Autonome Waffensysteme: Viel Lesestoff (nicht nur für den Bundestag)

Die Debatte über so genannte autonome Waffensysteme, die selbständig Ziele erkennen und angreifen, ist in jüngster Zeit wieder in Fahrt gekommen: Sowohl durch den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan (Foto oben), bei dem Kampfdrohnen eine wichtige Rolle spielen, als auch durch die Debatte über eine Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen (auch wenn die von einem autonomen Waffensystem weit entfernt sind). Zu dieser Debatte hat jetzt das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) ein umfangreiches Papier zum Stand von Technik und politischer und ethischer Diskussion vorgelegt.

Den TAB-Arbeitsbericht 187 – Autonome Waffensysteme gibt es seit (dem heutigen) Donnerstag hier zum Herunterladen. Hilfreich ist schon ein Blick in die 20-seitige Zusammenfassung:

Autonome Waffensysteme im strengen Sinne des Wortes, also bewaffnete unbemannte Plattformen, die fähig sind, im Kampfeinsatz in einer komplexen, dynamischen Umgebung ohne jegliche menschliche Kontrolle zielgerichtet zu agieren, gibt es noch nicht. Allerdings sind in verschiedenen Waffengattungen bereits bewaffnete unbemannte Systeme einsatzreif, die über einen relativ weitreichenden Grad an Automatisierung bzw. Autonomie verfügen und deshalb als Vorläufer von AWS klassifiziert werden können. (…)
Ein Blick auf stationierte und teilweise bereits in Kampfhandlungen eingesetzte unbemannte Waffensysteme (UWS) zeigt, dass in den letzten 10 Jahren die Zahl der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure, die damit ausgerüstet sind, stark zugenommen hat. Diese Entwicklung geht fast ausschließlich auf das Konto ferngesteuerter Kampfdrohnen, die mit Abstand zu den am häufigsten produzierten und am weitesten verbreiteten UWS gehören.

und, dieser Absatz scheint vor allem im Zusammenhang mit der deutschen Drohnendebatte von Bedeutung:

Demokratisch gewählte Regierungen stehen regelmäßig unter erheblichem Rechtfertigungsdruck, wenn eigene Soldaten gefährdet sind bzw. getötet werden können. Wenn der Einsatz von AWS das Risiko für die eigenen Soldaten erheblich verringert (u.a. da AWS Aufgaben übernehmen, die für Menschen gefährlich sind), könnte die Hemmschwelle sinken, Gewalt einzusetzen. Dies wiederum könnte dazu führen, dass die Öffentlichkeit einen Krieg nicht mehr als letzten Ausweg bzw. als einschneidendes Ereignis von nationaler Bedeutung wahrnimmt, sondern diesen als einen unter dem Primat diplomatischer und ökonomischer Abwägungen stehenden Normalfall akzeptiert. Auch unterhalb der Schwelle ausgewachsener Kriege könnten Militäreinsätze zur Durchsetzung politischer Ziele attraktiver und immer mehr zur Regel werden.
Dagegen kann argumentiert werden, dass AWS nichts grundsätzlich Neues bringen, sondern eine ohnehin vonstattengehende Entwicklung lediglich graduell verstärken würden – mit den Drohnenschlägen in Afghanistan, Somalia und anderswo als prominente Beispiele. Darüber hinaus sind Situationen vorstellbar, in denen ein schnellerer und entschlossenerer Einsatz von Gewaltmitteln viel menschliches Leid verhindern könnte, beispielsweise wenn Warlords die Bevölkerung terrorisieren bzw. ethnische Säuberungen durchführen.
Generell verliert das Argument, dass AWS zu einem häufigeren Einsatz von Gewalt führen, erheblich an Kraft, wenn man kein asymmetrisches Szenario – wie etwa gegenwärtig bei den Drohnenschlägen –, sondern eines mit Kontrahenten auf Augenhöhe betrachtet. Hier würde für die Seite, die AWS einsetzt, immer die Gefahr bestehen, dass schmerzhafte Vergeltungsmaßnahmen des Gegners folgen könnten bzw. im ungünstigsten Fall eine Eskalation zu einem ausgewachsenen Krieg mit ungewissem Ausgang eintreten könnte. Insbesondere für die Nuklearwaffenstaaten untereinander würde dieses Eskalationsrisiko stark gegen einen als lokal begrenzt intendierten Einsatz von AWS sprechen.

Insgesamt verfolgt dieser Arbeitsbericht nicht das Ziel, diese Technologie zu bewerten – sondern sie erst einmal verständlich zu machen. Wenn auch mit einer wichtigen Ausnahme: Wenn die Technologie autonomer Waffensysteme international vertraglich reguliert werden soll (bis hin zu einer Ächtung, wie es teilweise gefordert wird), steht dafür nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung.

Anhand dieser TAB-Studie wird es im Bundestag ein öffentliches Fachgespräch am 4. November geben, bei dem Wissenschaftler unter anderem zur technischen Seite, den ethischen und rechtlichen Fragen und zur politischen Einordnung Stellung nehmen werden. (Öffentlich ist es tatsächlich, weil es vom Bundestag im Internet live übertragen wird; Öffentlichkeit vor Ort ist ebenso wie Journalisten wg. der Coronavirus-Pandemie nicht zugelassen.)

(Foto: ein Drohnenangriff in Berg-Karabach; Screenshot aus einem Video des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums)