Sicherheitshalber, der Podcast Folge 32: Gas-Streit (und mehr) im Mittelmeer | Österreich: Schwerter zu Schneepflügen?
Sicherheitshalber ist der Podcast zur sicherheitspolitischen Lage in Deutschland, Europa und der Welt. In Folge 32 sprechen Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala und ich über die verfahrene Situation im Mittelmeer. Anlass ist natürlich der Gas-Streit zwischen der Türkei und Griechenland – aber wir stellen schnell fest, dass die Zahl der Akteure viel größer und die Lage deutlich komplizierter ist. Kurz: Genau das richtige, um die Stirn in bedeutungsschwere Falten zu legen, während man im Urlaub die Füße ins Mittelmeer taucht. Im zweiten Teil geht es – endlich – um Österreich.
Im lang ersehnten Austria-Sondersegment geht es um die Reform des Bundesheeres sowie Österreichs “Neutralität”. Abschließend wie immer der “Sicherheitshinweis”, der kurze Fingerzeig auf aktuelle, sicherheitspolitisch einschlägige Themen und Entwicklungen – diesmal mit der amerikanischen Space Force-Doktrin, einem simulierten Luftkampf zwischen Mensch und Maschine, der angekündigten Rehabilitierung homosexueller SoldatInnen der Bundeswehr sowie dem Bundeswehr-Dauerbrenner taktische Luftabwehr… äh… taktische Luftverteidigung.
Mittelmeer: 00:02:10
Österreichisches Bundesheer: 00:39:04
Sicherheitshinweise: 01:02:53
Hausmitteilungen: 01:10:03
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Erwähnte und weiterführende Interviews, Literatur und Dokumente:
Thema 1 – Gas-Streit und die komplizierte Lage im Mittelmeer
Thomas Seibert, Gas-Streit im Mittelmeer: Vermittler dringend gesucht, Deutschlandfunk, 23.07.2020,
https://www.deutschlandfunk.de/gas-streit-im-mittelmeer-vermittler-dringend-gesucht.724.de.html?dram:article_id=481111
Jack Dulgarian, Kastellorizo Is The Key To Turkish & Greek Ambitions In The Eastern Mediterranean, Global Security Review, 29.07.2020,
https://globalsecurityreview.com/kastellorizo-key-to-turkish-greek-ambitions-eastern-mediterranean/
Piotr Smolar, La France contre la Turquie, aux racines de l’affrontement, Le Monde, 10.7.2020,
https://www.lemonde.fr/international/article/2020/07/10/la-france-contre-la-turquie-aux-racines-de-l-affrontement_6045775_3210.html
Patrick Chevallereau, The Worm is in the Fruit: A Rising Strategic Foe Inside NATO
RUSI, 31 July 2020
https://rusi.org/commentary/worm-fruit-rising-strategic-foe-inside-nato
Libyen-Einsatz der Türkei, Goldrausch im Mittelmeer, Tagesschau, 02.01.2020 https://www.tagesschau.de/kommentar/erdogan-libyen-101.html

Thema 2 – Österreich und die Bundesheer-Reform
Georg Hochmuth: Angekündigte Heeresreform führt zu Irritationen und Kritik, Wiener Zeitung, 24.06.2020,
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2065471-Angekuendigte-Heeresreform-fuehrt-zu-Irritationen-und-Kritik.html
Sind wir noch neutral?, Addendum, 30.10.2017,
https://www.addendum.org/bundesheer/sind-wir-noch-neutral/
Gunther Hauser, Staats- und wehrpolitische Bildung im Bundesheer: Neutralität, Bundesministerium Landesverteidigung, V3.0 Stand 01.01.2019,
https://www.bundesheer.at/download_archiv/pdfs/3_neutralitaet.pdf
Corina Seidl, Bundesheer schränkt militärische Aufgaben massiv ein, Der Standard, 24.06.2020,
https://www.derstandard.at/story/2000118264880/bundesheer-schraenkt-militaerische-aufgaben-massiv-ein
Michael Koran, Austrian Neutrality: Burden of History in the Making or Moral Good Rediscovered?, in: Perspectives No. 26 (Summer 2006), 23-45.
Carmen Gebhard, Is small still beautiful? The case of Austria, in: Swiss Political Science Review 19 (3), 279-297, unter:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/spsr.12042
Sicherheitshinweise
Rike: Spacepower-Doctrine for Space Forces
https://www.spaceforce.mil/Portals/1/Space%20Capstone%20Publication_10%20Aug%202020.pdf
Frank: Simulierter Dogfight Mensch gegen KI
https://www.forbes.com/sites/erictegler/2020/08/13/an-air-force-pilot-will-battle-ai-in-a-virtual-f-16-dogfight-next-week-you-can-watch-it-live/
Carlo: Rehabilitierung homosexueller SoldatInnen
https://www.queer.de/detail.php?article_id=36676
Thomas: Neues Angebot für integriertes Luftverteidigungssystem
https://www.mbda-deutschland.de/pressemitteilung/angebot-fuer-tlvs/
Eine Frage an die Experten. Wie konnten denn die Franzosen feststellen, dass die Türken ihr Zielerfassungsradar auf sie gerichtet hatten?
Hätte es nicht auch das „ganz normale“ Radar sein können, mit dem man die 360° Überwachung der Umgebung macht? Unterscheiden sich die Radarstrahlen da irgendwie, die auf dem französischen Schiff detektiert werden?
Wo wir bei der spezialisierungsfrage des bundesheeres sind. Würden sich da nicht aufgrund des Geländes grade Gebirgsjäger und Fernspäher im Hochgebirge eignen? Also alpine Spezialkräfte? Die Ausbildungsbedingungen wären hervorragend.
Als jemand der seit vielen Jahren in Österreich lebt und auch das Thema Bundesheer beobachtet möchte ich nur anmerken, dass die Landesverteidigung real schon lange aufgegeben wurde und seit min. 15 Jahren nur noch der Fähigkeitserhalt dazu zumindest noch auf dem Papier zu den Aufgaben des ÖBH gehört (Bundesheer Reform 2004). Das wurde im Podcast meiner Meinung nach etwas irreführend als etwas neues dargestellt. Auch die Eurofighter dienen ja nur der Luftraumüberwachung als eine Art Hilfspolizei und beim Eurofighter Vorgänger Draken wurde auch 20 Jahre lang geschimpft, dass Österreich so etwas eigentlich gar nicht braucht und das viel zu teuer ist.
Man sollte beim Thema ÖBH allgemein auch im Hinterkopf behalten, dass das auch schon während dem kalten Krieg eine nur unzureichend ausgerüstete Armee war (1-1,2% des BIP) und ein Großteil der Landesverteidigung von der Landwehr gestemmt werden hätte sollen die aus verbunkerten Stellungen gekämpft hätte. Diese Landwehr wurde schon in den 90ern aufgelöst und der Abbau der Stellungen begonnen. Im selben Zeitraum wurden zwar erstmals moderne Waffensysteme gebraucht von NATO Staaten übernommen. Aber ein Großteil der benötigten Ausrüstung (von persönlicher Ausrüstung, über LKW bis Kampfpanzer) ist mittlerweile gar nicht mehr vorhanden, war nie vorhanden oder steht kurz vor der Ausmusterung und ein Ersatz würde Milliarden zusätzlich kosten. Hinzu kommt auch diese ungewöhnliche bescheuerte Personalstruktur aus miserabel bezahlten, schlecht ausgerüsteten und kaum ausgebildeten Wehrpflichtigen (ohne Wehrübungen wie in der Schweiz oder Finnland) die von einem großen, veralteten Kader aus meist beamteten Offizieren und Unteroffizieren geführt werden.
Die ganzen angelündigten Reformen der letzten 15 Jahren (und wohl auch diese) sind wohl nicht viel mehr als Polit-Show. Mehr als eine verfallene Ruine die schon halb im Sumpf versunken ist gibt es eh nicht mehr.
@Dante
Mit der 6.Gebirgsbrigade gibt es ja schon einen entsprechenden Großverband. Dieser kooperiert auch eng mit unserer GebJgBrig 23.
@ O.Punkt, 20.08.2020 um 17:46 Uhr
Ich bin weder Techniker noch Radarbenutzer, aber Nerd! ;-)
Meines Wissens nach strahlt ein Rundumsuchradar in einem bestimmten Rhythmus (weil es wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms einmal 360 Gad abkreist) und ist daher von einem Zielerfassungsradar, das kontinuierlich beleuchtet, alleine von der Dauer gut unterscheidbar. Bestimmt werden noch zusätzlich andere Frequenzen benutzt, die dann eine genauere Erfassung ermöglichen, usw…
In meinen Augen könnte einem Irrtum unterliegen, wer die gegenwärtige Krise im Mittelmeer auf wirtschaftliche Interessen verkürzt. Politik wird heute nicht mehr mit Fakten gemacht, sondern mit Emotionen, dem Bedienen von Sentiments. Präsident Erdogan versucht nach dem Vorbild Wladimir Putins, die Türkei durch die Umkehr der Laizisierung und die Revision des Vertrags von Lausanne auf sich als Alleinherrscher auszurichten.
Athen kommt die Situation nicht ungelegen; nach Jahren des Darbens und nachdem die Konservativen im mazedonischen Namensstreit unterlagen, bietet sich die türkische Aggression als Blitzableiter an, als Quelle eines einigenden Moments. Im Äußeren dagegen kann Griechenland damit rechnen, dass der Türkei der Weg in die EU dauerhaft verbaut ist, und es die Rolle der Türkei als Ansprechpartner für Sicherheitsfragen im Ostmittelmeer übernehmen wird. Die amerikanischen Annäherungsversuche künden bereits davon.
Frankreich hingegen bietet sich, zeigt es Stärke, eine historische Chance an, zur politischen Führungsmacht der Post-Brexit-Europäischen Union aufzusteigen. Denn von Deutschland ist mehr als Diplomatie nicht zu erwarten; Italiens Interessen in Libyen lassen Rom eine Schwächung der Türkei als ungünstig erscheinen; und die letzte verbliebene EU-Macht mit signifikanter Marine in der weiteren Nachbarschaft, Spanien, hat ihre eigenen Sorgen. Paris wird die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, sich den anderen Regierungen voranzusetzen.
Was Österreich angeht, sollte nach meiner Einschätzung in der europäischen Öffentlichkeit mehr auf die politische Dimension des österreichischen Beitritts zum State Partnership Program eingegangen werden, worin die US-Nationalgarde ehemaligen Warschauer Pakt-Mitgliedsstaaten Ausbildungshilfe gewährt und die gemeinsame Sicherheitszusammenarbeit intensiviert wird.
Nicht nur fragt es sich, warum Österreich diesem Klub zugerechnet werden will; spätestens mit diesem Entschluss ist die „Immerwährende Neutralität“ des Landes Geschichte, obwohl man sie als Feigenblatt weiter vor sich her trägt. Auch wird die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union beträchtlich zurückgeworfen, wenn Wien sich derart eng an die Vereinigten Staaten unter einer Administration anlehnt, die wortwörtlich verlauten ließ, die EU sei „böse“ und müsse „zurechtgestutzt“ werden.
@O.Punkt
Ja, üblichweise unterscheiden sich die Modi massiv. Mglw. angefangen bei der verwendeten Frequenz (z.b. L-band, x-band), Pulsfolgefrequenz, d.h. bleibt der auf mir drauf oder dreht das Signal weiter, Signalstärke, etc. Dazu kommen dann noch die Feinheiten der ausgewerteten Signalcodierung die mir das alles verraten können.
um einige Dinge zu präzisieren.
Assistenzeinsatz ist nicht wie im Beitrag dargestellt „Katastropheneinsatz“ sondern gemäß österreichischer Verfassung der Einsatz von militärischen Kräften in hoheitlichen Aufgaben anderer „Behörden“, auf deren Antrag! Das ist ein fundamentaler Unterschied zum deutschen Grundgesetz. Bildhaft gesprochen heißt das, wenn deutsche Touristen den Brenner queren und durch österreichische Soldaten an der Grenze kontrolliert werden, dann sind das im erweiterten Sinn Polizisten in militärischer Uniform, alle Befugnisse und Aufträge werden bei diesen Aufgaben durch die „zivile“ Behörde formuliert und kontrolliert. Dieser Unterschied zw deutschem Grundgesetz und österr. Verfassung wird in binationalen Diskussionen meist falsch verstanden bzw. übersehen.
Kräfte im Auslandeinsatz wurde mit um die 40 Personen angesprochen, das ist so nicht ganz stimmig, derzeit befinden ~800 Soldaten im Auslandseinsatz, von Afghanistan – Naher Osten – Operation IRNI, ja auch bei der Marineoperation ist das Binnenland dabei, wie auch andere EU Binnenländer, Balkan und Afrika. https://www.bundesheer.at/ausle/zahlen.shtml Zielgröße gemäß Sicherheitsstrategie sind 1.100, diese Zahl wurde auch schon mit bis zu 1.800 weit überschritten, dazu kommt dass das Bundesheer seit 1960 sehr erfolgreich und verlässliche im internationalen Krisenmanagement unterstützt. Österreich vergleicht sich meist mit dem Faktor 10 mit Deutschland, das würde für Deutschland bedeuten, das 11.000 Soldaten permanent im Auslandseinsatz wären.
Zur Luftraumüberwachung, das österr. Bundesheer hatte bereits schon einmal vor der Beschaffung der Eurofighter F-5 Tiger von der Schweiz geleast und diesbezüglich gab es keinerlei Probleme, da diese Flugzeuge mit österr. Kennungen im Einsatz waren. Apropos dieses Modell der Bereitstellung wurde zB auch für holländische Bergepanzer Büffel bis ca. 2012 angewendet.
[Ich hatte übersehen, dass es nicht der Kommentator ist, der hier seit Jahren mit dem Nick „Georg“ unterwegs ist. Deshalb erst jetzt nachträglich den Nick geändert. T.W.]
@much: Denen von ihnen subsummierten Punkten stimme ich voll zu. Interesse besteht womöglich auch, Kohäsion herzustellen entgegen der Corona-wirtschaftlich bedingten Zentrifugalkräfte der jeweiligen Gesellschaften.
Wir Deutschen, aber z. B auch Österreich oder Neuseeland haben den Virus vergleichsweise im Griff und man erlebt keine Emotionalisierung gegen andere Staaten oder vergleichbare soziologische wirksamen Politiken.
@muck Aber diese Verkürzung auf wirtschaftliche Interessen findet in der Folge doch genau nicht statt? Das fand ich besonders gut daran, dass eben auch Grosstuerkentum und nationale Faktoren angesprochen wurden? Super Folge!
Zitat:
„Georg sagt:
21.08.2020 um 7:41 Uhr
um einige Dinge zu präzisieren.“
Fangen wir mit dem falschen Nickname „Georg“ an !
Diesen Nicknamen benutzt ich seit knapp 10 Jahren hier im Blog und es wäre schön, wenn Sie einen andern Nickname zulegen würden. Danke !
@ O.Punkt 20.08. 17:46 Uhr
Zur Unterscheidung „Rundumsuchradar“ und „Zielerfassungsradar“
Rundumsuchradare bei Schiffen werden normalerweise im L-Band (ca. 1200 MHz) oder im F-Band (ca. 3 GHz) betrieben. Dagegen arbeiten Zielerfassungsradare meist im X-Band (ca. 9 GHz). Die tiefere Frequenz bedeutet weniger Dämpfung in der Atmosphere und damit höhere Reichweite. Also in der Hinsicht ist die Unterscheidung relativ einfach. Bei modernen AESA-Radaren (also wo der Radarstrahl elektronisch wie feine Bleistiftkeulen in der 3-D Atmosphäre geschwenkt werden kann), ändern sich der Impulsrhytmus bei der Aufschaltung des Zielerfassungsradares. Generell sind die Impulslänge und die Wiederholungszeiten auch bei den seperaten Zielerfassungsradaren unterschiedlich zu den gleichen Parametern der Rundumsuchradaren.
Die Frequenzen, Impulslängen und Wiederholungsraten werden im Radarwarnempfänger einprogrammiert, auf dem ins Zielradar genommene Schiff ertönt automatisch ein Alarm (Lock-On des gegnerischen Radares). Da in der Sequenz von Suchen, Erfassen, ins Ziel nehmen, das ins Ziel nehmen der letzte Akt vor dem Abschuss einer Rakete ist, wird dieser „Lock-On“ international als „Hostile Act“ gewertet und ist üblicherweise von nationalen und internationalen Regeln her, verboten. Tut es eine Nation trotzdem, muss der Angreifer damit rechnen, dass der Gegner präventiv zuerst schießt. Also eine Zuspitzung der Situation, die nur gelöst werden kann, wenn eine Partei aus Weitsicht nachgibt. Bei zwei Hitzköpfen gibt es Tote !
Thema Österreich:
Wichtigster Punkt von T.W.: „Budget ist nicht der Punkt, frag mal die Esten.“
Die österreichischen Streitkräfte sind und waren nie zum Kriegführen gedacht. Der Blick richtete sich schon zu K.u.K.-Zeiten viel stärker nach innen denn nach außen. Und so wird bis heute gerne und viel über die folkloristischen Bestandteile (Militärrealgymnasium, Musik, Pferde) diskutiert, statt die Kampfkraft des Bundesheeres in den Fokus zu setzen.
(Leider fehlt mir die Quelle, wo das mal stand/gesagt wurde.)
Ein weiteres Beispiel vom Hörensagen: Bei irgendeiner Reform des Bundesheeres der letzten 20 Jahre sollen einfach die Zahl der Züge pro Kompanie von 3 auf 2 gekürzt worden sein (o.ä.). So behält man weiterhin seine Kästchen auf dem Papier und eine gleich bleibende Anzahl höherer Dienstposten…
Leseempfehlung: https://www.tt.com/artikel/30743552/gaiswinkler-beim-heer-greift-die-politik-tief-in-postenbesetzungen-ein
Ich würde mich freuen, wenn zu solchen Themen externe Gäste eingeladen werden, die ein paar tiefere Einblicke geben können.
@Emil Link
Sie schrieben: „Aber diese Verkürzung auf wirtschaftliche Interessen findet in der Folge doch genau nicht statt? “
—Eben deswegen ging ich ja darauf ein, denn wo hört man solche Analysen, außer in der Fachpresse? Ich glaube, seit Irak liebt es die Öffentlichkeit einfach, an der Vorstellung festzuhalten, dass Kriege und Krisen stets zur Befriedigung wirtschaftlicher Interessen angezettelt würden. Nicht nur lassen sich komplizierte Sachverhalte damit verkürzen und Schuldige benennen; diese „Binsenweisheit“ eignet sich auch vorzüglich zur politischen Stimmungsmache, denn was könnte es Niederes geben als einen Krieg ums Geld.
Sie schrieben: „Super Folge!“
—Absolut.
@AoR
Sie schrieben: „Interesse besteht womöglich auch, Kohäsion herzustellen entgegen der Corona-wirtschaftlich bedingten Zentrifugalkräfte der jeweiligen Gesellschaften.“
—Gut möglich. Gerade in der Türkei dürfte dies eine Rolle spielen; denn autoritäre Regimes sind auf Schönwetterphasen angewiesen. Für wirtschaftliche Vorteile nehmen die Menschen Einschränkungen ihrer Freiheit allzu gerne hin, aber niemand braucht einen „starken Mann“ ohne starke Hand. Allein auch Emmanuel Macron dürfte darauf schielen, sich den Ruf des Machers zurückzuerobern, nachdem die Pandemie schonungslos die strukturellen Schwächen des französischen Staates offen legte.
Sie schrieben: „Wir Deutschen, aber z. B auch Österreich oder Neuseeland haben den Virus vergleichsweise im Griff und man erlebt keine Emotionalisierung gegen andere Staaten oder vergleichbare soziologische wirksamen Politiken.“
—Stimmt; wobei man hier noch eine interessante Entwicklung beobachten kann: Einerseits verharmlosen Populisten die Gefahr durch das Virus und wehren sich gegen wirtschaftlich relevante Maßnahmen. Anderseits wird die Pandemie zum Anlass genommen, gegen andere Staaten zu agitieren. Bis heute verblüfft mich die unerschrockene Rabulistik eines Donald Trump, der in SARS-2 „bloß“ eine „Grippe“ sieht, aber andererseits Sanktions- und sogar Kriegsdrohungen gegen Peking ausstößt, weil es eine tödliche Gefahr auf die Welt losgelassen habe.
@K.B.
„Die österreichischen Streitkräfte sind und waren nie zum Kriegführen gedacht“.
Ich werte das mal als absolut unrepräsentative Einzelmeinung.
Mit Kameraden aus Österreich hatte ich über Monate in der Ausbildung/Umschlung vor Übernahme des JPz Jaguar 1A3, bzw. des Leopard 2 A4 unmittelbar zu tun.
Für den Kader des Panzerabwehrbataillon 1/Wiener Neustadt war ich der verantwortliche Hörsaalleiter mit LT vom Offiziersstellvertreter bis zum BtlKdr persönlich. Haltung, Einstellung und taktisches Können waren vorbildlich. Das Streben nach Kriegstüchtigkeit Stand außer Frage. Gerade bei den FwRängen musste ich anerkennen, die Jungs sind absolute Spitze, auch im Vergleich zu unseren Top-Portepees.
Ob österreichische Streitkräfte zum Kriegführen gedacht sind, obliegt nicht wirklich österreichischer Entscheidung. Würde in der Hofburg ähnlich gedacht, bleibt die Feststellung, dass Wien dies nicht in der Hand hat und sich dessen auch bewusst ist.
„Zahl der Züge pro Kompanie von 3 auf 2 gekürzt“ ist keine AUT Eigenart. Das NLD Heer hatte zzt Kalter Krieg bis in die frühen 90er nach Übergang zur BS-Armee das Korps mit zwei Div, die Brig mit zwei KpfTrBtl, die Btl mit zwei (aktiven) Kp bzw. schießenden ArtBttr.
Die Kästchen für die NATO stimmten.
Zu Österreich : Wir haben unsere Leopard 2 ja auch an die Niederlande verliehen.
Wäre dies nicht auch mit Österreich möglich?
@Klaus-Peter Kaikowsky
Sie schrieben: „Ich werte das mal als absolut unrepräsentative Einzelmeinung.“
—Ich denke, der Leser bezog sich dabei in erster Linie auf die Einstellung der Öffentlichkeit und die politischen Leitlinien. Diesbezüglich hat er, meines Erachtens nach, Recht; und seltsam sollte uns dies nicht vorkommen. Die deutsche Bundeswehr ist auch fähiger und soldatischer eingestellt, als die Mehrheitsgesellschaft dies wünscht und die Regierung es fördert. Österreichs Bundesheer gibt uns einen Vorgeschmack darauf, wie sie ohne eine deutsche Einbindung in die NATO aussähe.
In den letzten Monaten – besonders vor dem Hintergrund der Totgeburt der Tanner’schen Heeresreform – sind viele exzellente Meinungsartikel in den österreichischen Medien veröffentlicht worden, die mir nahelegen, dass @K.B.’s Ansicht die Realität widerspiegelt. Falls Interesse besteht, empfehle ich den Blick ins Doppeladler-Forum. Eine Ertüchtigung des Bundesheers zum Kampf ist politisch nicht gewollt – und letztlich auch von der Bevölkerung nicht erwünscht.
@Ex-Grenni
Die Lage NLD – AUT in Sachen KPz ist nicht vergleichbar.
NLD nutzt 18 Leo 2 A6, davon 16 geleased vom Deutschen Heer. Eine NLD Panzertruppe existiert nicht mehr. Die genannten 18 Wagen bilden die 4./414 im DEU-NLD PzBtl im niedersächsischen Lohheide/Bergen/TrÜbPl Bergen-Hohne und dienen einem Minimum (!) an Erhalt von Panzerkompetenz.
Österreich führt nach wie vor eine existente Panzertruppe. 2006 wurde die Zahl der Leopard-Panzer von > 100 auf 56 reduziert, unverändert in der Version 2 A4.
Die AUT PzTr gewann mit dem Panzerbataillon 14 aus Wels im vergangenen Jahr sogar die internationale „Tank Challenge“ im bayerischen Grafenwöhr. Die können’s also!
Problem ist, die 2 A4, gebraucht erworben, Stand frühe 80er, wurden nie kampfwertgesteigert.
Nachholbedarf besteht bei Elektronik, Hydraulik, passivem Schutz, Nachtsichtfähigkeit. Zumindest der Rüststand 2 A5 sollte erreicht werden. Die dazu erforderlichen Haushaltsmittel sind in Wien aktueller Streitpunkt unter Klaudia Tanner, AUT Verteidungsministerin/ÖVP.
Eine Ausleihe von KPz aus DEU ist also kein Thema, zudem haben wir keine übrig.
Okay – für den europäischen Zusammenhalt könnte ich mir dann folgendes vorstellen:
Konjunkturprogramm für die Panzerindustrie + Zulieferindustrie mit einer Bestellung von 56x Leopard 2 in der aktuellen Version.
Diese Panzer werden dann Österreich für eine sehr günstige Leasingrate angeboten. So niedrig, dass sie das Angebot nicht ausschlagen können.
Vorteile:
Die deutsche Industrie wird ruhig gestellt und hat Aufträge
Die Bundeswehr spart sich die Folgekosten und Personalkosten für zusätzliche Panzer im Inventar
Österreich bekommt neue Panzer und spart Investitionsgelder und erhält aber Fähigkeiten
Ein Signal für ein gemeinsames Europa
Nachteile:
Es kostet den deutschen Steuerzahler circa 500 Millionen Euro.
@Tom Cruise : Danke, so ähnlich habe ich es mir auch gedacht.
Bis auf die niedrige Leasing Rate.
Für die Luftwaffe Österreichs wären analog Eurofighter oder F-18 SH möglich.
Wenn man „neutral“ sein möchte sollte man sich nicht durch Leihen von Nato-Ländern abhängig machen und die Leopard 2 Fertigung ist durch die Bundeswehr und andere bis 2023 relativ gut ausgelastet. Was bringt es Deutschland Österreich aufzurüsten, wenn man selbst nichmal vernünftig ausgestattet ist? Die sind reich genug, wenn wir wem beim Aufrüsten helfen sollten, sind es die baltischen Staaten (realistischste Gegend für eine Panzerschlacht in Europa und NATO-Mitglieder).
Durch Leihen, Mieten, Leasing macht man sich nicht abhängig. Das sind, wenn gut gemacht, langfristige Verträge die wasserfest sind und an denen kein Vertragspartner rüttelt oder rütteln kann.
Bis 2023 ausgelastet heißt bei einem Fertigungsbetrieb gar nichts. Da kann der Prokurist zwar mit arbeiten, aber langfristige Bestellungen über 4 Jahre hinaus sind wichtiger. Da geht es auch um Ausbildungsplätze, unbefristetes Arbeitsverträge und ähnliches.
Und ob die Zulieferindustrie auch bis 2023 ausgelastet ist, wage ich auch zu bezweifeln – aber die sind auch sehr wichtig.
Deutschland bringt das folgendes:
Wenn in Österreich gesellschaftlich und politisch Einigkeit besteht, dass man keine Panzer mehr benötigt weil zu teuer und unnötig, dann schafft Österreich die Panzertruppe faktisch ab.
Egal ob ein Land reich oder arm ist, wenn die nicht kaufen und betreiben wollen, dann ist deren wirtschaftlicher Status irrelevant.
Österreich ist aber auch ein EU Land, egal ob neutral oder nicht neutral.
So wie die baltischen Staaten auch EU Staaten sind und danach erst NATO Mitglieder.
Wenn man in der EU also Panzer benötigt (ob im Ernstfall oder nur als Abschreckung) und dazugehöriges (gut) ausgebildetes Personal, dann hat man nach der vollendeten Entscheidung Österreichs einfach weniger Panzer und damit weniger Schlagkraft/Abschreckung.
Wenn man aber diesen anscheinend breiten Konsens in Österreich nun aber mit sehr günstigen deutschen Panzern zu Fall bringen kann (ein zu gutes Angebot um es abzulehnen), hat man eine Reduzierung der Schlagkraft im Bereich Panzer in der EU verhindert.
Wenn man den Willen zur Abschaffung durch 500 Millionen Euro brechen kann, sollte man es versuchen. Gleichzeitig haben Unternehmen in Deutschland und viele Zulieferbetriebe während einer anbahnenden Wirtschaftsflaute wieder ein paar mehr Aufträge in ihren Büchern.
Etwas anderes ist ein Aufrüsten der baltischen Staaten – denn dort müssen die Strukturen geschaffen oder aufgebläht werden – in Östereich gibt es diese noch. (ich glaube die Balten haben keine Panzer)
Die Vereinigten Arabischen Emirate verlegen zu Übungszwecken Kampfflugzeuge nach Kreta für bis zu zwei Wochen. Man nimmt wohl südlich der Levante nicht nur Iran, sondern auch die Türkei als bedrohlich wahr.
NEWS 21.08.2020 : 12:24
Four Emirati F-16s to arrive in Souda Air Base
https://www.ekathimerini.com/256085/article/ekathimerini/news/four-emirati-f-16s-to-arrive-in-souda-air-base
via: turkey.liveuamap.com
@Klaus-Peter Kaikowsky (KPK) sagt: 21.08.2020 um 18:57 Uhr
muck hat ja schon das Wesentliche gesagt.
Wir beziehen uns auf unterschiedliche Ebenen, von daher können beide Aussagen problemlos nebeneinander stehen. Ich möchte in keinster Weise die Leistung der einzelnen österreichischen Soldaten kritisieren oder Ihre Erfahrungen mit den Österreichern aus dem letzten Jahrhundert in Frage stellen.
Folgende Aussage von Ihnen verstehe ich aber nicht: „Ob österreichische Streitkräfte zum Kriegführen gedacht sind, obliegt nicht wirklich österreichischer Entscheidung.“
Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass Österreich sich seit 1945 ohnehin nicht hätte militärisch verteidigen können (gegen NATO, Warschauer Pakt, Deutschland oder Italien). Eine vergleichbare Lage hielt aber weder die Schweiz, noch Schweden oder Finnland davon ab, glaubwürdige Streitkräfte aufzubauen, um einen Angreifer abzuschrecken.
@K.B.
Streitkräfte sind ein Kriegsführungsinstrument, was keineswegs präventivem Verständnis das Wort reden soll.
Diese Erkenntnis-Maxime unterstelle ich auch allen (!) AUT Regierungen, von Kreiski bis Kurz.
Dass Streitkräfte einem anderen Zweck dienen, diese Einfalt der Selbstverleugnung wird es auch in Wien nicht geben. Ein funktionsfähiges Kriegsführungsinstrument schreckt ab, per se. Dass AUT hier erheblichen Realitätssinn ausblendet [(BIP 0,60 % (2018)], liegt auf der Hand. Vergleiche mit anderen Neutralen, die in Teilen (in der EU) alles andere als neutral sind, schließen sich aus, da die Bedrohungsperzeption eine realistischere ist, und der 08.Mal ’45 die Groß-Deutsche Wehrmacht in Gänze, damit auch im österreichischen Teil betrifft.
Das Bundesheer wurde ab 1955 durch mit Masse ehemalige Wehrmachtsoffiziere aufgestellt, sah sich aber bereits zum Umgarnaufstand ’56 in der Grenzsicherung.
Österreich und seine Gesellschaft verschanzt sich hinter ihrem „Immerwährende Neutralität“ (Gesetz) vom 26. Oktober 1955. Eine Kriegführung gegen Österreich ist dadurch jedoch nicht undenkbar, in welchem Szenar auch immer. Die Verwendung des Bundesheeres in einem Verteidigungs-Krieg (1) bestimmt nicht Wien, es würde durch Angriff aufgezwungen. Dass die Österreicher sich zu verteidigen gedenken, sehe ich dabei als gegeben an. Insofern besteht das Bundesheer ausschließlich zur Kriegsführung in der Verteidigung des Staates Österreich.
Ihr Hinweis auf „militärisch verteidigen gegen NATO, Deutschland, Italien“ lege ich mal als misslungenen Scherzversuch zu den Akten.
(1) Am 16./17. Juli 2001 geriet eine UÇK-Kolonne, die Waffen von Albanien nach Mazedonien schmuggelte, im albanisch-mazedonischen Grenzgebiet in einen Hinterhalt österreichischer KFOR-Soldaten. Nach einem zweieinhalbstündigen Feuergefecht ergaben sich die Rebellen. Erster Kriegseinsatz des Bundesheeres!
@Klaus-Peter Kaikowsky (KPK) sagt: 23.08.2020 um 21:45 Uhr
„Dass AUT hier erheblichen Realitätssinn ausblendet [(BIP 0,60 % (2018)], liegt auf der Hand.“,
Volle Zustimmung, auch zu dem Rest Ihrer Ausführungen. Das kommt im Endeffekt dabei heraus, wenn man seiner Bevölkerung ständig erzählt, das Soldaten für den Katastrophenschutz, Brunnen bohren oder Schulen bauen da sind. Auch einer der Gründe, warum das THW in Österreich noch nie eine bedeutende Rolle gespielt hat. Es sollte uns ein warnendes Beispiel sein.
In DEU wird auch erst seit dem Beginn des MALI-Einsatzes kommuniziert, wofür Soldaten eigentlich da sind und das das gefährlich sein kann. Vorher wurde auch versucht, die anderen Aspekte in den Vordergrund zu stellen.
@KPK:
„Dass Streitkräfte einem anderen Zweck [denn der Kriegsführung] dienen, diese Einfalt der Selbstverleugnung wird es auch in Wien nicht geben.“
Doch, gibt es.
Sie beschreiben ja selbst den fehlenden Realitätssinn der österreichischen Politk, die denkt, mit 0,6% vom BIP auch nur ansatzweise die „immerwährende Neutralität“ verteidigen zu können. Und warum sollte die Politik an diesem Zustand etwas ändern, wenn er die Bevölkerung nicht stört?
Nur als Beispiel: Ein Eurofighter, aus dem man alle Eloka-Systeme ausbaut, ist nicht geeignet zur Kriegsführung.
„Insofern besteht das Bundesheer ausschließlich zur Kriegsführung in der Verteidigung des Staates Österreich.“
Hat nur mit der politischen und militärischen Praxis wenig zu tun.
„Ihr Hinweis auf „militärisch verteidigen gegen NATO, Deutschland, Italien“ lege ich mal als misslungenen Scherzversuch zu den Akten.“
Ich gebe gerne zu, dass schlechter Humor leider zu meinen Kernqualifikationen gehört, aber welchen Weg hätten NATO-Luftstreitkräfte 1985 auf dem Weg von Deutschland nach Italien genommen? Über die Schweiz oder über Österreich?
„Österreich und seine Gesellschaft verschanzt sich hinter ihrem „Immerwährende Neutralität“ (Gesetz) vom 26. Oktober 1955.“
Wie oben (21.08.2020 um 16:48 Uhr) bereits geschrieben: Die Vernachlässigung der Streitkräfte in Österreich ist älter als die Zweite Republik.
Zur Veranschaulichung ein kurzes Wiki-Zitat: „In der langen Friedenszeit der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wurden Heer und Kriegsmarine zunehmend vernachlässigt. Militärausgaben waren im österreichischen Reichsrat wie im ungarischen Reichstag, zumindest für die gemeinsamen Streitkräfte, wenig populär. Die dringend notwendige Modernisierung des Heeres wurde immer wieder hinausgezögert. Dies sollte sich bei der Mobilmachung 1914 negativ bemerkbar machen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinsame_Armee