Nach Jahrzehnten der Schwulen-Diskriminierung: AKK nennt Eckpunkte für Rehabilitierungs-Gesetz

Gut zwanzig Jahre ist es her, dass homosexuelle Soldaten in der Bundeswehr nicht mehr per Erlass von bestimmten Dienstposten und Beförderungen ausgeschlossen sind – aber noch im vergangenen Jahr lehnten es die Streitkräfte ab, sich für die frühere Diskriminierung von Homosexuellen zu entschuldigen. Mit einem Gesetz, dessen Eckpunkte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt vorstellte, sollen die Betroffenen solcher Diskriminierung rehabilitiert und entschädigt werden.

Am 3. Juli 2000 war unter dem damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping der Erlass aufgehoben worden, der in den Jahrzehnten zuvor die diskriminierende Personalführung für homosexuelle Soldaten festgelegt hatte, die auch nach Aufhebung des entsprechenden Strafrechtsparagraphen 175 für homosexuelle Männer in der Bundeswehr weiter galt. Kramp-Karrenbauer hatte zu diesem Stichtag im Juli dieses Jahres  die Pläne für eine Rehabilitierung angekündigt.

In einer Veranstaltung zur Vorstellung der Studie Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZSMBw), noch von der früheren Ministerin Ursula von der Leyen in Auftrag gegeben, nannte Kramp-Karrenbauer am  (heutigen) Donnerstagabend Eckpunkte des geplanten Gesetzes:

• Aufhebung aller Urteile der Truppendienstgerichte, die ausschließlich aufgrund einvernehmlicher homosexueller Handlungen ergingen

• Rehabilitierung der Soldaten, die von personal- oder disziplinarrechtlichtlichen Maßnahmen wegen ihrer sexuellen Identität vor Aufhebung des Erlasses 2000 betroffen waren; dabei geht es vor allem um Entlassungen oder Nicht-Beförderungen

• Glaubhaftmachung der erlittenen Nachteile, weil nach Jahrzehnten Beweise teilweise nur schwer beizubringen sind

• pauschale Entschädigungszahlungen für erlittene Nachteile

Im Juli hatte das Ministerium den Gesetzentwurf noch für September angekündigt; das dürfte sich vermutlich etwas verschieben.

Wie langfristig sich die Benachteiligung auswirkt, schilderte bei der Veranstaltung der frühere Matrose Dierk Koch, der 1964 nach Bekanntwerden einer homosexuellen Affäre innerhalb weniger Tage vom Gefreiten zum Matrosen degradiert und unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen wurde. Noch Ende 2019 habe er ein Schreiben der Bundeswehr erhalten, dass sich die Streitkräfte nicht für dieses Vorgehen entschuldigen würden.

Kramp-Karrenbauer entschuldigte sich nicht nur im Namen der Bundeswehr bei den Betroffenen – sondern verwies auch darauf, dass die Bundeswehr in diesem Punkt eine besondere Verantwortung habe: Sie sei die einzige (staatliche) Organisation gewesen mit einer Erlasslage, die das Unrecht manifestierte.

Der vor fast 60 Jahren aus der Bundeswehr geworfene Matrose Koch ist einer der Zeitzeugen, die dem ZMSBw-Autor Oberstleutnant Klaus Storkmann über ihre Erfahrungen als homosexuelle Soldaten berichteten. Die umfangreiche Studie, ein fast 400 Seiten starkes Buch, steht als Pre-Print  zum Herunterladen auf der Seite Zentrums zur Verfügung:

Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende

Ein interessantes Fazit zur  jahrzehntelangen Diskriminierung findet sich auch, für Eilige, in der Zusammenfassung von Storkmanns Studie: Dass der Erlass zum Umgang mit homosexuellen Soldaten vor zwanzig Jahren aufgehoben wurde, hatte nicht in erster Linie mit der Durchsetzung der politischen Haltung des damaligen Verteidigungsministers zu tun – und war nicht die Absicht der damaligen militärischen Führung. Im Gegenteil:

Entscheidend für den weiteren Verlauf in der Bundeswehr war die Verfassungs­beschwerde eines 1998 von seinem Dienstposten als Zugführer abgelösten späteren Oberleutnants. Um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu vermeiden, vollzog Verteidigungsminister Rudolf Scharping im Jahr 2000 die Kehrtwende. Das für die Betroffenen revolutionäre Papier kam denkbar unaufgeregt mit einem Kernsatz aus. Unter dem Betreff »Personalführung homosexueller Soldaten« wurde am 3. Juli 2000 darin festgelegt: »Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfen­des Eignungskriterium dar«. Scharping hatte den Kurswechsel nach anfänglichem Zögern gegen den erklärten Willen und hartnäckigen Widerstand der militärischen Führung der Streitkräfte durchgesetzt.

(Foto: Kramp-Karrenbauer im Screenshot des Videostreams der Veranstaltung am 17. September im Verteidigungsministerium)