Friedensgutachten 2016: Mehr robustes Peacekeeping
Das diesjährige Friedensgutachten von fünf deutschen Friedensforschungsinstituten ist am (heutigen) Dienstag in Berlin vorgestellt worden. Ich konnte an der Pressekonferenz nicht teilnehmen, deshalb hier als Merkposten und zum Nachlesen
• die Pressemitteilung zur Vorstellung des Gutachtens
• Aktuelle Entwicklungen und Empfehlungen, in denen mir eine Passage aufgefallen ist, die der Debatte gerade unter denen, die Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen, deutlich zuwider laufen dürfte:
Damit sich Fälle wie Libyen („Regime Change“ ohne Plan für danach) und
Syrien (Lähmung der internationalen Gemeinschaft) nicht wiederholen, kann es erforderlich sein, das Verbot von Gewaltanwendung zwischen Staaten gemäß der UN-Charta durchzusetzen. Gleichzeitig ist es erforderlich, das sogenannte robuste Peacekeeping zu stärken, das auf der Basis von Kapitel VII der Charta die begrenzte Anwendung von Gewalt erlaubt und einen Beitrag dazu leisten kann Massenverbrechen zu verhindern. Deutschland sollte dazu einen bedeutend größeren Beitrag leisten– finanziell, technologisch, aber vor allem in personeller Hinsicht. Selbstmandatierung einzelner Staaten, von „Koalitionen der Willigen“ oder durch Staatenbündnisse, widerspricht dem Völkerrecht. Ziel sollte es sein, solche Friedensmissionen unter UNO-Regie zukünftig unter das direkte Kommando der UNO zu stellen. Mittelfristig sollte die UNO dafür über eigene militärische Einheiten verfügen.
Folgerichtig wird eine Beteiligung Deutschlands an der Internationalen Anti-ISIS-Koalition ebenso abgelehnt wie Waffenlieferungen an die Peshmerga.
(Archivbild: Cérémonie d’Adieu aux deux officiers de la FPU du Bangladesh décédés suite à l’orage du dimanche 15 Mai 2016 à Bamako – MINUSMA/Harandane Dicko)
1. Heißt „peace enforcement“ – also der Einsatz nach Kap. VII UN-Charta – jetzt „robustes Peacekeeping“ ?
Damit werden doch nur die Unterschiede dieser beiden Einsatzarten – gerade auch in Hinblick auf die Anwendung militärischer Gewalt zur Auftragserfüllung bzw. nur zum Selbstschutz – aufgeweicht.
Man sollte Blauhelm- und Grünhelm-Missionen immer sauber voneinander trennen.
2. Wegen genau solcher Äußerungen muss sich unser scheidender Bundespräsident seit der Münchner Sicherheitskonferenz von 2014 immer wieder als „Kriegstreiber“ beschimpfen lassen.
@ Pigrym
da das Gros der deutschen „friedensforschung“ keine dem wissenschaftlichen Rationalismus verpflichtete Forschung sodern ideologische Argumentationsproduktion betreibt ist ihr Erkenntniswert ohnehin eher gering bis nicht existent.
Was man vor kurzem in der NZZ zur deutschen „Migrationsforschung“ lesen durfte ließe sich eins zu eins auf obige Profession übertragen
Lesenswertes Papier.
Im Kern plädiert das Papier dafür, wieder zur „Dominanz“ der VN-Charta in Sachen deutsche Sicherheitspolitik zurück zu kehren – d.h der global etablierten und akzeptieren Dachorganisation der internationalen Sicherheitsstrukturen wieder die Führungsrolle zukommen zu lassen, die sie verdient. Also eine fundamentale Absage an Coalition of the Willing und an humantäre Interventionen ohne Führung durch die VN.
Dieses Grundverständnis bringt dann „logischer Weise“ die Ablehnung einer militärischen Beteiligung Deutschlands an der CoW gegen IS mit sich (weil weder durch VN eineindeutig legitimiert noch ermächtig) und auch eine Ablehnung von weiteren Waffenlieferungen an die Pershmerga (nachdem der ursprüngliche Auslöser für diese Lieferungen nicht mehr existent ist). Und natürlich wird die strukturelle Stärkung der zivilen Anteile an „Peacekeeping“ vehement eingefordert.
Interessant finde ich persönlich, dass das Papier sehr konkret auf das Innere/Äußere Sicherheitsdilemma eingeht insbesondere in Sachen Terrorismus und Flüchtlinge.
Unter dem Strich eine Aufforderung zu mehr VN-Charta kompatibler Sicherheits- und Realpolitik.
Nun ja, das sind eben Friedens- und keine Kriegsforscher ;-)
Wenn die UN wenigstens eine vorzeigbare Friedensinitiative bringen wuerden und die Mitglieder ihre Beitraege an die Organisation bezahlen wuerden, koennte man ueber einen Fuehrungsstab nachdenken. Derzeit sind die 180(?) Staaten ein heterogen-zerstrittener Haufen welcher hohe Kosten verursacht und wenig bewegt.
@Klabautermann
Das mit den Rechtsgrundlagen für „Inherent Resolve“ sieht die Regierung aber ein wenig anders.
Zumindest wird der Satz der UNSR-Resolution 2249:
„Der UNSR…fordert die Mitgliedstaaten, die dazu in der Lage sind, auf, … in dem unter der Kontrolle des ISIL, auch bekannt als Daesh, stehenden Gebiet in Syrien und Irak alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden… und den sicheren Zufluchtsort zu beseitigen, den sie in erheblichen Teilen Iraks und Syriens geschaffen haben;“
als Ermächtigung zum Einsatz militärischer Mittel verstanden (vgl. das Mandat des Bundestages).
Und der Einsatz im Irak basiert im Wesentlichen auf einem Hilfsersuchen der irakischen Regierung an die UN. Damit ist das eindeutig von der UN-Charta gedeckt.
Ansonsten ist das wirklich ein lesenswertes Papier, weil der Realismus auch in den Kreisen der Friedensforscher angekommen zu sein scheint – wenigstens ein bisschen.
Und wann werden wir was darüber im Weißbuch 2016 lesen können?
Vor oder nach der Sommerpause?
Wenn ich mir ansehe wenn die UN verurteilt und wenn nicht, dann glaube ich nicht das es sinnvoll ist die UNO in dieser Frage zu stärken. Die Un hat im Jugoslawischen Bürgerkrieg ihre Unfähigkeit bewiesen. Ich sage nur Sebrenica. Ich wünsche keinem unserer Soldaten, so einer Führung unterstellt zu werden!
@klabautermann | 07. Juni 2016 – 15:30
Ich schließe mich Ihren Ausführungen an. Danke für Ihr Statement.
Nur eines möchte ich uns ins Gedächtnis rufen: Somali, Rwanda, erste Phase Postjugoslawienkonflikt und die Konsequenzen daraus: Mandatierung seitens der UN: Ja. Führung (militärische Führung) durch die UN: nein.
Und ich bin da ehrlich: Da muss schon mehr kommen als das Papier hier, um mich davon abzubringen. Voraussetzung bleibt natürlich: Wo ein Konflikt friedlich gelöst werden kann, haben die dazugehörigen Maßnahmen Vorrang.
@Pilgrym:
Eine klare Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats zu militärischer Gewaltanwendung sieht anders aus. Eine solche gibt es nicht, also hat sich die Bundesregierung ersatzweise eine Argumentation zurechtgelegt von der man hofft, dass sie tragfähig genug ist.
Interviews mit zwei Völkerrechtlern:
Prof. Daniel-Erasmus Khan (Bundeswehr-Uni München)
„Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hätte gute Chancen“
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-einsatz-in-syrien-klage-vor-dem-bvg-haette-gute-chancen-a-1065895.html
(die Überschrift ist insofern irreführend, als dass sich nicht so leicht klagen bzw. Beschwerde einlegen läßt)
Prof. Hans-Joachim Heintze (Uni Bochum, IFHV)
„Einsatz in „rechtlicher Grauzone“ “
http://www.deutschlandradiokultur.de/bundeswehr-in-syrien-einsatz-in-rechtlicher-grauzone.1008.de.html?dram:article_id=338445
@Sachlicher
Zustimmung. Militärische Führung durch die VN – operativ-taktisch – dafür ist die VN gegenwärtig strukturell einfach nicht aus- und angelegt. DPKO bekommt „gerade mal so“ die strategische Führung hin,
Es gab da mal eine Zeit, da war ich der weltweit dienstälteste UN-Special-Staff-Officer……Chief MAROPS im UNIFIL FHQ. Einen COM MTF gab es zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr), denn selbst die Italiener hatten ihre maritime lead role hingeschmissen aus lauter Verzweiflung über die Ignoranz und Inkompetenz der VN in Sachen maritimer Operationen (über Air ganz zu schweigen). Diese Verwendung war ein echter eye-opener für mich in Sachen VN und operativ-taktische Führungsfähigkeit der VN. Nun gut, UNIFIL MTF war die erste maritime ops der VN überhaupt und Deutschland als erste lead nation hatte sich mit der Strategic Advisory Group in NY alle Mühe gegeben, die VN zu „enablen“ – als ich meinen Posten antrat war die SAG schon längst durch die üblichen VN-Intrigen in NY „wegmassiert“ worden, getreu dem alten DPKO-Motto: Es kann nur einen geben, und der bin ich – mein „fachlicher“ Ansprechpartner bei DPKO war ein relativ junger Commander aus einem Land mit Schwarzmeerküste ;-)
Von daher ist das hier vorgestellte Gutachten imho sehr „visionär“, um nicht zu sagen naiv. Eine „stehende“ militärische Führungsstruktur der VN inkl. „stehenden“ Truppen ist schon a bisserl zwischen science fiction und phantasy angesiedelt.
However, das Lead-Nation-Prinzip ist durchaus ein gangbarer Weg und ausbaufähig – allerdings nur, wenn sich ein bestimmter „mind-set“ in NY endlich mal verändert.
Man sollte die Arbeit dieser Institute sehr kritisch sehen. Sie sind schon in der Vergangenheit schon öfters daran gescheitert, die sehr unterschiedlichen Ansprüche von politischem Aktivismus einerseits und Analyse andererseits sinnvoll miteinander zu vereinen, und am Ende setzt sich in diesem Bereich erfahrungsgmäß meist die Tendenz zum wissenschaftlich verbrämten Aktivismus durch, zumal die Institute ja wesentliche sicherheitspolitische Konzepte wie z.B. die Analyse von Bedrohungen oder nationalen Interessen ja grundsätzlich ablehnen und daher auch kaum sinnvolle Empfehlungen aussprechen können. Ich behaupte, dass sie angesichts solcher grundsätzlicher konzeptioneller Defizite die meisten Themen erst gar nicht richtig auffassen können.
Ich erinnere mich an frühere Schriften der beteiligten Institute, in denen etwa Drohnen mit der Begründung abgelehnt wurden, dass diese das Risiko für die eigenen Soldaten reduzieren würden, was zu leistungesfähigeren Streitkräften und leichterer politischer Durchsetzbarkeit von Einsätzen führen könnte, was man nicht wolle.
Vor diesem Hintergrund sollte man die Schriften aus diesem Bereich sicherheitspolitisch nicht allzu ernst nehmen.
Im aktuellen Gutachten fällt auf, dass wieder durchweg aktivistische statt analytische Sprache verwendet wird (z.B. „Flucht“ statt „Migration“) und die Frage nach nationalen Sicherheitsinteressen, die jeder rationalen, strategisch ausgerichteten Sicherheitspolitik zugrunde liegen muss, nirgendwo gestellt wird.
Um die sachlichen Fehler aufzuzählen, mangelt es hier an Raum, aber um ein Beispiel zu geben: Die Aussage „Selbstmandatierung einzelner Staaten …widerspricht dem Völkerrecht“ ist falsch. Wenn ein Staat z.B. einen anderen um Unterstützung im Innern ersucht brauchen die VN dies nicht zu mandatieren.
Zudem kommen für die Sicherheit Deutschlands zentrale sicherheitspolitische Themen wie etwa die Entwicklungen im Zusammenhang mit Russland überhaupt nicht vor. Ich habe den Eindruck, dass auch hier politisch-aktivistische und nicht sicherheitspolitisch-strategische Motive die Themenauswahl bestimmt haben.
Ich finde es sehr bedauerlich, dass der eine oder andere mitwirkende Autor, der mehr könnte, nicht Distanz zu solchen Veranstaltungen hält. Deutschland würde m.E. statt solchem zweifelhaften Aktivismus eine seriöse strategische Wissenschaft brauchen, wie es sie etwa im angelsächsichen Raum oder in Frankreich gibt.
@Noch ein Leser
Na ja, die deutschen Friedens-und Konfliktforscher stellen ja in Ihrem Gutachten imho recht gut dar, dass militärischer „Aktionismus“ in der Verfolgung nationaler/multinationaler (nicht internationaler/globaler) Interessen mehr Schaden anrichtet als politischer „Aktivismus“ nach einem international/global etablierten Regelwerk zur Konfliktverhütung und -bewältigung.
Und solche Gutachten – die letztendlich in die gleiche Richtung deuten – finden Sie in den USA, UK, Frankreich in Hülle und Fülle. Man findet diese Papiere allerdings nur selten in den Main Stream Medien „erwähnt“ – wenn überhaupt. Da beherrschen eben Studien/Gutachten der „bei Hofe“ zugelassenen und vom Hofe geförderten „Tink-Tanks“ die Schlagzeilen.
Insofern ein BZ an den Hausherren, dass er diesen Faden inkl. Dokumentation aufgemacht hat.
@klabautermann
Was Sie beschreiben, ist ja die bestimmt nicht immer falsche Grundannahme, die deren Ansatz zugrundeliegt. Diese Annahme wird in der Regel aber dogmatisch als unwiderlegbar betrachtet (kein Friedensforscher hat sich diesbezüglich jemals korrigiert und erklärt, dass militärisches Handeln in einer Lage zur Erreichung nationaler Interessen sinnvoll gewesen wäre), und anderen Ansätzen wird meist mit moralischer Ablehnung anstatt mit wissenschaftlichen Einwänden begegnet.
Die Annahmen der Friedensforschung werden von ihr auch kaum reflektiert und meist in Form einer Empfehlung standardmäßig weitestgehend unabhängig von der jeweiligen Lage ausgesprochen. Eine Differenzierung zwischen so unterschiedlichen Lagen wie Libyen und Syrien findet diesbezüglich kaum statt, und Russland kommt wie bereits erwähnt ja gar nicht erst vor, wohl auch weil Aktivisten wegen der Komplexität dieses Themas und der schwierigen Einordnung in einfache, moralisierende schwarz/weiß-Kategorien zurückschrecken.
Die ganz anderen Probleme einiger zu partei- oder wirtschaftsnaher Think Tanks v.a. in den USA will ich in diesem Zusammenhang gar nicht bestreiten, aber davon abgesehen gibt es dort eben auch eine gesunde Vielfalt strategischen Denkens, während es in Deutschland in diesem Bereich nur das sich Monopol der üppig alimentierten Friedensforschung gibt.
Vorsichtige Ansätze echter strategisch-sicherheitspolitischer Forschung in Deutschland können übrigens oft nur noch im Verborgenen stattfinden, seitdem Aktivisten mit Militarismus-Vorwürfen, die dem Vokabular mancher Friedensforscher entlehnt hätten sein können, Dozenten bedrohten und Veranstaltungen stürmten. Einige Friedensforscher treten z.T. sogar offen für ein Verbot ihnen nicht genehmen strategischen Denkens an Universitäten im Rahmen der von ihnen geforderten „Zivilklauseln“ ein.
Ich bleibe also dabei, dieses Lager äußerst skeptisch zu betrachten.
@Noch ein Leser
Da kann ich Ihnen weitestgehend zustimmen. Allerdings sind die deutschen Friedens-und Konfliktforscher imho bei weitem nicht mehr so dogmatisch wie früher. Und auch das „nationale Interesse“ kommt in dem Gutachten durchaus vor. Und ebenfalls wird ein bewaffneter Einsatz deutscher Kräfte nicht rundweg abgelehnt, sondern durchaus als Beitrag zur Konfliktverhütung/-bewältigung anerkannt. Das Gutachten fordert auch eine unabhängige Evaluierung der bisherigen Einsätze der Bundeswehr und „verdammt“ diese Einsätze nicht in Grund und Boden.
Ich persönlich entdecke in diesem Gutachten mehr „Strategieempfehlung“ aus nationaler Sicht als aus Sicht NATO oder EU etc. Das sind eben Friedens-und Konfliktforscher und keine „Kriegsforscher“ wie ich oben bereits schrieb. Die legen Ihren Empfehlungen den „Erweiterten Sicherheitsbegriff“ zugrunde wie er in Deutschland nun mal definiert ist und eben keinen geopolitisch,-strategisch definierten Sicherheitsinteressenswahrungs- und -durchsetzungsbegriff wie z.Bsp. die USA oder auch China und Rußland sowie im kleineren Maßstab UK und Frankreich.
Heute passend diese Meldung zum Thema Sicherheitspolitik und Strategie an deutschen Universitäten.
https://linksunten.indymedia.org/de/node/181573
Die Täter griffen übrigens mit ihrer Forderung nach einer „Zivilklausel“, die sicherheitspolitische Forschung mit militärischem Bezug verbieten soll, explizit eine Forderung auf, die auch von Teilen der „Friedensforschung“ erhoben wird.
Das Institut in Kiel ist das einzige, dass sich an einer deutschen Universität offen und nicht unter dem ideologischen Paradigma der Friedensforschung mit Sicherheitspolitik auseinandersetzt. Selbst das scheint ja einigen zu viel zu sein.