Angeblich Entscheidung über neues Flugabwehrsystem gefallen – auf MEADS-Basis
Und noch ein feiertäglicher Merkposten: Angeblich, so meldet der Kollege Christoph Hickmann von der Süddeutschen Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht), ist die Entscheidung über das künftige Flugabwehrsystem TLVS (Taktisches Luftverteidigungssystem) der Bundeswehr gefallen. Auf der Basis des gemeinsam von den USA, Deutschland und Italien entwickelten MEADS (Medium Extended Air Defense System), das nach Fertigentwicklung nicht beschafft wurde, soll das neue System unter anderem vom Lenkflugkörper-Systemhaus MBDA gebaut und für die deutschen Streitkräfte beschafft werden:
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll der Nachfolger für das Flugabwehrraketen-System Patriot von der Firma MBDA kommen, die das gemeinsam mit dem US-Rüstungskonzern Lockheed Martin entwickelte System Meads zur Serienreife bringen soll.
Das politische Risiko ist für von der Leyen außerordentlich hoch: Sollten die Meads-Hersteller in den kommenden Jahren daran scheitern, das System zur Serienreife zu bringen, oder sollten die Kosten aus dem Ruder laufen, würde sie politisch für verantwortlich erklärt – ganz gleich, ob sie dann noch Verteidigungsministerin wäre. Um dagegen Vorkehrungen zu treffen, wurde nach SZ-Informationen bei einer Sitzung im Ministerium, an der in der vergangenen Woche neben Staatssekretärin Suder unter anderem die Abteilungsleiter für Rüstung und Planung teilnahmen, folgendes Vorgehen besprochen: Zwar soll Meads den Zuschlag bekommen, aber unter strengen Bedingungen.
Offiziell gibt es dafür keine Bestätigung. Das Verteidigungsministerium hatte wiederholt erklärt, dass eine Entscheidung über die Auswahl für die Patriot- Nachfolge – neben einem MEADS-Nachfolger ist eine Weiterentwicklung des Patriot-Systems von Raytheon im Gespräch – bis zum Sommer fallen solle. Diese Position wiederholte ein Ministeriumssprecher am Donnerstagabend; weiterhin gebe es Gespräche mit beiden Herstellerfirmen.
Das MEADS-Entwicklungskonsortium hatte im November 2013 die erfolgreiche Entwicklung des Systems gemeldet und seitdem vor allem damit argumentiert, dass Deutschland wie die anderen beteiligten Staaten bereits in die Entwicklungskosten investiert habe und diese deshalb auch nutzen sollte. Außerdem behalte Europa mit diesem System die Kontrolle über die technologische Entwicklung und müsse nicht black boxes des US-Herstellers Raytheon in Kauf nehmen. Das Patriot-Herstellerunternehmen hielt dagegen, seine Systeme seien weltweit und auch in Europa bereits eingeführt, Neuentwicklungen kämen allen Nutzerstaaten zu Gute und zudem sei das Patriot-System der neuen Generation deutlich günstiger als das MEADS-System.
Die deutsche Luftwaffe hatte in jüngster Zeit allerdings erkennen lassen, dass sie die Beschaffung eines auf MEADS basierenden Nachfolgesystems für sinnvoller halte. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Bundeswehr offensichtlich nicht davon überzeugt war, dass die Patriot-Weiterentwicklung auf dem derzeitigen Stand ihren langfristigen Ansprüchen entsprechen werde.
Nachtrag: Dazu die Aussagen aus der Bundespressekonferenz am 15. Mai vom stellvertetenden BMVg-Sprecher Oberst Ingo Gerhartz:
FRAGE: Ich habe eine Frage an das Verteidigungsministerium zum Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ von heute zum Thema MEADS, dass die Entscheidungen gefallen seien. Können Sie bitte kurz sagen, was der Stand der Dinge ist?
GERHARTZ: Lassen Sie mich dazu noch einmal klarstellen: Eine Auswahlentscheidung das haben wir auch mehrmals so angekündigt wird Ende des zweiten Quartals in diesem Jahr getroffen. Wenn ich jetzt hier in der Regierungspressekonferenz auf die Datumsanzeige meiner Armbanduhr schaue, sage ich mir: Wir sind noch nicht am Ende des zweiten Quartals. Wir sind noch mit den beiden großen Herstellern das ist zum einen Raytheon und zum anderen MBDA Deutschland gleichermaßen im Gespräch. Das zunächst dazu.
ZUSATZ: Dass man bis zum Ende des zweiten Quartals eine Entscheidung treffen möchte, heißt ja nicht, dass man das am letzten Tag des Endes des zweiten Quartals tun muss.
GERHARTZ: Das ist richtig. Aber wir wollen es zum Ende des zweiten Quartals tun. Das werden wir dann auch. Sie sehen ja: Wir sind mit den Herstellern noch im Gespräch, und das wird auch noch einige Gespräche andauern. Ich darf noch einmal ausholen:
Wir hatten letztes Jahr das Rüstungsgutachten, was uns hier auch mehrere Empfehlungen mit auf den Weg gegeben hat. Ein Beispiel: Wir hatten mehrere Lösungsvorschläge, wo uns das Rüstungsgutachten gesagt hat, dass sie nicht vergleichbar sind. Das haben wir alles noch einmal neu aufgearbeitet, sodass letztlich zu Beginn dieses Jahres die beiden Lösungsvorschläge übrig blieben: zum einen die Weiterentwicklung des Patriot-Systems und zum anderen das sogenannte MEADS. Diese beiden Lösungsvorschläge stehen sich immer noch gegenüber. Zu den Spekulationen, es gäbe hier schon Gespräche verschiedenster Natur in dem Kreis mit dem Generalinspekteur, wo schon Dinge beschlossen worden seien, kann ich nur sagen: Wir führen bei einem so komplexen Programm nahezu jeden Tag Gespräche mit den entscheidenden Personen. So sind wir auch noch mit unseren Entscheidern ich wiederhole mich da gleichermaßen im Gespräch wie auch mit den Herstellern.
Aber lassen Sie mich noch einmal kurz auf die Berichterstattung eingehen; sie zählt hier im Wesentlichen zwei Kriterien auf, die einer Beschaffung zugrunde gelegt werden. Das ist einmal das Kriterium Arbeitsplätze. Hier möchte ich noch einmal ganz klar betonen: Das ist sehr, sehr wichtig. Das ist ein ganz bedeutendes Kriterium. Selbstverständlich geht es um Arbeitsplätze in Deutschland. Aber was auch ganz entscheidend ist: Bei beiden Lösungswegen bei der Patriot-Weiterentwicklung wie auch bei MEADS gibt es einen erheblichen Workshare, der dann in Deutschland entsprechend abgebildet wird. Bei beiden Lösungsvorschlägen geht es um Arbeitsplätzesicherung in Deutschland.
Das andere Kriterium, das hier aufgeführt wird, ist, dass wir klare Abbruchkriterien einpflegen, dass die Firma Nachweise bis zur Beschaffungsreife zu erbringen hat, bei der wir dann gegebenenfalls sukzessive aussteigen könnten, also eine Haftungskette aufgemacht wird. Auch das wird in der Berichterstattung etwas an dem Lösungsvorschlag MEADS festgemacht. Das gilt natürlich auch für den anderen Weg. Auch hier muss es eine klar definierte Haftungskette geben; das ist selbstverständlich.
Lassen Sie mich hier nur ein Kriterium noch einmal kurz umreißen; dabei will ich es dann bewenden lassen: Das ist das Kriterium der Life-Cycle-Kosten, das in der Berichterstattung vielleicht zu kurz gekommen ist. Das ist für uns das alles Entscheidende, nicht: Was kostet uns ein System in Entwicklung und Beschaffung? das ist auch wichtig , sondern: Was kostet es uns im kompletten Life Cycle, wenn man Personal und Material über einen Life Cycle von 30 Jahren plus mit hineinrechnet? Das ist letztlich das entscheidende Kriterium, wenn man die beiden Lösungsvorschläge gegeneinanderhält.
Aber um noch einmal an den Anfang zu kommen: Wir werden das Ende des Quartals entscheiden, aber da sind wir jetzt noch nicht.
ZUSATZFRAGE: Wenn Sie sagen, die Life-Cycle-Kosten sind das entscheidende Kriterium, dann werden Sie doch schon relativ klare Vorstellungen davon haben, wie die für die beiden Varianten aussehen, oder?
GERHARTZ: Die haben wir, aber ich werde jetzt hier keine Wasserstandsmeldungen abgeben, wie die einzelnen Details bei dem einen Lösungsvorschlag und wie sie bei dem anderen Lösungsvorschlag aussehen. Wir werden das Ende des zweiten Quartals entscheiden und es dann auch dementsprechend transparent machen.
FRAGE: Ist das eine Entscheidung, die ausschließlich auf der nationalen Ebene getroffenen wird, oder sind Sie auch mit anderen NATO-Partnern im Gespräch? Ich frage, weil Polen auch vor dieser Entscheidung steht. Das sind auch die beiden Kontrahenten, die beiden Anbieter. Spielt das eine Rolle, oder wird die Entscheidung nur in Berlin getroffen?
GERHARTZ: Danke für Ihre Frage. Es ist für mich ganz hilfreich, noch einmal auszuführen: Es ist natürlich eine nationale Entscheidung. Aber es ist ein wichtiges Kriterium, weil wir es als sehr wichtige Fähigkeit ansehen, um in der Zukunft darüber zu verfügen, dass wir hier natürlich schauen, wie wir hier Partner einbinden können. Das heißt aber auch wieder, und das ist fast wieder auf der Linie Arbeitsplätze – Haftungskette zu sehen: Weder die eine noch die andere Lösung schließt Partner aus. Bei der Patriot-Weiterentwicklung hätte man den Vorteil, dass man, wenn mehrere Nationen sich dieser Weiterentwicklung anschlössen, das System also auch beschafften bzw. die, die Patriot schon haben, es entsprechend weiterentwickelten , hier einen Verbund hätte. Patriot hat aber den Nachteil, dass man andere Systeme dort nicht einpflegen kann.
MEADS hat durch die offene Systemarchitektur den Vorteil, dass man, um das Beispiel zu kreieren, wenn sich Polen jetzt Patriot bzw. dann ein weiterentwickeltes Patriot-System beschaffen würde, das dann mit MEADS zusammenschalten könnte, so wie es dann auch bei einem Einsatz in einem Verbund geschieht.
Also weder die eine noch die andere Lösung schließt aus, dass wir mit Partnern zusammengehen. Das Kriterium findet also Einfluss in die Entscheidung. Die Entscheidung fällt letztlich allein national.
(Foto: Ein Testschuss des MEADS-Systems mit einer PAC3-Rakete 2013 in White Sands – Lockheed Martin)
Ich hätte jetzt gedacht das Diehl Defence den Nachfolger bringt. Die BW war doch sehr interessiert am Iris-T SLM System.
@Ryan
Ich schrieb doch “ …noch immer ist zu befürchten ….. “ . Der danach folgenden Zynismus sollte wohl recht einfach zu erkennen sein.
Bei vielen zu beschaffenden Systemen ist eine grobe Stückzahl bekannt, und auch die Entwicklung Ihrer Größe. ( aus 240 Eufis werden 180 werden 134 etc.) Beim TVLS ist dies bisher nicht der Fall.
In Anbetracht des wohl nicht mehr so laschen Industrie-Management im BaAINBw , sowie vor dem aktuellen SiPol. Hintergrund ist die Frage nach der Anzahl sehr interessant. Denn es stellt sich die Frage: Was machen Sachen? Wie viele Liegenschaften möchte man schützen können etc. …
@Frank: Kleine Korrektur, Schweden hat Iris-T SLS bestellt, nicht SLM, denn Schweden möchte exakt die gleichen FKs für seine Starrflügler nutzen. Für SLM gibt es bislang keinen Kunden.
@ Pippi L.:
Sehr interessant.
Hier eine etwas ausführlichere Beschreibung der Ausschreibung:
http://ausschreibungen-deutschland.de/224702_Untersuchung_zur_Nutzbarkeit_und_Nutzbarmachung_der_MEADS_Entwicklungsergebnisse_2015_Koblenz
„V.5)Angaben zur Vergabe von Unteraufträgen
Es können Unteraufträge vergeben werden: ja“
Schreibt dann die Industrie wieder einen Teil der IABG-Studie? Da war doch was bezüglich Eurohawk, ISIS und Co…
Trennung.
Das Diskussionsniveau nimmt gerade wieder bedenkliche Formen an.
Wenn man wenig Vorwissen bezüglich der Thematik hat, so dass man sich ausschließlich auf Wiki-Artikel verlassen muss, dann möge man sich doch bitte mit Äußerungen zurückhalten. Gerade bei Waffenthemen ist Wiki nicht immer zuverlässig.
1. Diehl selbst negiert die ABM-Fähigkeit von IRIS-T SL/SLS:
„Der Senkrechtstart des Lenkflugkörpers mittlerer Reichweite ermöglicht eine 360°-Rundumverteidigung gegen Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen und Flugkörper (keine ballistischen Raketen).“
Hier irrt Wiki und unter der dort angegeben Quelle findet man keinen Beleg für die Aussage.
2. Benennung:
IRIS-T: Luft-Luft-Flugkörper
IRIS-T SLS: Standard IRIS-T als SAM (von Schweden beschafft)
IRIS-T SL: leistungsgesteigerte Version als SAM (ehemalige Bezeichnung: IRIS-T SLM)
Man lese sich einfach mal die Diehl-Seiten zum Thema durch:
http://www.diehl.com/de/diehl-defence/produkte/lenkflugkoerper/iris-t-familie.html
3. Für MEADS war und ist die PAC-3 MSE als primärer Effektor vorgesehen. Nur weil IRIS-T SL schon einmal ein Ziel getroffen hat, heißt das nicht, dass hier ein fertiges SAM-System existiert, was sich dank Plug-and-Fight bei MEADS von selbst integriert. Es bleibt in jeder Hinsicht noch einiges an Entwicklungsarbeit.
@Zimdarsen – 16:13
Rheinmetall ist schon ein ganzes Stück weiter. Kernelement und Basis für den LASER-Effektor sind die hochpräzisen Feuerleit- und Richtgeräte des MANTIS. Siehe Link (ich hoffe, das ist hier erlaubt):
https://www.youtube.com/watch?v=KUGpCUkFwYI
Damit sollte klar sein, was ich meinte.
@K.B. In ihrer Erläuterung wäre der Unterschied zwischen Lenkflugkörpern und ballistischen Raketen interessant, der de Facto nicht existiert. Wenn der Hersteller Diehl darauf verweist, dass ballistische Raketen nicht im Fähigkeitsspektrum von IRIS-T SL liegen, dann zeigt das mehr die Ehrlichkeit der Ingenieure denn ein Fähigkeitsdefizit. Schließlich wurde noch vor zehn Jahren propagiert, taktisch ballistische Raketen (= Interkontinentalraketen mit Atomsprengkopf im damaligen Sprachgebrauch) müssten im Upper Tier abgefangen werden. Das war während all der Jahre die gültige Definition der Raketenabwehr.
Diese Definition wurde erst mit der Entwicklung von MEADS besonders im Sprachgebrauch der USA aufgebrochen, als plötzlich im Zuge der Forderung nach ALTBMD (Active Layered Theatre Ballistic Missile Defence) eine verlegefähige taktische Raketenabwehr ins Gespräch kam und somit erstmals die Abwehr im Lower Tier Beachtung fand. Mit allen Nachteilen, denn sollte der Sprengkopf schon scharf sein, fällt einem der Dreck trotz Abwehr auf den Kopf.
Also wird ein klassischer Raketenabwehrer immer sagen, dass Lower Tier Systeme (MEADS, Patriot, IRIS-T SLM) nicht zur Abwehr ballistischer Raketen (= Interkontinentalraketen) geeignet sind. Wenn man sich hingegen den Sensor von IRIS-T SL anguckt, ist der ebenso geeignet wie die Effektoren der anderen Systeme.
Wenn Sie doch technische Gründe gefunden haben, die dagegen sprechen, wäre ich natürlich für eine Aufklärung meines Irrtums sehr dankbar :-)
PS:
IRIS-T = Luft-Luft-Lenkflugkörper
IRIS-T SL = Boden-Luft-Lenkflugkörper
IRIS-T SLS = Luftverteidigungssystem mit dem Effektor IRIS-T
IRIS-T SLM = Luftverteidigungssystem mit dem Effektor IRIS-T SL
An der komischen verwirrenden Namensgebung könnte man wirklich mal was ändern!
Die Diskussion hier um eine strategische Raketenabwehr ist meiner Meinung nach eh ziemlich überflüssig, da wie die Amerikaner und auch zunehmend die Südkoreaner feststellen müssen, die zuverlässige Abwehr von Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen aber auch die von taktischen ballistischen Raketen mit einer gemischten Bestückung aus nuklearen und konventionellen Sprengköpfen mit der derzeitigen Technik einfach nicht möglich ist. Die einzige realistische Möglichkeit den Beschuss mit nuklearen Sprengköpfen zu verhindern ist es, diese erst gar nicht zum Einsatz kommen zu lassen.
Deswegen ist meiner Meinung nach der relevante Aspekt in Bezug auf MEADS dessen Fähigkeit zur Abwehr konventioneller taktischer ballistischer Raketen a la Scud und Co.
@ K.B. + @ WO
Vielen Dank für diesen interessanten Link!
Ich verstehe leider nichts von der technischen Diskussion hier, aber wenn „wir“ es schaffen, bis zum Ende des Quartals (30.06.!?) in 850 Manntagen herauszufinden, wie es um die Nutzbarkeit der bisher erzielten technischen MEADS Entwicklungsergebnisse wirklich bestellt ist, haben wir in Deutschland über 50 industrielle MEADS Spezialisten in und um die IABG. Da sollte uns doch um das Thema nicht Bange werden, oder … ;-)
@emdeema
Ich wage zu bezweifeln dass die Südkoreaner irgendwelche Erfahrung in der Abwehr von ICBMs haben oder anstreben… Für Südkorea ist alles oberhalb von Mittelstrecke irrelevant. Kurzstreckenabwehr ist aber nicht nur theoretisch machbar sondern auch praktisch auch bereits weltweit im Einsatz.
Allgemein zum Thema Luftabwehr, ich halte es auf Bündnisebene für durchaus sinnvoll zwei bis drei verschiedene Systeme einsatzbereit zu halten schonmal weil man dann bei „Serienfehlern“ nicht nackig dasteht bzw. dem Gegner ein weniger homogenes „Erwartungsspektrum“ bietet. Auf nationaler Ebene ist das natürlich Quatsch.
Alte Patriotsysteme werden vieleicht nicht innerhalb der Bundeswehr aufgerüstet aber lassen sich sicherlich weiterverkaufen und vom Käufer wird wohl eine Aufrüstung in Erwägung gezogen. Und das sich in so einer Planung eben Deutschland von seinen Patriots trennen wird und nicht Rumänien (vorsicht exemplarische Ironie), das ergibt sich schonmal aus dem Mangel moderner Luftabwehr Rumäniens und dem finanziellem Polster Deutschlands. Neuentwicklungen in dieser Richtung können eben nur von den reichsten westlichen Nationen geleistet werden und das sind nunmal USA, Deutschland, Britanien, Frankreich.
Unterm Strich ist das einzige spannende Detail ob wir nach diversen Dreh- und Starflüglerskandalen jetzt mal solide Politik und Planung sehen werden.
Zur Erinnerung: Bei MEADS geht es nur um die Abwehr von Kurzstreckenraketen (Syrien, Ägypten) bis 1000 km Reichweite mittels PAC-3, und kleinere Ziele wie Marschflugkörper mittels zweitem FK, also IRIS-T SL(M). Die Erfahrungen mit Patriot im Irak waren im übrigen … sagen wir gemischt.
Mittelstreckenraketen (Iran, Nordkorea, ggf. Pakistan, auch Türkei, Russland) können mit MEADS nicht bekämpft werden. Nun mag man darüber nachdenken, wer absehbar das Bundesgebiet mit Kurzstreckenraketen bedroht… richtig, niemand. Somit ist PAC-3 nur für Bündnis-/ Auslandseinsätze relevant, und kann dort keinesfalls flächendeckend, sondern immer nur punktuell schützen.
@ Pippi L.:
Kein Problem, die Auswertung des IABG-Gutachtens erfolgt mit Transwarp, dann passt das zeitlich wieder. :-)
@ D. Frank:
Lenkflugkörper: HARM, TAURUS –> Man trifft sie irgendwo, sie stürzen ab und erreichen ihr Ziel nicht mehr.
Ballistische Raketen: Minuteman, SCUD –> Fliegen (traditionell) mit ihrem Sprengkopf immer geradeaus, d.h. man muss sie vollständig zerstören, und nicht nur irgendwie am Heck treffen.
Deswegen ist IRIS-T auch nicht ABM-fähig, da nicht auf Hit-to-Kill von Gegenständen ausgelegt, die mit 3 km/s auf den Flugkörper zufliegen. Wenn der IRIS-T-Annäherungszünder auslöst, ist die ballistische Rakete schon wieder weg.
„Taktisch ballistische Raketen“ sind nicht gleich „Interkontinentalraketen mit Atomsprengkopf“. Erstere fliegen deutlich langsamer, sind damit einfacher zu bekämpfen.
Vor 5 Jahren hatte ich schonmal einen Kommentar zu MEADS geschrieben. Die veränderte Rolle Russlands müsste heute stärker betont werden. Genauso die industriepolitische Perspektivlosigkeit von MEADS, da die Golfstaaten sich für Patriot und THAAD entschieden haben, Polen ebenfalls Patriot beschafft und Italien kein Geld für neue Luftabwehrsysteme hat. Ansonsten gilt das Geschriebene heute noch genauso wie vor ein paar Jahren:
Es ist schon interessant zu sehen, welche Argumente hier alles für MEADS herausgekramt werden.
Der guten Analyse von Hermann Hagena ist eigentlich wenig hinzuzufügen, vielleicht noch der Hinweis auf die SWP-Studie von Sascha Lange, der ebenfalls zum Ergebnis kommt, MEADS nicht weiter zu verfolgen ( http://www.swp-berlin.org/produkte/swp_aktuell_detail.php?id=4342 ).
Dennoch soll an dieser Stelle die Argumentation für einen Verzicht auf MEADS noch um ein paar Punkte, strukturiert nach möglichen Einsatzszenarien, ergänzt werden. Abschließend erfolgen kurze bündnis- und rüstungspolitische Betrachtungen:
1. MEADS zur (flächendeckenden) Luftverteidigung im Inland
Hierzu als erstes ein Zitat aus der Priorisierungsliste Materialinvestitionen: „Mit Blick auf die derzeitige Bedrohungslage wird durch die Systeme der bodengebundenen Luftverteidigung und Flugkörperabwehr für den Schutz DEU und seiner Bürger kein wesentlicher Beitrag geleistet.“
Ein mögliches zukünftiges Bedrohungspotential wären politische Erpressungsversuche mit ballistischen Raketen. Dafür muss man nicht mit Raketenschwärmen drohen, einzelne Raketen reichen dafür vollkommen aus.
Nur verfügt MEADS erstens nicht über die Reichweite, um mit einer finanzierbaren Zahl an Batterien das gesamte Bundesgebiet schützen zu können.
Zweitens fallen die meisten in Frage kommenden ballistischen Raketen in eine Reichweitenklasse > 1000 km, und überschreiten damit die geplanten Fähigkeiten von MEADS.
(Wer will, kann natürlich den EADS-Hochglanzprospekten vertrauen, dass MEADS auch MRBMs mit 3000 km Reichweite abfangen. Wer´s glaubt…)
Und drittens übersteigt die Manövrierfähigkeit moderner ballistischer Raketen ohnehin die Abwehrleistung von MEADS.
Zur flächendeckenden Luftverteidigung im Inland, insbesondere zur Abwehr von ballistischen Raketen, ist MEADS somit ungeeignet.
Dafür braucht es mindestens etwas von der Kategorie SM-3, THAAD, etc.
2. Die Verwendung von MEADS im Auslandseinsatz
Hier kommt zusätzlich zum Bedrohungspotential durch MRBM noch das (theoretisch mögliche) komplette Spektrum von Marschflugkörpern über Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Kleinflugzeuge bis zu taktischen Raketen und Mörsern.
Als Grundprämisse wird hier Air Superiority der eigenen Kräfte angenommen, die derzeit von keiner nicht verbündeten Macht außer China (und eingeschränkt Russland) in Frage gestellt werden kann. Entsprechend verbleibt für die bodengebundene LV das, was nicht durch andere Operationsformen (Counter Air etc.) bereits ausgeschaltet ist.
Zu analytischen Zwecken können drei idealtypische Szenarien angenommen werden:
a) Kampf gegen einen symmetrisch kämpfenden Gegner:
Hier kommen zuallererst die unter Punkt 1 genannten Argumente gegen MEADS zu tragen. Die Dislozierung der (Luft-) Streitkräfte sowohl im Krieg 1999 gegen Jugoslawien als auch in beiden Irak-Kriegen war so weiträumig, dass ein vollständiger MRBM-Schutz der Basen durch eine maßvolle Anzahl an MEADS-Feuereinheiten kaum möglich gewesen wäre.
Auch hier bräuchte es LV-Systeme der Kategorie SM-3 oder THAAD.
Zur Abrundung des SAM-Clusters „nach unten“ gegen Kampfflugzeuge und Marschflugkörper könnte hier MEADS seine Rolle finden. Nur ist in dieser Funktion der Vorteil von MEADS gegenüber bestehenden Systemen allerhöchstens marginal:
I. Die 360°-Abdeckung als Vorteil im Vergleich zu PATRIOT kommt kaum zum Zuge, da die Angriffsrichtung des Gegners (insbesondere möglicher ballistischer Raketen) bekannt ist. Diese können nun mal nicht die Abwehr umfliegen und „von hinten“ angreifen. Es bleibt als einziger Vorteil gegenüber PATRIOT der geringere logistische Footprint
II. Die 360°-Luftverteidigung gegen feindliche Kampfflugzeuge kann auf leicht geringerem Niveau als bei MEADS auch durch bestehende Systeme wie NASAMS (bodengestartete AMRAAM) oder SAMP/T (ASTER) gewährleistet werden. Hier bietet sich die Arbeitsteilung im Bündnis an.
III. Gegen sehr tief fliegende Ziele und insbesondere Marschflugkörper lassen sich Hochwertziele durch den Einsatz von MANTIS verteidigen. Hier könnte noch eine Erweiterung durch den LFK-NG als Zukunftsoption diskutiert werden.
b) Kampf gegen asymmetrisch kämpfenden Gegner
Hier zeigt allein ein Blick auf die aktuellen Konflikte den nicht vorhandenen Bedarf an bodengebundener LV. Allerhöchstens wären einzelne Kamikaze-Angriffe mit Kleinflugzeugen denkbar. Dafür braucht man aber kein neues High-End-SAM-System beschaffen.
c) Neutraler Friedenseinsatz bei Anwesenheit von Luftstreitkräften
Als Beispiel seien hier die UN-Missionen im Kongo oder im Tschad zu nennen. In beiden Regionen waren EU-Soldaten ohne nennenswerten SAM-Schutz im Einsatz, während die Konfliktparteien über einzelne Kampfhubschrauber und (Kampf-)Flugzeuge verfügten.
Offensichtlich wurde hier mehr als ein Schutz durch MANPADS als nicht notwendig angesehen. Vergleichbar wurden von deutschen Truppen im Kosovo nur Stinger mitgeführt und von französischen Truppen im Libanon nur Mistral.
Wird die Bedrohung durch feindliche Luftstreitkräfte als akut wahrgenommen, so bieten sich dennoch zuerst eigene Luftstreitkräfte an, sind diese doch weitaus vielseitiger einzusetzen als ein stationäres SAM-System, was zudem auch kaum eigene Patrouillen schützen kann, die weiträumig im Land ihren Einsatzauftrag erfüllen.
Sollten sich in meine Argumentation Fehler eingeschlichen haben oder sollte ich einzelne Lücken übersehen haben, freue ich mich auf Widerspruch!
Es verbleiben somit allein rüstungs- oder bündnispolitische Gründe, die für die Beschaffung von MEADS sprechen.
Aus bündnispolitischer Sicht müsste somit ein alternatives Programm gefunden werden, was die transatlantische Verbundenheit zum Ausdruck bringt. Ob das aber unbedingt ein gemeinsames Entwicklungsprogramm sein muss, sei aber dahingestellt. Allein innerhalb Europas gibt es genug Misstrauen und sonstige Friktionen bei Rüstungsprojekten. Vielleicht reicht ja eine Beschaffung/Mitentwicklung/Modifikation (?) des US-amerikanischen Schwerlasthubschraubers CH-53K, der derzeit unter Beteiligung von MTU in der Entwicklung ist, anstatt einen eigenen europäischen FTH zu enwickeln. Aber dieses Thema soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.
Die rüstungspolitische Dimension ist schon deutlich komplexer.
Während beispielsweise die Entwicklung des Eurofighter-Triebwerks EJ200 die gesamte deutsche Triebwerksindustrie vorangebracht hat, so sind vergleichbare, positive volkswirtschaftliche Effekte durch MEADS kaum zu erwarten.
Entsprechend müssten hier die Möglichkeiten im Export gesucht werden. Nicht zuletzt würde
eine mögliche deutsche Beschaffung allenfalls in homöopathischen Dosen erfolgen und dürfte auch kaum ausreichen, um die Industrie langfristig auszulasten.
Die Exportchancen von MEADS sind jedoch aus folgenden Gründen als eher gering anzusehen:
1. Luftverteidigungssysteme gehören zu den Anti-Access-Technologien, mit denen ein unterlegener Gegner einer (Luft-)Übermacht entgegentreten kann. Die Übermacht stellen derzeit hauptsächlich die westlichen Streitkräfte dar, den unterlegenen Gegner „Schurkenstaaten“ wie Iran, Sudan, Nordkorea etc. Entsprechend bleibt ein großer Markt für SAM-Systeme Russland, China und einheimischen Entwicklungen vorbehalten.
2. SAM-Systeme stellen ein Mittel für den symmetrischen Krieg dar. Entsprechend erfolgt eine Beschaffung dieser Systeme vor dem Hintergrund des Einkaufs der politischen Unterstützung. Und da hat die Beschaffung eines nationalen (US-) Produkts einen klaren Vorteil gegenüber der Beschaffung eines transatlantischen Produktes.
Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, ob Deutschland wirklich überall dorthin exportieren möchte, wohin die USA exportieren möchten. MEADS in Georgien oder Taiwan ist kaum vorstellbar.
3. Aus technischer Sicht sind bestehende Systeme (insbesondere PATRIOT) kaum schlechter als MEADS und (da bereits entwickelt) deutlich billiger. Den Zusatznutzen 360°-Abdeckung und leichtere globale Verlegbarkeit benötigen die wenigsten Nutzer (Bsp. Südkorea).
Der eigentliche Schlüssel zu den Beharrungskräften für MEADS könnte also noch an einer anderen Stelle liegen.
Da MEADS selbst offensichtlich nicht über die angestrebten Zielfähigkeiten zur Raketenabwehr verfügt, kann es nur als erster Schritt auf dem Weg zu einem echten Missile Defence-System gesehen werden. Somit kann es als Eintrittskarte für die deutsche Rüstungsindustrie dienen, wenn es um die Entwicklung eines großen NATO-Missile-Defence-Systems geht. Das könnte der große Kuchen sein, der hinter MEADS steht und auf seine Aufteilung wartet.
@K,B,:
Schöne Zusammenfassung!
Zur Abwehr von Bedrohungen aus der Luft, insbesonde ballistischer Raketen, sei ergänzt, dass basierend auf der aktuellen Manövrierfähigkeit ballistischer Raketen eine Abwehr durch ein System mit einem Lenkflugkörper als Effektor generell als schwer möglich eingeschätzt wird. Daher versucht man ballistische Anti-Schiff-Raketen mit Strahlwaffen zu bekämpfen.
In den USA hat das Thema an Fahrt aufgenommen. In Deutschland ist man technisch auf einem recht guten Stand, die Forderungslage ist hier etwas schwieriger. Wir haben keinen zu schützenden Trägerverband. Als Ersatz/Ergänzung von RAM könnte ein Laser dienen, nur da werden die Pflöcke im Moment ja bereits Richtung Block 2A eingeschlagen.
Gibt es eigentlich (z..B. in Großbritannien) Buchmacher bei denen man darauf wetten kann, wie lange die Lieferverzögerungen bei MEADS sein werden und bis wann man/frau feststellt, dass MEADS eine signifikante „Fähigkeitslücke“ aufweist?- Ich hätte da Interesse ….
Welt am Sonntag/Wirtschaftsredakteur von heute kommentiert Bieterstreit um TVLS-System und stellt Fa. Diehl als lachenden Dritten dar, weil „die kleinere Lenkwaffe ‚Iris-T‘ von Diehl“ sogar einen Kostenvorteil brächte, wird ein Diehl-Manager zitiert.