ExerciseWatch: Schwerpunkt Polen – Ostsee, Suwalki, Anakonda
Gut einen Monat ist es noch hin bis zum NATO-Gipfel in der polnischen Hauptstadt Warschau – und die Übungen der NATO-Verbündeten, die an der Ostflanke der Allianz Stärke zeigen wollen, konzentrieren sich in diesen Tagen auf Polen. Das hat das ehemalige Ostblockland geschickt organisiert, nicht immer zur Freude seiner Alliierten:
• Mit einer Eröffnungszeremonie in Warschau beginnt am (heutigen) Montag Anakonda 16, eigentlich eine seit Jahren laufende nationale Übung mit starker Beteiligung der USA und anderer NATO-Länder. Vor allem die USA hatten die Bedeutung der Übung schon in den vergangenen Monaten immer wieder betont. Ähnlich wie die Marineübung BALTOPS (s. unten) bekommt auch mit Anakonda eine lange laufende Manöverserie vor dem Hintergrund der verschlechterten Beziehungen zu Russland, die gerade Polen immer wieder heranzieht, eine andere Bedeutung.
31.000 Soldaten aus der NATO und befreundeten Staaten nehmen an Anakonda 16 teil, 12.000 davon aus Polen (in Berichten wurde bislang meist von insgesamt 25.000 Soldaten gesprochen, Polen selbst meldet aber die höhere Zahl). Das Manöver ist in der Allianz umstritten, wie der ARD-Kollege Kai Küstner aus Brüssel berichtet. Das hat sicherlich mit der Nähe zum Gipfel, dem explizit anti-russischen Auftreten der polnischen Regierung und vielleicht auch mit der Einbeziehung von pro-defence organisations auf polnischer Seite zu tun.
Interessant ist bei der Zusammensetzung übrigens, dass offensichtlich mehr US-Truppen als polnische Soldaten dazugehören:
There will participate 31.000 soldiers in the maneuvers, in the four military components: land, air, navy and special Forces. This makes 12.000 Polish soldiers who will be carrying out the exercises within two corpses, three divisions (two Polish and one American), twelve brigades and a number of air-bases, regiments, flotillas and other subunits. At different stages of training, the key roles are put on Multinational Corps Northeast and Allied Land Command in Izmir. Among the foreigners taking part in the exercise, the most numerous will be the Army of the United States, which will send to Poland around 14.000 soldiers.
Die Bundeswehr ist bei Anakonda zahlenmäßig moderat vertreten – rund 400 Soldaten aus Deutschland bilden den Kern eines Pioniereinsatzverbandes; Kampftruppen sind nicht vorgesehen. (Die bisherige Berichterstattung der Bundeswehr ist ein bisschen missverständlich, die dort genannte Zahl von 700 Soldaten betrifft den ganzen Pionierverband, zu dem neben den Deutschen Niederländer, Briten und US-Amerikaner gehören). Die Pioniere werden Mitte Juni bei Chelmno nahe Bydgosz eine Faltschwimmbrücke errichten.
• In der Ostsee läuft seit dem vergangenen Wochenende die internationale Übung BALTOPS unter US-Regie (mehr dazu und zum deutschen Engagement hier; Updates der U.S. Navy gibt es hier). Auch da gilt: Polen spielt eine wichtige Rolle; und die Jahrzehnte alte Übungsserie hat eine neue Bedeutung bekommen.
• Eine reine US-Veranstaltung ist der Dragoon Ride, der Dragonerritt der US-Kavallerie (doch, das heißt so) mit Stryker-Schützenpanzern (auch wenn es Rad ist, bleibe ich bei dem Begriff) von Bayern nach Estland. Wieder spielt Polen eine wichtige Rolle: Eine Marschsäule erreichte am vergangenen Wochenende die (nord)polnische Stadt Suwalki.
Und die hat, aus Sicht der U.S. Army Europe, inzwischen eine zentrale Bedeutung: Sie liegt an der Stelle, an denen die Entfernung zwischen dem russischen Stützpunkt Kaliningrad und Weißrussland am geringsten ist. Die Befürchtung: eine Unterstützung der baltischen Staaten durch Truppen anderer NATO-Staaten könnte an diesem Engpass zum Halt gebracht werden – weil Russland in Kooperation mit Weißrussland deren Bewegungsfreiheit leicht unterbinden könnte.
Vom Suwalki Gap spricht deshalb auch General Ben Hodges, der Kommandeur der US-Armee in Europa, in Anlehnung an das Fulda Gap des Kalten Krieges. Da ist es kein Wunder, dass der Dragoon Ride in Suwalki Halt machte und die US-Soldaten den Kontakt zur Bevölkerung suchen – siehe Foto oben.
(Foto: Soldiers of 4th Squadron, 2nd Calvary Regiment take a photo with a Polish citizens in the main square of Suwalki, Poland, June 4, 2016, as part of joint static display and civilian-military engagement – U.S. Army photo by Sgt. Caitlyn Byrne)
Operative Beurteilung des „Suwalki Gap“.
Nicht zu leugnende Bedeutung im POL- baltischen Grenzraum, mit der Relevanz des „Fulda Gap“ aber nicht annähernd vergleichbar. Aus Sicht des Verteidigers bedeutungsvoller zur Verstärkung der baltischen Position, für den angenommenen Angreifer nur hinsichtlich der Abriegelung des Baltikums von besonderem Interesse.
Bei weiträumigen Angriffsoperationen von strategischer Tiefe über rund 300 Km in erster Staffel bis an die Weichsel, in zweiter über weitere 300 Km bis an die Oder, bieten die Enklave KALININGRAD (Königsberg) sowie Weißrussland weitaus günstigere Operationsmöglichkeiten: Es ist eine Einschließungsoperation naheliegend. Unterstellt wird dabei freilich, die Weißrussen überließen ihren slawischen Brüdern – langfristig vorbereitet – ihr Territorium als Aufmarschraum.
In Zusammenhang mit einem „Gap“ sollte Übersetzungen wie z.B. Pforte, Enge oder auch Flaschenhals zu Rate gezogen werden. Alles Begriffe, die in militärischen Zusammenhängen den Bezug zur Geografie herstellen, also ein „Gap“, geländebedingt vorgegeben. Auf den „Suwalki Gap“ trifft das nicht zu. Die Gap-Funktion erschließt sich allein durch die Einengung von RUS Kräften aus KALININGRAD heraus und aus BELORUS.
Die Analyse „Stratfor“ zieht weitere Schlüsse. https://www.stratfor.com/analysis/new-gap-opens-russia-nato-standoff
Kleines update:
-Dragoon Ride II ist mit Spitzen mittlerweile in Lettland.
-PzArtBtl 295 ist in Litauen angekommen zur Übung Iron Wolf.
-Der Kommandeur US Army Europa, GenLt Hodges, hat heute morgen in Vilnius vor dem Atlantic Council ein paar interessante slides aufgelegt. Ich glaube schon, dass die Amerikaner das Suwalki gap mit auf dem Zettel haben. Er hat auch, und das hat mich dann doch sehr gewundert, den deutschen Beitrag zum nicht mehr ganz neuen Szenario in Osteuropa gewürdigt.
In dem Zusammenhang übrigens die Mitteilung gefunden:
@K-P K
Nun haben Sie mich völlig verwirrt. Wer hat denn nun das „Gap“ ? Die Russen/Weißrussen, der Westen oder gar keiner ? /SCNR
@T.W.
Das Unwohlsein in Brüssel liegt darin begründet, dass all diese bi-/multilateralen US-lead/co-lead Übungen in zeitlicher Nähe zum Gipfelzu leicht von Rußland als „NATO“-Säbelrasseln ausgeschlachtet werden könnten mit dem gleichzeitigen Hinweis auf „scheinheilige“ politische Dialogangebote. Nun ja. man könnte sagen, die Übungen sind lange geplant; das ist der Gipfel auch und die final planning conferences waren bestimmt nicht vor 5 Jahren ;-)
Hier läuft eine US/POL-Show-of-Force-Show und die ist aus europäischer (NATO) Sicht ganz bestimmt nicht „alternativlos“.
Bin mal gespannt, wo die B-52 zum „Einsatz“ kommen – und ob und wie die Russen darauf reagieren.
@LTC007
Das sind Anspornlobeshymnen Richtung „weiter so“. Wenn auf einer Skala „0 – 10“ unser Beitrag abgesehen vom „air policing“ heeresseitig mit 0,1 einzuortnen WAR , klettern unsere Anstrengungen kontinuierlich, was Hodges lobt, und auf „bitte nicht nachlassen“ setzt. Dazu bedarf es publikumswirksamer Hervorhebung, hierfür fand er offensichtlich die geeignete Bühne in Vilnius.
Für das Heer insgesamt eine tolle Sache hinsichtlich Ausb und Übung operativer Verlegefahigkeit, für die Männer (und Frauen) ebenso der Faktor „Erlebnisse schaffen“ von außerordentlicher Bedeutung.
@klabautermann
Ganz einfach, kommt auf den Betrachter an und seine Operationsabsichten.
Aus RUS Sicht bildet SUWALKI für deren EIGENE VORHABEN – unterstellt, die sind ausgeplant – natürlich kein GAP, da ist das irgendein Kaff in der ostpreußischen Pampa.
Natürlich kennen und bewerten die RUS aber NATO-Nöte hinsichtlich Verstärkung oder Entsatz von Kräften im Baltikum und halten Kräfte vor zur Abriegelung des (NATO) – Suwalki Gap. Im Oblast Kaliningrad ist ausreichend vorstationiert.
Man sollte die Bedeutung des Gap denke ich auch nicht überschätzen. Auch der NATO wird klar sein dass sich die Bahnlinie ganz gut eignet, um Truppen ins Baltikum zu bringen – dies aber nur bis zum Beginn etwaiger Kampfhandlungen. Sobald ein Konflikt mit RUS zugange ist, dürfte eine Sicherung der LOC nur schwer möglich und unter hohem Aufwand durchführbar sein.
Operativer (wenn nicht strategischer) Dreh- und Angelpunkt ist eben die Exklave Kaliningrad mit bereits angesprochenen Kräften. Diese mit der Möglichkeit, See- , Land- und Lufttransporte ins Baltikum im V-Fall zumindest zu stören.
LTC007 | 06. Juni 2016 – 16:28
Art Btl 295
und am Sa haben die Tag der offenen Tür das Passt auch wieder oder ?????
soso, nicht alternativlose show of force?
es liegt sicher auch an solchen tragischen, strategischen fehleinschätzungen, dass unser land sicherheitspolitisch in osteuropa keine rolle mehr spielt.
@LTC007
„… dass unser land sicherheitspolitisch in osteuropa keine rolle mehr spielt.“
Tja, ist doch prima ;-)
Über die Rollenverteilung entscheiden wir immer noch selber. Da kann Hollywood auch mit polnischen Regisseuren und baltischen Drehbuchschreibern eben keinen Oskar mehr gewinnen.
Ich finde das gut das zumindest USA was tun
Wenn in BRD nur das Geld gesehen wird und nicht das leben
Freiheit kostet seinen Preis und gibt es auch nicht Kostenlos
Heute „Luftlandetag“, mit 173rd Airborne Brigade aus Vicenza, eingeflogen von Ramstein aus mit C-130 nach Westpommern/Świdwin/Schivelbein
http://anakonda.do.wp.mil.pl/en/39_392.html
@LTC007 | 06. Juni 2016 – 18:05
Ja, ja. Alles ganz schlimm. Aber die Wahrheit ist: Kein einziges europäisches Land „spielt sicherheitspolitisch in Osteuropa eine Rolle“.
Also: Alles, kein Grund zu jammern und klagen. Deutschland ist eben keine Weltmacht.
Das letzte Aufgebot der deutschen Flotte zur Verteidigung des Baltikums – „Le Hermelin“ aka S-73 – ist im Übungsgebiet eingetroffen. Somit sind alle 4 verbliebenen Schnellboote der Deutschen Marine fast&furious „dabei“ bevor dann der final countdown der Außerdienststellung beginnt. Die anderen drei haben östlich Farö die Nacht längseits Elbe zusammen mit dem litauischen P12er verbracht – ob die wohl eine kleine Commodore Baltuschka-Gedächtnis-Sause mit Starka und Jever gefeiert haben ?
Der Commodore mit seinem von den Russen „entliehenen“ Grisha war 1993 der erste litauische Teilnehmer an einem (US)Baltops. Damals waren auch die deutschen S-Boote (2.SG) die Sparringspartner. Na, dem P12 wird wohl kaum der Sprrit ausgehen wie damals dem Grisha – mitten in der Ostsee ;-)
@Klabautermann: Mir gefällt überhaupt nicht, dass Sie alles andere als Ihre geschätzte Meinung in den Bereich der Phantasie verweisen. Der Hinweis auf Hollywood etc. grenzt an Arroganz oder ist Ausdruck missverständlicher Ironie. Mir reicht’s hier erstmal.
Gehört jetzt in jedem, auch wirklich jedem Thread persönlicher Streit dazu?
@Klabautermann, @LTC007: nun vertragt Euch mal wieder und schmunzelt geeinsam über die „Obsoleszenzen“. Geht mir gerade gemeinsa mit @schnallendor auch so, nachdem demnächst die Fallschimjäger aus am A400 angebauten Balkonen hüpfen!? :-))
Man muß sich nicht immer „vertragen“. Habe ja in einem anderen Faden etwas zum Thema Streitkultur geschrieben…..und auf Keilereien lass ich mich nicht ein, bin einfach zu alt für so einen Sch…..
Allerdings meinen (zugegeben manchmal schwarzen) Humor lass ich mir nicht nehmen, denn wenn man auch den Humor verliert, dann hat man wirklich verloren ;-)
Zum Thema:
Wenn ich so auf das deutsche sicherheitspolitische Engagemant in Zahlen schaue – also unsere Beiträge zu Einsätzen und einsatzähnlichen Übungen – dann vermag ich solche Aussagen wie „dass unser land sicherheitspolitisch in osteuropa keine rolle mehr spielt“ einfach nicht unkommentiert sthen lassen – ganz besonders dann nicht, wenn sie aus einer bestimmten Himmelsrichtung erschallen.
Nun schauen wir uns doch mal den Beitrag der deutschen Flotte zu BALTOPS an:
1 F-124, 1 EGV, 2 Tender, 4 S-Boote, 3 Minenkampfboote, „Marineinfantristen“ auf der de Witt – und das bei der Auslastung der Flotte in den echten Einsätzen im Mittemeer, Golf von Aden etc., und das trotz aller materiellen/personalen „Erschwernisse“.
Da schwillt mir dann einfach der Kamm, wenn ich solche „Schnacks“ aus dem „neuen Europa“ lese.
Wieder mal „Sync“ … und auf Einsätze trifft das auch zu. Der „Trümmerhaufen“ ist zu ganz schön vielen verschiedenen Engagements in der Lage. Und bitte mal die Zahlen der tollen FRA und UK danebenlegen.
Bsp AFG, da ist DEU drittgrößter Truppensteller, nach US u Georgien, FRA 0, UK unter 400. (Quelle: http://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2015_10/20151007_2015-10-rsm-placemat.pdf)
Und bitte nicht mit MALI kommen, wo FRA v.a. nationale Interessenpolitik betreibt.
Vstk 3./295 für drei Monate aus Stetten a.k.M. ins Baltikum zu gemeinsamen Ausb- und Schießvorhaben mit litauischen Artilleristen, die an der PzH 2000 im Rahmen des TACET (Transatlantic Capability Enhancement Training) ausgebildet werden.
https://bw2.link/IuMxH
Das Vorhaben ist zusammen mit den weiteren Beiträgen des Heeres, der Marine in der Ostsee, in die Rubrik deutscher Beitrag zur sicherheitspolitischen Verantwortungsübernahme durch gelebte Multinationalität einzuordnen.
@klabautermann | 07. Juni 2016 – 14:52
Was bezeichnen Sie denn als ‚echte‘ Einsaetze? ATALANTA? oder GR/TUR borderguard?
Oder Sophie?
BALTOPS ist doch nur eine Verlegungsreise ohne Gegner. Schoen cool bleiben – F-H-G!
@MikeMolto
Tja, verkehrte Welt: bei BALTOPS können die Jungs&Mädels mal wieder maritime warfare üben und bei den „echten“ Einsätzen werden sie als maritime security „Helferlein“ „verbraten.“
Ändert aber nichts daran, dass diese Flotte ein beachtenswertes operational tempo offenbar durchhält.
ciao
@all
Kleine Frage:
Die Bundeswehr hat auf ihren Kanal in einem Video gesagt,
dass Saber Strike ein amerikanisches-deutsches Manöver ist.
In Wiki steht, es ist ein amerikanisches-baltisches Manöver (ohne deutsche Beteiligung)
Kann mir jemand weiterhelfen?
DEU nimmt an SABER STRIKE teil.
@diba
Ja, die Bw tanzt auf vielen Hochzeiten, aber z.T. nur mit Minimalkontingenten. NATO Reassurance ist quasi ein verlängerter TrÜbPlAufenthalt, so wie z.B. TRJE15 (nur eben deutlich länger).
Ansonsten gilt: wir müssen mehr Soldaten in Einsätze bringen können, gem. LoA wäre dies eine Brigade (Brigadeäquivalent), aufgeteilt auf verschiedene Einsätze. Die Herausforderung ist, daß die Einsätze sehr infanterielastig sind bzw. bestimmte Fähigkeiten quasi immer abgefordert werden, andere eher weniger – wobei die Bw so auf Kante genäht ist, daß eigentlich immer alle gefordert sind.
Und die nächsten Einsätze stehen vor der Tür.
@TMelber, kein Widerspruch, mich ärgert nur, dass so getan wird, wie wenn wir die einzige europ Streitkraft sind, die nicht das liefern kann, was sich manche Träumer hier erwarten. Mit Minimalkontingente, z.B. Schlüsselpositionen in Stäben, sind die UK aber uneingeschränkter Meister.
Saber Strike ist eine US Übung, die keine eigene Übung ist, sondern der Schirm über eine Vielzahl von Einzelübungen. Diese finden im baltischen Raum statt. DEU nimmt an der einen oder anderen dieser Einzelübungen teil.