Der Irrtum beim G36: Es geht nicht auf den Wertstoffhof (Nachtrag: Interview H&K-Chef)

Nachdem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor gut einer Woche verkündete, das Sturmgewehr G36 habe in der Bundeswehr keine Zukunft, jedenfalls nicht im derzeitigen Konstruktionsstand, scheint sich in der Öffentlichkeit und auch in der Politik eine irrige Vorstellung breit zu machen: Die Vorstellung, an jedem Bundeswehrstandort werde jetzt ein Wertstoffhof eingerichtet, an dem die Soldaten ihr G36 zur Verschrottung abgeben können, am besten noch nach Werkstoff geordnet (Plastik in die gelbe Tonne, Metall bitte in die Gitterbox links).

Dem ist natürlich nicht so. Allein schon deswegen, weil die Truppe nicht über Nacht ihre mehr als 170.000 Waffen dieses Typs ausmustern könnte. Ein Austausch, so schätzte das Beschaffungsamt der Bundeswehr, könnte bis zu zehn Jahren dauern. Und auch allein schon deswegen, weil das G36 zwar Präzisionsprobleme hat, aber nicht dem Soldaten in der Hand explodiert. Ein Gewehr, das nicht so genau trifft, ist kein Hubschrauber, der wegen kritischer Defekte an Rotor, Zelle oder Turbine abstürzen und Leib und Leben gefährden könnte und deswegen für die Nutzung gesperrt wird.

Das muss man vorausschicken, wenn man auf die jüngste Meldung zum Thema G36 guckt: Noch an dem Tage, an dem die Ministerin das – langfristige – Aus für das Sturmgewehr verkündete, bestellte die Bundeswehr Zubehör für das Gewehr. Und zwar einige hundert Zieloptiken von Cassidian Optronics, dem ehemaligen Zeiss-Betriebsteil, der an Airbus verkauft wurde.

Wenn die Truppe über eines beim G36 geklagt hat, dann war es die Zieloptik (neben der mangelnden Durchschlagskraft des kleinen Kalibers). Und jetzt wird da, lange geplant, was neues gekauft. Für eine Waffe, die die Truppe ungeachtet aller Ausmusterungsbemühungen noch einige Zeit in Gebrauch haben wird. Hm, vielleicht ist da die Logik: wenn die Waffe schon nicht so genau ist, braucht’s auch kein neues Zielfernrohr?

Wie auch immer: Der politische Streit hat die Sachebene doch schon ein wenig verlassen. Mal schauen, was an diesem langen Wochenende noch kommt: Das Verteidigungsministerium will eine detaillierte Beschaffungs-Historie, zusammengestellt unter Führung von Staatssekretär Gerd Hofe, an die Abgeordneten liefern. Auf Papier, in die Abgeordentenbüros im Bundestag, wie schon die technischen Untersuchungsbericht . Am Nachmittag vor dem 1. Mai. Die Parlamentarier sollen das halt nicht vor Montag lesen.

Nachtrag: Leider ist das Verteidigungsministerium auch nicht bereit offenzulegen, wie viel Steuergelder bisher für die Beschaffung von G36 und Zubehör ausgegeben wurden. Auf die entsprechende Frage des Linken-Abgeordeten Jan van Aken antwortete das Ministerium lapidar (Bundestagsdrucksache 18/4730, Frage 23):

Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Markus Grübel vom 17. April 2015 als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Von der Veröffentlichung in einer Bundestagsdrucksache wird abgesehen. Die Teilantwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden.

Nachtrag 2: Der ARD-Kollege Christian Thiels hat für die NDR-Sendung Streitkräfte und Strategien eines der seltenen Interviews mit dem Heckler&Koch-Geschäftsführer und Mehrheitseigentümer Andreas Heeschen geführt. Die Sendung selbst gibt es am Samstag; das Interview als Audio ist bereits online:

 

AU-20150430-1615-1242.mp3     

 

(Direktlink:

http://media.ndr.de/progressive/2015/0430/AU-20150430-1615-1242.mp3     
)