Abzug aus Afghanistan: Für die US-Truppen bis zu 44 Prozent bereits erledigt
Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan scheint schneller zu laufen als zunächst geplant: Bis zu 44 Prozent des Abzugs der US-Soldaten am Hindukusch seien bereits abgewickelt, teilte das U.S. Central Command (CENTCOM) mit. Nach Medienberichten soll die wichtigste Basis im Land, die in Bagram, bereits in zwei bis drei Wochen an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden.
Aus der Mitteilung von CENTCOM am (heutigen) Dienstag zum Stand des Abzugs Ende Mai:
U.S. Central Command provides the following update on the orderly and responsible withdrawal of U.S. forces from Afghanistan, as of 10 a.m. on May 31, 2021.
Since the President’s decision, the DoD has retrograded the equivalent of approximately 300 C-17 loads of material out of Afghanistan and have turned nearly 13,000 pieces of equipment to the Defense Logistics Agency for disposition.
Also, the U.S. has officially handed over six facilities to the Afghan Ministry of Defense. We anticipate additional transfers of bases and military assets in the future which will support the ANDSF/GIRoA as they work to stabilize and defend their nation.
U.S. Central Command estimates that we have completed between 30-44% of the entire retrograde process.
Das US-Kommando betonte allerdings zugleich, dass aus Sicherheitsgründen nur ungefähre Zahlen genannt würden, die um so schwammiger seien, je näher das endgültige Ende des Abzugs rücke.
Der Dari-Dienst der BBC und die Nachrichtenagentur AFP berichteten, in den nächsten zwei bis drei Wochen werde die Basis in Bagram übergeben. Aus der AFP-Meldung:
The US military will hand over its main Bagram Air Base to Afghan forces in about 20 days, an official said Tuesday, as Washington presses on with withdrawing the last of its troops from the country.(…)
„I can confirm we will hand over Bagram Air Base,“ a US defence official told AFP without specifying when the transfer would take place.
An Afghan security official said the handover was expected in about 20 days and the defence ministry had set up special committees to manage it.
Pentagon-Sprecher John Kirby bestätigte lediglich offiziell, dass diese Basis an die Afghanen übergeben werden solle. Einen Zeitplan nannte er nicht. Damit dürften allerdings endgültig Überlegungen vom Tisch sein, Bagram als letzten Stützpunkt in Afghanistan zu behalten.
Die Bundeswehr nannte keine detaillierten Zahlen zu ihrem Abzug aus dem Norden des Landes. Bilder aus dem Camp Marmal in Mazar-e Sharif zeigen allerdings weitgehende Fortschritte. Der Rücktransport militärischen Geräts ist in vollem Gange, sowohl die NH90-Hubschrauber als auch das Feldlazarett wurden bereits nach Deutschland ausgeflogen. Teile der Ausstattung aus Büros und Unterkünften werden an afghanische Händer verkauft.
Und der Betreuungssender Radio Andernach sendete am 30. Mai das letzte Mal aus dem Studio im Camp Marmal.
Erklärtes Ziel der USA wie auch der NATO ist, alle internationalen Truppen bis September aus Afghanistan abzuziehen – dabei ist von dem symbolträchtigen 11. September, dem 9/11 der Terrorangriffe in New York und Washington 2001 die Rede. Allerdings zeichnet sich schon seit einigen Wochen ab, dass es wohl auf ein anderes, ebenfalls symbolträchtiges Datum hinauslaufen dürfte: Den 4. Juli, den Unabhängigkeitstag der USA.
(Fotos, von oben oben:
Soldaten steigen am 27. Mai 2021 für den Rückflug nach Deutschland in Mazar-e Sharif in ein Transportflugzeug A400M der Luftwaffe
Afghanische Händler kaufen am 24. Mai 2021 im Bietverfahren volle Container im Camp Marmal
Ein Soldat moderiert die letzte Sendung von Radio Andernach im Camp Marmal am 30. Mai 2021
Ein Bundeswehrsoldat verschließt am 29. Mai 2021 das Tor der Materialschleuse im Camp Marmal
Alle Fotos: Torsten Kraatz/Bundeswehr)
“Teile der Ausstattung aus Büros und Unterkünften werden an afghanische Händler verkauft,” schreibt der Hausherr.
So richtig darüber zu lachen, über diese neueste Variante und Ausgestaltung eines Rück- und Abzuges, ist mir dann doch nicht gelungen.
Zu traurig, zu armselig der Versuch, im gescheiterten Einsatz am Ende noch
(minimale) Kasse zu machen.
Ich finde das beschämend und sollten Soldaten diese Krämerseelentätigkeit haben ausführen müssen, für altmodisch- ehrabschneidend, weil würdelos.
Ist es das, was nach all‘ den Jahren zuletzt im kollektiven Gedächtnis übrig bleiben soll? 1975 hatten die Amerikaner als Symbolbild ihren über Bord geschmissenen Hubschrauber, 1988 die Russen einen geordneten Rückzug über ‚ne Brücke nach Usbekistan und wir- eine durch Wehrverwaltung ordnungsgemäss verbuchte Einnahme zur Mehrung des bundesdeutschen Wohlstandes ?
Diese Geschmacklosigkeit überlässt unseren Einsatz der Karikatur.
Schwere Kost.
@Eric Hagen
Widerspruch. Verkauft wird wohl nur das Material, dessen Rückführung nach DEU unwirtschaftlich wäre. Hochwertgerät und sensible Ausrüstung wird selbstverständlich zurückgeführt.
Insofern kann von einer Mehrung des bundesdeutschen Wohlstandes kaum die Rede sein – im Gegenteil, es wird ein wirtschaftlicher Schaden minimiert.
@Eric Hagen sagt: 02.06.2021 um 17:30 Uhr
Ihre Empörung verstehen wohl nur Sie selber. Z.T. scheinen die Möbel ja noch originalverpackt in den Containern zu stehen, wenn ich die Bilder richtig deute. Was hätte man denn Ihrer Meinung nach tun sollen? Wenn man das Zeug nach z.B. Pakistan geschafft und dort verwertet hätte, dann wäre alles ok? Allerdings wären die Transportkosten wohl höher als jeder Erlös. Einfach verschenken? Warum? Aus Gutmenschentum? Kann man immer noch machen mit dem Rest, den man nicht verkauft bekommt.
Das Sie kaufmännische Tätigkeiten als ehrabschneidend und Krämerseelentätigkeit bezeichnen lässt tief blicken.
@ Pio- Fritz
Setzen Sie diesen Vorgang (Verkauf der Resterampe) in politischen Kontext zu der gerade sehr rasch zu Ende gehenden Mission, und vielleicht sehen Sie das „Bild“ vor Augen. Sang-und klangloses Verwaltungsgeschachere.
So fing es an, als 2002 plötzlich in dem mit kindskopfgrossen, roh behauenen Basaltbrocken im Camp Warehouse mit weisser Farbe Parkplatzbuchten gepinselt wurden, und so geht es nun mit spitzem Bleistift und Listen zu Ende.
Das, was dazwischen war, wird aus dem Gedächtnis verschwinden, Beteiligte einmal ausgenommen.
Diese Randnotiz sagt mehr über den deutschen Einsatz aus, als zumindest mir lieb ist.
Aber Sie können das ruhig anders sehen.
@Eric Hagen sagt: 03.06.2021 um 17:48 Uhr
Am Anfang und Ende eines Einsatzes stehen doch immer die Technokraten und Verwaltungsleute.
Der Einsatz wird den Soldaten so in Erinnerung bleiben, wie sie ihn erlebt haben. Und jeder, der nicht irgendwie damit befasst war, für den wird das eine Randnotiz im Geschichtsbuch.
Und da wird sinngemäß drinstehen, das dieser Einsatz einer der längsten der Bundeswehr überhaupt mit den ersten Kampfhandlungen und toten deutschen Soldaten im Gefecht seit dem II.Weltkrieg war. Leider konnte der Einsatz nicht erfolgreich zu Ende geführt werden, da die Umsetzung der politischen Ziele von der Politik der westlichen Gemeinschaft zu zögerlich betrieben wurde.
So oder so ähnlich stelle ich mir das vor, in einem Schulgeschichtsbuch erwähnt in einem eingeschobenen Kasten oder maximal einem Absatz. Ob das angemessen ist? Das zeigt die Zukunft.
Alles, was man nicht verscherbeln oder verschenken kann, muss man für Unsummen entsorgen (lassen).
Bloß weg damit!
@T.W.: Was soll denn die Geländesanierung (inklusive Schießbahnen drinnen und draußen) so ungefähr kosten? Mögen Sie das mal dem Pressestab aus der Nase ziehen?
Und damit das öffentliche Bild – nicht das tatsächlich richtige- zum Abzug vervollständigt wird, berichten Spiegel und Bxxx von“65000“ Dosen Bier und anderen Alkoholika, die weder den Taliban noch friedfertigen Muslimen in die Hände fallen bzw. gegeben werden dürfen.
Die offizielle Hochglanzkommunikation wird nachhaltig unterlaufen, wenn solche Meldungen meinungsbildend in Umlauf gesetzt werden.
Dazu braucht es keine Trolle, kein RT, keine Linke- Fraktion.
Und wenn die Krämerseelen- Controller sagen „ zu teuer- wegschütten“ intervenieren die Umweltschützer aufgebracht. Und siehe- welch‘ ein Dilemma! Wahrscheinlich nächste Woche Ministervorlage.
Für mich ein veritables Stratcom- Desaster, das allerdings über den Moment hinaus wirkt.
Ich kenne die Bier-Geschichte auch nur vom Spiegel-Kollegen, also aus zweiter Hand – habe mich aber gefragt: wenn die Bundeswehr aus Kostengründen hochwertige Wollunterwäsche und Rucksäcke nicht nach Deutschland zurückfliegt, sondern vor Ort verbrennt – warum haben die dann die Bier-Paletten nicht einfach gesprengt?
Ich habe gerade mal überschlägig gerechnet, 65000 Dosen wären etwa 39 Europaletten, die passen in 2 40 Fuß Container. Also damit wird die Logistik nicht lahmgelegt denke ich.
@Eric Hagen sagt: 04.06.2021 um 21:55 Uhr
„Für mich ein veritables Stratcom- Desaster, das allerdings über den Moment hinaus wirkt.“
Wo ist denn hier das „Desaster“? Ist doch eher eine lustige Randnotiz. Ich musste schmunzeln.
@TW
Sollte es zutreffend sein, dass, so wie Sie so lapidar einwerfen, pers. Ausr/Bekl verbrannt wird, und hier zeitgleich ABC- Schutzmasken wie zuvor Sturmhauben, Feucht-/Heissbekleidung, Besenstiele etc. eingesammelt werden müssen, dann stimmt doch was nicht!
In diesem Faden vmtl. OT, aber wir haben SK- intern erhebliche Probleme, für die man keine politische Vorgaben oder fehlende Mehrheiten als einfaches, weil billiges Alibi hernehmen kann.
Ich wiederhole: Mindset. Oder meinetwegen professionelle Einstellung.
Und nun: Pers. Ausr wird verbrannt und Bierdosen evakuiert?- Come on!
[Ich glaube, da gibt es Berufenere, die dazu aus eigener Erfahrung was sagen können. Ansonsten:
https://augengeradeaus.net/2019/01/warme-wolle-fuer-den-winter-ist-keine-unterwaesche-bekommt-der-naechste/
… und nicht zu sehr auf diesen OT…
T.W.]
@Pio-Fritz
Nicht, daß sich unter den deutschen „Afghantsi“ eine Dolchstoßlegende verbreitet … vielleicht gibt es ja in der Nachbetrachtung eine entsprechende Studie des ZMSBw.
@Eric Hagen and All
Sind diese Details wirklich von Bedeutung? Fakt ist: „der Westen“ ist 2001 mit dem Operationsziel die Taliban zu stürzen in den Krieg eingetreten. 2021 zieht „der Westen“ ab und verhandelt mit den Taliban über den Abzug. Mit anderen Worten: 20 Jahre Steuergeld und Ressourcen der westlichen Staaten schlicht ohne Ergebnis „geschreddert“, Operationsziel schlicht und ergreifend nicht erreicht. Was mit dem Bier und sonstigen westlichen „Gaben“ geschieht ist völlig egal. Das ist absolut nebensächlich.
Ich empfehle, findigen Journalisten zum Thema Alkohol und Einsatz zu recherchieren.
Da gibt es abseits der offiziellen Verlautbarungen immer noch wilde Geschichten. Vom Kosovo über Afghanistan bis hin nach Jordanien, ja auch Mali.
Es vermag Erstaunen erzeugen, doch, wenn es um Party und Alkohol geht, findet man in der Bundeswehr immer Wege. Ob KSK oder Luftwaffe, egal, da gab und gibt es verdammt viele Grauzonen.
Wenn man dies offiziell anspricht, ist man dann schnell gegen die Truppe, welche für einige Hitzköpfe „den Kopf für politische Fehlentscheidungen hinhält“.
Während man in Berlin versucht, die eigene Niederlage nach zwei Jahrzehnten Krieg schönzureden, man in Washington sogar von einem Erfolg spricht, wird das Scheitern nun mit Erfolgsstorys eines geordneten Abzuges vertuscht. Sogar Bier wird ausgeflogen, so ist es, wenn die Bundeswehr zu viel Geld hat!
Nur mal „nebenbei“:
Die afghanische Konfliktlage wurde mit dem am 7. Oktober 2001 begonnenen Krieg nicht beendet, sondern im Gegenteil verschärft.
Nun ein unwürdiger Abzug, eine Niederlage der Bundeswehr und der Nato. Noch zu ihrem 70. Jahrestag wurde die Nato als erfolgreichste Militärallianz der Menschheitsgeschichte gelobt. 2 Jahre später gilt ihr grösster Auslandseinsatz gegen einen militärisch und zahlenmässig weit unterlegenen Gegner als gescheitert. Gescheitert, genau wie bei den Russen! Da konnte man sich noch westliche Überlegenheit leisten und über deren Erfolglosigkeit hämisch lachen.
Westliche Ideen gescheitert aber auch das NATO/US taktisch-operative Konzept! Schönreden hilft nicht, auch die wenigen erfolgreichen Gefechte. Diese sind übrigens beim genauen Hinsehen auch oft ob ihrer Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Das traut sich allerdings in der Bundeswehr keiner. Der 4 * Vollmer hat ja in seinem Büro, die Tafel „Com RC North“, fragen wir doch mal diesen General. Der GI kennt ja Afghanistan nur von Dienstreisen. Mit Blick auf die AFg Connection ist das wohl besser so.
Klarerweise ist für alle Afghanen „die Zeit danach“ unsicher. Doch wen interessiert das noch. Auf einmal gilt nur noch „Schnell raus“. Und dann in das nächste Chaos, Mali.
Den NATO-Staaten geht in erster Linie darum, ihren politischen Gesichtsverlust zu begrenzen und ihr Absetzen aus dem aussichtslosen Kriegszug in Afghanistan als Erfolg zu verkaufen. Wie bitter, dass sich unsere Bundeswehr da einordnet. Was bleibt ist nun u.a. der erfolgreiche Transport von Bier, ökologisch sauber, angeblich im Interesse Deutschlands und Afghanistans.
Es dürfte doch wohl kein Problem darstellen, die Getränke einfach der deutschen Botschaft oder einer Hilfsorganisation zur Verfügung zu stellen, die sicherlich dafür Verwendung haben werden.
@Pio-Fritz
„Leider konnte der Einsatz nicht erfolgreich zu Ende geführt werden, da die Umsetzung der politischen Ziele von der Politik der westlichen Gemeinschaft zu zögerlich betrieben wurde.“
Die politischen Ziele des Einsatzes waren nach meinem Eindruck unrealistisch und auch bei größerem Mittel- und Kräfteansatz nicht erreichbar gewesen. Grund dafür war die mangelnde Bereitschaft und/oder Fähigkeit der Afghanen, mit der ihnen über zwei Jahrzehnte lang gewährten Unterstützung einen auch nur ansatzweise funktionierenden Staat und Institutionen wie Polizei und Streitkräfte aufzubauen. Afghanistanerfahrene Beobachter hatten vorab darauf hingewiesen, dass dem ethnisch fragmentierten und unterentwickelten Land die Voraussetzungen dafür fehlen, was aber auf strategisch-politischer Ebene leider niemand hören wollte. Jetzt wiederholt man den gleichen Fehler in Mali.
Wenns um Bier geht (speziell in Dosen), kann ich leider nicht anders.
Mein Credo: Keine wird zurückgelassen!
@KlausMandiger
„Gescheitert, genau wie bei den Russen!“
Die Sowjetunion ist – militärisch – gescheitert weil die USA die Paschtunen mit Boden-Luftraketen unterstützt haben. Ob es gesellschaftlich nachhaltig ein Erfolg geworden wäre bleibt offen.
https://www.grin.com/document/155836
@Gandamack sagt: 05.06.2021 um 15:03 Uhr
Woran es nun genau gelegen hat, vielleicht haben wir Glück, und es wird in 20 Jahren genauer analysiert. Wie dem auch sei, der AFG-Drops ist gelutscht.
„Jetzt wiederholt man den gleichen Fehler in Mali.“
Da bin ich voll bei Ihnen.