Dokumentation: Stopp der Rüstungsexporte für Saudi-Arabien verlängert (Nachtrag: Industrie)
Am (gestrigen) späten Donnerstagabend gab es eine Verständigung in der rot-schwarzen Regierungskoalition über den weiteren Umgang mit Rüstungsexporten für Saudi-Arabien: Der zunächst bis Ende März befristete Stopp auch für bereits genehmigte Lieferungen gilt weiterhin. Und die Auslieferung von Waffensystemen aus europäischen Gemeinschaftsproduktionen soll ebenfalls bis zum Jahresende unterbunden werden.
Zur Dokumentation die Mitteilung im Wortlaut:
Verständigung der Bundesregierung zu Ruhensanordnung und Gemeinschaftsprogrammen
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, teilt mit:
1.
Die Ruhensanordnungen für die Auslieferung genehmigter Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien werden über den 31. März hinaus um weitere sechs Monate bis zum 30. September 2019 verlängert. Für diesen Zeitraum werden grundsätzlich auch keine Neuanträge genehmigt.
2.
Ausgelaufene Gemeinschaftsprogramme und die dazugehörigen Sammelausfuhrgenehmigungen mit Bezug zu Saudi-Arabien und den VAE werden um weitere neun Monate bis zum 31. Dezember 2019 unter der Maßgabe verlängert, dass in diesem Zeitraum mit den Partnern die vorgeschriebenen Konsultationen stattfinden. Die Bundesregierung wird sich in den Konsultationen gegenüber den Partnern dafür einsetzen, dass die die gemeinsam produzierten Rüstungsgüter im Jemen-Krieg nicht zum Einsatz kommen und dass während der neunmonatigen Verlängerung keine endmontierten Rüstungsgüter aus diesen Gemeinschaftsprogrammen an Saudi-Arabien und die VAE ausgeliefert werden. Den beteiligten Unternehmen wird zur Auflage gemacht, dass sie gegenüber den Vertragspartnern darauf bestehen, dass in diesem Zeitraum keine endmontierten Rüstungsgüter an Saudi-Arabien und die VAE ausgeliefert werden.
3.
Die Bundesregierung wird für die auf der Peene-Werft zu errichtenden Boote in Verhandlungen mit der Werft eine Lösung für Schadensminderung finden, die entweder den Bau der Boote ermöglicht, ohne sie derzeit auszuliefern, oder den Bau der Boote für eine inländische Nutzung vorsieht.
Nachtrag: Laut Medienberichten – z.B. bei tagesschau.de – soll es darüber hinaus eine Regelung für die Zulieferung von Teilen für Waffensysteme an Frankreich weiterhin geben:
Zudem hat man sich davon unabhängig darauf geeinigt, dass Deutschland in einer bestimmten Zahl von Fällen Produkte an Frankreich zuliefern darf, die in Rüstungsgüter eingebaut werden.
Eine Quelle dafür ist nicht genannt; bislang habe ich dafür keine Bestätigung finden können. Wird ggf. ergänzt.
Nachtrag 2: Die Rüstungsindustrie hat dazu Stellung genommen; ebenfalls zur Dokumentation die Aussagen des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbrandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Hans Christoph Atzpodien:
Unsere Industrie akzeptiert bei allen Rüstungsexportfragen die jeweilige politische Entscheidung der Bundesregierung. Dies gilt auch vorliegend.
Mit der weiteren Verlängerung des Moratoriums verabschiedet Deutschland sich damit als Partner auf Augenhöhe von der Teilnahme an Europäischen Gemeinschaftsprojekten. Wir brauchen gemeinsame europäische Exportmaßstäbe, sonst funktioniert die Rüstungskooperation nicht. In vielen Fällen geht es in diesen Fragen auch nur um die Zulieferung deutscher Teile, die in einem Rüstungsgut verbaut sind. Damit unternimmt die Bundesregierung den Versuch unsere Partner ebenfalls zu einem Quasi Embargo gegenüber Saudi-Arabien zu zwingen. In der Folge besteht die Gefahr, dass die deutsche Industrie ihre Fähigkeit zur Systemintegration und damit wesentliche, auch von der Politik erwünschte, industrielle Schlüsselfähigkeiten verliert.
Im Übrigen wiederholen wir unsere Auffassung, dass politische Restriktionen bei Ausfuhrentscheidungen der Bundesregierung, soweit sie laufende, zuvor bereits genehmigte Vorhaben betreffen, nicht auf dem Rücken der Unternehmen ausgetragen werden sollten, hier muss es im Fall einer endgültigen Ausfuhrverweigerung zu einer angemessenen Kompensation kommen (Stichwort: Vertrauensschutz).
(Archivbild: Eurofighter bei der Dubai Airshow im November 2013 – Airbus/JV. Reymondon)
In einigen Berichten taucht noch ein Passus auf, der in der obigen Dokumentation nicht steht:
„Zudem hat man sich davon unabhängig darauf geeinigt, dass Deutschland in einer bestimmten Zahl von Fällen Produkte an Frankreich zuliefern darf, die in Rüstungsgüter eingebaut werden.“
Woher kommt also dieser Passus? Und welche Rüstungsprojekte sind oder könnten damit gemeint sein?
Die Erklärung des Regierungssprechers wird den Streit mit Frankreich und GB nicht beenden, weil solange nicht ausgeliefert werden darf, werden die Saudis für die Rüstungsgüter nicht zahlen wollen. Den britischen und französischen Rüstungsunternehmen entsteht also weiterer Schaden, auch wenn die jetzt vielleicht die EF montieren können mit deutschen Teilen.
Und was meint die Regierung mit endmontierten Rüstungsgütern? Darunter fallen sicher der Eurofighter oder Meteor, aber sind damit auch einfache Bomben oder Granaten oder sonstige Munition gemeint?
Hm.
Das heißt, dass z.B. Teile für Lenkwaffen wieder nach GB exportiert werden dürfen, und der deutsche Teil von MBDA gegenüber dem britischen Teil darauf bestehen soll, dass diese nicht weiter exportiert werden?
Nur welche rechtliche Handhabe haben denn bitteschön deutsche Firmen bzw. Firmenteile gegenüber ihren ausländischen Partnern?
Für mich sieht das aus wie:
Wir heben den Exportstopp auf, behaupten das Gegenteil und hoffen, dass es niemand genau mitbekommt, was in Saudi-Arabien oder den VAE ankommt.
Und in 9 Monaten beginnt der Eiertanz wieder von vorne…
@Closius & all
Die Meldungen mit dem Frankreich-Passus habe ich auch gesehen; in der Mitteilung taucht das nicht auf. Versuche das mal zu klären.
Hier noch eine andere Perspektive:
https://www.theguardian.com/world/2019/mar/29/yemen-houthi-leader-attacks-uk-german-arms-sale-ban-saudi-arabia
So schade, dass die deutsche Regierung sich nicht dazu äußern mag, in welcher Form unsere Partner (falls man in Berlin überhaupt noch „Partner“ kennt) in diese Entscheidung eingebunden wurden.
Hat sich nicht unlängst jemand in München beklatschen lassen für das Bekenntnis zum Multilateralismus?
Wie auch immer die Sache ausgeht.
Ich denke, daß sich die Verbündeten genau überlegen werden, ob sie zukünftig noch Rüstungskooperationen mit Deutschland eingehen wollen.
Da hat sich die Regierung selbst ein Bein gestellt.
tt.kreischwurst | 29. März 2019 – 12:09
Hier noch eine andere Perspektive:
https://www.theguardian.com/world/2019/mar/29/yemen-houthi-leader-attacks-uk-german-arms-sale-ban-saudi-arabia
Wobei sich noch die Frage stellt, wer die die Yemeniten mit Waffen beliefert und warum das moralisch anders zu bewerten ist.
Die Modalitäten hätte man bei PESCO klären müssen.
@Trevor Faith:
Da dies ein Dokumentations Thread ist und dementsprechend Material zum Thema zusammengetragen wird dachte ich mir ich bringe den Guardian Artikel mal ein damit auch mal eine andere Sichtweise bekommt. Ich habe mir die Position darin nirgends zu eigen gemacht.
Nice try though
Es setzt sich eben immer weiter fort, dass bei den Koalitionsverhandlungen der Jemen-Passus bei „Nacht und Nebel“ in den Koalitionsvertrag kam (https://www.tagesschau.de/inland/ruestungsexportstopp-101.html). Die Verhandler auf Unionsseite haben die Implikationen und Konsequenzen entweder nicht gekannt oder ignoriert.
Die neue Einigung zeigt erneut, dass es offenbar nur um den Koalitionsfrieden geht. Denn praktisch bedeuten die Regeln auch bei Kooperationen keine Lösung. Die Konsequenzen werden wohl immer konkreter: http://m.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/airbus-will-ruestungsgueter-german-free-machen-wegen-exportstopps-a-1260389.html
Das Geiche gilt für den Verteidigungshaushalt (keine klare Linie der Union in den Koalitionsverhandlungen und danach realitätsferne Kompromisse). In der Kombination wird das für einige mittelständische Firmen existenzgefährdend.
tt.kreischwurst | 29. März 2019 – 15:29
Da war kein „nice try“ welcher Art auch immer; meine Frage ist aber im Kontext der Gesamtdiskussion sicher berechtigt.
@Memoria
„German Free“ wurde schon vor einem Monat und nur für die C-295 angedroht. Diese basiert auf der spanisch-indonesischen CN-235. Der Deutsche Anteil ist extrem gering, ca 4%.
Reuters vom 28.2 „Rüstungsexport-Streit – Airbus plant Flugzeug ohne deutsche Bauteile“
Bei den anderen Systemen soll Airbus mal erklären wie die das umsetzen wollen. Das sind Drohgebärden. Airbus hat sich beim Export des Eurofighters selbst ins Knie geschossen.
Boeing hat die F-15E immer weiter entwickelt ohne sich dafür auf die US Air Force verlassen zu können, bei Eurofighter blieb die Zeit quasi stehen.
Alleine schon der Mangel an Bewaffnungsoptionen ist eine Farce.
Dazu dann noch die teils miserablen Klarstände diverser Flugsysteme (der Tiger funktioniert nirgendwo richtig), Wartungsstau, Kostenüberschreitungen und mehr.
@SvD:
German free ist seit Jahren ein Thema und setzt sich immer mehr durch. Airbus war da nur ein aktuelles Beispiel.
In anderen Bereichen ist das längst keine Worthülse oder Drohgebärde mehr, sondern tägliche Praxis.
Alle europäischen Systemhäuser versuchen immer mehr deutsche Komponenten zu vermeiden oder zu ersetzen.
Diese langfristigen Konsequenzen scheinen in Berlin jedoch kein Gewicht zu haben.
Gibt es eigentlich irgendeine deutsche Industrie, die derzeit nicht absichtlich oder unabsichtlich von der Regierung an die Wand gefahren wird?
Ist das der verspätete Morgenthau-Plan?
[*hust* Ich sag‘ mal ganz wertfrei: Das ist ziemlich OT. T.W.]
Lässt sich das auch belegen oder ist das Hörensagen?
Auffällig ist zumindest, dass ausländische Hersteller oft auch ihre Nischen haben, in denen sie uns weit voraus sind. Und diese Systeme werden von den jeweiligen Ländern eher gekauft als es in Deutschland der Fall ist. Wenn hier eine Firma ein System vorstellt, wird das meistens ignoriert, weil es nicht im Ministerium erdacht wurde. Das Verteidigungsministerium fährt seine eigene German-Free Agenda, die sich nicht nur auf das Geld zurückführen lässt. COTS und MOTS (fertige Systeme) sind halt billiger, als der Mist den das Ministerium oft verzapft.
Das ist natürlich ein Handicap für die Anbieter von Komponenten. Deren Marktanteil sinkt, die Produktionskosten und die Entwicklungskostenumlage steigen. Der Puma als Schützenpanzer scheint unverkäuflich zu sein, Pech für die Zulieferer.
Daneben ist noch Rheinmetall als Grund zu nennen, da die auf Insourcing setzen. Rheinmetall kauft doch alles was nicht niet- und nagelfest ist. Gerade hat man IBD gekauft. KMW will man ja auch noch schlucken.
Und wenn der deutsche Rüstungsriese eine Niederlassung im Ausland aufmacht, dann wird die auch genutzt. Leerlauf kostet schließlich Geld. Die Käuferländer erwarten Arbeitsanteile und die wandern dann oft in die globale Logistikkette.
Die zuletzt verkauften F-15E haben Flugzellen mit sehr vielen Teilen aus Südkorea. Das selbe gilt für die F-16. Die Flugzellen des Apache Kampfhubschraubers sind komplett aus Südkorea. Wer dann als Zulieferer qualifiziert ist, bekommt öfter mal Aufträge.
@SvD
„Der Puma als Schützenpanzer scheint unverkäuflich zu sein, Pech für die Zuliefer“.
Es gibt lukrative Aussichten:
https://www.defensenews.com/global/europe/2019/03/15/is-germanys-puma-combat-vehicle-still-tickling-the-us-armys-interest/
„U.S. Army surveys candidates for its Next-Generation Combat Vehicle program“
Der PUMA ist dick im Rennen.
„A German Army spokesman confirmed that an event had been scheduled at the Munster tank-training area for Jeffrey White, a deputy to U.S. Army acquisition chief Bruce Jette“.
Die Vorführung an PzTrS wurde über Nacht abgesagt, offiziell aus Termingründen.
Zwischen den Zeilen steht: Trump/unerfüllte 2% Versprechen/schwieriger Handelspartner Deutschland!
Auf den Punkt gebracht – made in Germany vs german free?
Rheinmetall bietet den Puma in den USA gar nicht an… in Australien übrigens auch nicht.
Und nur weil sich den mal jemand angucken will, kann man wohl kaum davon sprechen, dass er dick im Rennen wäre.
„Zwischen den Zeilen steht: Trump/unerfüllte 2% Versprechen/schwieriger Handelspartner Deutschland!“
Die USA würden keine Schützenpanzer aus Deutschland kaufen, sondern eine Lizenz für das Design. Produziert würde dann vor Ort. Mal davon ab, die Modifikationen dürften erheblich sein und deutsche Zulieferer würden dabei weitestgehend rausfliegen.
Interessant wird es bei der Exportlizenz, die USA beliefern ja auch andere Staaten. Der M2 Bradley ging z.B. an Saudi Arabien.
Der Puma, als BER auf Ketten, hat das Potenzial ein großartiger Ladenhüter zu werden, wie viele andere Leuchtturmprojekte zuvor.
Bei den Korvetten für Brasilien sind auch extrem viele Teile von nicht deutschen Zulieferer eingeplant. War bei den Fregatten für Südafrika und Algerien ähnlich.
Geht schon länger so, könnte etwas mit unserer Industrie zu tun haben…
Tritt nicht Rheinmetall mit dem Lynx in den USA an, nicht mit dem Puma? Das Ding ist ein wesentlich sinnvolleres Gefährt….
Rheinmetall geht mit dem Lynx ins Rennen. Die Amerikaner sind andere Kunden als die BW:)! Die wollen damit auch in den Krieg ziehen und darum muss das Gerät funktionieren^^.
Danke, das Thema „was verkaufen wir ganz woanders, wo nicht Saudi-Arabien ist“ haben wir damit erschöpfend abgehandelt.