Auf dem Weg zur ‚Compliance‘ im Verteidigungsministerium: Maulkorb für Soldaten und Beamte?

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Als Folge der Geschehnisse rund um das Sturmgewehr G36 der Bundeswehr hatte das Verteidigungsministerium nicht nur untersuchen lassen, ob und welche Probleme es mit der Waffe gibt – sondern auch, welche organisatorischen Folgerungen aus der so geannten Causa G36 gezogen werden sollten. Dafür hatte Ministerin Ursula von der Leyen eigens einen Kenner aus der Wirtschaft geholt. Der frühere Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller sollte sich mal anschauen, warum es so ein Chaos um das Sturmgewehr der Bundeswehr gab, ehe es zu Klarheit und Entscheidung kam.

Müller hatte seinen Bericht im Oktober 2015 vorgelegt, und eine der Empfehlungen soll eine Arbeitsgruppe im Ministerium umsetzen, ist aber mit den Entwürfen weit übers Ziel hinaus geschossen: Unter anderem gab es offensichtlich die Empfehlung, Soldaten und Beamten den Kontakt mit Journalisten und Parlamentariern glatt zu untersagen.

Müller hatte in seinem Bericht zur Überprüfung der Organisationsstruktur und -kultur im Ministerium unter anderem eine pulverisierte Verantwortlichkeit festgestellt: So gab es niemanden, der die eigentlich nötigen Überlegungen zu einer Nachfolgewaffe des G36 nach Ablauf der geplanten Nutzungszeit auch mal begonnen hätte. Und der Ex-Banker hatte vorgeschlagen, dass das Verteidigungsministerium, wie in der Industrie üblich, ein maßgebliches System für die so genannte Compliance  installiert. Das Regelwerk solle unter anderem unklare Beziehungen zwischen Ministeriums/Regierungsvertretern auf der einen und der Wirtschaft auf der anderen Seite vermeiden:

Prüfen und ggf. einführen (von weiteren Elementen) eines Compliance Management Systems, z.B. Hinweisgebersystem und „Code of Conduct“ für die Zusammenarbeit mit Wirtschaft/Industrie; interne Aufklärung von Vorwürfen unabhängig von Entscheidungen der ermittelnden Staatsanwaltschaft oder anderer staatlicher Stellen

So weit, so nachvollziehbar. Was eine Arbeitsgruppe aus Ministerialen und der Europa-Universität Viadrina daraus gemacht hat, ist zumindest in dem bekanntgewordenen Entwurf weit mehr, nämlich der Versuch, ein abgeschottetes System im Stile des vordemokratischen  Obrigkeitsstaats zu etablieren. Die Bild-Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht) zitierte aus einem ihr vorliegenden Papier:

Demnach sollen die Beamten und Soldaten „jeden informellen Kontakt“ zu Journalisten und Parlamentariern meiden, ob „im Rahmen von persönlichen Treffen oder am Rande von Empfängen und Veranstaltungen“. Fragen von Medienvertretern sollen abgewiesen werden. Auf Anfragen aus dem Bundestag sollen die BMVg-Angestellten nur reagieren, wenn sie „dazu befugt“ sind.

Eine Ministeriumssprecherin sagte dazu, bei dem bekanntgewordenen Text handele es sich um einen Referentenentwurf auf Arbeitsebene, der jetzt überarbeitet werde. Deshalb gibt es auch keine Aussage dazu, ob diese von Bild zitierte Passage noch darin enthalten sei – allerdings gehöre der Teil zu denen, deren Überarbeitungsbedarf wir erkannt haben. Dass, wie das Blatt ebenfalls berichtet, Anfragen aus dem Parlament (und von Medien) nur von den Ministeriumsmitarbeitern beantwortet werden dürften, die dazu befugt sind, sei nichts anderes als die bisherige Zuständigkeitsregelung.

Mit anderen Worten: Müller hatte ein Regelwerk vor allem für den Umgang mit der Industrie empfohlen, die Arbeitsgruppe hat daraus auch gleich eins für den – als störend empfundenen? – Umgang mit Abgeordneten und Journalisten gemacht.

Das allerdings ist kaum Compliance, wie sie in der Wirtschaft verstanden wird:

Aufgabe eines CMS ist es, hinreichend sicherzustellen, dass Risiken für wesentliche Regelverstöße rechtzeitig erkannt werden und solche Regelverstöße verhindert werden. Da auch ein angemessenes CMS nie alle Verstöße verhindern kann, muss es außerdem trotzdem auftretende Verstöße zeitnah erkennen und im Unternehmen kommunizieren, damit angemessene Reaktionen auf den Verstoß ergriffen werden können.
(Wikipedia)

Beurteilen kann man das wohl erst, wenn ein solcher Kodex beschlossen ist – und dann hoffentlich auch veröffentlicht wird. Alles andere wäre ja mit Compliance nicht so recht vereinbar.

(Interessant finde ich übrigens, dass die Versuche im Entwurf, den auch nur informellen Kontakt von Soldaten mit Journalisten und Abgeordneten zu versagen, offensichtlich auch bei den Wissenschaftlern der Viadrina keine Ablehnung fanden – was meine Ansicht von dieser Universität doch deutlich verändert. Ich lasse mich gerne korrigieren, falls das so nicht zutreffen sollte.)

Nachtrag 12. Oktober: Die geplante Compliance-Regelung war auch Thema in der Bundespressekonferenz, dazu BMVg-Sprecher Jens Flosdorff:

Frage : Ich habe eine Frage an das Verteidigungsministerium. Es gibt offenbar eine neue Kommunikationsstrategie in Ihrem Haus, was gerade auch den Umgang von Bundeswehrangehörigen beispielsweise mit der Presse angeht. Können Sie uns einmal erklären, was Sie dazu veranlasst hat und was Sie sich davon versprechen?

Flosdorff: Das kann ich gerne tun. – Sie spielen auf Presseberichterstattungen an, dass bei uns ein sogenannter Compliance-Kodex, ein Verhaltenskodex erarbeitet wird. Er geht auf Schwierigkeiten zurück, die wir Anfang beziehungsweise Mitte der Legislaturperiode im Rüstungsbereich hatten. Sie erinnern sich sicherlich noch an die Aufklärung von Rüstungsbeschaffungsprozessen. Man fragte sich im Nachhinein: Wie konnte es dazu kommen? Wer ist auf der Industrieseite beteiligt gewesen? Wer war auf Ministeriumsseite beteiligt? Waren die Rollenverteilungen immer so, wie man sich das wünscht? War genug Transparenz drin?

Die Antwort war Nein. Wir haben dazu auch unterschiedliche externe Gutachter im Feld gehabt. Eine klare Empfehlung war, dass wir einen Compliance-Kodex erstellen. Er ist in den vergangenen Monaten, Anfang des Jahres in Auftrag gegeben worden, auch unter Mithilfe des sehr renommierten Compliance-Centers der Viadrina in Frankfurt/Oder in Verbindung mit einer internen Arbeitsgruppe bei uns im Ministerium. Die haben einen ersten Referentenvorschlag erarbeitet, der im September in das Ministerium geliefert worden ist. Er ist noch gar nicht gebilligt. Darin stehen zum großen Teil Selbstverständlichkeiten, aber auch viele Verbesserungen für die Bundeswehr.

Ziel war nicht, den Umgang mit der Öffentlichkeit oder mit den Abgeordneten neu zu regeln, sondern klare Rollenverteilungen und Rollentrennungen zu haben, insbesondere im Rüstungsbereich. So soll sich beispielsweise jemand, der als Marinesoldat angesprochen wird, nicht zum A400M äußern oder umgekehrt. Es sollen unzuständigerweise keine Auskünfte gegenüber der Presse oder Parlamentariern gegeben werden. Auch sollen keine Kontakte zur Rüstungsindustrie unterhalten werden, die intransparent sind. Das ist die große Stoßrichtung. Wir bewegen uns da in einem Bereich, in dem viele große Unternehmen, große Konzerne schon vorausgegangen sind. Wir haben da eher einen Nachholbedarf. Im öffentlichen Dienst ist das seltener.

Das Ganze ist im Moment in Arbeit. Die Vorschriften sind noch nicht gebilligt und von der Hausleitung noch gar nicht abgesegnet worden. Wir werden am Ende des Tages gegen Jahresende, in den letzten Monaten dieses Jahres, wissen, wie die Regelung ausgeht.

Ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit für Behörden. Dies ist nun mein viertes Ministerium, in dem ich arbeite. In Behörden und Beamtenapparaten gilt die Regel, dass die zuständigen Stellen mit den jeweiligen Partnern reden, dass nicht Menschen Auskunft geben, die eigentlich gar nicht für die Sache zuständig sind. Das ist der Kern.

Das andere ist, dass sich Journalisten vorzugsweise auch an die Pressestelle wenden beziehungsweise wenn Experten speziell tief in dem Thema stecken, dass es auch einen Portfolioblick braucht und man sagt: Das ist ein Experte. Er sollte Auskunft geben. – Jemand, der in der dritten oder vierten Reihe verantwortlich ist und nur einen Teilbereich überschaut, ist vielleicht nicht die geeignete Person, einen Gesamteindruck zu geben.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch ein paar Sätze zu der teilweisen Kritik sagen, die von der Opposition im parlamentarischen Raum laut geworden ist. Ich habe in dieser Legislaturperiode noch nicht wahrgenommen, dass es einen Mangel an Informationen gibt, insbesondere was die Transparenz und den Umfang der Informationen über Projekte im Rüstungsbereich angeht. Im Gegenteil: Es wird eher darüber geklagt, dass wir zu viel informieren, dass die Informationen zu umfassend sind.

Die Bundeswehr wird ja durch den Wehrbeauftragten, der überall Zugang hat, noch besonders beobachtet.

Die Parlamentarier werden regelmäßig umfänglich in den Ausschüssen, aber auch durch die zahlreichen parlamentarischen Anfragen unterrichtet. Dieses Angebot gilt selbstverständlich auch weiterhin.

Hierbei geht es nur darum, dass es klare Regeln, Zugänge und Verhaltensweisen gibt, die eine einheitliche Außendarstellung dieses großen und sehr viele Ebenen überspannenden Bereichs garantieren.

Zusatzfrage : Planen jetzt auch andere Ministerien einen solchen Kodex? Denn das klingt ja so, als wenn das etwas wäre, was eigentlich auch für andere Ministerien mit ihren nachgeordneten Behörden notwendig wäre. Ich frage beispielsweise das Wirtschaftsministerium.

Baron: Wie Sie wissen, beschäftigen wir uns nicht mit Beschaffungsfragen von Rüstungssachen, sondern bei uns im Haus liegt die Rüstungsexportpolitik. Dafür gibt es klare rechtliche Grundlagen, klare Vertraulichkeitsvereinbarungen sowohl für das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als auch für die Mitarbeiter des Hauses. Das ist eine klare rechtliche Regelung und hat sogar einen anderen Status, weil es rechtliche Grundlagen für diese Art von Entscheidungen gibt.