Deutschland, Türkei, ISIS: Noch keine Abzugsdetails, keine Tornados geplant

Nach der Ankündigung der Bundesregierung am Wochenende, den Patriot-Einsatz in der Türkei zu beenden; nach der Forderung aus der Union, deutsche Tornados gegen ISIS einzusetzen; und nach den Berichten türkischer Medien über angebliche deutsche Waffen bei der kurdischen Arbeiterpartei PKK gab’s am (heutigen) Montag dazu doch einigen Fragebedarf in der Bundespressekonferenz.

Der Audio-Mitschnitt dazu unten, ein paar Kernpunkte:

• Die Planungen für den Abzug der deutschen Patriot-Staffeln aus Kahramanmaras im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums noch nicht so detailliert, dass schon klar wäre, wann das Radar abgeschaltet wird. Für die Planung der Rückverlegung soll’s nun eine Fact Finding Mission geben, sagte der stellvertretende Sprecher des Verteidigungsministeriums, Oberst Ingo Gerhartz. Auch wenn die USA ihre Patriot-Systeme bereits im Oktober abziehen (und der deutsche Einsatz formal noch bis Januar 2016 läuft), bleibe die Arbeit der Bundeswehr dort davon unberührt.

• Die lauten Überlegungen des CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter, Außenpolitiker, Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr und Oberst a.D., für den Kampf gegen ISIS deutsche Tornado-Kampfflugzeuge einzusetzen, sind nach den offiziellen Angaben der Bundeswehr derzeit kein Thema für Planungen. Solche Pläne seien mir völlig unbekannt, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer.

• Bei Fragen nach einer möglichen Weitergabe von deutschen Waffen, die an die kurdischen Peshmerga-Kämpfer im Nordirak geliefert wurden, an die – verbotene – kurdische Arbeiterpartei PKK gab’s eine interessante Akzentverschiebung. Die Türkei führt inzwischen – wieder – faktisch Krieg gegen die PKK, und da ist schon auffällig, wenn heute mehrere türkische Medien berichten, deutsche Waffen seien im Besitz der PKK (siehe Tweet oben). Bislang hat die Bundesregierung bei der Frage nach der möglichen Weitergabe von einer kurdischen Organisation an eine andere immer sehr kategorisch auf die mit der kurdischen Regionalregierung abgeschlossene Vereinbarung verwiesen, die eine solche Weitergabe verbietet.

Jetzt waren von Regierungsseite erstmals etwas skeptischere Töne zu hören: Eine solche Proliferation sei nicht mit völliger Sicherheit auszuschließen, sagte Außenamtssprecher Schäfer. Wer Diplomaten-Sprech kennt, kann da schon raushören: Die bisherige absolute Sicherheit, dass die Waffen nicht weitergegeben wurden, ist offensichtlich ins Wanken geraten.

Das Audio mit den Aussagen von Gerhartz und Schäfer:

 

BPK_Tuerkei_17aug2015     

 

(Transkript wird nachgetragen, wenn es vorliegt siehe unten im Nachtrag 2.)

Nachtrag: Die New York Times wirft einen genaueren Blick auf den Abzug der US-Patriot-Systeme – mit der Einschätzung, dass die US-Streitkräfte die Abzugsankündigung hinausgezögert haben, bis sie in Verhandlungen erreicht haben, dass sie die Luftwaffenbasis Incirlik für Einsätze gegen ISIS nutzen dürfen (da sich die Deutschen nach eigenen Angaben mit den USA abgestimmt haben, müssen die ja dann auch bei diesem Spiel mitgemacht haben?):

The challenge for senior State and Defense Department officials boiled down to managing one priority — withdrawing the antimissile systems and their troops, an Army capability already stretched by near-constant deployments — without scuttling another priority, gaining Turkish permission to launch airstrikes from Incirlik. Last week, six F-16 fighter jets and 300 American military personnel arrived at Incirlik and flew their first combat missions.

Nachtrag 2: Das Transkript des obigen Audios:

FRAGE WIEGOLD: Stichwort Türkei: Herr Gerhartz, wie lange werden nach der Ankündigung der Bundesregierung am Wochenende, das Mandat für „Acitve Fence Turkey“ auslaufen zu lassen, und der US-Ankündigung, bereits im Oktober die Patriot-Systeme abzuziehen, die Deutschen ihre Systeme weiter betreiben? Wie lange geht das operative Geschäft in diesem Einsatz also noch weiter, und wann wird abgebaut, eingepackt und zurückverlegt?

In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage an Herrn Seibert bzw. an Herrn Schäfer. Der CDU-Abgeordnete Kiesewetter, der ja auch gewisse sicherheitspolitische Berührungspunkte hat, hat in diesem Zusammenhang ich weiß nicht, ob erneut ins Gespräch gebracht, dass sich Deutschland am Kampf gegen ISIS in der Region mit Tornado-Kampfjets beteiligen könnte. Gilt weiterhin die kategorische deutsche Absage hinsichtlich eines Einsatzes solcher Waffensysteme in diesem Zusammenhang?

GERHARTZ: Dann fange ich mit dem ersten Teil an. Sie haben es mitbekommen: Die Bundesregierung hat entschieden, diesen Einsatz zum Mandatsende, das heißt zum Januar 2016, zu beenden. Das ist natürlich in Abstimmung mit der Türkei, aber auch mit den USA passiert. Die Amerikaner haben gesagt, dass sie schon jetzt, zum Oktober hin, abziehen wollen. Wir sind jetzt dabei, nachdem wir das jetzt erst einmal abgestimmt und die Entscheidung auch dementsprechend bekannt gegeben haben. Sie haben ja mitbekommen, dass der SACEUR immer diese Reviews der Bedrohung erstellt hat, und der letzte Review-Report im Juni war jetzt schon der Review-Report, in dem die Bedrohung durch ballistische Raketen als sehr, sehr gering eingeschätzt worden ist, sodass bei uns im Ministerium und in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt schon die Gedankenprozesse in Bezug darauf liefen, wie wir jetzt weiter mit diesem Einsatz umgehen. Jetzt gab es eben die Bekanntgabe der Entscheidung.

Wie das jetzt im Speziellen operativ aussehen mag, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Für uns wird jetzt erst einmal eine Fact-Finding-Mission unterwegs sein, die sich das vor Ort ganz genau anschauen wird. Ich kann hier nur sagen: So, wie wir hineingekommen sind, vermute ich einmal, werden wir wahrscheinlich auch herausgehen. Nur damit man einmal eine Größenordnung hat: Das sind ca. 200 Fahrzeuge. Es sind mehr als 150 Container. Das ist also eine Menge Material. Das wird auch wieder über irgendeinen Hafen herausgehen müssen, und von Kahramanmaraþ nach Ýskenderun sind es ca. 250 Kilometer. Zumindest sind wir über diesen Hafen hereingekommen. Ich denke einmal, dass wir das wahrscheinlich auch so wieder herausverlegen werden. Jetzt müssen wir natürlich mit der „host nation“, weil die ja letztlich auch für die Sicherheit zuständig ist, eben mit der Türkei, genau abstimmen, wie das passt und wann wir dann dementsprechend zurückverlegen werden. Wir haben dazu also noch keine genaue Planung, und ich kann Ihnen jetzt auch noch keinen Termin nennen, an dem ich sagen kann: In diesem Moment stellen wir das Radar aus und werden die Fähigkeit operativ nicht mehr vor Ort haben.

ZUSATZFRAGE WIEGOLD: Eine technische Frage: Ergibt es überhaupt Sinn, dass die Deutschen ihr System weiterbetreiben, wenn die USA ihres schon abziehen? Ist das nicht ohnehin ein Verbund, der nur so sinnvoll ist?

GERHARTZ: Klar war es ein Verbund; das ist logisch, weil sich die unterschiedlichen Systeme natürlich abstützen. Aber wenn man jetzt einmal den speziellen Schutzraum sieht, dann sind wir für diese Stadt Kahramanmaraþ schon alleine zuständig, und unser Radargerät wird durchaus so lange dort bleiben, bis wir eben mit der Rückverlegung beginnen werden. Da haben wir immer noch die Möglichkeit, agieren zu können.

DR. SCHÄFER: Vielleicht nur vorweg zur Klarstellung: Deutschland hat sich von Anfang an am gemeinsamen Kampf der internationalen Gemeinschaft gegen ISIS beteiligt und wird das auch weiterhin tun. Letztes Jahr um diese Zeit ist die Entscheidung der Bundesregierung gefallen, die kurdischen Sicherheitskräfte, die Peschmerga, mit deutschen Waffen zu versorgen, damit die Peschmerga und die kurdische Region im Irak in die Lage versetzt werden, sich gegen den Ansturm von ISIS zur Wehr setzen zu können. Das haben wir getan. Das haben wir über die vergangenen zwölf Monate hinweg getan, und das werden wir, sofern und sobald das weiter erforderlich ist, natürlich auch fortsetzen.

Es gibt eine Reihe von anderen Dingen, die ich hier im Detail nicht aufführen will, in Bezug darauf, in welcher Weise wir uns an der internationalen Koalition gegen ISIS beteiligen. Ich kann allerdings zu Ihrem konkreten Vorhalt nur sagen: Mir sind keinerlei Pläne der Bundesregierung bekannt, sich in eine ganze Phalanx von Staaten einzureihen, die mithilfe ihrer Luftwaffe den Kampf gegen ISIS unterstützen. Ich glaube, da gibt es deutlich mehr als ein Dutzend Staaten mindestens eineinhalb Dutzend , die das tun, und ich glaube nicht, dass es an Gerätschaften der Luftwaffe mangelt, um diesen Kampf gegen ISIS erfolgreich zu führen. Wie gesagt: Konkrete Pläne oder auch abstrakte Pläne innerhalb der Bundesregierung mit diesem Ziel wären mir völlig unbekannt.

FRAGE: Herr Gerhartz, können Sie uns vielleicht die Gründe für den Raketenabzug aus der Türkei nennen?

GERHARTZ: Ich dachte, das wäre gerade mit unser beider Äußerung deutlich geworden; vielleicht hole ich da noch einmal aus, damit es besser verständlich wird. Es gab, als wir damals mit dem Einsatz begonnen haben, bei der NATO, beim SACEUR, also der höchsten militärischen Stelle, ständig ein sogenanntes Review. Die verschiedenen Nachrichtenkräfte haben sich also auch im Zusammenwirken mit der Türkei angeschaut, inwieweit es noch eine Bedrohung durch ballistische Raketen aus Syrien gibt, dies vor dem Hintergrund, dass die eben chemisch bestückt werden konnten. Hierzu hat Deutschland auch viel beigetragen. Deutschland hat sich ja auch an diesem Einsatz der „Cape Ray“ zur Vernichtung der chemischen Arsenale beteiligt. Aber durch unsere Nachrichtenwesenzellen wie gesagt, auch alle Regionalen wie die Türkei sind da ein Mitbestandteil konnte man sehen, dass diese Bedrohung das konnte man auch in diesem Review-Reports sehen, die quasi jedes Vierteljahr bei dieser Stelle in Brüssel, beim SACEUR, gemacht worden sind mehr und mehr abgenommen hat. Das letzte Review das war jetzt im Juni dieses Jahres hat ganz klar ausgesagt, dass die Bedrohung äußerst gering ist.

DR. SCHÄFER: Ich würde gerne vielleicht nur einen Satz ergänzen, wenn ich darf, und möchte Ihnen sagen, wie es der Außenminister gestern auch einer großen deutschen Sonntagszeitung gesagt hat: Es gibt überhaupt keinen Zweifel an der Solidarität Deutschlands im NATO-Verbund mit der Türkei. Die Türkei ist ein Frontstaat im Kampf gegen ISIS. Die Türkei hat eine völlig andere Situation, als wir sie hier in Deutschland haben, wo wir einige 1000 Kilometer weit weg vom unmittelbaren Kampfgebiet sind. Die Türkei hat seit mindestens fünf Jahren mit den dramatischen Folgen des Bürgerkriegs in Syrien zu kämpfen. Das fängt bei einer hohen einstelligen Millionenzahl von Flüchtlingen an, die die Türkei aus den Krisengebieten aufgenommen hat. Das geht weiter mit den Übergriffen von syrischem Territorium auf türkisches Territorium, die der eigentliche Anlass dafür gewesen sind, dass die Bundesregierung im Spätherbst 2012 die Entscheidung getroffen hat, auf diese Art und Weise, nämlich mit den Patriot-Raketenabwehrsystemen, der Türkei zur Seite zu stehen. Selbstverständlich werden wir weiterhin im bilateralen Verhältnis mit der Türkei und mit Ankara wie auch im NATO-Rahmen diese von mir gerade geäußerte Solidarität mit der Türkei weiter leben und mit Leben erfüllen, wann und wo auch immer das erforderlich ist.

ZUSATZFRAGE: Ich stelle die Nachfrage einmal so: Was für eine Rolle für den Raketenabzug aus der Türkei spielt die Tatsache, dass der Friedensprozess mit der PKK unterbrochen ist?

DR. SCHÄFER: Das spielt keine Rolle.

FRAGE JUNG: Herr Gerhartz, warum ist die Bedrohungslage aus Syrien aktuell und in den letzten Monaten geringer als noch im Januar? Ich meine, die Türkei kämpft jetzt aktiv gegen ISIS. Da würde man ja nach normalem Menschenverstand denken „Wenn, dann ist die Bedrohung größer geworden“.

Zweite Frage: Haben die amerikanischen Freunde vor der Bundesregierung entschieden, die Patriot-Raketen abzuziehen, oder war das jetzt eine Reaktion auf den deutschen Abzug?

GERHARTZ: Für die erste Frage bin ich Ihnen noch einmal dankbar, Herr Jung, denn „Bedrohung“ muss man natürlich etwas differenziert betrachten; da haben Sie natürlich völlig recht. Speziell die Patriot-Raketen werden gegen ballistische Raketen eingesetzt. Das heißt, das war die Bedrohung, nach der man ursprünglich gesagt hat: Der Einsatz ist erforderlich. Ich kann die Quellen, die wir da haben, jetzt nicht offenlegen. Aber ich glaube, wenn international und insbesondere bei der NATO das Bild erwächst und es sich auch über Monate hinweg verdichtet, dass diese Bedrohung so gering ist, dann gehen Sie davon aus ist das auch so.

Zu der Perzeption der Bedrohung und dazu, dass es doch den Kampf gegen IS gibt: Ja, das ist richtig. Aber hier muss man ganz klar unterscheiden. Es ist eine ganz andere Bedrohung, wenn es insbesondere um diesen Bereich der Raketen geht. Hierbei geht es nicht um ballistische Raketen, sondern IS kämpft mit sogenannten Mörsergranaten. Was das betrifft, können Patriot-Raketen überhaupt gar nichts dagegen ausrichten. Das sind Mörsergranaten, die eine Reichweite von wenigen Kilometern haben. Das betrifft eher den Grenzbereich. Das heißt, für so eine Stadt wie Kahramanmaraþ käme es überhaupt gar nicht zu irgendeiner Bedrohung. Aber, wie gesagt, gegen diese Bedrohung können Patriot-Raketen ohnehin nicht eingesetzt werden.

ZUSATZFRAGE JUNG: Die zweite Frage war, ob der Abzug der Patriot-Raketen eine Reaktion darauf war, dass die Amerikaner die Patriot-Raketen abziehen.

GERHARTZ: Völlig im Einklang mit den Amerikanern, mit der NATO und auch mit der Türkei.

ZUSATZFRAGE JUNG: Hat man das also zusammen entschieden?

GERHARTZ: Richtig.

FRAGE WIEGOLD: In mehreren türkischen Medien wird heute Morgen behauptet, es seien von der PKK Waffen genutzt worden, die offensichtlich von Deutschland an Kurden in Irak geliefert wurden. Ist Ihnen davon im AA oder BMVg etwas bekannt, und wie bewerten Sie das?

DR. SCHÄFER: Ich kann das nicht bestätigen. Ich kann das aber auch nicht völlig ausschließen. Die Waffen, die wir den Peschmerga, den kurdischen Sicherheitskräften, zur Verfügung gestellt haben, haben wir denen mit der Zusicherung gegeben, dass sie dem Kampf gegen ISIS und keinen anderen politischen, militärischen oder sonstigen Zielen dienen. Die Art und Weise, in der die Waffenlieferungen von der Bundesregierung angelegt worden sind nämlich in verschiedenen Tranchen, die immer wieder dann abrufbar waren, wenn bestimmte Teile der Munition oder von MILAN aufgebraucht waren oder aufgebraucht zu werden drohten , trägt dem Umstand Rechnung, dass wir vorsichtig, behutsam und sorgsam vorgehen wollten. Das heißt aber nicht, dass wir mit völliger Sicherheit ausschließen könnten, dass hier und da vielleicht tatsächlich die eine oder andere Waffe in einer Weise zur Anwendung kommen könnte oder weitergegeben wurde, die nicht dieser Zusicherung entspricht. Wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass so etwas geschehen ist, dann können Sie sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung mit denjenigen, mit denen sie dazu seit dem letzten Jahr in engstem Kontakt steht, nämlich den Vertretern der Regionalregierung in Erbil, darüber das Gespräch aufnehmen wird und darauf drängen wird, dass, wenn so etwas geschehen sein mag, das aufgeklärt und abgestellt wird.

ZUSATZFRAGE WIEGOLD: Ist ein solcher Vorwurf von der türkischen Seite schon in irgendeiner Form vorgebracht worden?

DR. SCHÄFER: Das wäre mir nicht bekannt.

FRAGE JUNG: Herr Gerhartz, gab es in all der Zeit, in der die Patriot-Raketen in der Türkei waren, irgendwann einmal einen Zeitpunkt, an dem die Anwendung der Patriot-Raketen in Betracht kam?

GERHARTZ: Seit dem Beginn des Einsatzes hatten wir über die Patriot-Radargeräte ständig das Lagebild. Die Radargeräte haben also den Luftraum beobachtet. Es fand in diesem Zeitraum kein Beschuss durch ballistische Raketen statt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Herr Schäfer, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass es bald eine Flugverbotszone an der Grenze Syriens und in Syrien geben wird?

DR. SCHÄFER: Der politische Wunsch bzw. die politische Zielvorstellung ja, die politische Forderung der türkischen Regierung nach der Einrichtung einer Flugverbotszone entlang der syrisch-türkischen Grenze auf syrischem Staatsgebiet ist nicht neu. Diese Forderung wird von türkischer Seite seit Langem erhoben. Einmal ganz abgesehen von einer Reihe praktischer Probleme wer setzt das durch, wie wird das durchgesetzt, welche Nationen beteiligen sich daran? , ist seit Jahren das Problem, das weit über den Punkt der Flugverbotszone hinausgeht bei allem, was die internationale Gemeinschaft in Syrien versucht , die Blockade des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Maßnahmen, die unmittelbar die Hoheitsrechte, die Souveränität des Staates Syrien betreffen, bedürfen nach der Charta der Vereinten Nationen einer Ermächtigungsgrundlage. Das kann eine Kapitel-7-Maßnahme der Vereinten Nationen sein. Sie wissen, dass es in den vergangenen Jahren mehrfach den Versuch insbesondere der westlichen Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gegeben hat, hier Pflöcke einzuschlagen, die dann immer wieder am Veto einiger ständiger Mitglieder des Sicherheitsrats gescheitert sind.

Aber Sie sprechen immerhin einen Punkt an, der der Bundesregierung sehr am Herzen liegt. Wir haben das Gefühl das hat der Außenminister gestern auch noch einmal in seinem Interview in der „BILD am SONNTAG“ zum Ausdruck gebracht , dass es seit einigen Monaten Bewegung in Bezug auf all die Fragen hinsichtlich des Versuchs einer Annäherung an eine politische Lösung dieser schrecklichen Syrien-Krise gibt, und zwar unter zwei Gesichtspunkten:

Der erste Gesichtspunkt ist die Einigung über das iranische Atomprogramm, die ja noch nicht in trockenen Tüchern ist, die noch im Iran durch das Parlament muss und die im amerikanischen Kongress durch das Parlament muss. Das eröffnet neue Perspektiven für einen Dialog mit dem Iran, der ja in Syrien unzweifelhaft ein ganz wichtiger Spieler ist und Interessen verfolgt, die in vielerlei Hinsicht den unseren diametral entgegenstehen.

Der zweite Punkt ist: Vieles spricht dafür, dass das syrische Militär, das Militär des Assad-Regimes, zunehmend zermürbt ist, Versorgungsprobleme hat und Personalrekrutierungsprobleme hat. Wenn die internationale Gemeinschaft den Versuch unternimmt, das zu retten, was vom syrischen Staats- und Gemeinwesen noch übrig ist, dann ist aus unserer Sicht der Moment gekommen, dies jetzt und in dieser Zeit erneut anzupacken. Dazu gibt es Bemühungen des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, Herrn de Mistura. Dazu hat es unter Beteiligung des deutschen Außenministers in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Gespräche gegeben. Herr Steinmeier hat am Rande der Iran-Verhandlungen in Wien mehrfach mit dem amerikanischen Außenminister, mit dem russischen Außenminister und mit anderen Gespräche über das Syrien-Dossier geführt. Der saudische Außenminister ist genau vor einer Woche hier bei uns in Berlin gewesen. Die Außenminister Russlands und der Vereinigten Staaten von Amerika sind am Golf unterwegs gewesen und haben mit wichtigen Spielern insbesondere mit Saudi-Arabien das Gespräch gesucht. Im Grunde ist, wenn Sie so wollen, der diplomatische Boden bereitet, um jetzt Fortschritte zu erzielen. Dafür gibt es keine Garantie, sondern es gibt nur die feste Absicht der Bundesregierung und anderer Partner, auf diesem Weg sozusagen konsequent weiterzugehen und wirklich auszuloten, was machbar ist. Das setzt voraus, dass es in der internationalen Gemeinschaft ein Mehr an Miteinander gibt. Das setzt letztlich aber auch voraus, dass die verschiedenen politischen Kräfte in Syrien erkennen, dass dieser schreckliche Bürgerkrieg im Grunde nur noch mehr Tod, Unheil, Flucht und Vertreibung anrichtet, aber die politischen Ziele der einzelnen Fraktionen sicherlich auf diese Art und Weise nicht erreicht werden können.

ZUSATZFRAGE JUNG: Herr Schäfer, was ich jetzt nicht ganz herausgehört habe: Wie ist denn die Haltung der Bundesregierung bezüglich des Wunsches der türkischen Freunde, eine Flugverbotszone zu errichten? Die Türkei kämpft ja gegen ISIS. ISIS hat ja keine Flugzeuge. Würde die Einrichtung einer Flugverbotszone bedeuten, dass man dann gegen Assad kämpft? Ist Assad denn der offizielle Gegner der Türkei?

DR. SCHÄFER: Es ist ja nicht an mir, jetzt die türkischen Vorschläge ob ihrer Zweckmäßigkeit, Sinnhaftigkeit oder vermeintlichen oder tatsächlichen völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Diese Frage sollten Sie dann schon an die Kollegen in Ankara richten.

Der Bundesregierung geht es darum, dass es eine gemeinsame, entschlossene und umsetzbare Haltung der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen ISIS gibt. Dabei sind wir im letzten Jahr eine ganze Menge Schritte vorangekommen. Jeder weiß, und daraus haben wir nie einen Hehl gemacht, dass das ein dickes Brett ist, das wir da bohren müssen, und dass der Kampf gegen ISIS, die ja auf dem Trümmerfeld mangelnder staatlicher Souveränität im Irak und in Syrien entstanden sind, ein Kampf ist, der langen Atem voraussetzt, aber ein Kampf ist, den Deutschland und die Bundesregierung auf der Grundlage des Völkerrechts und der internationalen Rechtmäßigkeit zu kämpfen gedenkt. Wir sind, was diese und andere Fragen angeht, mit unseren Partnern im Gespräch. Ich hatte Ihnen von einigen Gesprächskontakten bereits berichtet. Das gilt ausdrücklich auch für das bilaterale Verhältnis zur Türkei. Auch über diese und andere Fragen hat der Außenminister in der letzten Zeit mehrfach mit seinem türkischen Amtskollegen gesprochen.

(…)

MÄNZ: Ich habe inzwischen die aktuellen Zahlen recherchieren können. Es sind aktuell knapp 1.700 lokale Mitarbeiter und nach dem aktuellen Stand von heute etwa 80 internationale bzw. entsandte Mitarbeiter, davon etwa 20 deutsche. Die Abweichungen zu den Zahlen, die ich vorhin genannt habe, was die internationalen Mitarbeiter angeht, sind momentan vor allen Dingen durch die Urlaubszeit und anstehende Wechsel in der personellen Besetzung bedingt.