Wissenschaftliche Berater des Wirtschaftsministeriums fordern weniger Parlaments-Mitsprache bei der Rüstung

In ungewöhnlich deutlicher Form haben Wissenschaftler, die das Bundeswirtschaftsministerium beraten, die Beteiligung des Bundestages an Beschaffungsvorhaben der Streitkräfte kritisiert. Die Billigung einzelner Projekte der Bundeswehr durch den Haushaltausschuss des Parlaments führe zu einem Mikromanagement von Regierung und Verwaltung und sei keine legitime Aufgabe der Legislative, schrieb der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz in einem Gutachten.

In dem am (heutigen) Dienstag veröffentlichten Gutachten befassen sich die Wirtschaftswissenschaftler, deren Position nicht die Haltung des grün geführten Ministeriums wiedergeben muss, mit der Frage Bundeswehr besser ausrüsten – aber wie? Neben konkreten Vorschlägen für eine Beschleunigung des Vergabeverfahrens widmet sich der Beirat vor allem der, wie er es nennt, Parlamentsschleife, der Regelung, dass jede Beschaffung von mehr als 25 Millionen Euro einzeln vom Haushaltsausschuss genehmigt werden muss:

Zur gewollten Entscheidungsgewalt der Regierung gehört insbesondere die Befugnis, Geld auszugeben. Das Parlament hat auch nicht die sachliche Kompetenz, um einzelne Beschaffungsvorgänge im Detail zu beurteilen. Es wäre nicht sinnvoll, dass das Parlament diese Kompetenz aufbaut. Das Parlament bewilligt das Budget und legt damit einen Rahmen fest, in dem die Exekutive autonom handeln kann. Das Mikromanagement von Regierung und Verwaltung ist keine legitime Aufgabe der Legislative. Genau solches Mikromanagement ist mit der Parlamentsschleife aber beabsichtigt. Dafür gibt es keinen überzeugenden Grund.

Besonders kritisch sehen die Wissenschaftler die Möglichkeit einzelner Abgeordneter, durch das Abstimmungsverhalten im Ausschuss oder mit so genannten Maßgabebeschlüssen Einfluss auf Beschaffungsentscheidungen der Bundeswehr zu nehmen:

Die Parlamentsschleife lädt zu Nachverhandlungen ein. Einzelne Mitglieder des Ausschusses können ihre Zustimmung von Bedingungen abhängig machen, die im Interesse ihres Wahlkreises liegen oder ihren politischen Präferenzen entsprechen. Verhandlungstheoretisch sind solche Nachverhandlungen zu erwarten. Die Parlamentsschleife gibt dem Haushaltsausschuss Drohpotenzial. Das Potenzial ist in der gegenwärtigen verteidigungspolitischen Situation besonders hoch. Die mit einer erneuten Ausschreibung verbundene Verzögerung kann sich die Bundeswehr oft nicht leisten. Dann muss die Bundesregierung wohl oder übel auf die Wünsche des Haushaltsausschusses eingehen.

Die 25-Millionen-Regel war seit Jahren geübte Praxis und wurde trotz der Kritik, die an diesem Instrument aufkam, von den Parlamentariern aller Fraktionen in allen politischen Regierungskonstellationen vehement verteidigt. Mit dem Beschluss über das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr wurde dieses Verfahren dann im vergangenen Jahr gesetzlich festgeschrieben. Der Beirat sprach sich in dem Gutachten dafür aus, die Bestimmung aufzuheben: Der Bundestag sollte seinen Einfluss darauf beschränken, im Vorhinein Zwecke zu umreißen, für die er die Bundesregierung zu Ausgaben ermächtigt. 

Die Wirtschaftswissenschaftler regten zudem an, einzelne Bestimmungen des Vergaberechts für Rüstungsgüter anders zu fassen, um der Bundeswehr eine schnellere Beschaffung zu ermöglichen. So sollte das Verfahren, mit dem ein nicht berücksichtigtes Unternehmen gegen eine Beschaffungsentscheidung vorgehen kann, um eine Instanz gekürzt werden: Derzeit ist nach der Rüge beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) eine Beschwerde beim Bundeskartellamt und als letzte Instanz der Gang zum Oberlandesgericht Düsseldorf vorgesehen. Die einfachste Lösung wäre eine Verkürzung des Instanzenzugs, heißt es in dem Gutachten. Diese Lösung würde sich im verfassungsrechtlichen Rahmen halten.

Eine grundsätzliche Neuorientierung fordern die Wirtschaftswissenschaftler angesichts der sicherheitspolitischen Lage auch für die Forschung für militärische Zwecke – und bei diesem Punkt dürfte heftiger öffentlicher Streit absehbar sein:

Die restriktive Haltung gegenüber Forschung, deren Ergebnisse auch militärisch nutzbar sein könnten, sollte überdacht werden. Anträge auf staatlich finanzierte Forschungsförderung sollten nicht allein mit dem Argument abgelehnt werden, dass die Ergebnisse der Forschung auch militärisch genutzt werden könnten. Die Zivilklauseln in den Regelwerken vieler Universitäten und Forschungseinrichtungen sollten aufgehoben werden.

Das ganze Gutachten gibt es hier; die Pressemitteilung dazu hier. (Und beides auch als Sicherungskopie:
BMWK_WissBeirat_Bundeswehr_Pressemitteilung WissBeirat_BMWK_Bundeswehr-besser-ausruesten)

Nachtrag: Der für den Verteidigungshaushalt zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, Andreas Schwarz, reagierte auf Twitter sehr schnell auf die Vorschläge:

Nachtrag 2: Auch aus der Opposition kam umgehend Kritik. Der CDU-Haushälter Ingo Gaedechens beklagte, der Beirat sei nur am Rande auf das nötige Mindset in Beschaffungsamt und Bundeswehr eingegangen, bei dem bislang ein juristisch einwandfreies Verfahren mehr Bedeutung habe als eine schnelle, effiziente Ausrüstung. Seine Hauptkritik richtete sich aber gegen die Forderung nach weniger Parlamentsbeteiligung:

Das Wort „Parlamentsschleife“ ist mir unbekannt und scheint eine Neuschöpfung des Beirats zu sein. Das zeigt aber zugleich das Problem: Der Beirat äußert sich im Kapitel zur Parlamentsbeteiligung über ein Verfahren, zu dem offenbar nur aus Anekdoten und Erzählungen Erkenntnisse vorliegen. Die 25 Mio. Euro-Vorlage in der Realität und die vom Beirat geschilderte „Parlamentsschleife“ haben leider in vielen Punkten nichts miteinander zu tun. Insofern helfen die Anmerkungen aus meiner Sicht nicht weiter. Allein das Argument, dass die 25 Mio. Euro-Vorlage zu Nachverhandlungen einladen würde, ist unzutreffend. Das Parlament erhält einen endverhandelten Vertrag und kann dann nur zustimmen oder ablehnen.
Die 25 Mio. Euro-Vorlage ist seit Jahrzehnten etabliert und ein wichtiges Mittel der parlamentarischen Kontrolle. (…) Wenn also nicht einmal die Bundesregierung der Auffassung ist, dass eine Änderung bei einer 25 Mio. Euro-Vorlage die Beschaffungsverfahren beschleunigen kann, sehe ich hier aktuell auch keinen Ansatzpunkt.

(Foto: Das ‚Einsatzsystem Luftlandeplattform‘, der Caracal von Rheinmetall, dessen Beschaffung im Juli durch den Haushaltsausschuss gebilligt wurde)