Rotes Meer: EU-Außenminister „im Grundsatz“ für Marinemission (Update: neue US-Angriffe)
Es ist nur ein Satz, deshalb auch erstmal nur als Merkposten: Die EU-Außenminister haben sich im Grundsatz auf eine Marinemission zum Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer verständigt. Das sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach einem Treffen der Außenminister der Union in Brüssel – Details gibt es aber noch nicht. Update: In der Nacht zum Dienstag griffen die USA und Großbritannien erneut Ziele der Huthi-Milizen in Jemen an.
In der Pressekonferenz zum EU-Außenministerrat am (heutigen) Montag äußerte sich Borrell zunächst nur knapp:
The Red Sea was high in our discussions. We agreed in principle to establish an EU maritime security operation, and discussed the various options of this mission that I proposed to the Member States. Now, we need to move towards unanimity to see when we can establish this mission.
… wurde auf Nachfrage nach dem Zeitplan dann aber ausführlicher und verfiel dabei in seine Muttersprache Spanisch:
Nun, ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange, denn das Non-Paper mit den Alternativen liegt auf dem Tisch. Die Mitgliedsstaaten haben sich geäußert [und] niemand hat sich dagegen ausgesprochen. Es gab keine Opposition, niemand hat gesagt, ich werde mich dagegen wehren. Wir wissen zwar, dass einige Länder nicht teilnehmen werden, aber Nichtteilnahme ist eine Sache, Opposition eine andere. Es ist völlig in Ordnung, dass sie sich nicht beteiligen, aber lassen Sie die anderen das tun.
Es muss ein Gesetzestext verabschiedet werden, und es müssen Einsatzregeln verabschiedet werden. Wie wird diese Mission funktionieren? Welchen operativen Charakter hat sie? Wie weit wird sie gehen können, was, sagen wir, konkrete militärische Aktionen angeht? Dazu gehört natürlich die Verteidigung gegen einen Angriff. Aber es handelt sich nicht nur um eine passive Eskorte, die neben einem Handelsschiff fährt. Dieses Handelsschiff könnte angegriffen werden, und wie reagieren die Kriegsschiffe, die sie eskortieren, in diesem Fall?
Und dann ist da noch die Frage, welches Land die operative Führung der Mission übernimmt. Die [EU NAVFOR Operation] ATALANTA wird derzeit von Spanien vom Stützpunkt Rota aus kommandiert. Die [Operation] AGENOR steht unter französischem Kommando. Bei einer europäischen Mission, die offensichtlich AGENOR ablösen und absorbieren wird, müssen wir sehen, wer das Kommando übernehmen wird. Das ist noch nicht entschieden und muss natürlich entschieden werden, damit die Mission operativ sein kann.
(Übersetzt mit DeepL.com)
Eine formale Entscheidung wird für das nächste EU-Außenministertreffen am 19. Februar erwartet. Dass die Europäer einen Schutz der Handelsschiffe vor Angriffen der Huthi-Milizen aus dem Jemen beabsichtigen, ist klar – aber entscheidend werden die Details. Die USA und die von ihnen geführte Schutzmission Operation Prosperity Guardian ist bereits in der Region aktiv, und zusätzlich haben die USA – mit teilweiser Unterstützung Großbritanniens – Stellungen der Huthi angegriffen. Ob die Europäer ebenso wie die US-Streitkräfte left of launch, also bei der erkannten Bereitstellung von Drohnen oder Raketen für einen Angriff, ebenfalls an Land angreifen, scheint allerdings recht unwahrscheinlich.
Für die von der Bundesregierung mehrfach angekündigte Beteiligung der Bundeswehr ist zudem ein Beschluss des Bundestages nötig – damit, wie erwartet, die Fregatte Hessen der Deutschen Marine in diesen Einsatz gehen kann.
Update: In der Nacht zum Dienstag griffen die USA und Großbritannien erneut Ziele in Jemen an. Vom U.S. Central Command (CENTCOM):
As part of ongoing international efforts to respond to increased Houthi destabilizing and illegal activities in the region, on Jan. 22 at approximately 11:59 p.m. (Sanaa / Yemen time), U.S. Central Command forces alongside UK Armed Forces, and with the support from Australia, Bahrain, Canada, and the Netherlands, conducted strikes on 8 Houthi targets in Iranian-backed Houthi terrorist-controlled areas of Yemen.
These strikes from this multilateral coalition targeted areas in Houthi-controlled Yemen used to attack international merchant vessels and U.S. Navy ships in the region. The targets included missile systems and launchers, air defense systems, radars, and deeply buried weapons storage facilities.
These strikes are intended to degrade Houthi capability to continue their reckless and unlawful attacks on U.S. and U.K. ships as well as international commercial shipping in the Red Sea, Bab Al-Mandeb Strait, and the Gulf of Aden. These strikes are separate and distinct from the multinational freedom of navigation actions performed under Operation Prosperity Guardian.
Nach Angaben der britischen Streitkräfte wurden dabei auch Ziele in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa angegriffen, die von den Huthi kontrolliert wird:
On 22 January, the UK conducted further strikes against Houthi targets. Four Royal Air Force Typhoon FGR4s, supported by a pair of Voyager tankers, joined US forces in a deliberate strike against Houthi sites in Yemen. Our aircraft used Paveway IV precision guided bombs to strike multiple targets at two military sites in the vicinity of Sanaa airfield. These locations were being used to enable the continued intolerable attacks against international shipping in the Red Sea. This follows our initial operation on 11 January, and subsequent US action, to degrade the Houthis’ capability to conduct such attacks.
In line with UK standard practice, a very rigorous analysis was applied in planning the strikes to minimise any risk of civilian casualties, and as with the previous strikes, our aircraft bombed at night to mitigate yet further any such risks.
Das gemeinsame Statement der beteiligten Nationen:
Joint Statement from Australia, Bahrain, Canada, the Netherlands, United Kingdom, and United States on Additional Strikes Against the Houthis in Yemen
Today, the militaries of the United States and United Kingdom, at the direction of their respective governments with support from Australia, Bahrain, Canada, and the Netherlands, conducted an additional round of proportionate and necessary strikes against 8 Houthi targets in Yemen in response to the Houthis‘ continued attacks against international and commercial shipping as well as naval vessels transiting the Red Sea.
These precision strikes are intended to disrupt and degrade the capabilities that the Houthis use to threaten global trade and the lives of innocent mariners, and are in response to a series of illegal, dangerous, and destabilizing Houthi actions since our coalition strikes on January 11, including anti-ship ballistic missile and unmanned aerial system attacks that struck two U.S.-owned merchant vessels.
Today’s strike specifically targeted a Houthi underground storage site and locations associated with the Houthis’ missile and air surveillance capabilities.
The Houthis’ now more than thirty attacks on international and commercial vessels since mid-November constitute an international challenge. Recognizing the broad consensus of the international community, we again acted as part of a coalition of like-minded countries committed to upholding the rules-based order, protecting freedom of navigation and international commerce, and holding the Houthis accountable for their illegal and unjustifiable attacks on mariners and commercial shipping.
Our aim remains to de-escalate tensions and restore stability in the Red Sea, but let us reiterate our warning to Houthi leadership: we will not hesitate to defend lives and the free flow of commerce in one of the world’s most critical waterways in the face of continued threats.
(Foto: Ein Techniker der Royal Air Force bereitet einen britischen Eurofighter Typhoon auf den Einsatz in Jemen vor – Royal Air Force/UK MOD/Crown Copyright)
„Aber es handelt sich nicht nur um eine passive Eskorte, …“
Das Gegenteil von „passiv“ ist „aktiv“. Also proaktiv ? Es bleibt spannend.
ich kann mir irgendwie nicht vorstellen wie man das grundlegende Recht auf Selbstverteidigung dergestalt einschränken will, dass selbst bei erkanntem aufstellen von seeziel flugkörpern eine sofortige Reaktion unzulässig sein soll. selbst im Zivilstrafrecht darf ich mich schon dann verteidigen wenn der gegner zum Schlag ausholt und muss nicht abwarten bis die Faust 2 cm von meiner Nase entfernt ist
wie soll das begründet werden soll ist mir schleierhaft.
bevor jetzt das Völkerrechtsargument kommt. die houthis sind eine nichtstaatliche Terrororganisation die auch auf fremdem Territorium bekämpft werden dürfen sofern der Territorialstaat unwillig bzw. unfähig ist dessen Handlungen zu unterbinden. letzteres ist ja manifest der Fall.
diese rein politisch motivierte Selbstbeschränkung steht der Effektivität der Mission im Wege und zeigt mal wieder wie unreif die EU in hard Power fragen ist
Die USA und GB kämpfen seit Wochen, aber die EU hat sich erst jetzt grundsätzlich geeinigt, braucht aber für die Details des Einsatzes bis zum 19. Februar. Dies macht Fassungslos! Trump vor der Tür und Europa bleibt hilflos und streitet, welches Land das Kommando führen soll. Schiffsverlegung und Bundestagsbeschluss werden auch noch Wochen dauern.
@Closius sagt: 23.01.2024 um 10:27 Uhr
Ja, die europäische Krux mit der Einstimmigkeit.
Ich bezweifel immer noch, ob GBR und USA den richtigen Weg eingeschlagen haben. Einfach ignorieren und den längeren Weg nehmen hätte in Europa niemanden auch nur ein Jota Wohlstand gekostet und die Huthi nicht aufgewertet.
Einfach auflaufen lassen. Jetzt ist man auf die Zündeleien Irans eingegangen, da ist kein Blumentopf zu gewinnen.
Wenn das so weiter geht, ist das alles vorbei, bevor die EU-Mission vor Ort ist. Die eine oder andere Entscheidung braucht sicherlich Zeit. Aber das ist Deutschlandtempo+.
Befürworter einer „Europa-Armee“ können dieses „Drama“ als Negativ-Beispiel sehen, wie gut Europa in sicherheitspolitischen Fragen zusammenarbeitet. Und hier ist Deutschland offenbar nicht mal der Bremser.
Ich befürchte , dass auch eine wie auch immer geartete „Kern-EU2 nicht weiterhelfen würde, da die Trennlinien je nach Konflikt immer wieder anders verlaufen können (ggf ändert sich so etwas sogar nach Wahlen in den Mitgliedsstaaten).
Daher werden wir uns noch auf absehbare Zeit mit nationalen Streitkräften beschäftigen müssen, wenn man überhaupt noch handlungsfähig sein will. So unbefriedigend das im Einzelfall sein mag.
Guten Morgen @Wacaffe,
nach Art. 51 der UN-Charta besteht im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein UN-Mitglied ein Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung welches hier aber so nicht zu greifen scheint, weil die Schiffe ganz überwiegend unter der Flagge kleinerer Staaten wie den Bahamas oder Panama fahren und diese Staaten haben ein solches bisher nicht geltend gemacht.
Für ein robustes Vorgehen welches über den reine Abwehr solcher Angriffe hinausgehen würde benötigen die Teilnehmer einer solchen Mission aber ein UN-Mandat.
Das wichtigste ist immer die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen, weil sich nur so eine durch die Mehrheit aller Staaten annerkante Ordnung etablieren kann, Ansonsten herrscht so ein Chaos vor wie wir es gerade miterleben müssen. Die eine Partei geht offensiv gegen diese Angriffe vor, ohne das eine Garantie existiert ob dieser Weg überhaupt funktionieren kann, während viele andere sich zurückhalten.
Guten Morgen @wandersmann
Das individuelle und kollektive Recht auf Selbstverteidigung benötigt gerade kein! UN Mandat. Das ist gerade der Witz.
Entweder stellt man daher darauf ab, dass ein Angriff auf vitale Lieferketten des eigenen Landes Mittelbar ein Angriff isd. Art 51 auf das eigene Land darstellt oder man sucht sich in Pananama oder sonstigem Flaggenstaat jemanden der einen zur kollektiven Selbstverteidigung einlädt. (was ja stark in deren interesse liegt).
Ferner muss man hier berücksichtigen, dass die Operation gerade nicht gegen den Territorialstaat gerichtet ist sondern sondern eine nichtstaatliche Terror/Aufstandsbewegung . Die Zentralregierung ist mit den Houthis verfeindet und wenn sie nett fragen bekommen Sie von dort auch eine Berechtigung zur „Intervention auf Einladung“ die auch völlig ohne selbsverteidigungssituation Angriffe gegen die Houthis erlauben würde.
Sollte die jemienitische Regierung sich wieder erwarten weigern zuzustimmen kann man über die „unwilling/unable“ Doktrin im Zweifelsfall auch ohne deren Willen intervenieren sofern vom Gebiet des Territorialstaates völkerrechtswidrige „Emissionen“ (wozu man Seeziel LFK auf Zivile Schiffe wohl zählen dürfte) ausgehen.
Eine Melange der obigen Argumente hat ja GBR in seinem legal brief auch gebracht.
Soviel zur kleinen Völkerrechtsvorlesung.
@wacaffe: Und um dieses Szenario zu unterbinden, haben die Houthi eben diese Zeitpunkt für ihre „Machtdemonstration“ gewählt.
Bei all der Zeit, die dies dauert, wäre es doch durchaus hilfreich, die Hessen schon einmal ins Mittelmeer zu verlegen. Dazu benötigt man kein EU-Mandat. Natürlich müsste die Hessen samt Besatzung bereit sein. Aber warum nicht jetzt ein Auslaufdatum festlegen und durchorganisieren, um später Zeit zu sparen?
wacaffe sagt:
24.01.2024 um 11:01 Uhr
„Entweder stellt man daher darauf ab, dass ein Angriff auf vitale Lieferketten des eigenen Landes Mittelbar ein Angriff isd. Art 51 auf das eigene Land darstellt…“
Finde ich persönlich als Argumentation schwierig. Es ist nicht vital, höchstens unangenehm, weil alles auf dem Transportweg etwas länger dauert. Es kommt ja trotzdem an und kann so einkalkuliert werden. Da war die Störung durch Corona, als die Häfen in China über Wochen geschlossen waren, wesentlich gravierender für die deutsche Wirtschaft. Oder das momentane Niedrigwasser im Panama-Kanal.
Und ob ich für irgendwelche Flaggenstaaten, die mich durch ihre Billigheimerei aus wirtschaftlicher Raffgier unterlaufen, in einen bewaffneten Konflikt ziehen muss, das lasse ich mal dahingestellt.
Freedom of navigation gut und schön, das hilft aber nicht, wenn immer die gleichen (zumeist westlichen) Staaten deren Durchsetzung überwachen. Das geht doch irgendwie alle an, oder?
Hallo @wacaffe,
für eine militärische Operation auf dem Staatsgebiet des Jemens müsste die Zustimmung der international anerkannten Regierung des Jemens eingeholt werden. Das Selbstverteidigunsrecht welches auf hoher See ausgeübt wird tangiert keinen Staat direkt. Alles was über die Abwehr von Geschossen oder Bootattacken hinausgeht muss durch den Sicherheitsrat abgesegnet werden.
Das Völkerrecht ist ein hochkomplexes Feld. Stellen Sie sich mal vor man nimmt einige Huthi fest und stellt die vor ein Seegericht in Deutschland,ist da dann nichts wasserdicht, sind die wahrscheinlich schneller wieder auf freiem Fuß als einen lieb sein kann. Die halten sich an nichts für indes müssen es.
Hallo @Nachhaltig,
würde das geschehen dürfte das als direkter Affront gegenüber dem Bundestag gewertet werden. Schließlich entscheidet nur dieses über den EInsatz bewaffneter Streitkräfte.
@Wandersmann: Zu Ihrer Antwort an @Nachhaltig: ob eine Vorabstationierung im Mittelmeer ein Affront gegen den BT wäre, lasse ich mal im Raum stehen, aber für eine Verlegung dorthin bedarf es keineswegs eines Mandats. Nur für einen Einsatz dort oder anderswo.
Hier kam ja die Frage auf, ob ein VLS in See beladen werden kann. Muss meine Antwort (in Bezug auf die USN) auf „noch nicht“ korrigieren. Hier dazu mehr: https://www.navalnews.com/event-news/sna-2024/2024/01/secnav-pushes-towards-tram-trials-in-2024/