Werkstatt-Einblick: Dritter Workshop zum Traditionsverständnis der Bundeswehr (Neufassung)
Am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam fand am (heutigen) Donnerstag der dritte und vorletzte Workshop in einer Reihe statt, die sich mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr befasst – und auch der Überarbeitung des Traditionserlasses der Streitkräfte dienen soll, wie ihn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigt hat.
Einen Eintrag zu diesem Workshop schreibe ich auch noch; hier zur Dokumentation die wesentlichen Vorträge als O-Ton zum Nachhören (und einer auch zum Nachlesen*). Jetzt in chronologischer Reihenfolge:
Vortrag von Michael Epkenhans, Leitender Wissenschaftler am ZMSBw (interessant seine Aussagen u.a. zu den Geschwader-Traditionsnamen bei der Luftwaffe). Der Vortrag steht auch unten als Textdatei zum Nachlesen:
Kommentar dazu von Stig Förster, emeritierter Professor für Neueste Allgemeine Geschichte, zuletzt an der Universität Bern:
Der am Vormittag aus meiner Sicht interessanteste Vortrag, der zunächst einzige eines aktiven Soldaten: Das Testimonial von Brigadegeneral Kai Rohrschneider, Stabschef bei der U.S. Army Europe und zuvor schon bei der Bundeswehr in zahlreichen Verwendungen:
Vortrag von Michael Wolffsohn, emeritierter Professor für Neure Geschichte, zuletzt an der Bundeswehr-Universität in München:
Kommentar dazu von Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte:
Das Testimonial von Brigadegeneral Alexander Sollfrank, Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK)
Neben diesen Vorträgen gab es auch zwei Diskussionsrunden, bei denen die Vorgabe aber ausdrücklich war: Zuhören, nicht mitschneiden.
Das Fazit des Tages von Herfried Münkler, Professor für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität Berlin (aus technischen Gründen am Anfang leider nicht vollständig, ich bitte das zu entschuldigen):
*Epkenhans hat mir seinen Vortrag freundlicherweise auch in Textform zur Verfügung gestellt, hier zum Nachlesen: Epkenhans_ZMSBw_12okt2017_textversion
(Foto: Während des Workshops in der ersten Reihe, v.l.: Kapitän z.s. Jörg Hillmann, Kommandeur des ZMSBw; Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Generalinspekteur General Volker Wieker und der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels)
Tradition, die befohlen werden muss hat keinen Wert. Tradition ist etwas, dass wächst. Man kann sicher steuernd eingreifen, aber was jetzt geschieht ist in meinen Augen der Tod der Tradition und schadet der Truppe (Und wird zu einer Schattentradition führen).
[Sie haben sich die Vorträge nicht angehört, oder? Diese sehr allgemeine Aussage hatten wir in der Debatte vor Monaten schon. T.W.]
@Martin Schwabe | 12. Oktober 2017 – 13:17
Tatsache ist doch, dass mit dem „Einfrieren“ der BW-internen und externen Debatte über Tradition auf dem Stand von 1982 sich gerade in den letzten 10 Jahren fast schon als revisionistisch zu bezeichnende Schattentraditionen gebildet haben. So wird ein Schuh draus.
@T.W.
Der Redner nach Epkenhans hat mir gut gefallen – wer war/ist das ? Sein Einwand mit der „strukturellen Tradition“ der Auftragstaktik in Abgrenzung zu dieser mittlerweile nur noch anödenden, sophistischen Namensdiskussion (siehe Brigadegeneral Kai Rohrschneider) ganz besonders. Ich warte jetzt auf jemand, der endlich einmal zu der geschichtlich und auch im „Ländervergleich“ wirklich alleinstellenden Tradition der BUNDESWEHR endlich einmal einen Stein in den Flecktarntraditionsfroschteich wirft: die Tradition der zivilen, demokratisch-parlamentarischen, rechtsstaatlichen Kontrolle über die Streitkräfte in Deutschland und zwar von end-to-end (Planung bis Einsatz).
[Danke für den Hinweis – mein Fehler: In dieser Audiodatei ist außer dem Vortrag von Epkenhans auch der von Prof. Stig Förster von der Universität Bern enthalten. Habe das oben korrigiert. T.W.]
@T.W.
Danke, der Prof. Stig Förster hat für mich zumindest nachvollziehbarer Form diesen Wortbrei anderer Diskutanten aus Werten, Tugenden, Vorbildern, Beispielen im Zusammenhang mit Tradition recht gut sortiert. Natürlich muß man Tradition sowohl top-down (strategisches Führungsmittel) als auch bottom-up (Motivierungsmittel) denken – das muß zu einer Synthese gebracht werden – insofern stimme ich da dem Brigadegeneral Alexander Sollfrank, Kommandeur KSK, durchaus zu insbesondere für die Bodenkampftruppe – warum er dazu aber einen Namen und eine Operation aus WK II benötigt hat er imho nicht wirklich überzeugend darstellen können. Der Wille und die Fähigkeit zum „kämpfen“ muß eben in die „Auftragstaktik“ eingebettet werden und zwar top-down. im Rahmen des jeweiligen Mandates/übergeordneten Auftrages.
Brigadegeneral Rohrschneider bringt es auf den Punkt,es sollte bei der Überarbeitung des Traditionserlasses weniger um weitere Beschneidung, als um Erweiterung des Traditionsverständnisses gehen. Auf die Zeit vor 33 bzw. nach 56.Ausgerechnet Falkenhayn als Beispiel heranzuziehen halte ich für durchaus mutig.Man kann nur hoffen daß solche Stimmen auch wahrgenommen werden.
Interessant, dass die Fachexpertise der HSU HH nicht vertreten ist.
Re: Rohrschneider. Eine amüsante Rede. Ehrt ihn, dass er seine logischen Schlüsse nicht vollendete, weil er die politischen Führungen dann nicht mehr einschloss?
@tw Vielen Dank für die umfassende Dokumentation und die O-Töne.
Eine lebhafte Debatte wird sicherlich und hoffentlich folgen, nicht allein wegen der „Traditionsgeschwader“ der Luftwaffe. Man muss sich dazu durchaus fragen, warum es überall Schilder geben soll, wenn es doch an allen möglichen, vor allem aber diesen Standorten Militärgeschichtliche Sammlungen gibt.
Den Generalen Rohrschneider und Sollfrank (habe über zwei Jahre mit ihm dienen dürfen) ausdrückliche Anerkennung.
„Tausend Jahre sind nicht Tausend Jahre“ im Angesicht der Ministerin sowie Erweiterung des Traditionsverständnisses hat schon was. Wir haben noch Generale!
Um es kurz zu machen: BG Rohrschneider hat es auf den Punkt gebracht – warum hat es so lange gedauert, dass sich ein General so klar zu dieser Thematik äußert? Es ist ein furchtbarer Eiertanz, der vonstatten geht und ich muss leider konstatieren, dass das Primat der Poltik in dieser Frage nicht zur Lösung der Problematik beiträgt, sondern Teil dieser ist.
@all
Jetzt oben mit den restlichen Vorträgen als O-Ton sowie dem Vortrag von Epkenhans in Textform ergänzt. Uff. Und jetzt schreibe ich noch was dazu…
Interessant in diesem Zusammenhang ist, finde ich, jetzt der Vergleich zwischen der Rede von Prof. Epkenhans vom dritten und der Rede von Prof. de Libero vom ersten Traditionsworkshop an der FüAk, Link mit PDF unten auf
http://www.fueakbw.de/index.php/de/aktuelles/245-bundesministerin-eroeffnet-traditionsworkshop
Die Generale schienen mir heute besser vorbereitet als die Profs. Es ging mir aber auch sehr viel durcheinander, Geschichte wurde durchweg mit Tradition gleichzeitig chgesetzt, Historiker wie Neitzel wollen sogar Tradition „stiften“, das machen aber doch die Soldaten. Neitzel hält übrigens das Karfreitagefecht für „Ballerei“ (OT), nicht besonders nah an der Truppe. Und was ist jetzt? Ist die ältere Militärgeschichte jetzt traditionswürdig oder nicht?
Romeo Victor | 12. Oktober 2017 – 15:59
Interessant, dass die Fachexpertise der HSU HH nicht vertreten ist.
Die Fachexpertise, die als einzige von drei Gutachten aufgrund der semantischen Nähe von „Treue um Treue“ zu „Meine Ehre heißt Treue“ ersteren Spruch verbieten lassen hat? Danke, darauf kann verzichtet werden.
@ Romeo Viktor:
Die eigene inhouse Expertise wird doch seit jeher in vielen Feldern nicht genutzt.
General Rohrschneider hat seinem Auftrag entsprochen, er hat Thesen formuliert. Und eben nicht mehr.
Er hat sehr gut erkannt, dass der Konflikt Truppenpersketive sowie Geschichts/Politikperspektive elementar unterscheidet, weil es völlig unterschiedliche Herangehensweisen sind. Und ich wage mal die kühne Behauptung, Den meisten Stabsgefreiten und auch Feldwebeln ist der Namensgeber emotional eher nicht so wichtig… schon garnicht wird er hier „studiert“.
Last but noch least, bei Gesprächen mit Offizieren andere Armeen wurde ich gelegentlich auch auf militärische Entscheidungen / Lehrsituationen angesprochen, die im II. WK stattgefunden haben. Und es sorgt grundsätzlich für Kopfschütteln, wenn man dann erklären muss, dass in der deutschen Offizierausbildung außer im Fach Geschichte weder in Taktik noch in anderen Fächern Situationen aus den Weltkriegen studiert und betrachtet werden.
@FNU SNU
„Und es sorgt grundsätzlich für Kopfschütteln, wenn man dann erklären muss, dass in der deutschen Offizierausbildung außer im Fach Geschichte weder in Taktik noch in anderen Fächern Situationen aus den Weltkriegen studiert und betrachtet werden“
Wo in Deutschland wir in der Offizierausbildung studiert?
Studiert im deutschen Sinn wird an Hochschulen, an Offizierschulen wird unterrichtet und deshalb ist das Lernziel ein anderes als auf einer Hochschule.
Es ist auch nicht die Aufgabe der Offizierschulen Situationen aus den Weltkriegen zu studieren.
Wer sich in Militärgeschichte historisch bilden will, hat andere Möglichkeiten, zB ein Studium bei Neitzel ;-)
@ Elahan
Sie betreiben hier Wortklauberei und zwar am Thema vorbei. Für mich ist verständlich was gemeint ist und nur so neben bei, auch ein Kleinkind kann einen Frosch studieren (im deutschen Sinne übrigens).
Genug OT, ich finde den angesprochenen Punkt durchaus wichtig. Gerade wenn man sich die Führungsgrundsätze fürs Gefecht der Bundeswehr anschaut ist für viele auch klar wo diese Lektionen gelernt wurden.
Was ich problematisch finde ist, dass hier ein Wehrmachtsoffizier einen neuen Standard gesetzt hat und es trotzdem kaum einer wagt an zu sprechen.
Die Vermischung von „mil. Leistung“ und „Ethik“ ist in diesem Zusammenhang ein Problem und wenn man sich damit nicht auseinander setzt, bekommt man das auch nicht gelöst.
Und die Abgrenzung zu ehemaligen Wehrmachtsoffizieren die dann aber in der Bundeswehr dienen erschließt sich mir persönlich nicht, das aber nur am Rande.
Und um speziell die jungen Offiziere mal besser unter die Lupe zu nehmen, lohnt es sich sicher als Hörsaalleiter mal über die Wehrmacht zu reden und dann zu schauen wer in der Gruppe sich doch zu sehr für die Nazigrößen interessiert.
Ich frage mich, warum die Work Shops zur Überarbeitung des Traditionserlasses nur auf allerhöchster Ebene stattfinden (BMVg, Zentrum Innere Führung, Führungsakademie, ZMSBw) und die Partizipation der Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgrade offenbar nicht gewollt ist. Ist die Definition der Tradition eine Sache der Intellektuellen oder geht man davon aus, dass es in der Truppe ehe keinen interessiert?
Die Diskussion ist ja wohl ein Witz, tolle Rhetoritik allerseitens, hervorragendes Deutsch sowie Geschichtskenntnis ohne Ende. Die Truppe jedoch ist äusserst feinfühlig betrefffs Ihrer Vorbilder und kann sehr wohl zwischen Gut und Böse unterscheiden. Ob Bundeswehr, Wehrmacht oder Kaiser. Relastisch bestehen im Moment ganz andere Probleme- die sollten erstmal gelöst werden.
Anschliessend kann man ja hier Work Shops betreiben.
Hauptbootsmann und Gewinner des Kalten Krieges
Es fehlt mir in der ganzen Aufzählung der Historie die Diskussion um die Anfänge der Bundeswehr.
Wer hat diese unsere Streitkräfte aufgebaut? Wer hat auf ALLEN Ebenen geholfen, die Grundsteine für die heutigen deutschen Streitkräfte zu legen? Dies waren überwiegend Männer, die in der Wehrmacht gedient und sich auf Erfahrungen gestützt haben, die sie im Krieg gemacht haben. Wenn man diese Männer zur Tradition der Bundeswehr zählt (und ich gehe davon aus, dass diese Gründerväter zur Tradition zählen [werden]!), dann darf man die Erfahrungen dieses Personenkreises nicht vergessen. Das bedeutet nicht, dass die Wehrmacht Bestandteil dieser Tradition sein soll, aber die Geschichte deutscher Streitkräfte und die Erfahrungen und Konsequenzen, die die Gründerväter in sich getragen haben, gehörte und gehört nach wie vor eben auch zur Bundeswehr.
Über 13.400 in der Wehrmacht gediente Offiziere und über 40 Generale und Admirale wurden 1955 in die Bundeswehr übernommen, nachdem sie alle ein Verfahren eines Personalgutachterausschusses durchlaufen hatten. Aber dennoch wurde die Bundeswehr beileibe nicht zu einer neuen Wehrmacht, denn moderne Menschenführung und die Konzepte der Inneren Führung in einem demokratischen Staat haben gegriffen und den Soldaten zu einem Staatsbürger in Uniform gemacht.
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Tradition bedeutet, etwas von Generation zu Generation überliefern, das Weitergeben von Verhaltensweisen und Kulturen. Was im Einzelnen das sein soll, muss die Bundeswehr für sich definieren. Aber „treues Dienen“ und „tapferes Verteidigen“ gibt’s schon lange…