Ukraine-Sammler: Die Gewalt flammt wieder auf
Es scheint leider wieder dringend nötig, den Osten der Ukraine im Auge zu behalten: In den vergangenen Tagen ist die Waffenruhe dort noch brüchiger als ohnehin schon – besser gesagt: Es wird wieder gekämpft. Schwerpunkt der Auseinandersetzungen ist die Stadt Awdijiwka (englische Transkription Avdiivka; oben in der Karte markiert) im Bezirk Donezk.
Aus dem aktuellen Bericht der Special Monitoring Mission (SMM) der OSZE vom (heutigen) Mittwoch:
The SMM noted a significant increase in ceasefire violations recorded in both Donetsk and Luhansk regions and recorded the widespread use of multiple-launch-rocket systems in Avdiivka, Yasynuvata and Horlivka. The number of explosions in Donetsk region was the highest yet recorded by the SMM. While the majority of violations were in the wider area of Avdiivka-Yasynuvata, the SMM recorded hundreds of explosions in different areas of the contact line. The Mission observed weapons in violation of withdrawal lines and on the move on both sides of the contact line.
The Mission monitored the humanitarian situation in Avdiivka, and followed up on reports of civilian casualties and saw damage caused by shelling in Troitske and Novooleksandrivka. The SMM continued monitoring the three disengagement areas in Stanytsia Luhanska, Zolote and Petrivske but its access remained restricted.* The SMM was denied access to Yasynuvata. The SMM visited border areas currently not under control of the Government. In Kyiv the SMM monitored a protest against the reported arrest in Crimea of a Crimean Tatar lawyer.
Aus dem Bericht der Washington Post dazu:
AVDIIVKA, Ukraine — Russian-backed separatists kept up a rocket and artillery attack on this frigid city Wednesday, in an upsurge in violence that could pose an early and difficult foreign policy challenge to the new Trump administration.
A planned evacuation of Adviivka, organized by the Ukrainian government, found few takers Wednesday. Only 145 residents chose to board buses that would take them away from the fighting; 88 were children.Sporadic shelling of Avdiivka, on the front line between separatists and regular Ukrainian forces, had intensified early this week, shortly after President Trump and Russian President Vladimir Putin had their first phone conversation.
Und besorgte Blicke von der NATO, gemeldet von AFP:
The head of NATO warned on Wednesday that Ukraine faced its worst violence „in a long time“ as global alarm rang out over a spike in bloodshed that has killed 19 people in the European Union’s backyard.
Government forces and Russian-backed separatists exchanged mortar and rocket fire for a fourth day around the flashpoint eastern town of Avdiivka that sits just north of the rebels‘ de facto capital Donetsk.
Von Radio Free Europe:
War returned with a fury four days ago to the eastern Ukrainian city of Avdiyivka. On February 1, around 7:30 a.m., a salvo of rockets rained down on the city of 22,000, residents say. Katya Volkova, mother and grandmother, was one of them, killed on the road from her house as she walked to the market.
Nearly three years since first erupting, the war here in eastern Ukraine has exploded anew, with deadly fighting between government forces and Russia-backed separatists reported up and down the 450-kilometer front line.
Avdiyivka has been hit the hardest. Roughly since January 28, day and night, outgoing and incoming artillery salvos have been almost ceaseless.
Weiter nach Entwicklung, gerne in den Kommentaren – das ist dann wohl wieder die Zeit für Ukraine-Sammler.
(Karte: OpenStreetMap)
Wird Poroschenko rasch realisieren, dass überhaupt niemand in den hohen Ämtern lust auf das Spielchen mit den Zündhölzern hat, und seine Hunde zurückpfeifen? Hoffen wir’s.
Alle diese Ortsnamen … ich komme mir vor als läse ich den Wehrmachtsbericht. Grauenhaft.
Radio Liberty/Radio Free Europe meldet dazu, daß das Aufflammen der Kämpfe von ukrainischer Seite verursacht wird:
[blockquote]Frustrated by the stalemate in this 33-month war of attrition, concerned that Western support is waning, and sensing that U.S. President Donald Trump could cut Kyiv out of any peace negotiations as he tries to improve fraught relations with Moscow, Ukrainian forces anxious to show their newfound strength have gone on what many here are calling a „creeping offensive.“[/bockquote]
http://www.rferl.org/a/ukraine-russia-creeping-offensive-escalation-fighting/28268104.html
Seit Mitte Dezember sickern ukrainische Kräfte in das Niemandsland ein, nehmen es unter ihre Kontrolle und verschieben die Frontlinien, was zu erhöhten Spannungen und Gegenreaktionen von Rebellenseite führt. Hintergrund sind der Regierungswechsel in den USA, das nachlassende westliche Interesse an dem Konflikt und die Befürchtung der ukrainischen Führung, daß die für sie essentielle westliche Unterstützung nachlassen oder ganz ausbleiben könnte.
Wer ukrainischen Medien oder der SMM folgt, kennt den Namen Avdijivka (russisch: Avdejewka) leider zur Genüge. Seit langer Zeit ein Hotspot. Der Ort liegt unweit des Anfang 2015 völlig zerstörten Donezker Flughafen, am Nordrand von Donezk.
Die Kämpfe sind zwar heftig, Grady hat man schon länger nicht gesehen, aber bisher örtlich sehr begrenzt. Scheint mir so, als wollte man da etwas Aufmerksamkeit schüren und hätte daher einen der üblichen Vorstöße ins Niemandsland bewusst eskalieren lassen.
Kommt übrigens beiden Seiten zu Gute. In Kiew will bis heute niemand wirklich Minsk-2 umsetzen, gleichzeitig hat man Angst vor einer Änderung der US-Politik. Bisher sah man sich schlichtweg als Vertreter des Westens in einem Stellvertreterkrieg und war immer etwas verwirrt über die schwache Unterstützung gerade aus Europa.
Und auch auf separatistischer wären so einige Schlüsselfiguren auf der Verliererseite, sollten ihre Moskauer Unterstützer einen „Deal“ schließen. Da bietet sich „spoilern“, wie der Konfliktforscher sagt, geradezu an.
Aber eine wirkliche Verschiebung der Front scheint man nicht zu beabsichtigen, dazu fehlen den Separatisten ohne die reguläre russische Armee die Kräfte, während man sich in Kiew nur zu gut an Ilovaisk erinnert.
Wer ukrainischen Medien oder der SMM folgt, kennt den Namen Awdijivka (deutsche Transkription, englische: Avdiyivka, auf russisch (dt. Tr) : Avdejewka, engl. Tr: Avdeyevka) leider zur Genüge. Seit langer Zeit ein Hotspot. Der Ort liegt unweit des Anfang 2015 völlig zerstörten Donezker Flughafen, am Nordrand von Donezk.j
Die Kämpfe sind zwar heftig, Grady hat man schon länger nicht gesehen, aber bisher örtlich sehr begrenzt. Scheint mir so, als wollte man da etwas Aufmerksamkeit schüren und hätte daher einen der üblichen Vorstöße ins Niemandsland bewusst eskalieren lassen.
Kommt übrigens beiden Seiten zu Gute. In Kiew will bis heute niemand wirklich Minsk-2 umsetzen, gleichzeitig hat man Angst vor einer Änderung der US-Politik. Bisher sah man sich schlichtweg als Vertreter des Westens in einem Stellvertreterkrieg und war immer etwas verwirrt über die schwache Unterstützung gerade aus Europa.
Und auch auf separatistischer wären so einige Schlüsselfiguren auf der Verliererseite, sollten ihre Moskauer Unterstützer einen „Deal“ schließen. Da bietet sich „spoilern“, wie der Konfliktforscher sagt, geradezu an.
Aber eine wirkliche Verschiebung der Front scheint man nicht zu beabsichtigen, dazu fehlen den Separatisten ohne die reguläre russische Armee die Kräfte, während man sich in Kiew nur zu gut an Ilovaisk erinnert.
Bemerkenswert ist der gestrige – zweifelsohne von der Bundesregierung gebilligte – Leak zur Süddeutschen Zeitung „Kiews Kalkül“ http://www.sueddeutsche.d…, mit den zentralen Aussagen:
„Nach Berliner Informationen, die sich unter anderem auf Berichte der OSZE-Mission in der Ostukraine stützen, versuchen derzeit vor allem ukrainische Militärs, den Frontverlauf zu ihren Gunsten zu verschieben.
Offenbar nehmen sie dabei auch in Kauf, dass sich die Spannungen erhöhen, heißt es in Berliner Regierungskreisen. Dahinter, so vermutet es mancher in der deutschen Administration, könnte auch das Kalkül stecken, die Lage so zu verschärfen, dass Pläne von US-Präsident Donald Trump zur Lockerung der Sanktionen noch gestoppt werden könnten. Nach Berliner Lesart will Poroschenko so ziemlich alles versuchen, um ein Ende der Sanktionen gegen Russland zu verhindern.
Ob es gelingt, Kiew angesichts dessen von seinen eigenen Provokationen abzubringen, traut sich in Berlin keiner vorherzusagen“
@Mitleser
Dazu paßt auch:
http://defense-watch.com/2017/02/01/photos-ukrainian-an-26-transport-plane-takes-russian-anti-aircraft-fire-on-the-black-sea/
Allerdings kann dieser Versuch, nicht vergessen zu werden, auch kräftig nach hinten los gehen.
Interresant werden auch die Reaktionen der Trump-Regierung.Einerseits ein Außenminister Tillerson, andererseits James Mattis.Zitat J.M. vom 13.1.17:
„The world order is under biggest attacks since WWII, from Russia,terrorist groups,and China´s actions in the South China Sea.“
Der Führer der „Volksrepublik Donezk“, Sachartschenko, ruft immer wieder zur Eroberung der restlichen Ukraine auf. Seine großrussischen Träume gehen aber sogar über Kiew hinaus.
Im Dezember rief er im Interview dazu auf „das gesamte Territorium, welches das russische Reich verloren hat, unter Kontrolle zu bringen“.
Sachartschenko agiert nicht ohne das Einverständis des Kreml. Frieden wird es somit wohl kaum geben.
(FAZ online 7.12.16, „Wahn und Wirklichkeit in Donezk“ )
das paßt einfach zu gut in die politische Situation: Trump möchte die Ukraine und Syrien „beenden“. Soll Putin das Zeug doch haben (und zahlen).
Das stellt zwar wichtige Rechtsfragen (staatliche Souveränitäten) in den Raum, aber die sind Trump wahrscheinlich wurscht – unserer Kanzlerin vermutlich auch, wenn die Wirtschaftssanktionen verschwinden. Die Polen und Balten werden mit verstärkter US Militärpräsenz beruhigt, anders als Ukraine und Georgien gehören sie zur Nato: das ist nun vermutlich die politische Trennungslinie, alles jenseits „gehört“ ab jetzt Putin.
Was wäre es doch für eine schöne Welt, wenn sich die Besatzungsmacht Rußland aus dem Osten der Ukraine zurückzöge, ihre – Minsk II entgegenstehenden – schweren Waffensysteme mitnähme und die Unterstützung der korrupten „Separatisten“ beendete. Einfach nur das Völkerrecht beachten. Und dann kommen bei uns zuhause einige Schlaue auf die Idee, den Ukrainern ihre berechtigte Angst gegenüber einem Ende der ohnhehin dünnen Unterstützung des Westens vorzuwerfen. Ein evangelischer Pastor aus dem Ruhrgebiet hat jetzt Frau Käßmann zu einem seiner regelmäßigen Besuche in der Ost-Ukraine eingeladen. Es sind noch Plätze frei für ein paar Nächte in feuchten Kellern und mit schwerstverwundeten ukrainischen Soldaten.
@ Hohenstaufen
… ja, und im gleichem Atemzug wollte Sachartschenko auch noch England erobern, wie die FAZ schreibt. Wilhelm der Eroberer lässt grüßen ;-)
Im Ernst:
Bei der Bewertung derartiger Thesen ist es ratsam, die Regeln der Interpretation von Aussagen im interkulturellen Kontext zu beachten:
a) Identifikation der Zielgruppe der Aussage,
b) Beachtung der im jeweiligen kulturellen Kontext gültigen Konventionen, insbesondere darüber, was als Metapher zu interpretieren ist, und was nicht, was angemessen ist, und was nicht.
c)Ebenentrennung: was sollte hier auf der Sachebene, was auf der emotionalen Ebene transportiert werden.
Auch ohne detaillierte Analyse wird sicherlich deutlich, dass Sachartschenko diese Aussage eher als martialische Metapher für furchtloses Handeln und nicht als konkrete Handlungsabsicht gemeint hat, und seine Zuhörer im Donbass es auch so verstanden haben. Und dass der Kreml hinter dieser Aussage steht ist doch sehr unwahrscheinlich.
Als Steinbrück mal zu gegebenem Anlass die Kavallerie ins Spiel brachte, dachten unsere schweizerischen Nachbarn ja auch nicht an echte Angriffe. – Auch wenn die Frage berechtigt ist, ob er mit dieser Metapher die in unserem Kulturkreis üblichen Konventionen verletzt hat ;-)
@ Walter Eucken:
Ihr Verharmlosungsversuch der aggressiven Absichten und Taten des Separatistenführes Sachartschenkos und der Vergleich mit Steinbrücks Rhetorik ist zu sehr bemüht.
Der Krieg Russlands und seiner Helfer mit 10.000 Toten in der Ukraine ist keine Metapher sondern traurige Realität.
Im Januar 2015 kündigte Sachartschenko auch eine Offensive an, die ja dann auch stattfand. Im Februar 2015 wurden mit russischer Hilfe Debalzewe erobert und Mariupol beschossen.
Poroshenko will Nato-Referendum:
http://defense-watch.com/2017/02/02/ukraine-hold-referendum-nato-membership-poroshenko/
Ich wollte nichts aus der Vergangenheit relativieren. Es ging ja ursprünglich um die Frage, ob die Separatisten und der Kreml einem Friedensarrangement, wie Minsk, zustimmen können.
Zur Rolle Russlands und Einstellungen der Separatisten: Ja, da haben Sie recht.
Russland unterstützt die Separatisten mit Waffen, Gerät, Fahrzeugen, Munition, Militärberatern etc. Reguläre russische Verbände waren offenbar zumindest im August 2014 und Februar 2015 im Donbass im Einsatz. Ohne sie wären die Erfolge der Separatisten höchstwahrscheinlich nicht möglich gewesen. Die Separatisten würden ohne Zögern zumindest das Gebiet östlich des Dnjepr besetzen, wenn man sie ließe.
Das ist aber eben nur ein Teil der Wahrheit. Hinzu kommt:
Ende August 2014 ist die ukrainische Front südlich von Donezk in mehreren Kesseln zusammengebrochen (Ilowaisk der bekannteste). Maßgeblich dafür waren reguläre russische Verbände. Der Weg nach Mariupol und weiter die Landbrücke zur Krim war komplett frei. Doch statt diese Option zu nutzen zogen sich die Russen wieder hinter die Grenze zurück. Das Minsker Abkommen wurde vereinbart.
Im Februar 2015: das gleiche Bild. Nachdem der Brückenkopf von Debaltsewe beseitigt war, der Donezk bedrohte, stoppte die Offensive, es kam zu Minsk II.
Schlussfolgerungen:
a) In beiden Fällen hat Putin lokale militärische Erfolge nicht mit militärischen, sondern mit politischen Mitteln weiterverfolgt.
b) Dass er jetzt nach Kiew, oder gar nach London marschieren möchte, ist daher nicht plausibel.
c) Zu den politischen Konditionen von Minsk ist ein Frieden für Putin akzeptabel. Doch wohl nicht für Kiew. Und da muss die Bundesregierung ran, um in Kiew Minsk durchzusetzen, s. mein Post weiter oben.
d) Der Schlüssel für die Lösung des Konflikts liegt daher in Berlin und Kiew, und nicht in Moskau und Donezk.
Minsk ist Auslegungssache und Debaltsewe liegt auf der Ukrainischen Seite der Demarkationslinie nach Minsk II.
Jeder der die politische Situation in der Ukraine verfolgt, kann sehen, dass eine politische Lösung nach russischen Vorstellungen niemals durch geführt werden wird.
Es gibt dort nur zwei Optionen: Eine Quasi-Abtrennung oder eine Reintegration in den ukrainischen Staat.
Reintegration heißt volle Kontrolle durch ukrainische Sicherheitskräfte; was dann mit den aktuellen Akteuren im Donbas passiert, liegt auf der Hand.
Jede ukrainische Regierung, die die russische Interpretation von Minsk akzeptiert, würde weggefegt werden.
Da der Westen niemals entscheidende Unterstützung für die Ukraine lieferte, ist sein Einfluss dementsprechend begrenzt.
Selbst zwischen den zwei „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk schwelen massive Konflikte. Wieder fiel ein dortiger Militärführer einem Attentat zum Opfer. Oleg Anashchenko und sein Fahrer wurden heute mitten in Luhansk in ihrem Toyota-Geländewagen in die Luft gesprengt.
https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/luhansk-separatist-commander-killed-car-blast-video.html
Die zwei Führer der „Volksrepubliken“ ,Alexander Sachartschenko, Chef der Volksrepublik Donezk, und Igor Plotnizkij, Chef der Volksrepublik Luhansk streiten ständig miteinander. Alexander Chodakowskij, früherer Chef des Sicherheitsdienstes der Volksrepublik Donezk wird vom MDR so zitiert:
„Diese Konfrontation zwischen den beiden blockiert jegliche Zusammenarbeit. Es ist mittlerweile leichter, die Grenze zu Russland zu überqueren, als die zwischen den Volksrepubliken.“
(MDR Ostblogger, 3.2.17, „Konflikte zwischen Donezk und Luhansk“)
@ Ukrop
„Jede ukrainische Regierung, die die russische Interpretation von Minsk akzeptiert, würde weggefegt werden.“
Ja, das ist jetzt wohl so. Aber es ist nur ideologische Zwänge, keine Sachzwänge, die dafür verantwortlich sind.
I.
Es gibt gute Sachargumente für eine weitgehende Autonomie des Donbass im Staat Ukraine („russische Interpretation“):
a) Politische Ebene: Es wäre ein Fehler zu denken, die Bewohner der Separatistengebiete würden mit Sehnsucht die Befreiung durch die Ukrainer erwarten . Das Gegenteil ist der Fall. Mit wirklich unklugen Taten und Worten hat die Führung in Kiew in der vergangenen drei Jahren versäumt, den Bürgern dort eine positive Perspektive der Rückkehr zu skizzieren. Nach einer Reintegration hätte Kiew kaum regierbare Gebiete mit weitgehend feindlich gesinnter Bevölkerung an Hals.
Da hätten wir die gleichen Probleme wie jetzt im serbisch bewohnten Nordkosovo – also einen permanenten Spannungsherd für Jahrzehnte, nur im Unterschied zum Nordkosovo hundertfach größer – statt einiger zehntausend Einwohner im Nordkosovo haben wir im Donbass einige Millionen.
b) Wirtschaftliche Ebene: Die Kontrolle über das „ukrainische Nordkosovo“ würde enorme wirtschaftliche Ressourcen binden. Rentenzahlungen und die Gehälter im öffentlichen Dienst müssten wieder von Kiew übernommen werden. Demgegenüber stehen keine entscheidenden wirtschaftlichen Vorteile, denn der Handel, insbesondere auch mit Rohstoffen wie Kohle, würde auch ohne politische Kontrolle bestens florieren – er findet ja gegenwärtig auch statt.
Daher die ernstgemeinte Frage: Welche Sachargumente gibt es für eine Reintegration?
II.
Und auch ideologisch ist eine Autonomie des Donbass nicht völlig undenkbar.
Von Zeit zu Zeit ertönen Stimmen aus dem westukrainisch-nationalen Lager: „Wir wollen nach Europa. Die Ostgebiete sind auf diesem Weg nur Ballast. Werfen wir den Ballast ab!“ Wäre die Kern-Ukraine (Westteil plus Kiew) 1991 ein eigenständiger Staat geworden, wäre sie schon längst in der EU und der NATO, wie ihre Nachbarn Slowakei, Ungarn und Polen.
Nun ja, zur Abspaltung soll es ja nach Minsk auch nicht gehen, nur zur Autonomie. Allein die Politiker in Kiew sind noch in dem alten sowjetischen imperialen Paradigma gefangen: „alles zentralisiert kontrollieren!“.
Hier könnte der Westen, insb. D, zu einem Bewusstseinswandel beitragen, dass eine föderale Struktur keine nationale Tragödie ist, sondern ein unter Divercity-Bedingungen sinnvolles Governance-Arrangement wie in den meisten anderen europäischen Ländern (sorry für Buzzwords, aber so heißt es nun mal).
Denn eins ist klar: Wenn Minsk endgültig scheitert, kommt Dayton (Modell Bosnien-Herzegowina: faktisch zwei Staaten unter dem Feigenblättchen einer Konföderation).
Ohne einen großen Krieg wird es zu einer transnistrischen/abchaischen/südossetischen „Lösung“ kommen.
Jede Art von „Autonomie“ wird nicht funktionieren, da die politischen Systeme nicht kompatibel sind.
Noch ein bis zwei Dutzend Jahre und selbst die Menschen im Donbas werden keinen gemeinsamen Nenner mehr finden.
Der eine Teil wird vollkommen russifiziert sein, während sich der andere Teil den südukrainischen Realitäten anpassen wird (mehr oder weniger starke Stellung der russischen Sprache, aber dennoch solide, wachsende Kenntnisse der ukrainischen Sprache und Selbstidentifikation als Ukrainer).
Na ja, die Washingtoner Chessboarder und Regimechanger müssen wohl damit leben, dass Trump den gewünschten Kalten Krieg mit Rußland wohl abgesagt hat. Zum einen weil er dem Chessbord-Establishment in die Suppe spucken will und zum anderen weil auf seiner Kalter-Kriegsliste der Iran und China ganz oben stehen, aber nicht Rußland….und natürlich der heiße Krieg gegen den idjihadistischen Terror……für den er sowohl Rußland und die EU, bzw. die europäische NATO brauchtt. Der deal bestehht imho darin, dass der Ukraine-Konflikt geopolitisch eingefroren wird, politisch überläßt man die „Lösung“ den Europäern und die NATO wird nicht weiter Richtung Rußland „expandieren“.
Die „Zündler“ auf beiden Seiten haben nunmehr das Problem, dass sie keinen Hebel mehr haben um USA oder Rußland zum offenen militärischen Eingreifen bringen zu können.
Außerdem kann man davon ausgehn, dass der Rasputin von Trump mehr Sympatien hegt für die „Kumpels“ im Donbass als für das Kiever Oligarchen-Establishment, zu dem bestimmt nicht Achmetov zählt.
@Ukrop
Ja, das ist wohl das wahscheinlichste Szenario. Und, wie gesadt, ich halte das für beide Seiten für keine schlechte Option, wenn man die ideologischen Scheuklappen mal weglässt.
Man muss auch bedenken, dass im Falle einer Reintegration des Donbass einige Millionen stramm pro-russisch eingestellte Wähler auf gesamtukrainischer Ebene hinzukommen. Das würde den Eunfluss pro-russischer Kräfte in Kiev, wie dem Oppositions-Block, weiter stärken.
Da sich gleichzeitig eine gewisse Enttäuschung mit den wirtschaftlichen Folgen der Westintegration breit macht würden pro-westliche politische Mehrheiten in Kiew in der Zukunft nicht mehr so selbstverständlich wie heute.
Und wir sehen es ja heute zumindest in Transnistrien, dass nach einem Vierteljahrhundert Trennung eine durchaus normales Nachbarschaft, ja sogar Annäherung möglich ist.