Atomare Abschreckung: Noch nötig und sinnvoll?
Zum 75. Jahrestag des Abwurfes der ersten Atombombe auf Hiroshima schauen Carlo Masala und Frank Sauer in einer aktuell-Folge des Podcasts Sicherheitshalber auf die Frage: Ist atomare Abschreckung immer noch nötig – und vor allem: sinnvoll?
– Sicherheitshalber Aktuell*-
Zum #Hiroshima75 Jahrestag erklären @CarloMasala1 und @drfranksauer ihre Sicht auf nukleare Abschreckung.
Und sind sich nicht einig.*nur hier auf Twitter. pic.twitter.com/SVEYYqSMAK
— Sicherheitshalber (@Sicherheitspod) August 6, 2020
Sicherheitshalber ein Pausensnack. Schön!
Ist ja aber auch schwierig. Zwei-fel!
Auf jeden Fall kommt man besser nicht mit einem Schwert zu einer Schiesserei.
Falls als sinnvoll erachtet meine ketzerische Frage: sollte Deutschland über eigene / nationale Nuklearwaffen und die entsprechenden Trägersysteme verfügen?
Die Ukraine wurde einst viel gelobt für ihre Abrüstung und Abgabe der vorhandenen Atomwaffen an Russland. Im Gegenzug gab es das Versprechen anerkannter Grenzen im Budapester Abkommen.
Bekanntlich hielt sich Russland nicht an die Vereinbarungen des Budapester Abkommens und besetzte und annektierte Teile der Ukraine.
Nicht nur für die Ukraine eine blutige Tragödie sondern auch ein enormer Rückschlag im Bemühen andere Länder davon zu überzeugen, gegen Sicherheitsgarantien auf Atomwaffen zu verzichten.
@Thomas Melber
Sie schrieben: „Falls als sinnvoll erachtet meine ketzerische Frage: sollte Deutschland über eigene / nationale Nuklearwaffen und die entsprechenden Trägersysteme verfügen?“
— Mir scheint, man kann die im ersten Halbsatz implizierte Frage bejahen und trotzdem der Ansicht sein, dass Deutschland auf Nuklearwaffen verzichten sollte, etwa aus ethischen Gründen. Geht es um Massenvernichtungswaffen, ist selbst ein herzloser Pragmatiker wie ich dazu in der Lage, das Primat der Ethik anzuerkennen.
Was den Sinn anlangt; man kann das Risiko durchaus für zu hoch halten, aber wie es manchen Zeitgenossen (selbst anerkannten Historikern) gelingt, die Wirksamkeit des Funktionsprinzips der Nuklearen Abschreckung anzuzweifeln, erschließt sich mir nicht. Die Zahlen sprechen für sich.
Die europäischen Großmächte halten seit über drei Generationen Frieden und stehen vergleichsweise vereint gegen äußere Bedrohungen; dergleichen hat es noch nie gegeben.
Und dann der Kalte Krieg, der alte wie der neue: Nie zuvor in der Geschichte haben zwei globale Supermächte, die sich unversöhnlich gegenüberstanden, über drei Generationen hinweg davon abgesehen, einander den Hintern aufzureißen.
Die Atombombe ist mit keiner Waffe zu vergleichen, die es jemals gegeben hat. Sie stellt selbst für den Staat, der sie einsetzt, eine solche Gefahr dar, dass ihr Einsatz praktisch undenkbar wird.
Ich würde sogar die Behauptung wagen: Sollten die Geschichtsbücher irgendwann verzeichnen, dass nach Nagasaki nochmals eine Nuklearwaffe in kriegerischem Zusammenhang eingesetzt wurde, wäre ein Versehen weitaus wahrscheinlicher als ein kalkulierter Einsatz.
In meinen Augen dämmert indes die Stunde einer neuen Generation von Massenvernichtungswaffen herauf – vielleicht sollte man sagen: weniger-tödlichen Massenvernichtungswaffen –, deren Gefahr trotz aller Beteuerungen noch immer unterschätzt wird: die eines umfassenden Cyber-Angriffs.
Gehst du mir auf den Keks, zerschieße ich mit einem Virus deine Börse. Oder ich lege für ein paar Tage dein Stromnetz lahm.
Eine solche Attacke würde nur indirekt zu Todesopfern führen, etwa durch Unfälle, Versorgungsengpässe und Aufruhr; obendrein ist es dem angegriffenen Staat möglich, durch Maßnahmen wie die Vorhaltung redundanter Systeme oder die Vorratshaltung von Lebensmitteln und Kraftstoffen das Ausmaß des Schadens abzumildern.
Es stellt sich die Frage, ob diese Merkmale nicht die Hemmschwelle für einen solchen Angriff ganz deutlich herabsetzen.
@Muck
„… dass Deutschland auf Nuklearwaffen verzichten sollte, etwa aus ethischen Gründen.“
Stellt das dann nicht auch den Einsatz von Nuklearwaffen mit deutscher Unterstützung in Frage, somit die Sinnhaftigkeit der nukleare Teilhabe?
Zustimmung zum Thema Cyber mit dem allfälligen Verweis auf die Doku „Zero Days“ (online verfügbar).
@Hohenstaufen
Das ist Quatsch mit Soße. Die Nuklearwaffen, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in anderen Ländern lagertern, waren in Russland entwickelt und gebaut worden. Gleiches galt für viele der Trägersysteme. Nur wenige kamen aus der Ukraine. Was hätte die Ukraine groß damit anfangen sollen?
Ich warte ja noch auf die Antwort von Frau Merkel auf die Frage, warum ihre Heimat (Meck-Pomm) wg. des 2+4-Vertrags atomwaffenfrei ist, Westdeutschland aber nicht.
@Thomas Melber
Es gibt da diesen Vertrag, den Deutschland und der Iran unterschrieben haben: NPT. Den möchte vermutlich selbst Trump nicht zerstören.
Achja: Laut [Telepolis – den Link entfernt, weil Links zu deutschen Verlagswebseiten hier i.d.R. nicht stattfinden, T.W.] ist sich die BW nicht einig, ob sie Atombomben einsetzen dürfte oder nicht. Herr Wiegold, das wäre doch mal eine schöne Frage in der BPK.
@Thomas Melber
Sinnhaftigkeit und Vertretbarkeit scheinen mir nicht dasselbe. Zum Beispiel halte ich aus verschiedenen Gründen die Todesstrafe für sinnvoll, aufgrund der Gefahr eines Justizirrtums jedoch nicht für vertretbar.
Wohlgemerkt – und da führt uns der Vergleich zur vorliegenden Frage zurück -, Justizirrtümer können immer geschehen, die Art der Sanktion hat damit überhaupt nichts zu tun. Und manche würden das Risiko für vernachlässigbar halten, es handelt sich also um ein rein ethisches Problem.
Genauso sehe ich einen Sinn in einer nuklearen Bewaffnung, kann aber verstehen, dass die Ethik in den Augen der meisten Menschen ebendiese Bewaffnung verbietet. Wobei ich hinzufügen muss, dass aus meiner Sicht die Deutschen heute eher mit den Auswirkungen einer Kernwaffe auf die Umwelt ein Problem haben als mit ihrer Zerstörungskraft.
Auch sind Atombomben natürlich ein mächtiges politisches Symbol. So protestiert die Friedensbewegung gerne gegen amerikanisch-deutsche Kernwaffen in Büchel, aber seltsamerweise niemals gegen russische in Königsberg.
Persönlich denke ich, wir sollten weiter an der Nuklearen Teilhabe teilnehmen. Anders als Donald Trump behauptet, ist die NATO (schon seit 1999) kein Verteidigungsbündnis mehr, und außer den vertraglich vereinbarten Leistungen schuldet hier niemand irgendwem irgendetwas; es muss jedoch trotzdem ein Mindestmaß an Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft aufrechterhalten werden. Deutschland muss dazu seinen Beitrag leisten.
Das ethische Problem, wie es sich mir dazu darstellt, lautet nicht: Ist eine nukleare Bewaffnung vertretbar? Sondern vielmehr: Ist es vertretbar, sich dem Risiko auszusetzen, dass man als einziger ohne Stuhl dasteht, wenn die Musik aufhört zu spielen? Denn auch dadurch gerieten Menschenleben in Gefahr.
Und immerhin bedrohen „unsere“ Atombomben nicht die russische Zivilbevölkerung. Die NT mit nuklearen Freifallbomben durch Jagdbomber dient der Vernichtung feindlicher Truppenansammlungen. Es handelt sich also um keine Erstschlagswaffe. Vielen Deutschen ist dies gar nicht bekannt, aber nach der Einsatzdoktrin würde so eine B61 eher zwischen Karpaten und Sächsischer Schweiz hochgehen als über Moskau oder Sankt Petersburg.
Würde es Europa und Deutschland speziell nicht besser zu Gesicht stehen, Geld und Energie in die Entwicklung von Abwehrwaffen zu stecken, die jegliche atomare Verbringungsmittel effektiv neutralisieren könnten?
Ironischerweise passt zu der Diskussion der nuklearen Abschreckung ein Spruch den man aktuell überall um die Ohren geschmettert bekommt gleichermaßen:
„There is no glory in prevention“.
Ohne das Thema Ukraine und Atomwaffen zu strapazieren, aber die Krim-Krise fand 2014 statt.
Bis dahin hätten die russischen Atomwaffen in der Ukraine überleben müssen und auch modernisiert werden müssen.
Das eine kostet Geld, sehr viel Geld und auch politische Willen und das andere Know-How und technische Fertigkeiten.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass spätestens im Jahr 2000, also 5 Jahre nach dem realen Abzug (1995/1996), die Frage nach der Einmottung in der Ukraine sehr groß aufgeworfen worden wäre und mit Ja beantwortet worden wäre.
Zu der Zeit wurden nämlich aus den verschiedensten Gründen viele Bomber und Marschflugkörper verschrottet und um die Jahrtausendwende (Putin wird Präsident) wurden die restlichen Bomber an Russland abgegeben – dafür wurden der Ukraine Schulden erlassen.
2004/2005 gab es einen russisch-ukrainischen Gasstreit und allein dadurch hätte Russland ordentlich Druck aufbauen können um die Ukraine zur Aufgabe der Atomwaffen zu bewegen. Dann gab es noch die orange Revolution und auch die hätte Spuren bei den Atomwaffen hinterlassen.
Im Zuge der Revolution gab es die Bemühungen sich mehr an die EU zu binden/anzunähern.
Ich glaube, dass die EU es nicht geduldet hätte, dass ein neuer Partner direkt an der Ostgrenze zu Russland Atomwaffen halten darf.
Die Ukraine hätte im Vorfeld des Beitritts also die Atomwaffen verschrotten müssen.
Spätestens Janukowytsch hätte aber alle Atomwaffen an Russland abgebenen oder verschrotten lassen.
Der größte Knackpunkt ist aber:
Nur der Besitz von Atomwaffen reicht nicht aus, man muss auch gewillt sein sie einzusetzen. Nur dann funktioniert die Abschreckung.
Fazit:
Man kann immer viel spekulieren, aber es ist fast schon ein Fakt, dass im Jahr 2014 die Ukraine sowieso keine Atomwaffen mehr gehabt hätte auch ohne Budapest Memorandum.
@ Pirat77, 9:54 Uhr
Bestimmt! SDI war ja auch strategisch als rein defensives Instrument wahrgenommen worden… ;-)
Zur gegenseitigen Abschreckung gehört auch, dass man durch das System, mit den man den anderen bedroht, selber verwundbar ist. Sonst ist die Gegenseitigkeit dahin und man ist bei der einseitigen Erpressung.
Natürlich ist sie unnötig. Sie ist kompletter Unsinn und stammt aus der Zeit der Eskalation zwischen der UDSSR und den USA.
Kein Land der Welt wird jemals Atomwaffen einsetzen, weil nach der Antwort darauf die ganze Welt zerstört ist.
Da bringen leider auch Bunker nichts. Wenn die Lebensgrundlage des Menschen zerstört ist, stirbt die überlebende Menschheit in kürzester Zeit aus.
Wir brauchen eine wirklich gut ausgerüstete konventionelle Armee ohne Ausrüstung, die teilweise 40 Jahre oder älter ist.
Und die USA als nette Partner sollten wir langsam wirklich überdenken:
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/ostseepipeline-nord-stream-2-us-senatoren-sanktionen-sassnitz
Vielleicht drohen wir jetzt auch mal?
Zum Beispiel mit ersatzloser Streichung der bestellten Hercules und der angedachten STH und F-18?
Das sind mit Sicherheit 14 Milliarden Euro.
Notfalls gibt es günstige Mil-26 oder gebrauchte Chinook als STH, bis Europa selbst entwickelt hat.
Und eben weitere EF oder sogar Gripen statt F-18.
@der Realist:
Drohungen nützen nur, wenn man auch bereit ist, sie nötigenfalls wahrzumachen. Wenn man natürlich die Fähigkeiten der eigenen Streitkräfte zum Spielball im internationalen Testosterontheater machen will, muss man so handeln. Sich in den eigenen Fuß zu schießen, wenn das Gegenüber nicht tut, was man will, ist wenig sinnvoll… Zumal Trump das ja nur als Bestätigung für seine Haltung sehen und dafür nutzen würde, die US-Öffentlichkeit weiter hinter sich zu vereinen.
14 Mrd. Euro tun den USA nur bedingt weh. Das sind nicht mal 1,7% des US-Haushaltsdefizits für das Jahr 2019 von umgerechnet 830,56 Mrd. Euro (984 Mrd. US$). Der Fähigkeitenverlust für die Bundeswehr im organisatorischen Gefüge der NATO wäre dagegen m.E. irreparabel. Ich weiß, es gibt hier einige, die die NATO ohnehin nicht mögen und dann ihr Seelenheil in der EVG sehen, aber das ist mittelfristig keine Option, solange Frankreich, Spanien, Polen, Italien, Griechenland und andere, kleinere Länder nicht alle aktiv am gleichen Strang ziehen. Deutschland hat seine heutige wirtschaftliche Position aus sicherheitspolitischer Sicht wesentlich aufgrund seiner Mitgliedschaft in der NATO und der Westintegration inne. Der anderen wesentlichen Gründe sind die EU bzw. zuvor die Europäischen Verträge, aber auch die waren letztlich nur unter dem Schutz der NATO möglich, die gegenüber dem Ostblock wirksame Abschreckung geboten hat.
@Pirat77
Noch mehr Wunderwaffen für die Bundeswehr? Es gibt keinen funktionierenden Raketenschild gegen ballistische Interkontinentalraketen und erst recht nicht gegen Marschflugkörper. Es gibt nicht mal ein Raketenabwehrsystem das zuverlässig, einen kleinen Bereich, gegen Mittelstreckenraketen schützen kann. Selbst die USA, Russland und Israel haben das bisher nicht hinbekommen. Der untere Bereich von dem was man Mittelstrecke nennt (nicht so genau definiert) ist das höchste der Gefühle.
Russland würde im Zweifelsfall das A-135 nutzen und Atomsprengköpfe über Moskau zünden um anfliegende Sprengköpfe abzulenken und mit den freigesetzten Neutronen eine Fehlzündung zu provozieren. Damit würde man über Moskau EMP Schockwellen verursachen, die jede ungeschützte Elektroinstallation und jeden ungeschützten Mikrochip beeinflussen oder zerstören. Man schadet sich zwangsläufig selbst. Das System hat 68 Schuss.
Das Nachfolgeystem A-235 ist in Arbeit. Es soll auf Hit-To-Kill, also kinetische Energie setzen. Dafür muss man aber erst mal genau treffen.
In den USA setzt man mit dem Ground-Based Midcourse Defense (GMD) ebenfalls auf Hit-To-Kill und beweist das man mit hoher Wahrscheinlichkeit daneben schießt. Dieses System hat 64 Schuss und die Trefferchance liegt dabei eben deutlich niedriger als beim A-135. Dafür will man sich nun Technik und Know How aus Israel ausborgen, denn deren Entwurf für ein Hit-To-Kill Vehicle ist deutlich manövrierfähiger. Dieses wurde für Israels Arrow 3 entwickelt.
Problem ist aber einfach der Sättigungseffekt. Die USA nutzen nur noch einen Sprengkopf auf den Minutemen III, haben dafür aber deren Anzahl hochgehalten. Damit ist jede Rakete ein Ziel für Russland, was viele Sprengköpfe bindet und andererseits kann man sehr viele Raketen losschicken, was es sehr schwer macht alle Sprengköpfe abzuwehren. Eine Rakete mit 10 Sprengköpfen kann diese nicht über ganz Russland verteilen. Aber 10 Raketen können ganz Russland abdecken.
Andersrum sieht es genauso aus. Die Bevölkerungszentren kann man nicht schützen, weil die paar Abfangraketen sehr schnell aufgebraucht sind und dutzende weitere aus Russland anfliegen würden, mit 10 oder mehr Sprengköpfen. Trifft man EINE Rakete nicht bevor sie den Payloadbus aussetzt, muss man diesen erwischen, schafft man auch das nicht, klinkt er seine Fracht aus und dann kommen da über 10 Ziele runter.
Dieses Systeme nutzen höchstens gegen eine geringe Anzahl von Raketen mit jeweils einem Sprengkopf. Also den technischen Stand den im Moment Nordkorea, Pakistan, Indien und eventuell der Iran erreichen könnten. Mehr als 2 oder 3 Interkontinentalraketen mit mehreren Sprengköpfen könnte kein System abwehren.
In Westeuropa wird nur an der Luftabwehrraketenfamilie Aster gearbeitet. Aster 30 Block 1NT und Aster 30 Block 2 BMD sind gegen Interkontinentalraketen nutzlos.
Zur Abwehr von Interkontinentalraketen mit ballistischer Flugkurve braucht man auch entsprechende Radarsystem und am besten noch Satelliten. Und am Ende versagen diese Systeme gegen schnelle oder sehr tief fliegende Marschflugkörper, gegen Hyperschallgleiter und gegen Fractional Orbital Bombardment System (FOBS) Interkontinentalraketen. Letzteres konnte schon die sowjetische R-36ORB, welche dem SALT II Abrüstungsvertrag zum Opfer fiel. Wir leben aber in einer Zeit wo Abrüstungsverträge die neuen Opfer sind… und der SALT II Vertrag wurde von den USA nie ratifiziert. Es war ein Zeichen des Guten Willens seitens der Sowjetunion, nachdem man mit den Mittelstreckenraketen und dem Natodoppelbeschluss auf die Nase gefallen war, die R-36ORB außer Dienst zu stellen.
Die RS-28 Sarmat soll ebenfalls FOBS fähig sein.
@ Metallkopf
Ist Ihnen eigentlich klar, dass die USA unsere Souveränität in Frage stellen?
Es ist unsere Entscheidung als souveräner Staat, woher und wie wir unser Gas bekommen.
Punkt.
Lieber @SvD
Weniges zeigt sich im multilateralen Abrüstungs- und Waffenkontrollregime so präzise definiert wie nukleare Trägermittel, so auch Ihre „Mittelstrecke“, genauer bezeichnet als „substrategische nukleare Trägermittel“.
Am 07. Dezember 1987 vereinbart, am 01. Juni 1988 in Kraft getreten, nennt der „Mittelstreckenwaffenvertrag (INF-Vertrag)“ zwischen den USA und der UdSSR exakt definierte Reichweiten. Die dort vereinbarten Definitionen wurden über das Vertragswerk der KSZE/OSZE völkerrechtswirksam.
– LRINF (long range INF) = 1.000 – 5.500 km
– SRINF (short range INF) = 500 – 1.000 km, inzwischen international als shorter-range ballistic missile (SRBM) bezeichnet.
@SvD sagt 07.08.2020 um 17:17 Uhr
Es gibt nicht mal ein Raketenabwehrsystem das zuverlässig, einen kleinen Bereich, gegen Mittelstreckenraketen schützen kann. Selbst die USA, Russland und Israel haben das bisher nicht hinbekommen. Der untere Bereich von dem was man Mittelstrecke nennt (nicht so genau definiert) ist das höchste der Gefühle.
…
S-300V3 (Je nach Transkription werden sie auch als S-300W3 bezeichnet.)
Mobiles System der russischen Landstreitkräfte, nicht mit den S-300 Familien der Luftverteidigungstruppen zu verwechseln. Ab 1983 disloziert in der GSSD, ab 1988 mit der Lenkwaffe gegen die Pershing-2 (nach allgemein anerkannter Definiton eine Mittelstreckenrakete) ausgestattet. Pro Batterie konnte ein Gebiet von 50×50 km gegen Mittelstreckenraketen geschützt werden. Es gab also bereits auf deutschem Boden Streitkräfte mit dieser Fähigkeit. Mittlererweile sind die russischen Einheiten auf S-300V4 Standard modernisiert.
Inzwischen sind die bei den russischen Luftverteidigungstruppen die ersten S-350 Systeme im Dienst, die ebenfalls über die notwendigen Fähigkeiten und Lenkwaffen gegen ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen verfügen.
@Der Realist
Sie schrieben: „Natürlich ist sie unnötig. Sie ist kompletter Unsinn und stammt aus der Zeit der Eskalation zwischen der UDSSR und den USA. Kein Land der Welt wird jemals Atomwaffen einsetzen, weil nach der Antwort darauf die ganze Welt zerstört ist.“
— Mit anderen Worten, atomare Abschreckung ist nicht unnötig und funktioniert durchaus. Die „Antwort“ nämlich bedingt die Fähigkeit zur Reaktion. Ohne die Fähigkeit zur Reaktion würde das mächtigste Motiv für die angreifende Atommacht entfallen, von der Aktion, dem Einsatz ihrer Kernwaffen, abzusehen: der Selbsterhaltungstrieb des Menschen.
Die Fähigkeit zur Reaktion beinhaltet vorliegend offensichtlich die Fähigkeit zur Aktion, es stehen sich also zwei (in der Sache) gleichgroße und (theoretisch) einander neutralisierende Potentiale gegenüber. Daraus folgt aber nicht, dass mit dem Wegfall des einen Potentials auch das andere entfiele.
Eine kernwaffenfreie Welt ist deshalb illusorisch, weil diejenige Atommacht, die als letzte noch im Besitz ihrer Fähigkeit zur Aktion wäre, die Welt beherrschen würde und andere Staaten nach Belieben angreifen könnte. Mithin kann keine der anderen Atommächte ihre Fähigkeit zur Aktion aufgeben, da sie mit ihr die Fähigkeit zur Reaktion verlöre.
Und solange ein Staat über Kernwaffen verfügt, ist die einzig halbwegs sichere Methode zu seiner Entmutigung die Bereithaltung der Fähigkeit zur Reaktion.
Sie schrieben: „Sie […] stammt aus der Zeit der Eskalation zwischen der UDSSR und den USA. “
— Das allein besagt noch nichts. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil der geopolitische Zustand vor der Eskalation nicht wiederhergestellt wurde und auch nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Strategische Planer denken nun in diesen Kategorien und hören damit auch nicht so schnell wieder auf (Beobachtereffekt, siehe oben).
Obendrein wird mit Recht diskutiert, ob die sich zunehmend multipolar gestaltende Realität des 21. Jahrhunderts die Gefahr eines Atomkrieges nicht sogar vergrößert.
Aus einer eindeutigen Bedrohungslage ist eine vieldeutige geworden. Der Schlag kann plötzlich aus vielen Richtungen erfolgen, es sind verschiedene, teils einander widersprüchliche Motivlagen zu bedenken.
Zudem sind Atommächte erstanden, die nur über vergleichsweise wenige Sprengköpfe verfügen, was zu völlig anderen Voraussetzungen für deren Einsatz führt. Ein Land wie Nordkorea kann nicht die ganze Welt zerstören.
Sie schrieben: „Kein Land der Welt wird jemals Atomwaffen einsetzen, weil nach der Antwort darauf die ganze Welt zerstört ist.“
— Es gibt ernstzunehmende Überlegungen – aus der Polemologie bis hin zur Psychologie –, die diese Kausalkette anzweifeln. Planer beider Seiten haben selbst in den Hochphasen des Kalten Krieges ernsthaft angenommen und sind damit bis an die Tische der Entscheidungsträger vorgedrungen, dass eine Art atomarer „Warnschuss“ durchaus möglich sei.
Dass die für den Einsatz von Nuklearwaffen zu nehmenden politischen und ethischen Hürden gewaltig sind, heißt nämlich noch lange nicht, dass darauf zu antworten deshalb umso leichter fiele – gerade abseits klassischer Konstellationen.
Beispiel: Zur maritimen Offensive der Briten im Falklandkrieg gehörte mindestens ein nuklear bewaffnetes Unterseeboot, was Buenos Aires bis heute erzürnt. Man stelle sich vor, die Briten hätten, sagen wir, einen argentinischen Luftwaffenstützpunkt mit einer Kernwaffe angegriffen; hätte dies zum nuklearen Schlagabtausch zwischen USA und UdSSR geführt? Dies scheint keineswegs ausgemacht.
Auch was die Gegenwart anlangt kann man trefflich diskutieren, ob ein solcher Automatismus besteht. George W. Bush hat nicht deshalb vom Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe gegen Tora Bora abgesehen, weil die US-Führung fürchten musste, der Kreml hätte wegen der Explosion einer 5 Kilotonnen-Tomahawk in den afghanischen Bergen den nuklearen Holocaust entfesselt.
Vielleicht hätte die Sowjetunion 1982 den Start einer britischen Nuklearrakete im Südatlantik als Angriff auf sich selbst fehlinterpretiert, aber dagegen spricht, dass in der Realität in weit weniger eindeutigen Situationen ein solcher Irrtum stets unterblieb.
Paradoxerweise ist die Überzeugung sogar gefährlich, dass den Staaten, die Kernwaffen besitzen, deren Einsatz als undenkbar erscheinen müsse. Indem sie die Aussichten des Angreifers auf einen erfolgreichen Erstschlag erhöht, vergrößert sie das Risiko des potentiell Angegriffenen.
Kurzum, ich denke nicht, dass man in dieser Angelegenheit auf Sicht fahren kann. Das Risiko eines erneuten Kernwaffeneinsatzes ist winzig, aber auch winzig kleine Risiken können sich manifestieren. Man muss es ernstnehmen und bleibt am besten bei der einzigen halbwegs probaten Methode, es so gering wie möglich zu halten.
Ich absolut davon überzeugt, dass Deutschland selbst Nuklearwaffen zur Abschreckung bereithalten sollte. Im Falle des Falles, der hoffentlich nie eintreten wird, kann man sich meiner Meinung nach auf niemanden verlassen. Wem kann man heute mehr glauben, dass er mit NT verantwortlich umgehen wird als dem heutigen Deutschland.
Das Deutschland diesen Weg geht, ist auch für die europäische Verteidigung essentiell. Alternativ könnte ich mir das auch auf europäischer Ebene vorstellen aus dem EU- Budget finanziert. Das wäre mal ein eine vernünftige Augabe für die EU. Es würde auch Frankreich unter Druck setzen es genauso zu machen.
@ muck
Wir sind völlig anderer Meinung. ;-)
Ich zeichne jetzt mal ein anderes Szenario eines möglichen Konflikts:
Russland dringt konventionell in die baltischen Staaten vor und besetzt sie.
Was würde passieren?
1. Die USA drohen mit einem atomaren Schlag als Antwort.
Oder
2. Es werden konventionelle Maßnahmen ergriffen.
3. Es wird verhandelt
Bei Duchsetzung von Punkt 1 erfolgt eine sofortige atomare Reaktion Russlands gegen die USA und NATO Partner. Das wiederum löst eine atomare Reaktion Frankreichs und Großbritanniens gegen Russland aus.
In der Konsequenz wären die USA, Russland und alle baltischen und NATO Staaten atomar verseucht. Die meisten Überlebenden der atomaren Schläge sterben innerhalb von 14 Tagen aufgrund der Schädigung des Rückenmarks durch die Strahlung.
Eigentlich keine wirkliche Lösung eines Konflikts, da man ja zumindest davon ausgehen sollte, dass die Gewinnernation eines Krieges Interesse am eigenen Fortbestand hat…
Also bleibt nur Punkt 2 oder am besten Punkt 3: Der Verhandlungstisch…
@muck
> In meinen Augen dämmert indes die Stunde einer neuen Generation von Massenvernichtungswaffen herauf – vielleicht sollte man sagen: weniger-tödlichen
> Massenvernichtungswaffen –, deren Gefahr trotz aller Beteuerungen noch immer unterschätzt wird: die eines umfassenden Cyber-Angriffs.
Selbst da sind Atomwaffenbesitzer im Vorteil. Nuklearexplosion im Weltall => EMP und der Angegriffene sitzt mehrere Wochen im Dunkeln.
Davon abgesehen wurden Cyberangriffe schon mehrmals mit militärischer Gewalt beantwortet. Sich da auf unterlassene Vergeltung zu verlassen ist selbstmörderisch.
@Realist
> Bei Duchsetzung von Punkt 1 erfolgt eine sofortige atomare Reaktion
> Russlands gegen die USA und NATO Partner. Das wiederum löst eine
> atomare Reaktion Frankreichs und Großbritanniens gegen Russland aus.
Das ist eine gewagte Annahme. Wenn wenige tausend russische Soldaten tief im NATO-Gebiet von Nuklearwaffen vernichtet würden würde Putin sich sehr gut überlegen ob er darauf mit einem Nuklearangriff auf NATO-Gebiet antwortet. Immerhin kann er sich ohne weitere Verluste hinter die eigene Grenze zurückziehen und dann für die nächsten Hundert Jahre die NATO als Nuklearmassenmörder abkanzeln. Dafür riskiert er nicht sein Eigentum und Volk. Ausserdem wäre es ein enormes Zeichen der Schwäche der NATO wenn man sich nicht anders zu helfen wüßte. Das alles ist allerdings lächerlich unwahrscheinlich da dem Westen ein paar extrem mächtige nichtmilitärische Optionen zur Verfügung hat, z.B. kompletter Ausschluß aus dem weltweitem Zahlungsverkehr, Isolationsgesetze (wer mit Rußland handelt wird hart bestraft), Beschlagnahmung russischen Auslands-Aktiva und Passiva uswusf. Das würde Rußland binnen eines Monats an den Rand eines Wirtschaftskollaps bringen und binnen eines Jahres wäre da wohl eine Hungersnot angesagt. Und da ist nichteinmal ein einziger Schuß gefallen.
Davon abgesehen wird die kurz- bis langfristige Wirkung von Nuklearwaffen überschätzt. In Tschernobyl trat Nuklearmaterial im Gegenwert von 200 Nuklearwaffen aus. Eine einzelne Nuklearwaffe in abgelegenem Gebiet hätte vermutlich langfristig nur die Folge daß da ein abgesperrter Naturschutzparkt entsteht. Es ist ja nicht so als ob in Tschernobyl jetzt feuerspeiende Riesenechsen rumlaufen.
Zum Thema NT:
Was, wenn die USA beschließen, die Bomben aus Deutschland abzuziehen (und z.B. nach Polen zu verlegen)? Oder ggf. gar nicht mehr zu modernisieren sondern außer Dienst zu stellen (ein Upgrade ist, glaube ich, geplant)?
Hätten wir dann für „teuer Geld“ in Trägersysteme investiert aber dann ohne NT? Ehrliche Frage!
@Thomas Melber
Nein, dann hat der designierte Tornado-Nachfolger nur ein Wirkmittel weniger das ihm zur Verfügung steht. Da wir aber sowieso einen Nachfolger für sämtliche Fähigkeiten brauchen, ist der neue Flieger mit möglichem Wegfall der nuklearen Rolle mitnichten obsolet, die bei weitem überwiegende Hauptaufgabe ist und bleibt die Jagdbomberrolle mit konventionellen Bomben und Lenkflugkörpern, die wir auch weiterhin brauchen.
Und jep, ein Upgrade der in Deutschland liegenden B61 auf B61-12 ist geplant.
Bevor wir aber hier in die Diskussion über NT an sich oder die Tornadonachfolge kommen, verweise ich auf die entsprechenden Beiträge hier auf der Seite und natürlich im Sicherheitspod :)
@Klaus-Peter Kaikowsky
Erstens sind die Grenzen fließend und werden nicht einfach von Diplomaten gezogen. Zweitens gibt es bei quasi jeden Abrüstungsabkommen später Theater was genau gemeint gewesen war. Drittens ist das Abkommen Geschichte, womit das ganze wieder nur Nato sprech ist und viertens ändert das genau nichts an meiner Aussage.
Es geht um Waffenklassen, deren Flugkurve und Geschwindigkeit im Zielanflug.
Ein System das, laut großkotzigen Angaben und in der Regel ohne Nachweise, ballistische Raketen bis zu 3000 km bekämpfen soll ist nun was genau?
Es ist nicht in der lage den Bereich von 3000 bis 5500 km abzudecken. Das obere Ende des Mittelstreckenspektrum ist schon nicht mehr abgedeckt. Die Raketen fliegen zu schnell, zu hoch und die Wiedereintrittsvehikel können mehr als die 3 fache Geschwindigkeit haben.
In der Mitte des Mittelstreckenspektrums, den eben niemand definiert hat, der aber existiert, tasten sich nun einige Systeme vor. Den unteren Teils dieses Bereiches wollen einige ganz gut im Griff haben.
Russland kann aus seinem Osten heraus Interkontinentalraketen gen Europa verschießen, was bringen da Systeme die nur mit kleineren Mittelstreckenraketen fertig werden?
@Mitleser
Und?
Kann man damit jetzt Interkontinentalraketen abfangen oder nicht? Nein, kann man nicht.
Kann man damit wenigstens ballistische Raketen mit 3000, 4000 oder 5000 km abfangen? Nein, auch das geht nicht. Mit dem modernisierten System übrigens auch nicht. Es reicht also nicht einmal für den Bereich der als Mittelstrecke bezeichnet wird. Das S-350E jetzt ins Spiel zu bringen ist vollkommen lächerlich, das System ist für deutlich kürzere Reichweiten.
Selbst das S-400 und das S-500 werden keine ausgewachsenen Interkontinentalraketen abfangen können. Und selbst wenn sie es könnten, bzw einzelne Wiedereintrittsvehikel, Sättigungsangriffe funktionieren immer noch.
Und ich wiederhole mich gerne nochmal:
„Und am Ende versagen diese Systeme gegen schnelle oder sehr tief fliegende Marschflugkörper, gegen Hyperschallgleiter und gegen Fractional Orbital Bombardment System (FOBS) Interkontinentalraketen.“
Es gibt keinen magischen Schutzschild.
@Fox1
Mal abgesehen von den Konsequenzen eines Atomwaffenprogramms, es gibt da ein paar technische Problem. Alle Atommächte haben ihre Design real getestet. Sie hatten viel Zeit zu lernen und zu verbessern. Die Megatonnengrenze war schon Ende der 50er Jahre überschritten. Die Sprengköpfe haben dennoch nicht überlebt und sind alle ersetzt worden. Sie waren teilweise nicht lagerfähig (Alterung), daher unzuverlässig, sie waren schwer und obendrein auch nicht so feuer und schockresistent wie man sich das wünschen würde. Da ging viel Zeit und Geld drauf. Es dauerte auch bis die Bomben mit etwas besserem als einem Satz Schlüssel gesichert werden konnten.
Wir haben heute auch nicht mehr so viele Nuklearforscher in Deutschland. Ein Großteil ist in der Kernfusion am Wendelsteinprojekt und den anderen Kernfusionsreaktoren beschäftigt.
@Wait&C
„Davon abgesehen wird die kurz- bis langfristige Wirkung von Nuklearwaffen überschätzt. In Tschernobyl trat Nuklearmaterial im Gegenwert von 200 Nuklearwaffen aus. Eine einzelne Nuklearwaffe in abgelegenem Gebiet hätte vermutlich langfristig nur die Folge daß da ein abgesperrter Naturschutzparkt entsteht. Es ist ja nicht so als ob in Tschernobyl jetzt feuerspeiende Riesenechsen rumlaufen.“
Der Reaktor hat die Radioaktiven Stoffe hoch in die Atmosphäre geschleudert und über halb Europa verteilt.
Auch das reicht für Mutationen bei Tieren und Pflanzen.
https://www.dw.com/de/nukleare-unf%C3%A4lle-verursachen-mutationen-bei-tieren/a-19179109
Und bestimmte Pflanzen sammeln bestimmte Stoffe an, sowie deren radioaktive Isotope und chemisch vergleichbare radioaktive Stoffe. Wie war das noch mit den Pilzen und Wildschweinen im Bayerischen Wald?
Der Effekt von Kernwaffen hängt von der Waffe selbst ab. Schmutzige Bomben, die mit normalem Sprengstoff nukleare Stoffe wie Kobalt-60 verteilen sind schlimmer als jeder Reaktorunfall. Sie Verteilen das Material auf einer deutlich kleineren Fläche. Die Dosis muss nicht tödlich sein, damit Menschen langsam an den Erkrankungen zu Grunde gehen.
Gesalzene Bomben sind eine Klasse für sich. Dies sind Kernwaffen, bei denen der Neutronenreflektor zur Verstärkung des Yields gegen ein Material getauscht wurde, das bei Bestrahlung extrem radioaktiv wird. Man kann die Zerstörungskraft durch Hitze und Druckwelle weit herabsetzen und unfassbare Mengen an absolut tödlichen Natrium-24 und Zink-64 freisetzen. Diese zerfallen zwar noch recht schnell aber andere Stoffe würden Jahrzehnte (Kobalt-60 ), Jahrhunderte oder Jahrtausende strahlen. Kobalt-60 strahlt bei einem theoretischen Vergleich ab 6 Monaten stärker als der normale Fallout einer Kernwaffe. Diverse Isotope des normalen Fallouts sind bis dahin in nicht radioaktive Stoffe zerfallen oder in weniger radioaktive. Der Effekt hält fast 75 Jahre an, bis genug Kobalt-60 zerfallen ist und die langlebigen Isotope des Fallouts wieder die Führung übernehmen. Der Fokus lag immer auf der Detonationskraft. Es war schon in den 50ern Möglich die Bomben deutlich sauberer zu bauen aber die Detonationskraft war den Militärs wichtiger. Dann hat man sich noch an Neutronenbomben versucht, die bei der Explosion sehr viele Neutronen freisetzen und Stoffe im Körper in radioaktive Isotope umwandeln. Neutronen dringen z.B. durch die Meiste Panzerung oder aktivieren gar Uranpanzerungen wie beim M1 Abrams.
Niemand hat bisher Neutronenbomben en masse in Dienst gestellt. Richtig gesalzene Bomben hat bisher auch kein Land getestet oder offiziell ins Arsenal aufgenommen.
@Der Realist
Sie schrieben: „Wir sind völlig anderer Meinung. ;-)“
— Das ist ja nicht weiter schlimm. Allein hinsichtlich des ersten zitierten Absatzes bin ich weiterhin der Ansicht, dass Sie sich dort widersprechen. Ihre Argumentation baut darauf, dass kein Staat den Einsatz von Kernwaffen wagen könne, weil die Reaktion wenigstens seine eigene Zerstörung nach sich zöge. Eben darauf beruht jedoch das Wirkprinzip der nuklearen Abschreckung. Demnach würde sie ihren Zweck erfüllen.
„Unnötig“, wie Sie meinten, wäre die Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung erst dann, wenn kein potentieller Angreifer mehr Atomwaffen besitzt. Dazu wird es jedoch nicht kommen, denn der Staat, der sein Angriffspotential aufgibt, begibt sich zugleich seines Abschreckungspotentials und damit seiner Verteidigung.
@Wait&C
Sie schrieben: „Davon abgesehen wurden Cyberangriffe schon mehrmals mit militärischer Gewalt beantwortet. Sich da auf unterlassene Vergeltung zu verlassen ist selbstmörderisch.“
— Die einzigen ernstzunehmenden Attacken von Staaten gegen Staaten, von denen ich weiß, betrafen Estland und die Ukraine. In ersterem Falle gab es keine militärische Reaktion, in letzterem befand sich das Land bereits im Krieg.
Außerdem schrieb ich nicht, der Angreifer könne sich darauf verlassen, dass keine Vergeltung erfolgen werde.
Ich deutete an, der Angreifer könne – anders als bei einer Attacke mit Offensivwaffen – die Eskalationsspirale besser kontrollieren. Auf ein von Hackern beeinträchtigtes Stromnetz antwortet man nicht mit Atombomben. Auch dann nicht, wenn bspw. bei Verkehrsunfällen hunderte Menschen ums Leben kommen und ein gigantischer wirtschaftlicher Schaden entstünde.
@SvD
Wait&C hat mit seiner Einschätzung indes Recht. Sie führen Neutronen- und Kobaltbomben an, aber wie Sie ja selbst zu Bedenken geben: Erstere gibt es wohl nur in geringer Zahl, letztere wahrscheinlich überhaupt nicht. Außerdem ist weitgehend bekannt, welche Spielereien Russland und die USA in ihren Arsenalen lagern. „Normale“ Kernwaffen sind das Mittel der Wahl.
Der Himmel verschone uns vor einem Atomkrieg, aber Tatsache ist, dass die radiologische Wirkung einer Kernwaffe im Vergleich zu ihrer thermischen bzw. atmosphärischen Wirkung vernachlässigbar ist. Auch ist zu bedenken, dass bei der Atomstromerzeugung ganz andere Spaltprodukte freigesetzt werden, nämlich wesentlich langlebigere. Denn Strahlung ist nicht gleich Strahlung.
Hiroshima war bereits 1949 wieder permanent bewohnt und spätestens ab 1966 war nicht einmal mehr wissenschaftlich nachweisbar, ob der Atombombenabwurf oder die in jener Zeit weltweit gestiegene Hintergrundstrahlung für die in der Stadt erhöhte Tumor-Inzidenz verantwortlich war. Es wäre völlig undenkbar gewesen, 1990 nach Prypjat zurückzukehren.
Insgesamt hat die Kernschmelze von Tschernobyl wahrscheinlich mehr Schaden angerichtet als die wenigstens 475 oberirdischen Kernwaffenexplosionen in der Geschichte. Und dieser Vergleich beinhaltet ein gewaltiges Problem, denn für die meisten Menschen (und hier insbesondere die Entscheidungsträger) sind die Langzeitwirkungen Tschernobyls nicht spürbar. Außerhalb der Ukraine und Weißrusslands sind sie nicht einmal richtig bezifferbar.
Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass auf den ersten Blick hirnverbrannte Entwicklungen wie die russische 2M39-Drohne meine Argumentation stützen. Wer eine Kernwaffe mit einem 100-Megatonnen-Sprengkopf baut und so entwirft, dass sie an feindlichen Küsten einen radioaktiven Tsunami erzeugt, ist von der abschreckenden Wirkung seines bisherigen Arsenals offenkundig nicht überzeugt.
@muck: „Tatsache ist, dass die radiologische Wirkung einer Kernwaffe im Vergleich zu ihrer thermischen bzw. atmosphärischen Wirkung vernachlässigbar ist“. Woher nehmen Sie diese Behauptung und stellen sie als Tatsache dar? Für Hiroshima liegen die Schätzungen der Todesfälle durch die Strahlung nach einer schnellen Internetrecherche so zwischen 15% und 30%. Vernachlässigbar sieht für mich anders aus.
Lesen Sie doch mal nach über das Schicksal der Besatzung „Glücklicher Drache V“ 1954 nach dem Kernwaffentest der Amerikanen 1954 im Bikini-Atoll. 150 km entfernt vom Ort der Sprengung und doch so verstrahlt, dass alle Besatzungmitglieder strahlenkrank wurden…..
Über die Langzeiteffekte mittlerer bis kleiner Strahlendosen des direkten Fallouts und der langlebigen Nuklide in der Atmosphäre und in der Nahrungskettte will ich hier gar nicht erst reden, weil dies zu kompliziert wäre.
Und das Hiroshima 1949 wieder bewohnt wurde, ist auch kein Argument. Zu der Zeit haben sich US-Militärbeobachter auf den Schiffen noch darüber beschwert, dass sie zu weit weg von den oberirdischen Orten der Sprengung positioniert wurden….
Es ist schon klar, dass eine Kernwaffenexplosion über einer Metropole die meisten Todesopfer unmittelbar erzeugen würde. Aber im Gegensatz zu einem konventionellen Bombenkrieg (a la Dresden zum Beispiel), würden die Folgen wesentlich weitere Kreise ziehen und wesentlich länger wirken. Eher wie ein zusätzlicher massiver Einsatz von Antipersonenminen statistisch über ein riesiges Gebiet verteilt.
@Nachhaltig
Sie unterliegen einem verbreiteten Missverständnis. Radiologische und nukleare Bedrohungen sind nicht dasselbe, daher bspw. auch die wissenschaftlich korrektere Ausweitung des Begriffs der CBN-Bedrohungen (chemical, biological, nuclear) auf CBRN-“ (chemical, biological, radiological, nuclear).
Vereinfacht ausgedrückt und bezogen auf die Kernwaffentechnik ist die radiologische Wirkung diejenige, die von der Kontamination der Umgegend mit radioaktiven Strahlern ausgeht. Die Art der Gefahr hängt vom jeweiligen Spaltprodukt und der Art der Exposition ab. Cäsium-137 etwa ist ein Beta-Strahler, der am besten innerhalb des Körpers wirkt. Außerhalb des Körpers ist es eher weniger gefährlich.
Davon zu unterscheiden ist die akute Wirkung der Kernwaffe durch die Freisetzung ionisierender Strahlung, v.a. Neutronen-, Gamma- und Röntgenstrahlung. Deren Anteil an der Explosionsenergie beträgt jedoch „nur“ ungefähr 5%. 40-60% der Energie einer Kernwaffe geht in die Druckwelle, weitere 30-50% in die thermische Strahlung.
Auch reicht die potentiell tödliche Wirkung gerade der thermischen Strahlung sehr viel weiter als die Reichweite der anderen Energieformen. Dementsprechend ist die weit überwiegende Mehrzahl der Opfer durch thermische und atmosphärische Energie zu beklagen.
In diesem Zusammenhang ist übrigens nicht zu vergessen, dass die akute Strahlenkrankheit heute wesentlich besser behandelt werden kann als 1945, zumal im von Versorgungsengpässen gezeichneten Japan.
Jedenfalls bezog sich meine Aussage in erster Linie auf die Folgen nuklear Kontamination. Was die anlangt, geht die neuere Forschung davon aus, dass „nur“ 700 Menschen in Hiroshima und Nagasaki an den Spätfolgen der nuklearen Verseuchung verstarben. Link (in der Hoffnung, dass der Hausherr einverstanden ist): https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-54002273.html
Ich bin in Ostbayern aufgewachsen, in Sichtweite zum Eisernen Vorhang. Diese Gefahr ist keine, die ich auf die leichte Schulter nehmen würde. Doch gerade um Verharmlosung etwa durch politische Entscheidungsträger vorzubeugen, ist eine stets sachliche Diskussion hilfreich.
Einen kurzen Nachtrag zu @muck:
Radioaktive Stoffe kommen in grosser Menge in der Natur vor.
So findet sich in einem Kubikmeter Erdreich durchschnittlich 200 Gramm radioaktives Material welches zu 99% natürlichen Ursprungs ist.
Oder anders gesagt, auf 1000x1000x1m findet man 200 Tonnen radioaktives Material.
Zündet man eine 5kg Uranbombe auf diesem Gebiet so steigt die Menge der radioaktiven Stoffe bestenfalls auf 200,01 Tonnen.
Gewicht ist nicht Becquerel aber 200,01 Tonnen sind immerhin ein wenig anschaulicher..
Diese 0,01 Tonnen strahlen kurzfristig bis mittelfristig deutlich stärker als die restlichen 200 Tonnen. Allerdings bauen sie sich auch schneller ab. Das ganze ist berechenbar und damit indirekt beherrrschbar. Ich halte es für realistisch ein Gebiet nach 10 Jahren neu zu besiedeln über dem 10 Jahre zuvor eine Nuklearwaffe in der Luft detoniert wurde. Die Reststrahlung der Nuklearexplosion dürfte tatsächlich nur einen Bruchteil der natürlichen Hintergrundstrahlung ausmachen.
Andere Situationen andere Ergebnisse: Zündest man die gleiche Bombe im Erdreich ist weniger Fläche höher belastet und die resultierenden Spaltprodukte sind komplexer durch Interaktion mit dem Erdreich.
Eine einzelne Nuklearexplosion IST beherrschbar und die Gefahren sind überschaubar. Das ist gerade ein Teil der nuklearen Abschreckung daß ein getriebener Gegner dieses Risiko eingeht wohlwissend daß sein Gegner genau damit rechnen muß und nicht jeden Einsatz massiv vergelten KANN oder WILL. Es gibt genügend Gründe in denen Nuklearwaffen tatsächlich angemessen sind, z.B. als Vergeltung für chemische, biologische oder radiologische Angriffe. Wer die Anwendung von Vergeltung grundsätzlich ablehnt macht sich nur um so angreifbarer. Abschreckung besteht aus drei Schritten der Erkenntis:
„ich kann“
„ich will nicht“
„ausser du zwingst mich“
Das ist alles kein Spielzeug aber auch kein Teufelshandwerk. Es ist einfach ein Handwerk. Und eines bei dem man auf Fachleute und keine selbstempfundenen Kassandrarufer verlassen sollte.
@Wait&C
„Davon abgesehen wird die kurz- bis langfristige Wirkung von Nuklearwaffen überschätzt. In Tschernobyl trat Nuklearmaterial im Gegenwert von 200 Nuklearwaffen aus.“
Die Gegend um Tschernobyl wurde aber auch (relativ schnell) evakuiert, dies wäre bei einem Einschlag einer Atomwaffe auf bewohntem Gebiet (inklusive Umgebung) nicht der Fall. Die kurz- bis langfristigen Wirkungen sind so schon nicht zu vergleichen.
Hiroshima und Nagasaki sind vergleichbar, aber da waren die Atombomben auch „klein“ und die Auswirkungen schon deshalb nicht so groß.
Gleichzeitig ist bei einer ABC Waffe auch immer der psychologische Effekt nicht zu unterschätzen.
Sie muss deshalb überhaupt keine Langfristfolgen haben, denn es können nach der ersten detonierten Massenvernichtungswaffe auf Stadt A auch eine zweite Massenvernichtungswaffe auf Stadt B und eine dritte auf Stadt C usw. folgen. Das ist dann die nukleare und radiologische Gefahr für die Bevölkerung.
In Form von „weiteren Waffen“ auf unberührtem Gebiet. Nirgends ist man sicher, zu keiner Zeit. Nur die gegnerische Anzahl an Waffen begrenzt diese Gefahr.
Die Gefahr von Atomkraftwerken ist im Vergleich dazu doch „relativ“ begrenzt, weil man die restlichen nach dem ersten AKW Unfall abschalten könnte oder weil sie auch geographisch bekannt sind und damit die Folgenabschätzung je nach Schwere des Unfalls bekannt ist.
(Deshalb kann ich persönlich auch nicht verstehen, wieso manche Atomkraftwerke direkt an Großstädte grenzen)
@muck
„Insgesamt hat die Kernschmelze von Tschernobyl wahrscheinlich mehr Schaden angerichtet als die wenigstens 475 oberirdischen Kernwaffenexplosionen in der Geschichte.“
Die Kernwaffentest fanden aber nicht in groß bewohntem Gebiet stand.
Tschernobyl war zum Zeitpunkt des Unglücks aber bewohnt und wurde dann evakiert.
Das kann man allein deshalb so nicht vergleichen.
@Luftikus
Sie schrieben: „Die Kernwaffentest fanden aber nicht in groß bewohntem Gebiet stand.“
— Nicht wenige fanden in bewohntem Gebiet statt. (Wie sonst hätten skrupellose Regierungen, insb. die Sowjets, die Auswirkungen auf den Menschen studieren sollen?) Selbst diejenigen, die weitab von der Zivilisation durchgeführt wurden, etwa auf der Nevada Test Site, hatten zumindest messbare Auswirkungen in weiten Teilen des Mittleren Westens.
Auch die Franzosen (Algerien!) setzten wissentlich eine Vielzahl von Menschen den Folgen von Kernwaffenexplosionen aus. In einer zum 70. Jahrestag von Hiroshima veröffentlichten Studie schätzt die IPPNW, dass insgesamt mindestens 1 Mio. Menschen bei Kernwaffentests bewusst verstrahlt wurden.
An die 80.000 sowjetische und ugf. jeweils 20.000 amerikanische britische Soldaten wurden nach Kernwaffentests sogar bewusst an den Ground Zero verlegt, in einigen Fällen nicht einmal 20 Minuten nach der Detonation. Die Vergleichswerte sind jedenfalls gegeben.
Sie schrieben: „Tschernobyl war zum Zeitpunkt des Unglücks aber bewohnt und wurde dann evakiert.“
— Gerade das ist nicht der Punkt. Die Quellen variieren, aber sicher ist, dass durch die unmittelbar vom havarierten Reaktor ausgehende ionisierende Strahlung weniger als 50 Menschen an akuter Strahlenkrankheit verstarben. Von allen Bewohnern der Ukraine und des angrenzenden Weißrussland wurden die Bewohner der Stadt Prypjat sogar am wenigsten radioaktiv belastet, denn die Spaltprodukte wurden aus dem Reaktor hoch in die Atmosphäre gewirbelt.
Die radioaktive Wolke ging vor allem in Weißrussland nieder und führte dort zu mindestens 4000 zusätzlichen Tumorerkrankungen, v.a. bei Kindern. Doch ist Schilddrüsenkrebs bei Kindern gut behandelbar, „nur“ neun Todesfälle sind verbürgt.
Die meisten Strahlenopfer erlitten ihre Schädigung als Liquidatoren in den ersten Monaten nach der Katastrophe, aber selbst über ihr Schicksal existieren keine allseits anerkannten Zahlen. Die wissenschaftlichsten Quellen gehen von einer niedrigen fünfstelligen Zahl potentiell lebensverkürzender Krankheitsfälle unter den Liquidatoren aus.
Die Strahlenbelastung in der Schutzzone indes ist heuer nur noch dort hoch, wo 1986 radioaktiver Schutt bzw. verstrahlte Gerätschaften abgeladen oder vergraben wurden. Zwischenzeitlich wurde bewiesen, dass man sogar Fische, die im ehemaligen Kühlwasserreservoir des Kraftwerks leben, bedenkenlos verspeisen kann.
Sie schrieben: „Das kann man allein deshalb so nicht vergleichen.“
— Der Grund, warum verschiedene Leser den Vergleich angestellt haben, besteht darin, dass die These vertreten wurde, der Schauplatz einer Kernwaffenexplosion werde langfristig zur lebensfeindlichen Umgebung. Doch trifft dieses Adjektiv selbst auf die Schutzzone von Tschernobyl nur bedingt zu, und dort wurde ungleich mehr Radioaktivität verteilt als in Hiroshima, Nagasaki und bei allen oberirdischen Kernwaffentests seitdem. Nochmals, Strahlung ist nicht gleich Strahlung.
Und dieser Vergleich ist sehr wohl relevant, weil er zeigt, dass die radiologische Komponente einer Kernwaffenexplosion das geringste Problem ist – da ja selbst die ungleich größere Verseuchung durch den Super-GAU von 1986 nicht die langfristigen Folgen zeitigte, die man Kernwaffen zuschrieb und zuschreibt. Und um dies festzustellen, braucht man nicht einmal eine belastete Einwohnerschaft als Referenz. Messungen genügen, um festzustellen, ob ein Ort bewohnbar wäre.
Warum dies problematisch ist, dürfte klar sein. Umso größer die Anzeichen, dass man einen nuklearen Schlagabtausch gewinnen und überleben kann, umso niedriger ist die Hemmschwelle, Kernwaffen tatsächlich einzusetzen.
@muck: Ich kenne schon den physikalischen und auch den strahlenbiologischen Unterschied zwischen der direkten Strahlung bei der Explosion durch Neutronen und Gammastrahlen und der Gefahren aufgrund von Kontaminationen durch radioaktive Spaltprodukte. Ich kenne auch die physikalischen Zusammenhänge zwischen hohen Dosisleistungen bei Nukliden mit kurzer Halbwertzeit und den typischerweise geringen aber dafür langlebigen Dosisleistungen bei Radioisotopen mit langer Halbwertszeit. Die strahlenbiologischen Schäden als „vernachlässigbar“ zu bezeichnen, halte ich aber weiterhin für eine nicht tragbare Aussage. Allerdings müsste hier die Diskussion dann mit belastbaren Zahlen, d.h. der jährlichen Strahlenexposition in mSv/a, der unterschiedlichen Szenarien und wissenschaftlich geführt werden, was diesen Rahmen hier sprengt. Das Magazin der Spiegel ist bei einer wissenschaftlichen Diskussion sicher nicht die geeignete Referenz. Und nebenbei – für stochastische Schäden gibt es keinen Schwellwert. Jede noch so kleine zusätzliche Strahlenbelastung erhöht das Krebsrisiko. Die Frage ist nur – um wieviel-
Über die Sinnhaftigkeit des NT, brauchen wir uns taktisch und strategisch nicht auszulassen – das ist eine religiöse Frage, zu der wir (hier) eh zu keinem Konsens kommen werden.
ABER: Nur wer mitspielt, sitzt am Tisch!
Wenn wir auf die NT verzichten, werden alle Entscheidungen zu (potenziellem) Einsatz, Nutzung, Dislozierung und Bewirtschaftung OHNE Deutschland getroffen.
Im Zweifel wird Deutschland nicht mal informiert, wenn Atomwaffen durch die Gegend geschickt werden.
Ob das unserer Sicherheit zuträglich(er) wäre oder nicht und ob man das gegen die (zugegeben) immensen Kosten und die „moralische Überlegenheit“ aufzuwiegen ist, ist die einzige (!) Frage, die die Politik beantworten muss.
@Nachhaltig
Der Begriff des stochastischen Strahlenschadens ist mit Vorsicht zu genießen. Die Gefahr negativer Auswirkungen auf die Gesundheit steigt mit der Intensität und Dauer der Exposition, aber niemand weiß, wo die untere Schwelle liegt.
Es ist schlichtweg nicht möglich, niedrige Strahlendosen bspw. mit einer steigenden Krebsrate in Verbindung zu bringen, da die Rate insgesamt steigt. Dies hängt nicht zuletzt mit dem Screening-Effekt zusammen.
Die steigende Lebenserwartung der Menschheit, die graduelle Verbesserung der Früherkennungsmöglichkeiten und die konzentrierte Untersuchung von Menschen, die möglicherweise Gesundheitsgefahren ausgesetzt waren, führt dazu, dass vielmehr Tumorerkrankungen in die Statistik einfließen, die früher unentdeckt geblieben wären, ohne dass es einen realen Anstieg gegeben hätte.
@Bow
Sie schrieben: „Wenn wir auf die NT verzichten, werden alle Entscheidungen zu (potenziellem) Einsatz, Nutzung, Dislozierung und Bewirtschaftung OHNE Deutschland getroffen.“
— Ehrlich gesagt frage ich mich, inwieweit dieses vor allem von CDU/CSU ins Feld geführte Argument noch greift. Es gab eine Zeit, da herrschte innerhalb der NATO ein zähneknirschender Konsens, dass die Gefahr einer Auseinandersetzung mit der Sowjetunion so groß sei, dass im Falle einer Eskalation keine Zeit mehr für multilaterale Beratungen bliebe. Aber schon unter Willy Brandt änderten sich die politischen Vorzeichen.
Gewiss, unter Donald Trump wird die Zusammenarbeit der Staaten in der Allianz auf die Probe gestellt. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir uns in einer geopolitischen Konstellation befinden, in der (selbst) die USA einfach so in Europa Kernwaffen zünden könnten. Auch alle strategischen Fragen insgesamt werden mittlerweile gemeinschaftlich in den Gremien formuliert und beschlossen.
Sie schrieben: „Über die Sinnhaftigkeit des NT, brauchen wir uns taktisch und strategisch nicht auszulassen – das ist eine religiöse Frage, zu der wir (hier) eh zu keinem Konsens kommen werden.“
— Wenn Sie mit „NT“ die nukleare Teilhabe meinen: Wer der Ansicht ist, dass das Konzept der nuklearen Abschreckung funktioniert (und nochmal, mir erschließt sich nicht, wie man in dieser Sache anderer Meinung sein kann), wird nicht umhinkommen, die Nukleare Teilhabe für sinnvoll zu halten.
An der nuklearen Triade führt dann nämlich kein Weg vorbei. Staaten wie Großbritannien haben bspw. ihre klassischen Atombomben und atomaren Luft-Boden-Raketen aus Kostengründen aufgegeben — nicht deshalb, weil es militärisch opportun gewesen wäre.
„Es ist schlichtweg nicht möglich, niedrige Strahlendosen bspw. mit einer steigenden Krebsrate in Verbindung zu bringen, da die Rate insgesamt steigt. Dies hängt nicht zuletzt mit dem Screening-Effekt zusammen.“
Oder man will keinen Zusammenhang finden. DIe Atomlobby lässt regelmäßig die Folgen von Atomunfällen runterrechnen.
Das US Militär will nicht von Strahlenschäden wissen, die durch Bomben mit Uranmantel/Penetrator oder Uranmunition zu tun haben.
Wenig reicht da schon, vorallem bei Kindern.
Vielleicht sollten wir die Frage der Krebserkrankungen einmal der Flugzeugträger-Besatzung der USA stellen, die in Fukushima helfen wollten?
Ansonsten würde ich es momentan begrüßen, den USA die dunkelrote Karte zu zeigen und das könnte auch bedeuten, die Entscheidung über die NT neu zu diskutieren.
Wir werden von den USA aktuell nicht auf Augenhöhe gesehen, es wird sogar unsere Souveränität in Frage gestellt, indem man uns vorschreiben möchte, woher wir unsere Energie bekommen. Was kommt als nächstes? Trinkwasser nur noch aus den USA…?
[Links zu deutschen Verlagswebseiten finden hier i.d.R. nicht statt, wie bekannt, deshalb Link entfernt. Für Interessierte: Ein Gastkommentar von Sigmar Gabriel im Berliner Tagesspiegel am 8. August. T.W.]
Wir haben so viele teure Lücken beim Material, dass wir erst einmal dort unsere Kompetenzen wieder aufbauen sollten.
Da das Fachvokabular nicht mehr allgegenwärtig ist, …
Nukleare Triade: besteht aus Interkontinentalraketen, strategischen U-Booten und Langstreckenbombern. Elemente der NATO-Triade, von denen jedes für sich glaubhaft und zugleich unlösbar miteinander gekoppelt sein muss.
NATO-Triade: Einsatz- u. Reaktionsmittel, die konventionelle, taktisch-nukleare und strategisch-nukleare Einsatzmittel als Gesamtprogramm bezeichnen.
Nur noch die USA verfügen über das jeweilige Gesamtspektrum.
Wie sich Teile DEU Politik ( Muetzenich & Co) dem einseitig entziehen wollen, bei Erhalt des bekannten Schutz- u Sicherheitsstandards, rätselhaft.
Olaf Scholz … abwarten, wie er sich aufstellen wird.
„Nukleare Triade […] Nur noch die USA verfügen über das jeweilige Gesamtspektrum.“
Das war im Westen noch nie anders. Weder Großbrittanien noch Frankreich hatten ähnliche Fähigkeiten bei landgestützten Interkontinentalraketen und auch nicht bei den Bombern. In den USA steigt gerade die Bereitschaft in der Bevölkerung, die silobasierten ICBMs erstsatzlos zu streichen. Die Modernisierung soll 100 Mrd Dollar kosten. Es wäre da schon angebracht möglichst günstig zu planen und einfach die Trident SLBM der Uboote herzunehmen bzw. dafür eine neue Rakete zu entwickeln und diese auch an Land zu nutzen. Das Pentagon denkt da gar nicht dran.
Bei den Bombern droht den USA ähnliches. Die B-1 sind atomar schon lange abgerüstet und durch die permanente Kriegsführung seit 2001 extrem verschlissen. Die B52 ist uralt und verliert immer mehr Nuklearwaffen. Nur noch die AGM-86 ALCM Marschflugkörper sind übrig und diese müssen ersetzt werden. Nachfolger soll die Long Range Stand Off Weapon (LRSO) werden. Auch da gibt es Widerstand. Es wird halt nicht etwa ein vorhandener Marschflugkörper angepasst, sondern eine neue, teure stealth Wunderwaffe für 60 Jahre alte Bomber entwickelt. Man könnte auch die konventionellen AGM-158B JASSM-ER oder die AGM-158D JASSM-XR als Basis nutzen. Die B-1 und B-2 Bomber sollen durch die B-21 Stealth Bomber ersetzt werden. Billig wird auch das nicht.
Teile der US Navy und der Hardliner in Washington wollen die „BGM-109A Tomahawk Land Attack Missile – Nuclear (TLAM-N)“ wieder beschaffen. Es ist aber nicht klar ob deren Gefechtsköpfe noch eingelagert sind und wenn ja, in welchem Status die sich befinden. Es könnte gut sein das diese bereits zerlegt und teilweise verschrottet wurden. Das Plutonium der Sprengköpfe ist/war „Supergrade“, was extrem rein bedeutet. Es besteht aus >95% Plutonium 239, mit sehr geringen Spuren der anderen, problematischen Isotope, die Hitze, Strahlung und ordentliche Mengen an Neutronen absondern. Dieses Material dürfte man eingelagert haben, da es schwer herzustellen ist. Die Sprengköpfe neu zu bauen dürfte teuer werden.
Über all diesen Plänen hängen große Fragezeichen, da Donald Trump ja die US Finanzen ruiniert. Dadurch steigen die Zinsen für die USA. Die Extrem hohen Militärausgaben sind vielen Menschen ein Dorn im Auge. Diese könnten nach der Wahl eingedampft werden.
Ob Russland sich all seine Planungen leisten kann ist auch eher fraglich. Am Ende könnte China das einzige Land mit einer halbwegs modernen nuklearen Triade sein.