Bundeswehr beginnt Evakuierungsmission im Sudan (Neufassung, m. Update)
Im von Kämpfen rivalisierender militärischer Gruppen erschütterten Sudan haben Bundeswehr und Auswärtiges Amt eine Evakuierungsmission begonnen. Mit A400M-Transportern der Luftwaffe sollen deutsche Staatsbürger von einem Militärflughafen nahe der Hauptstadt Khartum ausgeflogen werden. Zuvor hatten die USA und Großbritannien ihr diplomatisches Personal ausgeflogen und Frankreich ebenfalls eine Evakuierung gestartet.
Den Beginn der erwarteten Operation teilten das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt am Sonntagnachmittag auf Twitter mit:
#Sudan: Gemeinsam koordinieren @BMVg_Bundeswehr und @AuswaertigesAmt eine laufende #Evakuierungsoperation der #Bundeswehr für die Deutschen vor Ort in Abstimmung mit unseren Partnern. 1/2 pic.twitter.com/RjmiS9JuHA
— Verteidigungsministerium (@BMVg_Bundeswehr) April 23, 2023
Update: Auf dem Militärflughafen Wadi Sayyidna (je nach Transkription auch Seidna) nahe der sudanesischen Hauptstadt landeten am Sonntagnachmittag zwei A400M-Transportmasschinen der Luftwaffe, um deutsche Staatsbürger aufzunehmen. Das erste Flugzeug landete nach Angaben des Verteidigungsministeriums um 1550, das nächste knapp zwei Stunden später.
In einem Rundschreiben per E-Mail waren deutsche Staatsbürger zuvor aufgefordert worden, sich zu diesem Flugfeld nördlich von Khartum zu begeben: Aufgrund der Umstände vor Ort ist eine Abholung an Ihrem Standort nicht möglich und wir müssen Sie bitten, selbständig und auf eigenes Risiko zum Flughafen zu kommen. Die Lage ist weiterhin sehr volatil, Kampfhandlungen halten trotz angekündigter Waffenruhe an vielen Orten an.

Das Flugfeld von Wadi Seidna wurde bereits im Zweiten Weltkrieg von den Briten angelegt; in den 1970-er Jahren wurde es mit sowjetischer Hilfe ausgebaut. Die Start- und Landebahn ist nach den spärlich vorhandenen öffentlichen Informationen knapp 3.000 Meter lang. Kontrolliert wird der Flugplatz offensichtlich weiterhin von den sudanesischen Streitkräften. Der Flugplatz wird von mehreren europäischen Nationen für die laufenden Evakuierungsflüge genutzt. Der zivile Airport von Khartum liegt im umkämpften Stadtgebiet und ist teilweise zerstört.
Die Deutschen sollen nach Al Azraq in Jordanien ausgeflogen werden. Dort betreibt die Bundeswehr einen Luftstützpunkt, der seit Jahren der Unterstützung für die deutsche Beteiligung an der Anti-IS-Koalition im Irak dient. Auf der Basis waren in den vergangenen Tagen Flugzeuge und Fallschirmjäger in Bereitschaft gehalten worden.
Frankreich hatte bereits am Sonntagmorgen den Beginn einer Evakuierungsoperation angekündigt, die auch mit den europäischen Partnern abgestimmt sei. Diese Mission hatte allerdings offensichtlich Probleme, nach sudanesischen Angaben wurde ein Konvoi mit französischen Diplomaten angegriffen und dabei ein Franzose verletzt. Die sudanesische Armee und ihr Gegner, die (para)militärischen Rapid Support Forces (RSF), beschuldigten sich gegenseitig dieses Angriffs. Aus der – auf Englisch veröffentlichten – Mitteilung der RSF:
On the morning of 23 April 2023, the Rapid Support Forces were attacked by aircraft during the evacuation of French nationals from their embassy, passing through Bahri to Omdurman, which endangered the lives of French nationals by injuring one of them and the survival of the rest of the convoy members. The Rapid Support Forces indicate that, in full coordination with the French government, the evacuation convoy of French nationals moved this morning from the French embassy and crossed the city of Bahri to Omdurman whereby it was attacked and the aircraft was shot down. This flagrant violation of international and humanitarian law and the declared truce was witnessed and attended by members of the French embassy that documented the incident. In the face of this cowardly attack to preserve the safety of the French nationals, the Rapid Support Forces had to return the convoy to the first starting point.
Dagegen erklärte die sudanesische Armee laut Medienberichten, die RSF hätten diesen Angriff verübt. Aus Paris gab es dazu zunächst keine Aussage.
Die USA und Großbritannien beschränkten – nach den bisherigen Informationen – ihre Evakuierungsmissionen auf das diplomatische Personal ihrer Botschaften im Sudan. In der Nacht zum Sonntag wurde die US-Botschaft in Khartum evakuiert; rund 70 Diplomaten und ihre Angehörige wurden aus der umkämpften Hauptstadt gerettet. Die Mission machte US-Präsident Joe Biden am späten Samstagabend (Ortszeit Washington) öffentlich:
Today, on my orders, the United States military conducted an operation to extract U.S. Government personnel from Khartoum. I am proud of the extraordinary commitment of our Embassy staff, who performed their duties with courage and professionalism and embodied America’s friendship and connection with the people of Sudan. I am grateful for the unmatched skill of our service members who successfully brought them to safety. And I thank Djibouti, Ethiopia, and Saudi Arabia, which were critical to the success of our operation.
Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums wurde die Operation von Spezialkräften unter anderem mit drei Transporthubschraubern des Typs MH-47 Chinook durchgeführt, die vor dem Anflug auf Khartum in Äthiopien einen Tankstopp machten. An dem Einsatz seien gut 100 US-Soldaten beteiligt gewesen. Die US-Regierung machte zugleich deutlich, dass ihre Evakuierung damit abgeschlossen und eine solche militärisch gesicherte Abholung für US-Staatsbürger im Land nicht geplant sei. Nach Schätzungen von US-Medien halten sich zwischen 16.000 und 19.000 US-Bürger im Sudan auf, viele von ihnen Doppelstaatler.
Auch Großbritannien hat seine Evakuierungsmission am Sonntag bereits abgeschlossen, wie Verteidigungsminister Ben Wallace via Twitter mitteilte. Zur Zahl der Evakuierten machte er zunächst keine Angaben:
This morning, UK Armed Forces undertook a military operation alongside the US, France & other allies. They have evacuated British Embassy staff & their dependants from Khartoum due to the escalating threats.
The operation involved more than 1200 British personnel from 16 Air Assault Brigade,the Royal Marines and the RAF. I am grateful to all our partners including Cyprus. I want to pay tribute to the bravery and professionalism of our armed forces.
Die britischen Streitkräfte beschränkten ihre Operation – wie die USA – auf ihr diplomatisches Personal, wie der Guardian berichtet:
The UK has successfully evacuated its diplomatic staff from Khartoum, the UK foreign secretary, James Cleverly, has said, citing the escalating threats against foreign diplomats, but said UK nationals living in Sudan remained in the country.
Rishi Sunak also announced the evacuation, saying British armed forces had carried out “a complex and rapid” military operation.
With British citizens still trapped by the fighting in Khartoum, the news that diplomats have been prioritised is likely to cause deep concern, but Cleverly on Sunday said the top priority remained the safety of British nationals.
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Viel Soldatenglück Kameraden!
Bewegungen in der Stadt sind weiterhin mit hohen Risiken verbunden. Offenbar hat sich die Bundeswehr gegen die Option entschieden, die Evakuierenden von für sie leichter zu erreichenden Sammelpunkten aus per gesichertem Konvoi zum Flugplatz zu verbringen. Das könnte bedeuten, dass nicht wenige deutsche Staatsangehörige vor Ort verbleiben müssen, falls man keine andere Option für den Transport zum Flughafen gefunden hat.
Vor Ort tätige Organisationen warnen aktuell, dass Gefechte vor allem im Zentrum (Präsidentenpalast, Central Military District und internationaler Flughafen) und Norden Khartums (vor allem im Umfeld der Militärstützpunkte Kafouri und Shambat) sowie im Raum Omdurman (darunter an der al-Halfaya-Brücke sowie in den Bereichen Karari und al-Salha) anhalten. In weiten Teilen der Stadt komme es darüber hinaus zu sicherheitsrelevanten Vorfällen, und mit Checkpoints beider Seiten müsse im Stadtgebiet gerechnet werden. Entlang der Straßen, die aus der Stadt hinausführen, gebe es Checkpoints der regulären Streitkräfte.
Das scheint ein echt kluger Ansatz zu sein. Dazu gehört mehr als nur „reinfliegen“. Klug gedacht, hoffentlich erfolgreich ausgeführt.
Das letzte Update einer zivilen, vor Ort tätigen Organisation erwähnt Gefechte im Raum Omdurman (südlich des Militärflugplatzes Wadi Sayyidna) nur in den Gebieten al-Mohandiseen und al-Mansoura, weist aber darauf hin, dass die Lage unübersichtlich sei.
@sw
Nur um ihre Frage aus dem anderen Thread ganz kurz zu erläutern: Wenn man am Khartoum International aufgrund der Rahmenbedingungen nicht landen kann, dann ist das so. Es hilft niemanden, wenn ein vollbesetzter A400M abgeschossen wird. So eine Entscheidung trifft man aufgrund der Rahmenbedingungen.
Gemäß Medienberichten wurde der nächtliche deutsche Einsatz verschoben, nachdem die britischen Flugzeuge ohne Absprachen in der Nacht gelandet und zunächst festgehalten wurden. Aus diesem Grund hat man erst Gespräche mit den lokalen Kräften geführt, die den Flughafen halten. Im Zuge der Vorfälle rund um den französischen Konvoi wurde auf eine solche deutsche Mission verzichtet. Frankreich hat wohl etwa 100 Personen ausfliegen können. Die italienische Mission läuft ebenfalls…
Das klingt für mich nach einer sehr gründlichen Planung und Einschätzung der Lage. Insofern kann ich manche Kommentare mit ihrer Kritik – beziehe mich auf die ersten Fassungen des Artikels – nicht nachvollziehen.
@S4 Offz
Meine Anmerkung bezog sich darauf, dass man den vorliegenden Medienberichten nach Zivilisten scheinbar (wenn auch mit Verweis auf das hohe Risiko) nahelegt, sich auf Routen zum Flughafen Wadi Sayyidna zu begeben, die man für deutsche Soldaten als zu gefährlich betrachtet. Falls die Medienberichte zutreffend und vollständig sind, wirkt das nicht so wie ein sorgfältiger Umgang mit Risiken.
Kann mir als Zivilisten einmal einer der Fachleute erklären, warum die BW und auch die anderen europäischen Armeen für diese Mission so dringend auf ausgebaute Flughäfen angewiesen sind? Angeblich soll die A400 doch auf nur notdürftig hergerichteten Naturpisten landen und starten können? Mit Wadi Sayyidna hat man doch das Problem, dass von Khartum aus mindestens eine Nilbrücke überquert werden muss. Die ideale Position für Checkpoints.
@Segestes, auch eine notdürftige Naturpiste wird gewisse Anforderungen in Bezug auf Länge, Breite, Tragfähigkeit, Hindernisse im Umfeld etc erfüllen müssen. Und da sehe ich im Sudan das Problem, wer soll jetzt noch erkunden wo ein A400 noch landen könnte außer auf bestehenden Flugplätzen? Zumal gerade im Umfeld einer Großstadt dürfte auf einem bestehenden Flugplatz es einfacher sein die gelandete Maschine zu sichern und nicht überrannt zu werden.
@Segestes
Die Naturpiste muss dann auch hergerichtet werden, wer macht das? Bitte Piste nicht mit vorher unbefleckter Wiese (oder Sandfläche) verwechseln.
Alles andere ist Abwägung der Risiken (Brücke vs. umkämpfter Flughafen z.B.)
@segestes
Ich nehme a das liegt daran, dass solche Pisten vorher erkundet werden müssen(z.b. Fallschirmspezialzug).
Hinzu kommt dass man natürlich nicht von jeder Piste mit dem maximalen Abfluggewicht starten kann (gut, getankt wird nicht, aber man will ja trotzdem genug Sprit haben um wieder nach Jordanien zu kommen), und gerade wenn der Flieger voll wird, ist es natürlich besser von einer festen Piste zu starten. (Ich fliege nur Cessnas als Hobbypilot, aber auch da macht es einen Unterschied ob ich von Gras oder Asphalt starte).
@Segestes was bei all den Landebedingungen ebenfalls bedacht werden muss, ist die Tatsache, dass so eine Operation ja nicht bedeutet „landen, alle die dürfen kommen zum Sammelpunkt und wieder raus“. Es ist natürlich nicht vergleichbar mit einem Linienflug dennoch ermöglicht ein „geguardetes“ Gelände ein viel kontrolliertes Boarding der Maschinen. Hinzu kommt der Umschlag vor Ort. In der Theorie stehen natürlich alle Leute pünktlich da wo man sie abholen will parat, in der Praxis kommen Menschen dort nach und nach an und das vielleicht auch, wenn aktuell keine Maschine vor Ort ist. Es ist ja nicht im Sinne der Hilfeleistung, diese auf der Straße sitzen oder hier im Beispiel auf einer provisorisch angelegten Landebahn sitzen zu lassen. Diese Option der Landung wird erst zur Option, wenn ein höchst taktisches Szenario, sprich Truppen unter Eigensicherung verbracht werden müssen.
@S4Offz Khartum ist aufgrund von Kollateralschäden keine Option mehr gewesen.