Taliban greifen erstmals gezielt nicht-militärische deutsche Institution an

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Im Norden Afghanistans haben die Taliban erstmals gezielt eine nicht-militärische deutsche Regierungseinrichtung angegriffen. Mit einem kombinierten Angriff aus  einer Autobombe und mehreren bewaffneten Angreifern wurde am späten Donnerstagabend das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif das Ziel der Aufständischen. Mehrere afghanische Zivilisten wurden durch die Explosion getötet, mehr als hundert verletzt. Die 20 Mitarbeiter des Konsulats wurden unversehrt in das nahegelegene Feldlager Camp Marmal der NATO-Mission Resolute Support in Sicherheit gebracht. Am frühen Freitagmorgen schossen deutsche Soldaten, die zur Sicherung nach dem Angriff eingesetzt waren, auf drei afghanische Motorradfahrer und verwundeten zwei von ihnen tödlich.

Die Taliban bekannten sich sehr schnell zu dem Angriff (siehe Screenshot oben) und bezeichneten ihn als Vergeltung für einen Luftangriff der USA am 3. November in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kundus, bei dem mehr als 30 Zivilisten ums Leben kamen: It is worth mentioning that the Germans were part of the perpetrators plotting recent Kunduz bombings that inflicted casualties over 50 innocent and defenseless civilians.

Zahlreiche Details des Angriffs, der am Donnerstagabend um 23.05 Ortszeit (19.35 MEZ) begann, sind noch unklar. Aus der Übersicht der Bundeswehr vom Freitagmittag:

Am Donnerstag, den 10. November gegen 19.35 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ) gab es in unmittelbarer Nähe zum deutschen Generalkonsulat in Masar-i Scharif eine schwere Explosion.
Anschließend kam es im Bereich des Generalkonsulats zu einem anhaltenden Schusswechsel mit einer unbekannten Anzahl Angreifer.
Deutsche Soldaten der Force Protection (Schutzkräfte) und internationale Soldaten der Quick Reaction Force (schnelle Reaktionskräfte) des Hauptquartiers Resolute Support TAAC-North wurden alarmiert und zum Anschlagsort entsandt. Gegen 21.05 Uhr mitteleuropäischer Zeit trafen diese dort ein. Zusammen mit der afghanischen Polizei sicherten und überprüften sie das deutsche Generalkonsulat und den umliegenden Bereich.
Dabei wurde festgestellt, dass das Gebäude teilweise massiv zerstört wurde. Die deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Generalkonsulates waren jedoch unversehrt.
Gegen 23.20 Uhr waren alle 20 Angehörige des Generalkonsulats aus dem Bereich evakuiert und trafen um 1.55 Uhr im Camp Marmal ein.
Das Gelände des Generalkonsulats wird weiterhin durch die Quick Reaction Force sowie weitere Schutzkräften des TAAC-North gesichert.
Im Rahmen dieser Operation wurden deutsche Soldaten der Force Protection zur Sicherung und Absperrung des Anschlagsortes um das Generalkonsulat eingesetzt.
Ersten Berichten zur Folge näherten sich drei Motorradfahrer dem Anschlagsort gegen 02.40 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ). Diese reagierten nicht auf Warnschüsse, die unter anderem mit Signalpistole abgegeben wurden. Daraufhin eröffneten die Soldaten das gezielte Feuer. Dabei wurden zwei Motorradfahrer tödlich verwundet. Der dritte wurde durch den vor Ort befindlichen beweglichen Arzttrupp (BAT) erstversorgt. Zivile afghanische Rettungskräfte wurden alarmiert und brachten ihn in ein Krankenhaus. Die genauen Umstände werden weiter untersucht.

(Die von der Bundeswehr verwendete Formulierung Dabei wurden zwei Motorradfahrer tödlich verwundet verdeutlicht, dass die Soldaten die Männer als Angreifer wahrgenommen und deshalb geschossen haben – sonst wäre die Formulierung wurden verletzt gewählt worden.)

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dankte den Bundespolizisten, die als Sicherungskräfte das Generalkonsulat bewachten, und den Soldaten der Quick Reaction Force aus dem Camp Marmal:

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Das Statement von Außenminister Frank-Walter Steinmeier:

Gestern Nacht ist das deutsche Generalkonsulat in Masar-e-Sharif im Norden Afghanistans Nacht von schwer bewaffneten Terroristen angegriffen worden.
Es ist erst nach Kampfhandlungen, die auch auf dem Gelän­de und im Gebäude des Generalkonsulats stattgefunden haben, gelungen, die Angreifer abzuwehren und zurückzuschlagen. Daran waren das Sicherheitspersonal des Generalkonsulats, afgha­nische Sicherheitskräfte und deutsche, georgische, belgische und lettische Sondereinsatzkräfte der ‚Resolute Support- Mission‘ beteiligt.
Ich habe eben noch mit dem amtierenden Generalkonsul telefonieren können und habe ihm und seinem ganzen Team meinen Dank für die gute und engagierte Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Afghanistan ausgesprochen.
Ich habe es ihm gesagt, und sage das jetzt auch hier:
Ich bin erleichtert, dass alle Angehörigen des Generalkonsulats, Deutsche und Afghanen, in Sicherheit und unverletzt geblieben sind. Aber wer die Bilder von den Zerstörungen gesehen hat, die der Sprengstoffanschlag ausgelöst hat, den kann die traurige Nachricht kaum überraschen, dass bei dem Angriff auch Menschen ums Leben gekommen sind und auch sehr viele verletzt wurden.
Mein tief empfundenes Mitgefühl ist bei den Angehörigen der Opfer – sechs sind bisher bestätigt. Unsere Gedanken gelten den vielen Toten und Verletzten. Den Verletzten wünsche ich baldige Genesung.
Danken möchte ich ganz besonders den afghanischen Sicherheitskräften und den Einsatzkräften von ‚Resolute Support‘, die schnell zu Hilfe geeilt sind und den Angriff mit großem Mut ,hoher Professionalität und dem Einsatz des eigenen Lebens erfolgreich zurückgeschlagen haben.
Mein ausdrücklicher Dank gilt auch den Einsatzkräften der Bundeswehr und der Bundespolizei, die gestern eine ganz entscheidende Rolle dafür gespielt haben, dass kein einziger Angehöriger des Generalkonsulats zu Schaden gekommen ist.

Der stellvertretende Kommandeur der Resolute Support Mission, der britische Generalleutnant Sandy Storrie (sein Chef John Nicholson ist derzeit in Europa unterwegs) hob vor allem die Rolle der afghanischen Sicherheitskräfte bei dem Zwischenfall hervor:

I want to personally thank the Afghan National Police and other first responders who, under very difficult circumstances worked to get wounded to hospitals, evacuated staff to safety and provided security at the site of the attack. They did great work and we owe them our gratitude.

In Deutschland gibt es derweil die Debatte (auch schon hier im Blog), ob das Eintreffen der Quick Reaction Force (QRF) aus dem Camp Marmal, 15 Kilometer entfernt, 90 Minuten nach der ersten Explosion zu spät war. Im Verteidigungsministerium wird dazu darauf verwiesen, dass die QRF zwar innerhalb kurzer Zeit nach Alarmierung bereitstehe, aufgrund der unklaren Lage aber zunächst Regelungen für die Fahrt zum Generalkonsulat getroffen werden mussten. Insbesondere war für die Soldaten nicht klar, ob sie auf der Fahrtstrecke mit weiteren Angriffen rechnen mussten.

Die interessante Frage wird nun natürlich, welche Auswirkungen dieser Anschlag auf die deutsche Afghanistan-Politik hat – zum Beispiel auf die Pläne, nach Deutschland geflüchtete Afghanen in ihr Herkunftsland abzuschieben, das aus Regierungssicht zumindest teilweise als sicher gilt. Allerdings gehörte gerade die Region um Masar-i-Scharif zu denen, die als sicher betrachtet wurden.

Nachtrag: Dazu die Aussagen in der Bundespressekonferenz: Oberstleutnant Markus Klebb für das Verteidigungsministerium und Martin Schäfer für das Auswärtige Amt:

Frage : Ich habe eine Frage an das Bundesverteidigungsministerium und das Auswärtige Amt zum Anschlag in Afghanistan. Der Außenminister hat vorhin die schnelle Hilfe, die geleistet wurde, gelobt. Nun hören wir aber, dass es 90 Minuten gedauert hat, bis die QRF, die ja nun einmal Quick Reaction Force heißt, im Camp Marmal überhaupt losgefahren ist. Können Sie bitte sagen, was der Sachstand ist?

Klebb: Eine Quick Reaction Force in Afghanistan können Sie, glaube ich, nicht mit einer Polizei in Berlin vergleichen, die ständig in Bereitschaft ist, um sofort um den nächsten Häuserblock zu fahren. Die Fahrt aus einem militärischen Camp in Afghanistan hinaus bedarf an sich schon einer gewissen Vorbereitung. Von daher sind festgelegte Zeiten, die einzuhalten sind und die auch geübt werden, vorgegeben. Ob diese Zeiten heute Nacht erreicht und auch eingehalten wurden, ist mir derzeit nicht bekannt. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es einige Zeit in Anspruch nimmt, bis die Alarmierung durch ist, die Soldaten die Fahrzeuge besetzt haben und dann geschlossen herausmarschiert sind. Das ist also ein durchaus übliches Verfahren.

Zu dem Verfahren, wie es heute Nacht gewesen ist, liegen mir derzeit keine Informationen vor.

Schäfer: Ich möchte eigentlich sagen, dass es, nach dem, was in der Nacht passiert ist, Ihr gutes Recht ist, sofort Kritik zu üben oder kritische Fragen zu stellen oder Haare in der Suppe zu finden. Das sollen Sie tun.

Ich für meinen Teil möchte mich, wie das der Außenminister getan hat, ausdrücklich im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort in Lebensgefahr waren, bei all denjenigen ausdrücklich und in aller Form bedanken, die unter Einsatz ihres Lebens dafür gesorgt haben, dass tatsächlich niemandem – ich sage: niemandem -, der Angehöriger oder Mitarbeiter des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Masar-e-Scharif war, ein Haar gekrümmt worden ist. Das waren Angehörige der deutschen Polizei, der Bundespolizei, der Bundeswehr und auch Soldaten aus anderen Ländern – Georgien, Belgien und, wie ich glaube, Lettland – die, wie gesagt, bereit waren, ihr Leben zu geben und uns in einer bedrohlichen Situation bei einem schwer bewaffneten terroristischen Angriff Hilfe zu leisten. Diesen Dank bringe ich hiermit noch einmal ausdrücklich zum Ausdruck. – Vielen Dank!

Zusatzfrage : Herr Klebb, wenn Sie sagen, dass es festgelegte Zeiten gibt und dass Sie noch nicht genau sagen können, wie die Zeiten heute Nacht ausgesehen haben, können Sie uns eine ungefähre Idee davon geben, was sozusagen die Richtzeiten sind, die man eigentlichen erreichen sollte, um bereit zu sein auszurücken?

Die zweite Frage vielleicht an Herr Schäfer: Sie sind ja nicht glücklich mit der Frage, ob das zu lange gedauert hat. Ich hörte zum Beispiel, die Georgier seien 30 Minuten vorher da gewesen. Das sagt, glaube ich, schon etwas aus.

Schäfer: Eher als wer?

Zusatz : Als die Deutschen.

Klebb: Dann lassen Sie mich einmal beginnen. – Zur Frage, ob ich Ihnen Richtzeiten nennen kann: Nein, das kann ich nicht. Das ist in den Einsätzen unterschiedlich und das ist möglicherweise von der jeweiligen militärischen Sicherheitslage abhängig. Von daher kann ich keine Richtzeiten nennen. Das würden auch einfach nur Spekulationen sein.

Ich freue mich über das, was Herr Schäfer gerade gesagt hat, und dass wir dazu beitragen konnten, dass bei der Rettung der Angehörigen des Generalkonsulats und der Evakuierung aus derzeitiger Sicht vieles sehr gut gelaufen ist, sodass keine Personenschäden bei diesem Personenkreis feststellbar waren.

Schäfer: Vielleicht ergänze ich noch so viel: Im Camp Marmal in der nördlichen Speiche des Resolute-Support-Einsatzes der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan geht es, wie anderswo auch, arbeitsteilig zu. Die Arbeitsteilung ist so, dass die schnelle Eingreiftruppe, die dort stationiert ist, nicht nur, aber im Wesentlichen aus georgischen Soldaten zusammengesetzt ist. Es gibt auch eine außerordentlich gute Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Bundeswehr, die diese georgische schnelle Eingreiftruppe in jeder denkbaren Form ausbilden und unterstützen. Da jetzt Unterschiede herzuleiten, wer wann wo da war, haben nichts mit der Geschwindigkeit von unterschiedlichen Nationalitäten zu tun, sondern mit der unterschiedlichen Aufgabenverteilung. Im Wesentlichen waren die Georgier die schnelle Eingreiftruppe, die genau für diese Art von Fällen ausgebildet und vorbereitet waren.

Frage : Herr Klebb, die Taliban haben sich zu diesem Anschlag so geäußert, dass das ein Vergeltungsanschlag gegen die Bundesrepublik war. Sie haben uns in den letzten Tagen immer wieder gesagt, dass der Luftangriff der Amerikaner letzte Woche, bei dem mehrere Dutzend Zivilisten gestorben sind, keine Operation im Rahmen von Resolute Support war. Sie sind die Einzigen, die das nicht sagen. Resolute Support selbst spricht auch davon, dass das eine Operation war. Darum noch einmal: War der Luftangriff in der letzten Woche ein Angriff von Resolute Support? War die Bundeswehr daran beteiligt?

Herr Schäfer, Sie haben in den letzten Jahren die Taliban immer wieder nicht als Terroristen bezeichnet. Eben haben Sie es getan. Das heißt, jetzt sind die Taliban nicht mehr die „Insurgenz“, sondern Terroristen?

Herr Dimroth, werden Afghanen aus Deutschland zurück nach Masar-e-Scharif geschickt?

Klebb: Ich darf einmal anfangen. Ich glaube, nach einem verheerenden Anschlag der Taliban die Äußerungen und Behauptungen, die die Taliban selber herausgeben, als Gradmesser dafür zu nehmen, ob die Äußerungen am letzten Mittwoch und Montag hier in der Regierungspressekonferenz richtig waren, halte ich für unzweckmäßig.

Das Bundesverteidigungsministerium, für das ich hier sprechen darf, bleibt bei den Äußerungen von Mittwoch und Montag.

Schäfer: Ich freue mich, dass der Kollege aus dem Verteidigungsministerium so gewählte Worte gefunden hat. Ich hätte wahrscheinlich auf Ihre Frage, leicht andere gefunden. Das lasse ich aber jetzt einmal.

Ich glaube, dass das, was gestern Abend geschehen ist, ohne jeden Zweifel ein terroristischer Angriff ist. Ich habe auch hier oder anderswo niemals etwas anderes gesagt, als dass die Taliban terroristische Angriffe praktizierten. Dass sie gleichzeitig auch als „Insurgenz“ bezeichnet werden können, schließt sich damit überhaupt gar nicht aus.

Auch noch den Taliban auf den Leim zu gehen, indem man die Kausalbeziehung, die sie herleiten, hernimmt, um daraus Fragen abzuleiten, finde ich angesichts dessen, was da geschehen ist, gerade zu abwegig.

Dimroth: Ich glaube, ein Frageteil richtete sich an mich.

Es ist ja so, wie Sie wissen, Herr Kollege, dass unser Hauptaugenmerk insgesamt bei dem Thema „vollziehbar ausreisepflichtige Aufhältige in Deutschland“ auf dem Teilgebiet der freiwilligen Rückkehr und der geförderten freiwilligen Rückkehr liegt. Dabei ist es so, dass im Jahr 2016 über 3000 freiwillige Rückkehrmaßnahmen für Menschen aus Afghanistan bewilligt wurden. Uns erschließt sich natürlich nicht, in welche Bereiche, welche Regionen diese Menschen dann letztlich gehen. Es ist ihre eigene Entscheidung und liegt in ihrer eigenen Verantwortung.

Soweit es um den Bereich der zwangsweisen Rückführung geht, ist es so, dass letztlich die afghanischen Kräfte und die afghanische Administration entscheiden, wie und wo Menschen tatsächlich unterkommen und untergebracht werden, sodass ich Ihnen Ihre Frage, ob Menschen nach Masar-i-Scharif zurückgeführt werden, nur so beantworten kann, dass das nicht Teil der Rückführungsmaßnahme der Bundesregierung ist, sondern in den Händen der afghanischen Regierung liegt, wie dann in solchen Fällen weiter vorzugehen ist.

Frage: Wie bewertet die Bundesregierung diesen offensichtlich sehr professionell vorbereiteten Anschlag? Welche Konsequenzen zieht sie für die Bewertung der Sicherheitslage?

Wie geht es mit der diplomatischen Arbeit weiter?

Schäfer: Herr Steinmeier hat heute unmittelbar nach seinen öffentlichen Äußerungen im Auswärtigen Amt eine Sitzung des Krisenstabs des Auswärtigen Amtes geleitet. Auch in dieser Sitzung ging es um genau die Fragen, die Sie völlig zu Recht stellen. Bevor wir dazu öffentlich Stellung nehmen, macht es Sinn, sich zunächst erst einmal wirklich darüber klar zu werden, was da geschehen ist und was gegebenenfalls getan werden kann, um gegen diese Art von relativ kompliziertem Angriff in mehreren Wellen besser geschützt zu sein.

Wenn ich Sie richtig verstehe, geht Ihre Frage ja darüber hinaus, und zwar zum Einsatz in Afghanistan als Ganzem. Dazu gilt, glaube ich: Niemand in der Politik der Bundesregierung, aber auch niemand von den Kolleginnen und Kollegen, die in Kabul oder Masar-e-Scharif für die deutsche Entwicklungspolitik, die deutsche Polizei oder die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz ist, hat eine naive Vorstellung davon, dass sie bereit sind, für Deutschland Risiken auf sich zu nehmen – im Zweifel sogar, wie wir gestern Abend gesehen haben, auch Risiken gegen den eigenen Leib und das eigene Leben.

Wir – und auch die Kolleginnen und Kollegen – tun das deshalb, weil sie davon überzeugt sind, dass es sich lohnt, Engagement für Afghanistan zu zeigen. Es ist uns in den letzten 15 Jahren gelungen zu verhindern, dass Afghanistan zu dem wird, was es vor 2001 war, nämlich ein Hort und eine Brutstätte des internationalen Terrorismus. Das ist Afghanistan heute nicht. Natürlich gibt es Terrorismus. Darüber haben wir ja gerade geredet. Aber dieser Terrorismus, den wir in der Welt beobachten, von IS und anderswo, hat nicht mehr seine Herkunft aus Afghanistan.

Wir haben in den vergangenen Jahren ganz viel dafür getan, die Bildungschancen von jungen Afghanen, besonders von jungen Mädchen in Afghanistan, zu verbessern. Wir haben die Infrastruktur ausgebaut. Ich glaube, man kann guten Gewissens sagen: Das Leben ist für die meisten Menschen in Afghanistan in den letzten 15 Jahren eher besser und nicht schlechter geworden. Natürlich gibt es davon auch Ausnahmen, und natürlich sind wir noch nicht am Ende unserer Arbeit.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Ereignisse des gestrigen Abends und der gestrigen Nacht ein grundsätzliches Umdenken Deutschlands oder der internationalen Gemeinschaft im Hinblick auf die weiter notwendige Hilfe für Afghanistan auslösen werden. Aber natürlich werden wir uns ganz konkret mit den Ereignissen beschäftigen. Wir werden prüfen und prüfen müssen, wie wir die Sicherheitslage für unsere Kolleginnen und Kollegen verbessern können, damit so etwas im besten Fall niemals mehr passiert.

Aber noch einmal: Jeder weiß, dass es in einem Land wie Afghanistan keine umfassende hundertprozentige Sicherheit geben kann.

Zusatzfrage: Das war jetzt mittel- und langfristig von Ihnen interpretiert. Das insinuierte auch meine Frage.

Und wie ist es kurzfristig? Die Arbeit des Generalkonsulats kann ja erst einmal nicht wieder aufgenommen werden. Macht man die konsularischen Aufgaben vom Camp Marmal aus?

Schäfer: Stand heute – der Kollege aus dem Verteidigungsministerium mag es ergänzen -: Die Protection Force, also die Sicherheitskräfte der Bundeswehr, sichert das Gelände des Generalkonsulates. Wir werden jetzt unter diesem Schutz schauen, was mit den Räumlichkeiten, mit dem Gebäude des Generalkonsulats, geschehen ist und ob es möglich ist, kurzfristig und mit welchem Aufwand dort wieder die Arbeit aufzunehmen.

Der amtierende Generalkonsul und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind noch in der Nacht ins Camp Marmal gebracht worden. Sie haben dort auch die Nacht verbracht. Dort haben sie natürlich auch Arbeitsmöglichkeiten. Denn der Generalkonsul Deutschlands in Masar-e Scharif ist gleichzeitig der zivile Vertreter von Resolute Support beziehungsweise vom deutschen Kontingent in Masar-e Scharif. Er hat dort ohnehin Arbeits- und Unterkunftsmöglichkeiten. Ich bin ganz sicher, dass die Gastfreundschaft der Bundeswehr auch für den Rest der Kolleginnen und Kollegen aus dem Generalkonsulat gilt. Deshalb sind wir da auch jetzt, wenige Stunden nach diesem Ereignis, arbeitsfähig. Was das jetzt für die betroffenen Kollegen bedeutet, wie wir uns um sie im Sinne der Fürsorge kümmern, ob es angezeigt ist, sie nach Deutschland zurückzubringen oder das einige von ihnen wünschen, damit sie sich von dem Schock und dem Trauma erholen können, das wird jetzt alles geprüft – auch unter Beteiligung unseres psychosozialen Dienstes. Sie können sich ganz fest darauf verlassen, dass alles getan wird, damit diejenigen, die gestern Abend unter akuter Lebensgefahr standen, möglichst keine langfristigen Folgen davon tragen. Wir werden auch unsere Arbeit da oben im Norden Afghanistans fortsetzen.

Frage : Herr Schäfer, ich kann Ihre abschätzige Bemerkung zum Thema „den Taliban auf den Leim gehen“ nicht so ganz nachvollziehen. Es geht doch darum, dass man ein paar Fakten klärt. Dazu gehört doch auch die Frage: Haben die Deutschen die Geheimdienstaufklärung für den Angriff letzte Woche geliefert?

Ich hoffe, dass Sie keinem hier im Raum unterstellen wollen, dass wir daraus die Schlussfolgerungen ziehen würden, dass das, was gestern in Masar-e Scharif passiert ist, ein irgendwie zu rechtfertigender Racheakt wäre.

Schäfer: Überhaupt nicht. Nein, das tue ich auch gar nicht.

Zusatzfrage: Aber die Frage ist doch sicherlich erlaubt, ob die Deutschen an dem Angriff in der letzten Woche, zum Beispiel durch den Geheimdienst, beteiligt gewesen sind?

Schäfer: Da haben Sie völlig Recht. Ich finde die Frage total legitim. Nur mich hat verärgert – das will ich ehrlich sagen -, dass der Kollege die Behauptung der Taliban zum Anlass nimmt, die Frage, die er schon dreimal gestellt hat, noch einmal zu stellen. Das war der Grund, weshalb ich mir erlaubte, meine Bemerkung zu machen. Denn die gleiche Frage hat der Kollege – Sie können es bestätigen, Herr Kollege – vorgestern und letzte Woche auch schon gestellt. Sie haben immer die gleiche Antwort bekommen.

Zusatz : Ja, weil die Amerikaner etwas anderes sagen. Resolute Support sagt etwas anderes. Resolute Support äußert sich zu diesem Angriff. Sie haben da offenbar die Verantwortung übernommen. Die einzigen, die nichts dazu sagen, sind Sie. Sie sagen, wir haben damit nichts zu tun.

Vorsitzende Maier: Ist das Ihre Frage, Herr Kollege?

Zusatzfrage : Nein, die Frage wäre ähnlich gewesen, wie sie die Kollegin gerade gestellt hat. Das heißt, Sie sehen gar keinen Zusammenhang zwischen dem US-Luftangriff, der letzte Woche den Taliban gegolten hat, aber mehrere Dutzend Zivilisten getötet hat, und dem Anschlag gestern?

Schäfer: Das ist auch in vielerlei anderer Hinsicht eine total falsche Erklärung der Taliban. – Zur Kenntnis. Ich mache sie mir aber nicht zu Eigen.

(…)

Schäfer: Ich würde gern noch einen Satz zu Afghanistan loswerden, weil der Kollege ja immer von einer Nato-Operation spricht. Die Kollegen, die mir hier jetzt dankenswerterweise zugeschaut haben, haben gerade selber in die Erklärung der amerikanischen Streitkräfte hineingeschaut. Dort heißt es, die Amerikaner hätten in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass es sich bei dem Angriff um eine US-Operation gehandelt habe, nicht um eine Operation der Nato und nicht um eine Operation von Resolute Support. Das bedeutet, das ist eine Aktion im Rahmen der bilateralen amerikanischen „Counter-terrorism“-Maßnahmen und keine Aktion von Resolute Support. – Vielleicht das nur zur Klarstellung.

Nachtrag 12. November: Die Bundeswehr berichtet von einem weiteren Zwischenfall in Masar-i-Scharif:

Am 11. November gegen 20.45 Uhr MEZ näherte sich ein afghanischer PKw einer Straßensperre. Diese wurde zuvor im Zuge der Sicherungsmaßnahmen vor dem Generalkonsulat durch die multinationalen Schutzkräfte des TAAC-North errichtet und überwacht. Das Fahrzeug hielt kurz vor der Straßensperre an, und der Fahrer stieg aus. Nach einem kurzen Gespräch mit den Soldaten stieg der Fahrer wieder in sein Auto und entfernte sich. In circa 50 Meter Entfernung wendete er das Fahrzeug und fuhr mit starker Beschleunigung auf die Straßensperre zu. Das Fahrzeug durchbrach diese und kam erst durch den Aufprall auf ein hinter der Straßensperre stehendes deutsches gepanzertes Sanitätsfahrzeug – Transportpanzer Fuchs – zum Stehen.
Der Fahrer wurde durch afghanische Rettungskräfte versorgt und in ein afghanisches Krankenhaus gebracht, in dem er später verstarb. Die afghanische Polizei hat mit einem Sprengstoffteam den Ort des Geschehens untersucht, konnte jedoch am Fahrzeug kein Sprengstoff feststellen.
Auf Seiten der multinationalen Schutzkräfte des TAAC-North kam es zu keinen Verletzungen und nur zu geringem Sachschaden.
Die Operation ist nunmehr abgeschlossen. Die multinationalen Schutzkräfte des TAAC-North wurden zurück in das Camp Marmal befohlen.
Die Gesamtumstände der Ereignisse werden weiterhin untersucht.