Rotes Kreuz mahnt Regulierung autonomer Waffensysteme an: „Kein gezielter Einsatz gegen Menschen“

Die Debatte über so genannte autonome Waffensysteme, die ohne menschliches Eingreifen ein Ziel erfassen und bekämpfen, läuft zeitgleich mit der Diskussion über die zunehmende Bedeutung künstlicher Intelligenz schon eine Weile – und auch die Debatte über eine mögliche (völkerrechtliche) Regulierung dieser Systeme. Dazu hat sich jetzt eine Organisation zu Wort gemeldet, die im Kriegsvölkerrecht eine gewichtige Stimme hat: Das Internationale Komitte vom Roten Kreuz.

Das IKRK (oder ICRC, nach der englischen Bezeichnung) veröffentlichte in der vergangenen Woche ein Positionspapier, das öffentlich bislang noch nicht so recht Wiederhall fand, in Fachkreisen dagegen schon. Einige Kernaussagen aus der ICRC Position on Autonomous Weapon Systems:

With a view to supporting current efforts to establish international limits on autonomous weapon systems that address the risks they raise, the ICRC recommends that States adopt new legally binding rules. In particular:

• Unpredictable autonomous weapon systems should be expressly ruled out, notably because of their indiscriminate effects. This would best be achieved with a prohibition on autonomous weapon systems that are designed or used in a manner such that their effects cannot be sufficiently understood, predicted and explained.

• In light of ethical considerations to safeguard humanity, and to uphold international humanitarian law rules for the protection of civilians and combatants hors de combat, use of autonomous weapon systems to target human beings should be ruled out. This would best be achieved through a prohibition on autonomous weapon systems that are designed or used to apply force against persons.

In order to protect civilians and civilian objects, uphold the rules of international humanitarian law and safeguard humanity, the design and use of autonomous weapon systems that would not be prohibited should be regulated, including through a combination of:

• limits on the types of target, such as constraining them to objects that are military objectives by nature
• limits on the duration, geographical scope and scale of use, including to enable human judgement and control in relation to a specific attack
• limits on situations of use, such as constraining them to situations where civilians or civilian objects are not present
• requirements for human–machine interaction, notably to ensure effective human supervision, and timely intervention and deactivation.

Aus militärischer Sicht ist vermutlich eine Aussage recht unbequem:

Im Lichte der ethischen Betrachtungen zum Schutz der Menschlichkeit und um das internationale humanitäre Recht zum Schutz von Zivilisten und Kombattanten außerhalb der Gefechtssitutation (hors de combat) zu beachten, sollte die Nutzung autonomer Waffensysteme verboten werden, die gezielt gegen Menschen eingesetzt werden.

Aber was bedeutet es, wenn das Rote Kreuz sich mit einer solchen Position zu Wort meldet? Ich habe einen Experten gefragt, Frank Sauer von der Bundeswehruniversität in München, der unter anderem als Wissenschaftler auch in UN-Gremien sitzt, die über mögliche rechtliche Regulierungen autonomer Waffensysteme beraten:

Das IKRK hat die Aufgabe, das Kriegsvölkerrecht zu bewahren. Es ist somit schon qua Mandat eine konservative Institution. Rufen nach Änderungen oder Neuerungen begegnet sie mit Argwohn. Deswegen ist es selten und außergewöhnlich, wenn das IKRK selbst der Staatengemeinschaft die Schaffung neuen Völkerrechts empfiehlt. Das ist hier der Fall. Durch Nichthandeln mit Blick auf Autonomie in Waffensystemen droht laut IKRK die Erosion der im Kriegsvölkerrecht kodifizierten humanitären Prinzipien. Damit kann das, übrigens auch in Deutschland ab und an geäußerte, Argument, das bestehende Völkerrecht reiche aus und es gebe keine Regelungslücke, ad acta gelegt werden.

Und wie wirkt sich die Position konkret auf die derzeitigen internationalen Gespräche über den Umgang mit diesen Systemen aus?

Die Stimme des IKRK hat aufgrund seiner besonderen Rolle und der in ihm gebündelten Völkerrechts-Expertise enormes Gewicht im Rahmen der UN-Waffenkonvention. Die Forschung zu Rüstungskontroll- und Abrüstungsprozessen der Vergangenheit zeigt, dass eine Positionierung des Roten Kreuzes das Zünglein an der Waage sein kann – so war es etwa bei Blendlasern oder Anti-Personen-Minen. Blendlaser waren allerdings eine etwas exotische Idee; und aus dem Verzicht auf sie entstand keine nennenswerte Fähigkeitslücke. Man blieb einfach bei Projektilwaffen.
Waffensystemautonomie ist demgegenüber flächendeckend anwendbar und mit dem Versprechen auf erheblich gesteigerte militärische Effektivität verbunden. Man muss sich also vor „Äpfel-Birnen-Vergleichen“ hüten.
Richtig ist aber auch, dass unregulierte Waffenautonomie, anders als Blendlaser oder Anti-Personen-Minen, neue strategische Eskalationsrisiken erzeugt – was den USA, China und Russland sehr klar vor Augen steht. Man wird also sehen müssen, wie diese Kalkulationen aufgehen. Sicher ist, dass viele Staaten im Rahmen der UN-Waffenkonvention die Stellungnahme des IKRK zum Anlass nehmen werden, ihre Position entschlossener in die darin vorgeschlagene Richtung weiterzuentwickeln
.

Gibt das Positionspapier des IKRK denn Hilfestellung bei den weiteren Bemühungen, eine Kontrolle und/oder Regulierung autonomer Waffensysteme zu erreichen?

Auch die alte, leidige Definitionsdebatte können wir nun hoffentlich endlich hinter uns lassen. Die Stellungnahme des IKRK hat erneut unterstrichen, dass der funktionale Blick auf das Thema der zielführende ist. Statt zu versuchen, eine Klasse bestimmter, vermeintlich „intelligenter“ Waffensysteme – samt dazugehöriger Akronyme – von allem anderen abzugrenzen, gilt es, zugespitzt formuliert, folgende Frage zur Mensch-Maschine-Interaktion auf dem Schlachtfeld beantworten: Wer oder was – Mensch oder Maschine – übernimmt wann und wo welche Funktion in der Entscheidungsschleife hin zur Zielbekämpfung?
Das IKRK gibt hier noch keine abschließenden Antworten – und die Stellungnahme bleibt mit Blick auf einige Knackpunkte vage genug, um ausreichend Stoff für Diskussion um Präzisierungen zu liefern. Aber das IKRK legt eine sehr klare Fährte, die die Staaten nun hoffentlich verfolgen, um am Ende die vereinbarten Regeln in verbindliches neues Völkerrecht zu gießen.

(Offenlegung: Unter anderem zusammen mit Frank Sauer mache ich den Podcast Sicherheitshalber. Und wenn man einen Wissenschaftler kennt, der sich auf diesem Gebiet gut auskennt, kann man ihn ja auch mal zu dem Thema befragen.)

(Archivbild Sommer 2020: At Fort Carson, Col., modified Bradley Fighting Vehicles, known as Mission Enabling Technologies Demonstrators, and modified M113 tracked armored personnel carriers, or Robotic Combat Vehicles, were used for the Soldier Operational Experimentation Phase 1 to further develop learning objectives for the Manned Unmanned Teaming (MUM-T) concept – Jerome Aliotta/CCDC Ground Vehicle Systems Center)