehrerweisungen“ an Offiziere und Soldaten der Wehrmacht (Ausnahme der Widerstand) aus der Tradition zu verbannen. Ihre Werke und Leistungen für die Bundeswehr können getrennt davon weiterhin als dienlich erachtet werden – einen Personenkult braucht es aber nicht. Dieser beschädigt eben das Ansehen der Bundeswehr und hegt Zweifel an der Wertebindung. Es bleiben immer noch genug „Vorbilder“ übrig.
Und das geht historisch eben bis und inkl der Himmeroder Denkschrift, in der ja einige forderten die „Ehre“ der Wehrmacht, SS und anderer Kriegsverbrecher „wieder herzustellen“. Da war auch Jahre nach dem Krieg die „Wertebindung“ nicht ausreichend. Naja einige harte Nazis haben es ja teilweise über Gehlen geschafft dort unterzutauchen…
Herzlichen Glückwunsch. Und hat gar nicht mal so lange gedauert… Und das Kapitel: „Gesichtswahrende Kommunikation“ hat einen weiteren Eintrag.
Grotesk ist es trotzdem.
Also besser so was gar nicht zu erlassen als es zuerst zu erlassen, und dann nachdem sich die TAZ und die Russen und sonstwer drüber aufgeregt haben, wieder den Schwanz einzuziehen
Wie so oft in Themenfeldern, wo einfache Schlagzeilen schnelle Empörung generieren, bricht nach dem ersten Schüsschen die ganze Verteidigungslinie zusammen. Fazit: Auch in dieser Debatte sind kriegswichtige Attribute und das Vertrauen gegenüber den eigenen Soldaten hinsichtlich charakterlicher Festigung ausbaufähig.
Gut so!
Die BW hat inzwischen genug geleistet um auf Traditionen verzichten zu können, die sich auf die Wehrmacht beziehen!
Ich sehe indieser uniformierten Organisation keine militärische Traditionspflege. Erst Recht keine, die aus ihr selbst entsprungen ist. Hier geht nichts über die allgemeinen Bindungen eines Staatsbürgers hinaus. Insbesondere in einem Land, in dem die Wehrpflicht in der Verfassung verankert ist.
Und was Militärisch in der Bw als Tradition zu finden ist, stammt ncht aus ihr und ist z.B. auch in der Wehrmacht durchgeführt worden.
Das eigentlich Fatale an der Sache ist jedoch, daß auch Kriegsgeschichte – für die weicheren akademischen Seelen Militärgeschichte – ebenfalls toxisch – um ein Modeweort zu nutzen – geworden ist.
Das kriegsgeschichtliche Beispiel aus der Wehrmacht und von deutschen Armeen davor wird vermieden und damit ein wichtiges Mittel der Ausbildung nicht genutzt. Außer, deutsche OA oder Offiziere besuchen z.B. französische oder britische Kriegs-bzw. Militärakademien.
Ein GI, der uns unterstellt, mit dieser ohnehin weichen Anpassung können begründete Zweifel an unserer Eidestreue gehegt werden, sendet nach innen kein gutes Signal.
Na, da hat die Inhouse-Lobby ja scheinbar doch noch richtig Schub gegeben und den bösen Geist aus Potsdam ausgetrieben! Whatever…
Witzig, bedenkt man, dass der Generalinspekteur höchst selbst die VzE mit den „Ergänzenden Hinweisen“ gezeichnet und damit gebilligt hat.
[Nur als Hinweis, nicht als Widerspruch zu Ihrer Aussage: ich kenne nur das von Rohrschneider gezeichnete Papier, dass es vom GI gezeichnet sein soll, ist mir zumindest nicht bekannt. T.W.]