Lesestoff fürs Wochenende: Die deutsche Zeitenwende aus französischer Sicht
Ein wenig Lesestoff fürs lange Wochenende: Das französische Institut français des relations internationales (IFRI) hat einen Blick auf die deutsche Zeitenwende (auf militärischem Gebiet) geworfen und die, zumindest zum Teil, mit den französischen Überlegungen seit der russischen Invasion der Ukraine abgeglichen. Die Studie gibt es auf Französisch und auf Englisch (leider – noch? – nicht auf Deutsch):
Zeitenwende : La Bundeswehr face au changement d’ère
Zeitenwende: The Bundeswehr’s Paradigm Shift
(Offenlegung: für diese Studie haben die Autoren bei ihren Recherchen in Berlin auch mit mir gesprochen)
Spannend finde ich den Schlusssatz im Abstract:
All of these considerations bring us to an assessment of the
implications of such a change for France, both in its partnership with
Germany and at the European and transatlantic level. It must be
acknowledged that, despite numerous attempts to revitalize the
Franco–German defense relationship, it currently generates more
frustration than cooperation. However, there is too much at stake for
France’s credibility in Europe for it not to respond to the challenge
posed by the Zeitenwende.
Frankreich hat übrigens erst kürzlich das „loi de programmation militaire 2024-2030“ beschlossen, also quasi die Ausrichtung der nächsten Jahre:
https://www.defense.gouv.fr/loi-programmation-militaire-2024-2030-grandes-orientations
Natürlich nur auf Französisch 😎
Ich empfand die IFRI-Studie zur „Zeitenwende“ als wohltuend sachlich, im Vergleich zu Veröffentlichungen in Foren wie OPEX360.com, wo Deutschen Politikern oder der Industrie seitens französischer Kommentatoren oft übelste Absichten unterstellt werden.
Es ist m.E. gut gelungen die Deutsche Interessenlage und Ausrichtung gut herauszuarbeiten: klares Bekenntnis zur NATO, intensive Beziehung zur USA / transatlantische Ausrichtung, Fokus auf LV/BV, Umsetzung des Framework-Nation Konzeptes (FNC) mit kleineren Partnern in Nord- und Osteuropa. Trend zu engeren Partnerschaften z.B. mit NL. Fokus auf konventionelle Abschreckung + nukleare Teilhabe.
Im Gegensatz dazu sieht Frankreich sich als europäischen Champion mit einer „Tier 1“-Armee, in der Lage Interventionen durchzuführen, globale Ausrichtung, vergleichsweise autonom und abgestützt auf umfangreiche nukleare Abschreckung, mit eigener Technologie und Kontrolle.
Es wurde klar erkannt, daß die Ausrichtung der beiden Partner eher divergent ist. Das ist eine zusätzliche Belastung für die gemeinsamen Industrieprojekte wie FCAS und MGCS und macht sich auch in der unzulänglichen Einbindung der Deutsch-Französichen Brigade bemerkbar.
Bei den Auswirkungen der „Zeitenwende“ auf Frankreich fand ich gut, daß man auch etwas selbstkritisch wurde und als Risiko sieht, daß FR ggfs. ein „vereinsamter“ Champion in Europa werden könnte. Es scheint auch eine Deutsche Befürchtung zu geben, daß FR sich sukzessive wieder aus der NATO-Vollintegration zurückziehen könnte.
Was mir persönlich in der IFRI Studie gefehlt hat, ist die Berücksichtigung der historischen Komponente, die auch in der „Zeitenwende“ von 2022 im Hinterkopf steckt: Einerseits positive Verträge, wie Elysee- oder Aachener Vertrag und hoffnungsvolle Statements der Spitzenpolitiker und andererseits die lange Zeit 1966 – 2009 der mangelnden NATO-Integration. Schlimmer noch ist das Gefühl, das FR im Gegensatz zu den USA und UK in Deutschland nie als wirkliche Schutzmacht verstanden wurde, sondern scheinbar nur auf den eigenen Schutz bedacht ist. Siehe auch die unseelige Zeit, in der PLUTON-Raketen von Ost-Frankreich aus nur auf deutsches Gebiet ausgerichtet waren.
Fazit:
Die „Zeitenwende“ kann durchaus dazu führen, daß sich DE und FR trotz aller salbungsvollen Politiker-Reden in Sicherheitsfragen noch weiter auseinander bewegen könnten.
@Resi1984
„… , daß FR ggfs. ein „vereinsamter“ Champion in Europa werden könnte.“
GBR ist zwar nicht mehr in der EU, aber wie sieht es denn mit der militärischen Zusammenarbeit FRA-GBR aus? Darin wurden ja große Hoffnungen gesetzt oder ist das Verhältnis stark abgekühlt (wg. AUKUS, u.a.).
@ Thomas Melber:
Die Frage ist durchaus berechtigt und wurde teilweise in der IFRI Studie schon betrachtet.
Ich möchte die Aussage wie folgt zusammenfassen:
Die Zusammenarbeit DEU-GBR ist schon eng und wird zunehmend enger. Beispiele dafür: Gemeinsame Nutzung und Ausbildung Eurofighter, später P8A im Bereich Marineflieger und CH 47F als STH. GBR schließt sich ESSI an. Es gibt gemeinsame Heereseinheiten bsp. Pionierbrückenbataillon 130 und Stützpunkte in Deutschland.
Auch die Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie wird enger, siehe auch Rheinmetall BAE Systems Land (RBSL) z.B. für Boxer oder Challenger 2 Upgrade.
Diese Zusammenarbeit ist und wird, was LV/BV angeht enger sein, als das was FRA-GBR Kooperation angeht.
Möglicher- und auch sinnvollerweise werden FRA-GBR eher in Bereichen kooperieren, wo Deutschland sich nicht ernsthaft beteiligt, als Beispiel Szenarien außerhalb Europas, wie Indo-Pazifik, mittlerer Osten oder Afrika.
Es wird dort eher Kooperation im Bereich Marine oder Expeditionsstreitkräfte sein.
Auf Erkenntnisebene nicht viel Neues.
Da aber die gezogenen/zu ziehenden Schlüsse niemals umgesetzt werden, weil Frankreich – im Gegensatz zu den Niederlanden – niemals seine Truppen irgendwo integrieren würde. Man komme mir nicht mit der Deutsch-Französischen, denn die teielen sich eigentlich nur die Kaserne. Der Aufbau der gemeinsamen Staffel in Evreux ist hier eine Ausnahme, aber sie wir es m.E. auch bleiben, da es sich hier um die kurzfristige, preisgünstigste Behebung eines (taktischen) mangels geht.
Die militärischen Fähigkeiten von Frankreich sind auch bei Weitem nicht so, wie sie gerne präsentiert werden. Die Armée de terre befindet sich seit Jahrzehnten im Umbruch. Die Ausrüstung ist in weiten Teilen noch veralteter, als die Deutsche und lange schon nicht mehr bedrohungsadäquat (siehe AMx-10rc oder sogar den Leclerc).
Das Engagement in Sahel war die letzten Jahre ein Beleg dafür:
Erst mit Großmachtattitüde reingehen, dann Verbündete suchen, dann auf Widerstand treffen und dann ins Nachbarland verlegen….. (Mali, Niger, …)
Ansonsten ist Frankreich schwer integrierbar, da Frankreich (bis auf’s aktuelle Sturmgewehr) keine Nicht-französischen (Groß)geräte hat, das immer geringere Klarstände und – von den Dassault-Produkten abgesehen – nicht wirklich marktfähig oder aktuell ist.
Man leitet sein Selbstverständis eigentlich nur noch von der Force de Frappe ab, deren atomare Zweitschlagsfähigkeit (!) eher als Folklore gesehen werden darf.
Die Briten sind da deutlich pragmatischer.
Mit einer traditionellen Fokussierung auf See- und Luftschlagkraft, sind die „Synergieeffekte“ deutlich größer, da die Luftwaffen-Systeme großenteils identisch sind oder sein werden.
Der Abbau der Army in den letzten Jahren, hat gerade in den Landkriegsfähigkeiten Löcher gerissen, aber die Auswahl des Boxer als neues Standard-Vehikel und der konsequente (Wieder)Aufbau von neuen und alten Fähigkeiten (siehe Ausbau der M3-Amphibie) sind hier zu nennen. Sie ermöglichen eine bessere und leichtere Integration z.B. durch gemeinsame Instandsetzungskapazitäten etc.
Es gab in den letzten Jahrzehnten dutzende gemeinsame Projekte mit Frankreich:
Angefangen beim LEO, der als gemeinsames Projekt geplant war), über die gemeinsame Entwicklung einer PzH (aus der auf deutscher Seite dann die PzH2k entstand), über den TIGER und hin zu FCAS und MCGS, waren und sind die Projekte entweder krachend gescheitert oder zu geldverschlingenden Polit-Produkten geworden, deren Fähigkeits- und Proporzvorgaben zu nicht wirklich marktfähigen Systemen geführt hat.
Da aber der Wirtschaftsprotktionismen waren mit Frankreich extrem – wir erleben es bei FCAS, wo sogar der Design-Wettbewerb zwischen AIRBUS und Dassault seitens Frankreich abgeschmettert wurde. Motto: „Dassault-Design oder nichts!“
Auch die Projekte mit GB waren nicht immer von Erfolg gekrönt, aber man kam schneller zu Potte.
Im Grunde ein weiteres Papier, das keinerlei Impact auf die aktuelle Politik und/oder Beschaffung und Organisation haben wird.
„But this attitude overlooks the fact that the FCAS is not just about developing a Fighter Aircraft, but also includes a Fighter-Bomber…„
Ups, ist mir da etwas entgangen?
Was Dassault jetzt demonstrieren will ist ein Jagdbomber, gebaut um einen hyperschallfähigen Marschflugkörper zu tragen. Einen Luftüberlegenheitsjäger sehe ich nicht. Oder sollte damit die Super Rafale gemeint sein?