Bundeswehr gibt weiteres Patriot-System an die Ukraine ab (Nachtrag: Scholz-Statement)

Die Bundeswehr wird ein weiteres Patriot-Flugabwehrsystem an die Ukraine abgeben. Das kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada an. Die Zahl der verfügbaren Systeme dieses Typs bei der Luftwaffe sinkt damit auf zehn.

Die Lieferung machte Scholz am (heutigen) Donnerstag nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj via Twitter/X öffentlich:

Selenskyj bestätigte das ebenfalls auf X/Twitter:

Deutschland hatte der Ukraine bereits ein Patriot-System sowie zwei weitere Startgeräte (Launcher) sowie Flugabwehrraketen dafür geliefert. Im Zusammenhang mit der weiterhin ablehnenden Haltung des Kanzlers zur Abgabe von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine hatte es geheißen, die Bundesregierung werde sich auf die Stärkung der ukrainischen Flugabwehr konzentrieren. Angesichts einer erwarteten Zunahme russischer Luftangriffe auf die Energie-Infrastruktur in der Ukraine in den bevorstehenden Wintermonaten hatte das Land dringend um weitere Flugabwehr gebeten.

Mit der Abgabe eines weiteren Systems schrumpft der verfügbare Bestand der Bundeswehr auf zehn Patriot-Batterien. Wie viele davon bereits auf den neuesten technischen Stand umgerüstet wurden, ist öffentlich nicht bekannt. Unklar ist zunächst, ob dafür ein System genommen wird, das derzeit in Polen zum Schutz eines Umschlagbahnhofs für Lieferungen an die Ukraine eingesetzt wird, oder ob es aus den Beständen in Deutschland kommt.

Nachtrag: Aus dem Statement, das Scholz in Granada abgab, die Passagen zu militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine – einschließlich der Antwort zum Thema Marschflugkörper Taurus (Ganz klar ist, dass wir für uns immer auch beachten müssen, was uns die Verfassung vorgibt und was unsere Handlungsmöglichkeiten sind.):

Scholz: Die Europäische Politischen Gemeinschaft trifft sich jetzt nun schon zum wiederholten Mal. Das ist ein wichtiger Austausch der Staaten Europas. Zwei fehlen aus guten Gründen – das muss ausdrücklich gesagt werden -, nämlich Belarus und Russland. Für alle anderen Staaten gilt trotz der Dinge, die manchmal untereinander schwierig sind, unbedingt, dass es hier eine gemeinsame Perspektive für ein Europa gibt, das eine friedliche Entwicklung nimmt.
Deshalb ist natürlich auch bei den Beratungen hier der russische Angriff auf die Ukraine eines der ganz zentralen Themen und die Frage, wie wir einen Prozess organisieren können, der die Ukraine dabei unterstützt, ihre Unabhängigkeit und ihre Souveränität zu verteidigen. Alle wissen von der Bedrohung, die darin besteht, dass Russland versucht, sich mit Gewalt einen Teil des Territoriums seines Nachbarlandes anzueignen, mit all den Gefahren für die Sicherheits- und Friedensordnung in Europa.
Wir Deutschen stehen unverändert hinter der Ukraine und unterstützen sie in großem Umfang bei der Aufgabe, die vor ihr liegt. Deutschland ist nach den USA heute das Land, das am meisten Unterstützung leistet – finanziell, humanitär und auch mit Waffen. (…)

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben heute den ukrainischen Präsidenten getroffen. Er hat in den vergangenen Monaten immer wieder Taurus-Marschflugkörper von Deutschland gefordert. Was sind Ihre Gründe, dass Sie diese Waffensysteme vorerst nicht liefern werden?
Haben Sie Selensky konkrete Zusagen gemacht, was die Verstärkung der Luftverteidigung angeht?

Scholz: Wie Sie wissen, arbeiten Deutschland und die Ukraine eng zusammen. Ich und der ukrainische Präsident haben eine sehr enge freundschaftliche Kooperation. Wir telefonieren sehr häufig miteinander. Zuletzt haben wir uns in New York getroffen und uns dort sehr ausführlich unterhalten. Das haben wir auch fortgesetzt. Natürlich haben wir noch einmal ganz konkret die Unterstützung besprochen, die Deutschland für die Ukraine leistet.
Noch einmal: Deutschland ist nach den USA das Land, das die größte Unterstützung organisiert – finanziell, humanitär, aber auch, was Waffenlieferungen betrifft. Es ist auch in der Ukraine allen klar, dass sie sich sowohl jetzt als auch in den nächsten Jahren – wenn der Konflikt länger dauert, als man hoffen muss – auf Deutschland verlassen kann. Da werden wir das tun, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Dazu zählen insbesondere Artillerie und die dazugehörige Munition; viele Panzer, die zur Verteidigung und für die Aufgaben dort zur Verfügung stehen, und sehr, sehr viele Maßnahmen zur Luftverteidigung. Dazu zählt der Flakpanzer Gepard mit der Munition, die wir neu produzieren – es hat ja lange keine neue Produktion mehr gegeben –, sowie mehrere IRIS-T-Systeme, von denen noch weitere zur Verfügung stehen. Wir haben der Ukraine auch in der Vergangenheit das Patriot-Luftabwehrsystem zur Verfügung gestellt.
Ich habe hier dem ukrainischen Präsidenten gesagt, dass wir der Ukraine für die Wintermonate ein weiteres System zur Verfügung stellen werden. Das ist das, was jetzt am allermeisten notwendig ist, nämlich die Luftverteidigung mit diesem hocheffizienten System zu gewährleisten. Denn wir müssen ja damit rechnen, dass Russland im Winter erneut versuchen wird, mit Raketenangriffen, mit Drohnenangriffen und mit allem Möglichen Infrastruktur und Städte der Ukraine zu bedrohen. Da ist das für die Sicherheit der Ukraine hocheffizient. Das ist natürlich eine sehr weitreichende, aber auch sehr wirksame Unterstützung, die Deutschland an dieser Stelle gewährleistet. Das hat auch die sehr große Wertschätzung bekommen, die eine so große weitreichende Entscheidung mit sich bringt.

Zusatzfrage: Und warum nicht Taurus?

Scholz: Wir entscheiden alle einzelnen Unterstützungen immer nach sorgfältigen Abwägungen. Wir wägen alle Fragen stets neu ab; wenn ein Krieg so lange dauert, kann es ja nicht so sein, dass die Abwägungen einmal aufhören. Ganz klar ist, dass wir für uns immer auch beachten müssen, was uns die Verfassung vorgibt und was unsere Handlungsmöglichkeiten sind. Dazu zählt ganz besonders die Tatsache, dass wir selbstverständlich gewährleisten müssen, dass es keine Eskalation des Krieges gibt und dass auch Deutschland nicht Teil der Auseinandersetzung wird. Es ist auch meine Aufgabe als Bundeskanzler, das zu gewährleisten.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben von einem neuen System gesprochen. Schließen Sie aus, dass dieses neue System Taurus sein könnte, wenn Sie da andere Voraussetzungen geschaffen haben?
Josep Borrell hat hier gesagt, dass die Europäische Union es nicht kompensieren könnte, wenn die USA als Unterstützer der Ukraine ausfallen würden. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie reagieren Sie darauf?

Scholz: Ich habe eben gesagt, dass Deutschland eine der hochwirksamsten Verteidigungswaffen liefern wird, nämlich das Patriot-Luftabwehrsystem. Genau darum geht es. Das ist ein sehr weitreichender Schritt. Es gibt gar nicht so viele davon, die verfügbar sind. Wir haben bereits eine solche Lieferung möglich gemacht; das war für uns damals schon sehr schwer. Wenn wir das jetzt noch ein weiteres Mal machen, dann ist das eine sehr, sehr weitreichende Maßnahme, die auch der Sicherheit der Ukraine in sehr großem Umfang dienen wird. Das weiß auch jeder in der Ukraine, und ganz besonders natürlich der Präsident.
Klar ist, dass es sehr gut ist, dass die Ukraine sich auf so viele Länder verlassen kann – viele Freunde in Europa, ganz besonders natürlich auch auf unser Land, aber eben auch die USA. Dass wir das alle zusammen tun, das ist wichtig. Dass die USA eine große Bedeutung hat – auch bei der Unterstützung der Ukraine, sich selbst zu verteidigen – ist offensichtlich. Man kann das ja vergleichen: Die Verteidigungsausgaben, die die USA haben, liegen bei über 800 Milliarden US-Dollar. Das ist erheblich mehr als das, was Europa zusammen für die eigenen Verteidigungsanstrengungen ausgibt. Dann kann man ja auch sehen, welche Kraft die Unterstützung der USA für die Ukraine hat. Aber auch Europa leistet sehr, sehr viel, und das werden wir auch weiter tun.

(Archivbild Oktober 2022: Abschuss von Lenkflugkörpern eines Patriot-Flugabwehrsystems der Bundeswehr bei der Übung Spartan Arrow auf Kreta/Griechenland – Lars Koch/Bundeswehr)