Dokumentation – Pistorius: „Wir müssen kriegstüchtig werden“ (m. Ergänzung)
Die Aussagen, die Verteidigungsminister Boris Pistorius am (gestrigen) Sonntagabend in einem ZDF-Interview machte, finden große Aufmerksamkeit – bislang zumindest medial. Von einem Mentalitätswechsel in der Gesellschaft sprach der SPD-Politiker, und der Satz: Wir müssen kriegstüchtig werden.
In den Kreisen, die sich schon länger und dauerhaft mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik befassen, scheint diese Äußerung spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 nicht so überraschend. In der breiten Öffentlichkeit scheint das etwas anders auszusehen – deswegen wird bedeutsam, ob und wie diese Aussagen in der politischen Debatte weiter eine Rolle spielen.
Zur Dokumentation die zentrale Passage aus dem Interview in der ZDF-Sendung Berlin direkt:
Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. In der Truppe, da ist er in vollem Gange. Das merke ich zum Beispiel, wenn wir über die Brigade Litauen sprechen. Wir brauchen ihn im BMVg, da haben wir die Weichen gestellt. Wir brauchen ihn aber auch in der gesamten Gesellschaft, und wir brauchen ihn auch in der Politik.(…)
Aber, ganz wichtig, auch der Mentalitätswechsel in der Gesellschaft ist richtig. Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.
Das Audio dieser Passage:
Und das komplette Interview in der ZDF-Mediathek (verfügbar leider nur bis 29.10.2024):
Pistorius sieht Gefahr eines Kriegs in Europa
Die praktische Frage wird natürlich: was bedeutet die Formulierung wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen über die Ausrüstung und Ausstattung der Streitkräfte hinaus konkret? Das ist eine Frage, die nicht der Verteidigungsminister allein beantworten kann.
Ergänzung – eine Aussage dazu von Pistorius beim Besuch des Kompetenzzentrums Baumanagement in Hannover am Montag:
(Archivbild: Pistorius, l., mit Generalinspekteur Carsten Breuer am 11. Oktober 2023 am Rande des Bundestags-Verteidigungsausschusses – Florian Gärtner/photothek.de)
Die geforderte „Kriegstüchtigkeit“ verstehe ich, die Notwendigkeit dafür wird auch dem Normalbürger täglich in den Nachrichten gezeigt. Eine strategische Ebene von Überlegungen zu Krieg und Frieden in Deutschland und die geforderte “ gesamtstaatliche Umorientierung“ sehe ich jedoch ausdrücklich nicht! Dazu gehört aus meiner Sicht eine Idee, ein Zukunftsbild, wie Deutschland in Zukunft aussehen soll, wie Freiheit als Grundlage dieses Bildes gestaltet werden soll und welchen Beitrag jeder Einzelne dazu leisten muss. Da werden die Parteien als Volksvertreter sehr unterschiedlich wahrgenommen, aber dass es in dem Zukunftsbild von Grünen und meinetwegen der AfD erhebliche Unterschiede gibt, wird wohl niemand ernsthaft bestreiten. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass einige Vertreter eher linker Positionen von ihrem bisherigen Einstellungen zu Russland abweichen oder einen ernsthaften Grund in der „Spezialoperation“ für eine eigene Richtungskorrektur der deutschen Sicherheitspolitik sehen. Die Folgen sind augenscheinlich, Beispiele dazu gibt es mehr als genug auch in diesem Blog. Hier vermisse ich den Grundkonsens aus dem kalten Krieg, der die Verteidigung Deutschlands quer durch alle Parteien nie in Frage gestellt hat. Der Wille zur Verteidigung war damals aus meiner Sicht jedenfalls vorhanden, die Fragen um das Womit (Waffen, Wehrpflicht) sind immer kontrovers diskutiert worden. Die bisherige Umsetzung heute durch den Minister als Antreiber solcher Entscheidungen bewerte ich als : „im Rahmen seiner Möglichkeiten“. Wer mehr erwartet, ja mehr fordert, muss erklären können, wie die derzeitige Regierungskoalition ohne auseinanderzufliegen, diese Pläne umsetzt. Eine SPD, die mit völlig desavouierter aussenpolitischer Kompetenz dasteht, Grüne, die allerdings nur in ihrer Spitze vom Pazifisten im Schnellkurs zum „Panzerexperten“ mutierten und eine FDP, deren unbestrittene Chefin die Ukraine in dankenswerter Weise unterstützt, obwohl die Korruption dort den Liberalen der Teufel ist, muss man erstmal zusammenhalten….Leider ist das politische Deutschland immer noch meilenweit von strategischem Denken, einer fundierten Risikoanalyse und den daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen entfernt. Wenn man angeblich keinen Nationalen Sicherheitsrat braucht, weil es nix zu beraten gibt, dann verstehe ich das nicht. Die Defizite in den Streitkräften dagegen sind hier oftmals diskutiert und benannt worden, die sind einfacher zu verwalten als abzustellen und genau das tun Heerscharen von Stabsoffizieren in Ämtern und Stäben, die genau dazu gemacht worden sind. Ich bin davon überzeugt, dass der beklagte Mentalitätswandel in der deutschen Gesellschaft der richtige Weg sein muss, aber der sehr enge und durch die Verengung des sagbaren Meinungskorridors noch mehr begrenzte Erfahrungshorizont im Bundestag lässt eben nur Lokalpolitik für den Wahlkreis erwarten. Die Erfahrungen eines Willi Brandt, eines Helmut Schmitt und eines Franz-Josef Strauss waren andere, ihre Lehren aus Krieg und Niederlage haben ihr Handeln bestimmt, eine Frau Esken oder ein Herr Mützenich zum Beispiel haben andere Erfahrungen. Fragen wie: was wollen wir denn mit der Unterstützung der Ukraine erreichen? Welcher Endstatus dort ist für uns akzeptabel, welche Politik gegenüber China oder anderen autoritären Staaten ist erfolgversprechend bei der Abwägung von Staatsräson und wirtschaftlichen Interessen, wo zieht Deutschland „rote Linien“…all das sind Themen, die auch den Normalbürger interessieren müssen, wenn wir über Handlungsfähigkeit des deutschen Staates oder den Einsatz von deutschen Streitkräften sprechen wollen. Und das müssen wir! Und genau das sehe ich nicht!
Leider entwickelt sich Herr Pistorius, über dessen Start ich genauso positiv überrascht war wie viele Mitbürger, in die exakt gleiche Richtung, in der unser Bundeskanzler schon weit vorangeschritten ist: Überzeugend klingende, markige Worte ohne spürbare Wirkung.
Seit langem scheint mir, dass das System Bundeswehr nur mit einem kompletten Reset wieder funktionstüchtig zu bekommen ist, ich beobachte von meinem Wehrdienst 1979/80 bis zu meinem letzten ISAF-Einsatz 2012 nicht nur einen quantitativen, sondern vor allem in der Breite einen qualitativen Niedergang, wie ihn RoterMilan ziemlich treffend beschreibt. Von einer Armee sind wir bis auf die Spezialkräfte und einige andere kleinere Truppenteile in eine Versorgungsanstalt mutiert. Da ist von unkomplizierter Einsatzbereitschaft nahezu nichts zu spüren, ich erinnere mich gut an den Kommentar eines BS-Kameraden bei meinem ersten KFOR-Einsatz, damals noch als Reservist: „Was hängst Du Dich so rein, Du bist doch nur Reservist?“. Im Großen und Ganzen sehe ich in der Truppe umfangreiche Versorgungsansprüche, aber keinen Einsatzwillen. Dass das in Kombination mit völlig unzureichenden Mitteln für eine vernünftige Ausrüstung alles ergibt, nur keine Armee, ist eindeutig. Natürlich ist mir klar, dass die Bundeswehr da auch nur die Gesellschaft, die vor Ansprüchen strotzt und Leistung verweigert, spiegelt.
Bitte seht mir meinen Pessimismus nach, aber iach habe halt zu lange mitgespielt und zugeschaut.
@Johannes Rams:
Ich fürchte, Sie haben mich komplett missverstanden. Waffen generell für anstößig zu erklären, sorgt gemeinsam mit der weitgehenden Verdrängung der Bundeswehr und ihrer Ausrüstung aus dem öffentlichen Bild (mit Ausnahme vielleicht an Freitagen und Sonntagen auf Bahnhöfen) für eine gewisse Weltfremdheit in der Bevölkerung.
Wie gesagt, die globalgalaktische Diskussion soll anderswo geführt werden. Sicherheitspolitisch ist jedoch auch die innere Sicherheit hinsichtlich der Fähigkeit unserer Gesellschaft, wieder „kriegstüchtig“ zu werden, um den Begriff des BM für Verteidigung zu nehmen, von Bedeutung.
Denn das erforderliche „Mindset“ müssen nicht nur die Soldaten haben, sondern auch diejenigen, die politische, haushalterische und beschaffungsrechtliche Entscheidungen treffen, und eigentlich auch diejenigen, die letztlich an den Urnen ihr souveränes Recht ausüben. Und wenn Sie dann in den relevanten Positionen nur noch Leute haben, die ganz ernsthaft nach dem doch recht dürftigen Gesichtspunkt „sieht böse aus, ist also auch böse“ argumentieren, treffen Sie schnell Entscheidungen aus dem Bauch heraus, die freilich nicht von sonderlich viel Sachverstand geprägt sind.
Die objektive Gefährlichkeit einer legal besessenen halbautomatischen Schusswaffe hängt nun wirklich nicht von ihrer äußeren optischen Gestaltung, oder Farbgebung ab. Und eine Kriegswaffe ist nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz eben nur eine Waffe, die „zur Kriegsführung bestimmt“ und in der Anlage zum Gesetz aufgeführt ist, und nicht bereits etwas, das „nur ähnlich aussieht“. Es steht völlig in den Sternen, ob ein solches Verbot auch nur ein Fitzelchen mehr an Sicherheit bietet. Denn Terroristen und Kriminelle benutzen im Zweifel ohnehin keine legalen Schusswaffen bzw. halten sich bereits a priori nicht an Verbote, wie beispielsweise die gesetzliche Limitierung der Magazinkapazität.
Mir ging es eher um den Umstand, dass je mehr unangenehme Themen Sie aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand drängen, umso weniger resilient wird diese Gesellschaft im Umgang mit unangenehmen Sachverhalten sein, wenn diese irgendwann unweigerlich trotzdem auf den Plan treten…
Ich erinnere dass Putin inzwischen die gesamte Jugend auf Krieg drillt. Wehrkunde-Unterricht in der Schule, Hetzpropaganda in allen Medien, die Junarmija („Jugendarmee“) wird auf Hass gedrillt wie einst die Hitlerjugend – man möge mir verzeihen aber ich habe mir die Lehrbücher dieser Organisation durchgelesen, anders kann man es nicht umschreiben.
Das kann man nicht mehr mit sozialistischen Jugendorganisationen aus dem kalten Krieg vergleichen die letztlich noch von „Verteidigung des Sozialismus“ reden, das ist eine gottgewollte Eroberungstheologie, die werden auf einen totalen Krieg gedrillt und den will Putin mit dem gesamten Westen führen. Wenn seine Sprecher davon reden dass sie die russische Fahne über den Trümmern Berlins hissen wollen – glaubt ihnen einfach.
Wer jetzt noch lamentiert statt zu handeln der ist der Biedermeier der dem Brandstiftern das Feuer reicht.
Vermutlich kommen wir nicht um Wiedereinführung der Wehrpflicht herum und beim Wehretat sollten wir uns dauerhaft auf 3% Plus einrichten.
Kurzfristig aber würde es reichen endlich mal die Rüstungsindustrie auf „Open Order“ produzieren zu lassen und dafür zu sorgen dass die Ukrainer die Russen noch lange und nachhaltig beschäftigen.
Wenn ein Mentalitätswechsel bereits als Prozess dargestellt wird, ist es noch ein langer Weg zur Kriegstüchtigkeit.
@TW
[Ist mit SpiSaZer das hier gemeint?
https://www.spiegel.de/politik/007-statt-spisazer-a-fd803c54-0002-0001-0000-000046289989
So alt sind hier allerdings fast keine Leser; noch nicht mal ich. T.W.]
In der Tat, das war aber auch in den 80ern noch ein gängiges Akronym. Heute läuft das unter „hybride Bedrohung“.
@ Schlammstapfer sagt:
01.11.2023 um 0:13 Uhr
Entschuldigung, aber SELTEN so einen Blödsinn gelesen!
Solch ein „bloß-niemandem-wehtun-wollen“-Ansatz spricht zwar für den Erfolg der entsprechenden, nicht zuletzt deshalb eben auch von StaSi/KGB mit verschiedensten Mitteln in der „alten Bundesrepublik“ geförderten Erziehung (zum Pazifismus), kann aber beim realitätsbewußten Zeitgenossen nur fassungsloses Kopfschütteln hervorrufen!
Ich verweise auf meine Einschätzung bzgl. der „Nackheit“ vom 31.10.
Ähnlich, wie die leidige Diskussion um „Angriffs-“ oder „Verteidigungswaffen“!
Auch mit einem – überhaupt nicht zu irgenwelchen „Kampfhandlungen“ gedacht-, „designt“ und hergestellten Küchenmesser, Beil oder ´nem schlichten Stück Holz oder Stein KANN ich jemanden ANGREIFEN, schwerstens verletzen und auch töten! „Geübten Zeitgenossen“ reicht dazu im übrigen der eigene Körper nach entsprechender Ausbildung/Training! Über die speziellen, diesbeztüglichen Aktivitäten in verschiedenen Kampfsportclubs könnte man durchaus ins Grübeln kommen…
„Verteidgung“ bedeutet nun einmal leider, daß da „jemand“ den Verteidiger mit der unmittlebaren Anwesenheit von „Krieg“ konfrontiert. Das muß heutzutage ja längst nicht einmal „nur“ die Entsendung von in mehr oder weniger zweckmäßig-phantasievolle Uniformen gekleideten, bewaffneten Figuren bedeuten, der „Krieg im Informationsumfeld“ tobt ja bereits „immer und überall“…
Gut ist das langsam einigen Menschen klar wird, wie sehr unsere politischen Verantwortungsträger nach der Zeitenwenden-Rede enttäuscht sind.
Viel heisse Luft mit wenig Inhalt!
Deutschland, müsste Ausrüstungs-Technisch die Masse bestellen die Polen bestellt und Teilwrise bereits ge-liefert bekommen hat.
Deutschland, bestellte lediglich 18 Kampfpanzer Leo2 A8 nach und knappe 30 Panzerhaubitzen 2000.
Statt im Deutschland-Tempo stagniert man lieber im Schlafwagen-Modus und fährt am Ziel vorbei, wie das Vorbild: Deutsche Bahn.
Hin und wieder geschehen.
Deutschland, ist die grösste Volkswirtschaft in der EU und in der europäischen NATO.
Es wird aber weiter fröhlich in der Nase gebohrt
Die Mittleren Kräfte sind Super und dienen als zusätzliche Kraft.
Das Ghema einer leicht vergrößerten Armee wird völlig ver-fehlt und nicht weiter Thematisiert.
Originalton BK Olaf Scholz uns SPD-Chef Lars Klingbeil: Deutschland, bekommt die grösste, stärkste, konventionellste Armee Europas.
Deutschlands Bundeswehr kann nicht einmal Maximum 1 Woche Deutschland verteidigen, weil noch „immer“ zu wenig ausreichend Munition vorhanden ist und zu wenig bestellt wird!
Deutschlands Soldaten sind hoch motiviert, einsatzbereit und in der Regel gut ausgebildet.
Die Linke SPD vor allem in Partei und in der Bjndestags-Frajtiln sollten sich Hinterfragen, wie man zur Bundeswehr steht.
Der Einzelplan muss Mindestens 2% des BIP betragen und zeitweise sogar über 3%.
Ich bin hier hin- und hergerissen. Man darf die Augen nicht davor verschließen, dass die Menschen die in der Bundeswehr und für die Bundesrepublik dienen in den vergangenen min 15 Jahren dahin erzogen wurden, wo die Bundeswehr aktuell ist. Der Personalkörper ist überaltert. Strukturen wurden bis zu Letzt auf Frieden ausgerichtet. Und jetzt soll dieses Konstrukt aus dem Kaltstart plötzlich wehrfähig – ja gar kriegstauglich werden?
Wie soll das mit dem gegenwärtigen Personal funktionieren? Die mir bekannten motivierten Menschen sind allesamt jenseits der 40 eher 50 – gleichwohl kennen diese zum größten Teil noch die Wertigkeiten der Bundeswehr aus den 90er Jahren.
Aber wie will man diese „Alten“ kriegstauglich aufstellen? Die Bundeswehr braucht junge Menschen. Derlei viele.
Der Ruf nach dem Change des Mind-Set ist löblich. Aber wie will der über 50 jährige StFw von vorn führen und mit Beispiel vorangehen? Das sind Wunschträume! Ich bin mir sicher, dass diese Generation wertvollen Dienst leistet und auch in der Lage ist, junge Generationen zu motivieren. Aber „von Vorne“ fällt da leider aus.
Andererseits ist man insbesondere in Spezialverwendungen genau auf dieses Klientel angewiesen. Man braucht diese Spezialisten. Aus meiner Bewertung hat man die dt Streitkräfte auf genau diese Spezialisten eingeschrumpft. Jetzt wundert man sich darüber, dass wir eine hochtechnologische Armee haben. Aber kämpfende Truppe – Fehlanzeige.
Die Deutsche Armee benötigt Dienstposten für kämpfende Truppe und die Reserve. Und natürlich auch Personal hierfür. Wo dieses dringend benötigte Personal herkommen soll – ich bin ratlos. Geld, Karrieremöglichkeiten, Verpflichtungsprämien, Werbekampagen sind in den letzten Jahren leider ins Leere gelaufen.
Die Änderung des Mind-Sets muss in der Bevölkerung stattfinden – und auch in den Streitkräften.
Heiße Luft, sonst nichts…Staatsräson + Enthaltung. Noch Fragen?
@Nicolo15
„Da echauffiert sich tatsächlich so mancher „Salon/Sandkastenkrieger“ über „Kriegstüchtigkeit“ “
Definieren Sie das doch bitte mal. Reicht es, wenn ich Krieg gut finde und Egoshooter oder WOT spiele um mich drauf vorzubereiten, oder reicht es, wenn ich in den Umfragen „das Richtige“ ankreuze? Oder soll ich mich zum Dienst in der Truppe als Reservist melden? Was genau meint der Minister bzw. Sie?
„andere schreien nach dem Staat ohne zu fragen wer der Staat denn ist und ohne zu erkennen, dass der Staat wir alle sind“
Soll ich eine eigene Wehrsportgruppe aufmachen oder zu Hause Waffen horten?
Landesverteidigung ist Bundessache. Da gibt es haufenweise gut bezahlte Leute, die das organisieren sollen und es läuft vorne und hinten nicht. Und dann ist das Mindset der Bevölkerung das Problem? Lächerlich.
Zur Kriegstüchtigkeit: Immerhin übt dir Bundeswehr jetzt (wieder) den Umgang mit Kriegsgefangenen:
https://www.bundeswehr.de/de/organisation/streitkraeftebasis/aktuelles/feldjaeger-uebung-orange-road-2-2023
Ich möchte einen ausdrücklich positive Beitrag dazu abgeben:
1. Es kommen die ersten Aufträge bei der Industrie an. Die vergangenen zwei Jahrzehnte waren teilweise sehr hart. Nur ein Minimum, kaum Technologieprojekte, teilweise wurde obsoletes Gerät einfach nicht ersetzt, usw. Es dauert (typisch deutsch) aber stetig wird es besser (auch typisch deutsch) und nach und nach werden neuen Geräte und Fähigkeiten in der Truppe ankommen. Schon Mal danke @BAAINBw, das ist und wird noch viel Arbeit.
2. Endlich wird Munition bestellt. Der Bestand war für manche Waffensysteme praktisch 0. Ich hatte mir deshalb große Sorgen gemacht, denn es war noch schlechter als manche denken…
3. Deutschland ist der viertgrößter Maschinenbauer der Welt (knapp hinter JAP & USA). Ein kleiner Teil dieser Kapazitäten zusammen mit der im Vergleich eher kleinen Verteidigungsindustrie, dazu die Bundeswehr und angesprochenen 5% (=40 Divisionen?) der Bevölkerung, plus NATO, plus EU, sollten vernünftige, potentielle Feinde hinreichend abschrecken.
4. Ich nehme im von mir beobachtbaren Bevölkerungsteil eine deutliche Zeitenwende war und ein bewusst werden, wie wichtig die Bundeswehr für sie und ihre Sicherheit ist. Ukraine und jetzt Israel sind ihnen eine deutliche Warnung.
@wetzelsgruen
leider liegen Sie in wesentlichen Teilen Ihrer hintergründigen, ganzheitlichen Ausführungen völlig richtig und ich teile sie. Bestürzend muss ich nur leider auch hier im Blog zu häufig einen Mangel an sicherheitspolitischen Basics zur Kenntnis nehmen, die eben nicht nur dem „Frust“ geschuldet sein können. Wenn hier von einigen Pistorius schon nicht verstanden werden soll, kann, wird, möchte; wie sieht das dann in großen Teilen der Gesellschaft aus.?
@wwkauz sagt: 01.11.2023 um 18:53 Uhr
Kein Problem. Ich bin Reservist jenseits der fünfzig. In der Stellung als Bataillonskommandeur. Ich traue mir zu, jedes Bataillon meiner Truppengattung gefechtsfähig auszubilden
Ich habe allerdings keine Lust, ohne Material dazustehen oder mir dieses aus aktiven Truppenteilen zusammenleihen zu müssen Das muss dann vorhanden sein, ebenso wie Unterkünfte, Verpflegung oder Munition.
Versuchen Sie das mal heutzutage. Ein sinnloses Unterfangen. Die Truppe ist auf Reservisteneinheiten nicht ausgelegt. Trotz der Weisung aus 2019 Es ist einfach traurig.
Als Antwort gibt es Worte, Worte und blablabla. Feuer frei für Kritiker und Besserwisser.
Wenn allein zur Anbahnung einer Reservebeorderung mit viel Mühe ein Jahr ins Land geht ist das Mindset im Personalbereich sicherlich nicht auf Turbo gestellt. Die Bewerberabbrecherrate liegt derzeit bei 70% ohne je eine Kaserne von Innen gesehen zu haben.
Wenn wiederum der Minister in seiner Funktion der Personalhoheit die Köpfe die dies vermurksen belässt und stets wie Scholz “ wir werden “ verwendet anstatt „wir haben “ kann ich derlei Gedöns abhaken unter Sonntagsrede.
Denken der Streitkräfte vom Verfassungsauftrag ist gefordert.
Politiker lieben Phrasen. Für ihre Glaubwürdigkeit und den politischen Diskurs ist das fatal.
Substanzlose Floskeln und hohle Phrasen entstehen dadurch, dass wenn man zwar richtige Dinge sagt aber entscheidende Maßnahmen nicht ergreift.
Die Umsetzung erfordert einen gut gefüllten Werkzeugkoffer mit brauchbaren Tools, Können und großen Mut.
Das ist nicht sichtbar!
Es wurde hier schon z.B. angesprochen, z.T. von @ T.W. kritisiert:
Wie will eine Bundeswehr mit den Organisationsformen ZSan, SKB kriegstüchtig werden?
Man kann diese Frage kritisieren, doch sie zeigt wie hohl die Ankündigungen sind.
Auch die versprochenen Neuausrichtung des BMVg blieb aus. Planungs- und Führungsstab, gut für den Herren Minister, sonst macht es nur noch mehr Bürokratie. (neuer Engpass)
Ein Erfolgsgefühl entsteht nur durch Menschen, die Dinge tatsächlich ins Laufen zu bringen können, eben nicht nur neue Worte für längst Bekanntes nutzen. Der Volksmund bezeichnet Menschen die im offensichtliche Widerspruch zwischen Wort und Tat nur neue Worte als Losungen einbringen als „Schwätzer“. Sicher, die Höflichkeit verbietet, das auf den Herren Minister zu übertragen.
Sagen könnte man aber, bei Herren Pistorius fällt die Maske: Handeln statt reden – Ihr Verhalten zählt!
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Die einzige deutsche Institution, die ausschließlich hart ergebnisorientiert arbeitet und auch bestehende gesetzliche Regelungen dafür umgehen darf (illegaler Ankauf von Kontoinformationen im Ausland) ist das Finanzamt. Alle anderen deutschen Institutionen und Ämter arbeiten auf Fehlervermeidung und Selbstverwaltung. Die Bundeswehr neu aufzustellen wird sehr lange dauern. Sehr traurig ist, dass ein Verteidigungsminister die Kriegstüchtigkeit, einer Armee fordern muss. Das ist, als ob bei einem Auto die Fahrtüchtigkeit fehlt. Dafür hat man es nicht.
Das ist irgendwie schon drollig.
Dieselben, die das „Panzerzählen“ verteufeln, führen ebenjenes selbst unverblümt an, wenn es darum gehen soll, die Erfolgsbilanz von Minister Pistorius zu belegen (Bestellungen aus dem sog. Sondervermögen). Das kommt schon bigott und selbstgefällig daher.
Wenn man hingegen darauf hinweist, dass man erstmal die Bundeswehr selbst strukturell/organisatorisch auf Vordermann bringen muss (die Pflöcke dafür waren bereits eingeschlagen, wurden dann aber von Frau Lambrecht brüsk herausgerissen und auch Herr Pistorius macht keine Anstalten, diese/neue Pflöcke zu setzen), bevor man andere in die Pflicht nimmt, dann wird so getan, als hätte dies nichts mit dem Thema „Kriegstüchtigkeit“ dieses Fadens zu tun.
Jeder kehre vor seiner eigenen Tür und die Welt wäre sauber. Über die Organisation der Streitkräfte bestimmen in erster Linie die Streitkräfte selbst, mit dem Minister an der Spitze. Wer diese dysfunktionale Struktur unangetastet lässt, also seinen eigenen Gestaltungsrahmen nicht nutzt und stattdessen eine gesamtgesellschaftliche/-staatliche Debatte anmahnt, der tut den zweiten Schritt vor dem ersten und macht sich unglaubwürdig, zumal mir keine „gesamtgesellschaftliche Debatte“ erinnerlich wäre, die die Einrichtung von SKB und ZSanDst gefordert hätte. Hierfür war der Wahn vom „schlanken Staat“ bzw. der Ökonomisierung von Staatsaufgaben ursächlich – es wird mutmaßlich den ein oder andere „Panzerzähler“ dabei gewesen sein, der diesen Ansatz schon damals (zurecht) kritisiert hat.
@Ralf Gabriel, natürlich gibt es im Bund eine Menge gutbezahlter Personen die das organisieren sollen.
Nur wird es das nicht ohne passendes Mindest der Bevölkerung nicht gehenw. Da kann man noch so schöne Pläne machen. Wenn es hinterher kein Geld von der Politik, die gerne wiedergewählt wer will, gibt um die Kapazitäten aufzubauen und später auch -rechtzuhalten um z.B. mit einer dreistelligen Zahl Verwundeter klar zu kommen. Und zwar täglich.
… aber kommen die PS auch auf die Straße oder wird das Geld sicher in Goldrandprojekten geparkt? Wer finanziert denn beispielsweise die Entwicklung des „Panther“? Ausgerechnet Ungarn! (Video-Tipp „Inside Rheinmetall“, derzeit in der ARD-Mediathek zu finden).
Polen plant allein mit über 1000 Kampfpanzern und das deutlich vor 2030! Die tausenden zivilen PKW/LKW, die täglich hierzulande vom Band laufen, stoppen vielleicht auch kurzfristig hintereinander geparkt den russischen Panzerkeil – sie tragen mitnichten zur Verteidigungsleistung bei.
@K. Liebstöckl: „Denken der Streitkräfte vom Verfassungsauftrag ist gefordert. Politiker lieben Phrasen…“ – ist unverständlich. Was meinen Sie mit dieser Aussage?
Eine wichtige Eigenschaft unseres aktuellen Verteidigungsministers scheinen Vernunft und der Schutz der eigenen Industrie zu sein.
Um so mehr freut mich diese Schlagzeile, dass Deutschland erwägt, aus dem NGF-Programm auszusteigen.
https://breakingthenews.net/Article/Germany-to-reportedly-abandon-euro100B-fighter-jet-deal-with-France/60907589
@ T.W. Vielleicht sogar ein eigenes Thema wert?
[Ich habe das im Auge – bislang gibt es allerdings nur neinen Bericht der Times unter Berufung auf ungenannte Quellen… und ist in diesem Thread auch nicht das Thema. T.W.]
@K. Liebstöckl:
Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass wir das vom Verfassungsauftrag her denken müssen. Aber dieses Denken ist nicht auf diese oder jene Einzelperson oder Dienststelle zu beschränken. Nicht mal auf die Bundeswehr als solche.
Wir haben eine Parlamentsarmee. Das heißt, die Streitkräfte tun oder lassen hier bei uns sowieso (gottseidank) nur das, was die Politik ihnen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zubilligt und entsprechend Aufträge erteilt. Deshalb ist die „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr kurz-, mittel- und langfristig viel mehr eine Frage der Kriegstüchtigkeit und -fähigkeit der Gesamtgesellschaft, die dann auch die entsprechenden Akzente in der Politik zur Folge haben muss.
Was Putin im Augenblick auf die autokratische Schiene hinaus tut, ist, die eigene Bevölkerung per Indoktrination und Gleichschaltung auf die eigene Kriegslinie zu bringen. Allein diese Beobachtung muss bei denkenden Menschen eigentlich schon Abwehrmechanismen auslösen – bis hin zur Fragestellung an sich selbst, wie man dem eigentlich in letzter Konsequenz wirksam begegnen soll. Mit Stuhlkreis und Gesprächskerze wird das nämlich nichts.
@ T.W.
Danke Ihnen.
„Mentalitätswechsel in der Gesellschaft“
Hm. Als Mitglied der Gesellschaft weiß ich gar nicht, wie ich meine mentale Kriegstüchtigkeit dem Staat, Rest der Gesellschaft oder dem Herrn Pistorius persönlich beweisen sollte. Ich mache alle 4 Jahre mein Kreuz für eine Partei, von der ich den geringsten Schaden für unser Gemeinwesen erwarte.
Dort muss angesetzt werden. Dort ist die Ursache des mentalen Zustandes der „Gesellschaft“ zu verorten. Dort „wird an der Willensbildung des Volkes mitgewirkt“.
Hört auf damit, auf die „Gesellschaft“ für die politischen Rahmenbedingungen und den vermuteten Verteidigungsunwillen zu zeigen. Es gibt keine demokratische Partei die sich für unsere „Kriegstüchtigkeit“ einsetzt und sich das so richtig auf die Fahne schreibt und zur Priorität macht. Das traut sich keiner.
Wenn die SPD mit dem Schwerpunktthemen Aufrüstung, Dienstpflicht, Stärkung der nationalen Sicherheit und Aufbau glaubhafter Abschreckung in den Wahlkampf zieht, hat sie meine Stimme. DANN darf sich Herr Pistorius entweder freuen, oder kann den Mentalitätswechsel fordern, wenn es nicht so gut gelaufen ist. Vorher nicht.
@Ralf Gabriel
Ihre Fragen sind ganz leicht zu beantworten und Sie können sie auch selbst beantworten mit der Frage: Ist für Sie das Glas halbvoll oder ist für Sie das Glas halbleer?
Die ehrliche Beantwortung dieser Frage führt immer zu identischen Ergebnissen. Der entscheidende Unterschied liegt in der unterschiedlichen Herangehensweise bzw. Vorgehensweise. Das ist der Punkt und darum geht es! So einfach ist das. In Neudeutsch nennen das kluge Köpfe auch Mindset, oben ganz simpel beschrieben und hergeleitet.
@ Pham Nuwen
– Zum Thema Panzer/Panther weiß ich nicht viel und kann das nicht beurteilen.
– Wie Sie meinen Punkten 1. und 2. entnehmen können bin ich mir sehr bewusst dass eine starke ‚Anfangsbefähigung, Anfangskapazität‘ (Ich weiß nicht ob es dafür einen Fachausdruck gibt) notwendig ist: Genug Gerät, Material und Menschen um einen Angriff ab zu fangen, Front zu stabilisieren, Zurück zu schlagen (Angriffskriege schließe ich aus) .
– Ist der Krieg aber nicht innerhalb von wenigen Tagen/Wochen/Monaten entschieden gewinnen die Nationen mit dem längstem Atem und der stärksten industriellen Basis. So war es bisher. Stellen Sie sich ein Deutschland vor dass auf Kriegswirtschaft umstellt: Nahezu unbegrenzte Finanzmittel. Tausende von Firmen und jeder Blechbieger macht Hülsen, Fräser Geschosse, Elektronikklitsche HW&SW, wer eben noch Büromaschinen baute jetzt Drohnen,… Know-How ist genug da. Hoch-automatisierte Fertigung, Roboter statt Menschen 24/7/365, Waffensysteme die in Friedenszeiten 10 Jahre Entwicklung brauchen, dann nur noch 2 Jahre …
=> Das ist der Krieg den ich verhindern will. Darum muss die BW vorher gut ausgestattet sein, dass gar niemand erst auf dumme Gedanken kommt.
PS: Die Polen sollen ihre 1000 Panzer und 500 Himars und das Personal dafür erst mal bezahlen. Das würde mich dann auch beeindrucken.
@ Pio-Fritz sagt: 01.11.2023 um 23:36 Uhr
Da kann ich dem Pio-Fritz nur zustimmen. Und wenn man fragt, wo denn (wenigstens) in der Krise das Großgerät für die nichtaktiven Bataillone der Reserve herkommen soll, dann bekommt man als gestandener Reservist und Arbeitnehmer der Wehrtechnik „Kinder“-Antworten.
Sagt doch der Oberst ernsthaft: “ Das Schwitzen die aktiven Verbände aus!“. Betroffene Stille im Raum, dann Lage-Update meinerseits, wie viele Leo 2A4 die Bw wirklich noch im Depot hatte. Betroffene Stille auf beiden Seiten.
Das war VOR dem Angriff auf die Ukraine. Bis dahin wurde man ja auch immer belächelt, „Aktivierung“…..
Nu gut, die Situation ist für die nichtaktiven Bataillone der Reserve jetzt noch schlechter, da das alte Gerät jetzt (richtigerweise) an die Ukraine abgegeben wird und die Neubestellungen (auch bei Auslösung aller Optionen) nur den aktiven Truppenteilen zu 100% Material verschaffen. Nichts „über Durst“, um Aufwuchs durch Aktivierung von nichtaktiven Bataillonen zu realisieren oder auch nur ausgefallenes Material zu 100% ausgleichen zu können.
Für mich erscheint eine potentielle LV/BV durch DEU in unserer Gesellschaft immer noch nur als ein „Problem der Anderen“ wahrgenommen zu werden. Das die LV eine gesamtheitliche gesellschaftliche Aufgabe ist, spielt keine Rolle. Ist so, als ob die Wohnung brennt, da ruft man ja auch die Feuerwehr. Wahnsinn.
Und die letzte alten Deppen (inklusive meiner Person), die sich noch in den nichtaktiven Bataillonen der Reserve tummeln, bekommt man mittlerweile auch verschreckt. RUSSLAND greift die UKRAINE an, HAMAS greift ISRAEL an und wir tun uns schwer einen gewissen Grundstock an Resilienz aufzubauen. Dazu gehört eben auch der Aufwuchs, wäre im Militär so üblich.
Ich halte mit meiner Meinung auf Nachfrage natürlich auch nicht hinterm Berg. Die Gesichter immer, wenn man den 20 Jährigen und 30 Jährigen KollegInnen erklärt, dass die im Zweifelsfall auch alle mit müssten bzw. davon tangiert sein werden, wenn der böse Feind vor der Tür steht. (Und da reicht schon die polnische Tür.) Und das es in dem Fall supi wäre, Ausrüstung, Ausbildung und Großgerät im vernünftigen Rahmen zu haben. Dann kommt das „Der alte Mann faselt wieder was von Landesverteidigung und Vorsicht ist besser als Nachsicht!“ Gesicht.
Aber lasst uns ruhig mal eine Brigade nach vorne verlegen, wird schon alles gut gehen