Mehr gemeinsame EU-Verteidigungspolitik: Bremser Großbritannien?

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In der slowakischen Hauptstadt Bratislava treffen sich am (heutigen) Montagabend und am Dienstag die Verteidigungsminister der Europäischen Union, und ihr wesentliches Thema dürfte eine engere Zusammenarbeit in der EU-Verteidigungspolitik sein – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Brexit, des britischen Plans für einen Austritt. Den Ressortchefs liegt dazu ein gemeinsames Papier von Deutschland und Frankreich vor; auch die Überlegungen Italiens, so berichten die Kollegen von politico.eu, gehen in eine ähnliche Richtung.

Interessant ist bei den Beratungen über eine engere Kooperation der EU-Länder in der Verteidigungspolitik, bei den Überlegungen für ein gemeinsames Hauptquartier (also faktisch eine Kommandobehörde), Logistik, Ausbildung und so weiter natürlich die Position, die die Briten einnehmen. Denn die sind nach wie vor Mitglied der EU, haben gegenüber der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäer von je her eine etwas kritische Haltung – und fürchten vor allem, dass das aus ihrer Sicht wesentliche Verteidigungsbündnis, nämlich die NATO, geschwächt werden könnte. Vereinfacht gesagt: Was die Europäer für ihre gemeinsame Verteidigungspolitik aufwenden, fehlt der atlantischen Allianz.

Die Kritik Großbritanniens war in den vergangenen Tagen schon durchaus öffentlich geworden:

While not proposing an EU army, Paris and Berlin see security and defence cooperation as one of the few areas where the remaining 27 EU governments could find common ground and show that the EU is still relevant after a British departure.
But Britain’s Secretary of Defence Michael Fallon told The Times newspaper on Sept. 16 that London would resist any attempts to duplicate infrastructure that already existed in NATO, also saying there could be no „rival“ to NATO.
Fallon said Britain vowed to be an active member of the Council of EU governments until the country leaves the bloc and he will attend an EU defence ministers meeting in Bratislava next Tuesday where plans for EU military cooperation will be discussed.

berichtete Reuters, und der – in London erscheinende – Economist hatte für den europäischen Ansatz, verspottet als Potemkin Euro-armies, ebenfalls viel Kritik parat:

Eurocrats want to show there is life in the EU after Brexit: with the British gone, they say, the biggest obstacle to defence integration will be gone, too. France, left as the unrivalled EU military power, delights in the chance to reclaim leadership from Germany. The danger is not that such big talk will threaten NATO, as some fear, but that it will come to nothing and expose Europe’s weakness.

Nun sind die britischen Aussagen natürlich interessengeleitet, aber in der Tat wird die EU beweisen müssen, wie viel von ihren Ankündigungen sie tatsächlich umsetzen kann.

Die Bundesregierung glaubt allerdings nicht, dass eine britische Blockadehaltung die weitere Schritte einer EU-Verteidigungspolitik stören könnte – das wäre ja auch merkwürdig, findet das Auswärtige Amt. Aus der (heutigen) Bundespressekonferenz die Aussagen von Oberst Boris Nannt vom Verteidigungsministerium und Martin Schäfer vom Auswärtigen Amt zum Treffen in Bratislava:

 

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Vor dem Hintergrund des Brexit und den Überlegungen für die bessere Verteidigungs-Zusammenarbeit ist übrigens etwas in den Hintergrund geraten, was auch zur EU-Politik gehört: Die Überlegung, kurz gesagt, mit Entwicklungshilfe auch – nicht-letale – Waffen zu beschaffen. Das Thema ist noch keineswegs ausdiskutiert, wie die Grünen-Abgeordnete Doris Wagner, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages, kritisch anmerkt:

Die Bundesregierung missbraucht die EU-Sicherheitspolitik mehr und mehr zur Flüchtlingsabwehr. Auf Betreiben Berlins sollen EU-Gelder, die eigentlich für Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen sind, künftig auch zur Ausrüstung von Armeen und anderen Sicherheitsorganen in Afrika genutzt werden. Statt die Mittel einzusetzen, um Rechtsstaatlichkeit, Versöhnung und wirtschaftlichen Aufbau in der Region zu unterstützen, konzentriert sich Brüssel immer mehr darauf, Grenzregime zu stärken, um Flüchtlinge möglichst noch in Afrika abzufangen. Mit einer durchdachten und wirksamen EU-Sicherheitspolitik hat das nichts zu tun.

Nachtrag: Die Abschrift des Audios oben:

Frage: Ich habe eine Frage zu der Teilnahme der Verteidigungsministerin am heutigen Treffen mit ihr en Kollegen aus der EU, bei dem ja die gemeinsame deutsch-französische Initiative in Richtung Verteidigungsunion besprochen werden soll. Mich würde interessieren: Was verspricht sich die Verteidigungsministerin von einer solchen Union? Konkret: Was könnte so eine Union besser machen als die Nato?

Nannt: Richtig ist: Heute Abend und auch am morgigen Tag findet das Treffen in Bratislava statt. Es ist ein informelles Treffen, also ein Treffen, bei dem keine Ratsbeschlüsse stattfinden. Ein Themenbereich ist natürlich die deutsch-französische Initiative der beiden Verteidigungsminister, die dort vorgestellt wird, und dort werden dann auch die Projektideen besprochen und der weitere Fahrplan diskutiert. Andere Themen, die dort besprochen werden, sind zum Beispiel die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die intensivierte Zusammenarbeit zwischen der Nato und der EU sowie auch die Weiterentwicklung der EUNAVFOR-MED-Mission, was den Bereich Ausbildung und das UN-Waffenembargo betrifft.

Vielleicht noch eine ganze wichtige Bemerkung vorweg: Es geht dabei nie um ein Entweder-oder. Vielmehr braucht man eine starke Nato in einer starken Europäischen Union; das heißt, beides ergänzt sich. Je stärker die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union ist, desto stärker kann also auch die Nato handeln. In diesen Bereichen muss man denken, es ist also kein Entweder-oder.

Natürlich ist es wichtig, dass man die Strukturen und Möglichkeiten, die die EU bietet, zum Beispiel im Rahmen der Mission SOPHIA, aber auch in Mali, wo es ebenfalls eine Mission der Europäischen Union gibt. Dort muss man natürlich handlungsfähig sein, und man muss schauen, an welcher Stelle man Kräfte vielleicht sinnvoll bündeln kann; denn die Ressourcen sind natürlich auch zukünftig weiter begrenzt. Es geht hier also darum, die Frage zu besprechen: Wie kann man gute Sicherheitsstrukturen aufbauen und wie kann man andere Partner ertüchtigen?

In diesem Zusammenhang ist die Initiative, die vorletzte Woche besprochen wurde, ein Vorschlag, der weiter besprochen werden muss. Der weitere Fahrplan sieht dann so aus, dass dies auf dem formellen Verteidigungsministertreffen weiter besprochen wird und im Dezember vielleicht ein Ratsbeschluss der Staats- und Regierungschefs erfolgen könnte.

Zusatzfrage: Könnten Sie vielleicht ein paar konkrete Beispiele dafür nennen, worum es geht? Ich habe gelesen: ein Lazarett oder Logistik oder Tankflugzeuge.

Nannt: Das haben Sie ja schon gelesen, was letztendlich die Vorschläge sind. Es geht zum Beispiel darum, dass man dort permanente Strukturen aufbaut, dass man dort vielleicht ein Hauptquartier hat, um dort die Führungsfähigkeit zu optimieren, oder darum, dass man ein mobiles Krankenhaus oder ein Kommando aufbaut, in dem dann die Sanitätsdienste der EU-Mitgliedstaaten zentral gebündelt werden. Es geht aber zum Beispiel auch darum, den Lufttransport weiterzuentwickeln – das Europäische Lufttransportkommando existiert ja schon, und hier geht es darum, dieses auch für den strategischen Transport zu Land, Luft und See weiterzuentwickeln. Genauso geht es aber – ich hatte es gerade schon angesprochen – auch um Sicherheitsstrukturen, also darum, wie man diese Ertüchtigungsfelder insgesamt noch stärker unterstützen kann. Diesbezüglich werden also Initiativen besprochen.

Wichtig ist aber, dass das jetzt erst einmal ein Vorschlag der beiden Verteidigungsminister gewesen ist, und jetzt bedarf es eben der weiteren Diskussion. Wir sind jetzt in Vorlage getreten und bieten uns auch an, im Bereich der gemeinsamen Zusammenarbeit Führungsfunktionen zu übernehmen. Das muss jetzt weiter ausdiskutiert werden.

Frage: Herr Nannt, wie sehen denn in diesem Zusammenhang die Bemühungen um die Einbindung Großbritanniens aus? Es gibt ja Berichte beziehungsweise Meldungen, dass Großbritannien vor dem Hintergrund des „Brexits“ zwar nicht Teil dieser Bemühungen sein wird, aber auch Dinge torpedieren würde – torpedieren ist jetzt mein Wort -, die als Schwächung der Nato empfunden würden. Insofern stellt sich die Frage: Inwieweit bemühen sich die Initiatoren Deutschland und Frankreich, diese britischen Ängste zu zerstreuen?

Nannt: Natürlich haben gerade bei dieser Initiative und auch insgesamt bei der Weiterentwicklung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch Gespräche mit dem britischen Verteidigungsminister Fallon, aber auch Gespräche auf verschiedenen anderen Ebenen stattgefunden. Auch da geht es nicht darum, dass man jetzt sagt: Okay, wir suchen jetzt eine Lösung ganz ohne die Briten. Vielmehr haben auch die Briten immerhin die Möglichkeit, sich dort anzulehnen, dort mit zu partizipieren, dort teilzuhaben. Es geht jetzt aber darum, zu schauen: Wie können wir jetzt insgesamt die Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterentwickeln? Es geht jetzt also nicht darum, ein Konstrukt zu schaffen, in dem die Briten isoliert sind. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen, an die sich die Briten natürlich auch gerne weiterhin anlehnen können.

Zusatzfrage: Entschuldigung, ich habe meine Frage wieder zu unpräzise formuliert. – Ich möchte wissen, inwieweit der Befürchtung begegnet werden muss, dass die Briten die deutsch-französische Initiative deswegen blockieren, weil sie davon eine Schwächung der Nato befürchten, und was dafür von deutscher Seite getan wird.

Nannt: Auch dazu haben Gespräche stattgefunden. Diese mögliche Blockade sehe ich nicht.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Herr Schäfer möchte ergänzen.

Schäfer: Vielleicht nur so viel – das werden Sie mitbekommen haben, aber dann sage ich es vielleicht „for the record“ auch noch einmal hier -: Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Nato sind, glaube ich, so gut und so eng wie lange nicht. Es hat auf dem Nato-Gipfel in Warschau Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und der Nato gegeben, die beide Bündnisse so eng aneinander herangeführt haben, wie das, glaube ich, noch nie der Fall gewesen ist. Es gibt da sehr gutes Einvernehmen zwischen Frau Mogherini für die Europäische Union und Herrn Stoltenberg für die Nato.

All das, was von Deutschland und Frankreich – auch unter Beteiligung Italiens und sogar unter Beteiligung Polens – zur Fortentwicklung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union vorgeschlagen worden ist, richtet sich in überhaupt keiner Weise gegen die Nato. Ehrlich gesagt glaube ich auch gar nicht, dass die Briten ernsthaft befürchten, dass das der Fall wäre. Aber um das vielleicht noch einmal vonseiten des Auswärtigen Amtes zu sagen: Eine Situation, in der jemand austreten will und entschieden hat auszutreten, aber vor dem Austreten noch einmal die anderen davon abhalten möchte, Dinge zu tun, die die aber tun wollen, ist eine schwer vorstellbare Situation. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass das wirklich so kommt.

Zusatzfrage: Vielleicht habe ich einfach mehr Fantasie als Sie, Herr Schäfer. Sie befürchten also nicht, dass insbesondere zum Beispiel das ständige EU-Hauptquartier als Duplikation der Fähigkeiten von den Briten blockiert wird?

Schäfer: Es gibt ja eine Reihe von gemeinsamen europäischen Aktionen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es ist, glaube ich, gemeinsame Überzeugung von vielen in der Europäischen Union – darunter der Bundesregierung -, dass wir da mehr Integration haben wollen und auch mehr Integration brauchen. Noch einmal: Das ist überhaupt kein Konkurrenzverhältnis mit der Nato, sondern schlicht und ergreifend das Bedürfnis, die europäische gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf festeren Boden zu stellen – im Übrigen eine Reaktion auch auf den „Brexit“, denn es sind ja nicht nur die Verteidigungsministerin aus Paris und aus Berlin gewesen, die entsprechende Vorschläge gemacht haben, vielmehr haben das auch die Außenminister Ende Juni schon getan. Daran mögen Sie sehen, dass es diesbezüglich innerhalb der Bundesregierung zwischen den Ressorts, die gemeinsam Sicherheitspolitik betreiben, großes Einvernehmen gibt.

Natürlich werden wir den Dialog mit allen suchen – unter anderem unseren britischen Partnern, die ganz wichtig sind für die europäische Sicherheit. Jetzt liegen Vorschläge auf dem Tisch, und diese Vorschläge werden in den nächsten Monaten von den Verteidigungsministern, von den Außenministern in den Gremien in Brüssel beraten. Angesichts des Echos, das wir aus anderen Hauptstädten bekommen, sind wir ganz zuversichtlich, dass wir da auch tatsächlich, konkret und auch mit Beschlüssen vorankommen werden.

(Archivbild Juli 2015: Ein Offizier der Royal Navy auf dem italienischen Flugzeugträger Cavour im Einsatz bei der EU-Mission EUNAVFOR MED – Foto EUNAVFOR MED)