Otfried Nassauer wird fehlen: Erst die Fakten, dann die Meinung

Eine der besten – und zugleich am wenigsten öffentlich bekannten – Kenner der deutschen Rüstungspolitik ist tot: Otfried Nassauer, freier Journalist ebenso wie Berater vor allem der Friedensbewegung, ist vor wenigen Tagen im Alter von 64 Jahren plötzlich gestorben. Seinen Tod bestätigte das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) am (heutigen) Sonntag auf seiner Webseite.

Der Tod Nassauers hat mich, und an dieser Stelle muss ich persönlich werden, ebenso unvermittelt wie heftig getroffen. Noch am vergangenen Mittwoch hatten wir – wie häufig, aber unregelmäßig – miteinander telefoniert. Und wie so oft in den vergangenen Jahren haben wir uns über Rüstungsprojekte und militärische Entwicklungen ausgetauscht.

Denn auch wenn Otfried und ich oft genug verschiedener Meinung waren, in einem Punkt waren wir uns immer einig und sehr ähnlich: Zu einer Einschätzung und zu einer Meinung kann man nur kommen, wenn man die Fakten möglichst genau kennt. Wie man sie dann bewertet, mag unterschiedlich sein – aber Präzision und Genauigkeit, gerade wenn man über Waffensysteme und dahinter stehende (Einsatz)Optionen redet, sind eine unerlässliche Voraussetzung.

In diesem Sinne waren wir beide Sparringspartner – unterschiedlich vernetzt, hatte meist einer von uns die Teilinformation, die dem anderen vielleicht fehlte, und gemeinsam kamen wir einem Gesamtbild näher (auch wenn wir uns klar darüber waren, dass wir es oft genug dann immer noch nicht hatten). Otfried konnte zudem auf sein jahrzehntelanges Wissen, seine enzyklopädische Erinnerung und sein akribisch geführtes Archiv zurückgreifen. Und hatte gegebenenfalls auch die Fundstelle einer Anhörung des US-Senats zur Nuklearpolitik oder ähnlich weitgehende Details zur Hand.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Friedensbewegung, in der er vielfach engagiert war, immer so glücklich mit seinem Faktenwissen sein konnte. Bisweilen musste er auch erklären, dass eine politische Argumentation eben nicht mit bestehenden Fakten in Überstimmung zu bringen war. Die taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann hat es in ihrem Nachruf auf die präzise Formel gebracht: Nur bei Krieg und Frieden meinen speziell die deutschen Linken und Linksliberalen ja seit jeher, es reiche für die politische Auseinandersetzung vollkommen, „für den Frieden“ zu sein, und dass man den Krieg womöglich dadurch aus der Welt bekomme, dass man sich mit seinen Mitteln am besten gar nicht beschäftige. Otfried aber kannte jede verdammte Schraube an den Kampfdrohnen, die die Bundeswehr beschaffen wollte, an den U-Booten, die nach Israel geliefert wurden, an den Leopard-Panzern, die Saudi-Arabien von Krauss-Maffei Wegmann kaufen wollte.

Und das hat uns verbunden: Erst die Fakten, dann die Meinung war für uns beide die unabdingbare Reihenfolge. Da waren wir beide old school, sei es, weil wir altersmäßig nicht so weit auseinanderlagen, sei es, weil wir beide mal Theologie studiert haben. Vielleicht aber einfach auch, weil wir beide eine im positiven Sinne konservative Vorstellung davon hatten, wie man mit den Instrumenten von Krieg umgehen muss: Vor allem muss man sie kennen.

Mit Otfrieds Tod ist ein geschätzter Kollege gegangen. Aber vor allem jemand, mit dem ich auch bei unterschiedlichen Einschätzungen fachkundig, detailreich und immer mit Gewinn reden konnte. Für diese Gespräche in den vergangenen Jahren bin ich dankbar. Und sie werden mir fehlen.

13 Antworten auf “Otfried Nassauer wird fehlen: Erst die Fakten, dann die Meinung

  1. Mein aufrichtiges Beileid.

    Ich habe ihn (und Sie) 2015 am ZInfoABw erleben dürfen.

    Herr Nassauer war ein kluger Kopf und ein ausgewiesener Kenner der Rüstungskontrolle.

    Sein Name sollte uns in guter Erinnerung bleiben.

  2. Großer Dank an Otfried.
    Sein Tod macht mit Sicherheit viele aus und in der sicherheitspolitischen Community betroffen und traurig. Mein beruflicher Start in den 80er Jahren in einem katholischen Jugend(dach)verband und auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte in Deutschland ist eng verbunden mit Otfried. Ich teilte nicht immer seine politischen Schlussfolgerungen – aber oftmals brachten mich sein Wissen und sein akribisches Gedächtnis auf eigene Spuren. Dafür bin ich ihm dankbar. Seine Stimme wird in der eh dünnen sicherheitspolitischen Community in Deutschland und jenseits der staatlich finanzierten Einrichtungen fehlen. Ich werde die nächste Ausgaben des NDR „Streitkräfte und Strategien“ mit großer Aufmersamkeit (weiter) lesen.
    Thomas Wiegold danke ich sehr für seinen Text und seine Worte zum Tode von Otfried Nassauer.

  3. Schlechte Neuigkeiten und sehr passende Worte des Hausherren.
    Herr Nassauer war stets faktenreich in seiner Argumentation.
    Man musste seine Schlussfolgerungen nicht teilen, aber er beschäftigte sich – wie nur wenige – mit den Fakten.
    Der Nachruf der taz zeigt deutlich auf wie sehr Herr Nassauer fehlen wird.
    Der Diskurs wird künftig noch mehr von Meinungen als von Fakten geprägt sein.

    In memoriam.

  4. Ein großer Verlust für die Sicherheitspolitikberichterstattung. Ich habe seine sehr gründlich recherchierten Beiträge in Streitkräfte und Strategien seit vielen Jahren zu schätzen gewusst.

  5. Oh, sehr traurig.
    Auch ich durfte ihn im Verlauf einer einer einwöchigen Uffz-Weiterbildung in Berlin für einige Stunden erleben. Sehr sehr belesen, der Mann. Und immer fair argumentiert.
    Wirklich ein Verlust.

  6. Ich kannte ihn nicht, bin aber ob der Nachricht anhand der Schilderungen seiner Person trotzdem betrübt. Denn solche Journalisten und Kenner mit der Präferenz für Fakten vor Meinung fehlen schon heute sehr im allgemeinen Diskurs…

    Mein aufrichtiges Beileid den Hinterbliebenen und allen, die mit Herrn Nassauer verbunden gewesen sind.

  7. Ich kenne ihn schon, als er noch von Hamburg in den 80-ern genauso so sachkundig und beharrlich friedenspolitisch unterwegs war. Ein Unikum, was kann es besseres geben. R.I.P.

  8. Ein großer Verlust. Er wird fehlen und es hätte ihn auch noch lange gebraucht, angesichts des Zustandes der Welt.

  9. Erstmal traurige Nachricht. Ich hatte mit der Friedensbewegung immer so ein leichtes Problem mit dem Grundsatz „68 er und Friede freude und Eierkuchen“ Die Menschen sind nicht so! Es ist ein Idealbild. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Isso! Sihe Armenien.

  10. Mein aufrichtiges Beileid. BITS und Otfried Nassauer hat mir unglaublich viel bedeutet. Seit zehn Jahren…

  11. Otfried Nassauer wird mit seinem Fachwissen, seiner Expertise, seinen Kontakten und seinem Beiträgen fehlen… ich berichte seit mehr als 20 Jahren über die Proteste der Friedensbewegung in Büchel, am letzten Atomwaffenstandort in Deutschland. Oft haben wir uns über Infos ausgetauscht, er war für mich ein wichtiger Ratgeber und ich habe mich über seine Einschätzungen und Urteile stets gefreut und sie auch gerne für Berichte genutzt… Sein so plötzlicher und viel zu früher Tod machen mich betroffen…

  12. Gerade als Freund wird mir Otfried Nassauer fehlen! Fast vier
    Jahrzehnte kannten wir uns!
    Seine Expertise und auch seine
    Detail-Verliebtheit haben mir oft
    geholfen, meine eigene Auffassung noch einmal zu ueberdenken. Oft kam ich nach
    Dialogen mit ihm zu einer anderen und diffenrenzierteren
    Meinung -im Lichte neuer Erkenntnisse! Jedes Gespraech mit ihm war ein Genuss!
    Fast jeden Konfliktherd auf dieser
    Welt kannte er und konnte aus dem Stegreif eine brillante Analyse hinlegen. Sein umfassendes Wissen liess oft bei
    mir die Idee aufkommen..’da sitzt
    Dir ein Universalgelehrter der Alten Schule gegenueber‘!

    Lieber Otfried, ich danke Dir- dass ich Dich kennenlernen durfte! Mach‘ es gut!

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