Archiv: Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr: Der Polit-Streit

— Fürs Archiv: Crosspost von augengeradeaus.wordpress.com, 29.09.2014 —

Da der Serverausfall bei augengeradeaus.net ein wenig Probleme für mich mit sich bringt, hier nur eine – natürlich unvollständige – Zusammenstellung der Debatte über die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr am (heutigen) Montag:

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Deutschlandfunk:

… ist aber in den letzten Jahren der Unterbau weniger beachtet worden, einfach beiseitegeschoben worden. Und das zeigt sich an drei Feldern, nämlich erstens: die Wehrpflicht ist ausgesetzt worden. Das heißt, man hat mal eben den Nachwuchs gekappt, ohne wirklich vorgesorgt zu haben. Deshalb investieren wir im Augenblick so viel Kraft in die Attraktivität der Bundeswehr. Zweitens: Die Rüstungsbeschaffung, also die neuen Projekte kommen zu spät, sie sind zu teuer. Das ist die Debatte, die wir in den letzten Monaten geführt haben und wo nächste Woche das Gutachten kommt. Das wird noch mal ungemütlich. Aber drittens zeigt sich jetzt auch, dass im Grundbetrieb zu sehr runtergefahren worden ist. Das heißt, Ersatzteile sind zu wenig bestellt worden, Instandsetzung und Wartung, und da staut es sich. Und jetzt, wo Deutschland mehr Verantwortung übernimmt, mehr Einsätze notwendig sind, weil die Herausforderungen international so sind, zeigt sich das eben.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels, im Deutschlandfunk:

Die Bundeswehr hat 185.000 Soldaten. Aber das Material, das wir haben, ist zu einem zu großen Anteil eben nicht einsetzbar und beim Personal haben wir in einigen Bereichen solche Mängelfähigkeiten. Auch bei der Marine fehlen ganze Laufbahnen, wo kaum Personal ausgebildet ist, sodass die Soldaten dort wirklich doppelt und dreifach belastet sind.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann lehnt im SpiegelOnline-Interview eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts ab:

Der bestehende Etat muss ausgeschöpft werden. Die Verteidigungsministerin muss jetzt Managementqualitäten beweisen und die Bundeswehr mit den vorhandenen Mitteln fit machen.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieska Brugger, im Deutschlandfunk:

Es scheint offensichtlich große Defizite zu geben bei den Verträgen auch zur Instandhaltung und zur Wartung des bestehenden Materials, aber natürlich auch bei den Beschaffungsprojekten für die Zukunft. Da sehen wir, es wird immer teurer, es kommt immer später als ausgemacht und entspricht dann auch nicht dem geforderten Leistungsumfang. Also muss man hier, glaube ich, auch ganz grundsätzlich Konsequenzen ziehen und es kann nicht sein, dass bei diesen Verträgen der Steuerzahler und natürlich auch die Bundeswehr immer das Nachsehen hat.

Und zum Nachlesen die Aussagen von Regierungssprecher Steffen Seibert, BMVg-Sprecher Jens Flosdorff und dem Sprecher des Finanzministeriums, Martin Jäger, in der heutigen Bundespressekonferenz:

Frage: Herr Flosdorff, könnten Sie uns jetzt noch einmal erklären, wie das letzte Woche mit dieser Liste gelaufen ist, die Ihr Haus dem Ausschuss vorgelegt hat, wie Sie selbst zu dieser Klarstands- oder Einsatzbereitschaftsliste der Bundeswehr stehen, was das Gespräch mit den Inspekteuren der Teilstreitkräfte am vergangenen Freitag sollte und was es gebracht hat?

Flosdorff: Das ist ein umfangreicherer Themenkomplex. Der Bericht der Inspekteure im Ausschuss hatte einen längeren Vorlauf. Es gab ja die Bitte, dass die Inspekteure dort einmal etwas zur Einsatzfähigkeit des Materials vortragen. Die Berichterstattung hierüber ist ja gelaufen. Es gibt ja Informationen darüber, welches Bild die Inspekteure dort gezeichnet haben. Das ist auch das Bild, das die Inspekteure gegenüber der Ministerin am Freitag in der einberufenen Sitzung gezeichnet haben. Die Inspekteure sind ja für die Beurteilung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr verantwortlich. Insofern nehmen wir diese ganzen Meldungen und Zahlen natürlich sehr ernst. Es wurde auch intensiv darüber gesprochen, wie die Entwicklung der letzten Jahre war und wohin die Entwicklung gehen muss.

Was die Materiallage bei der Bundeswehr angeht: Ein Stichwort ist das in den letzten Jahren erfolgte und Ihnen sicherlich auch bekannte Herunterfahren der Ersatzteilproduktion, der Instandsetzung und der regelmäßigen Inspektionen, das aus der Historie heraus auch verständlich ist. Man hat sich auf die Einsätze konzentriert. Das beste und modernste Material ging in die Einsätze, aber dabei wurden doch seit geraumer Zeit die Probleme beiseite geschoben, die man dann auf Dauer im Unterbau hat. Wir sehen jetzt an einigen Systemen, dass sich sehr kritisch äußert, dass wir einen niedrigeren Klarstand haben, als wir ihn uns vorstellen und als auch noch im letzten Jahr prognostiziert worden ist.

Dieses Thema werden wir jetzt angehen. Das ist auch so mit den Inspekteuren besprochen worden. Sie werden innerhalb eines enger getakteten Zeitraums dann auch direkt der Hausspitze und der Ministerin darüber berichten. Das heißt, wir müssen – das ist ein langfristiger Prozess, der sich nicht von heute auf morgen korrigieren lässt – die Systeme sowohl bei der Instandsetzung und den Prüfungen als aber auch beim Material wieder höherfahren, sodass wir eine Ausrüstung haben, die auch den gestiegenen Anforderungen an die Bundeswehr – das haben wir alle in den letzten Wochen erlebt – und der Verantwortung gerecht wird, der sich Deutschland nicht entziehen kann, Stichwort Ebola oder auch „Kampf gegen IS im Irak“.

Frage: Herr Seibert, das, was Herr Flosdorff gerade gesagt hat und was die Ministerin auch am Wochenende gesagt hat, war: Das kostet alles mehr Geld. Die Verteidigungsministerin fordert einen höheren Wehretat. Wie steht die Bundeskanzlerin dazu? Oder sind das alles nur Managementprobleme, wie die SPD es sieht?

StS Seibert: Zunächst einmal muss man sagen: Die Haushaltsberatungen für 2015 laufen ja bereits, und die Ministerin selbst hat auch deutlich gemacht, dass es ihr nicht um eine Etaterhöhung für 2015 geht, sondern dass sie einen mittelfristigen Ansatz verfolgt. Dabei gilt, was für jeden Minister und jedes Ressort gilt: Je nach Bedarf und Aufgabenentwicklung müssen Anträge auf Haushaltsmittel gestellt werden, und über die wird dann zu reden sein. Aber das ist, wie gesagt, nichts Kurzfristiges, und mit kurzfristigen Veränderungen ist dabei auch nicht zu rechnen.

Ich will vielleicht grundsätzlich zu dem Prozess, den Herr Flosdorff gerade beschrieben hat, noch einmal sagen, dass dieser Prozess und das, was die Ministerin im Verteidigungsministerium gerade macht, die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin haben. Sie legt die Dinge auf den Tisch. Sie schafft einen Überblick über die Lage, wie sie ist. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man dann auch Probleme aufarbeiten kann, die sich eben im Laufe vieler Jahre ergeben haben. Das hat, wie gesagt, die Unterstützung der gesamten Bundesregierung.

Zusatzfrage: Ich habe eine Nachfrage zu Frage der Bündnisbereitschaft: Sieht die Bundesregierung diese Bündnisbereitschaft bedroht, nachdem offensichtlich bestimmten Materialanforderungen nicht innerhalb des nötigen Zeitraums nachgekommen werden könnte? Gab es dazu eventuell schon Kontakte mit der Nato?

Flosdorff: Ich übernehme das an dieser Stelle noch einmal: Die laufenden Einsätze und die kurzfristige Krisenreaktion der Nato sind davon nicht berührt. Das kann die Bundeswehr leisten. Probleme aufgrund fehlender Ersatzteile – Stichwort „Klarstand“ und „größere Zahl von Material“ – oder durch den Ausfall der Marinehubschrauber gibt es aktuell bei den fliegenden Systemen. Das betrifft den „Nato Defence Planning Process“. Das ist ein langfristiges Gefüge von Zielwerten, die die Nationen für den Alarmfall melden. Es geht darum, was man innerhalb von 180 Tagen alles an Gerät zur Verfügung stellen will. Das heißt nicht, dass wir da gar nichts zur Verfügung stellen. Wir erreichen aber die Zielzahl, die vor einem Jahr angemeldet worden ist, derzeit nicht.

Frage: Ich möchte auch noch einmal darauf zurückkommen. Herr Seibert, die Bundeskanzlerin hat sich im Baltikum hingestellt und gesagt: Wir stehen an eurer Seite. – Nun hat man den Eindruck, Deutschland könnte dieser Aufgabe gar nicht gerecht werden, weil es das Material unsere Kräfte nicht einmal ins Baltikum bekäme. Sie sagen, Herr Flosdorff, die kurzfristige Krisenreaktion sei gewährleistet. Das behaupten Sie so. Die Ebola-Krise stand auch unter der Schwierigkeit, Material dorthin zu bekommen beziehungsweise mit angemietetem Material zu fliegen.

Ich frage einmal so: Internationale Verantwortung und Auslandseinsätze wahrzunehmen, ist das eine, aber ist die Verteidigungsfähigkeit in diesem Land überhaupt gewährleistet, wenn das Material nicht einmal aus der Garage herauskommt?

StS Seibert: Herr Flosdorff, sofort, da ich jetzt im Namen der Bundeskanzlerin angesprochen wurde: Das, was die Bundeskanzlerin bei Ihrem Besuch im Baltikum gesagt hat, steht selbstverständlich. Das gilt sowohl für die Aussage, dass wir an der Seite unserer Bündnispartner stehen, als auch für die Aussage, dass Artikel 5 kein Papierartikel ist, sondern dass er im Falle eines Falles auch mit Leben erfüllt wird.

Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben, die derzeit so vielfältig wie vielleicht noch nie sind. Auch unsere Partner in Europa sowie auch im transatlantischen Bündnis erleben die Bundeswehr und Deutschland als einen einsatzfähigen und engagierten Partner.

Zusatzfrage: Wie wollen Sie das erfüllen? Wie wollen Sie es einhalten, an der Seite der Partner zu stehen, wenn das Material dafür fehlt?

Flosdorff: Ich sage es noch einmal: Das, was wir an die Nato gemeldet haben, also die kurzfristigen Zahlen, wird alles erfüllt. Zum Beispiel fliegen heute und jeden Tag „Eurofighter“ im Baltikum im Rahmen des Air Policing. Es gibt Beteiligungen Deutschlands an schwimmenden Einheiten der Nato in der Ostsee und anderswo. Deutsche Besatzungen sind in den AWACS-Einsätzen im Rahmen der Nato engagiert.

Hier geht es um Zielzahlen. Es gibt einen Prozess, der damals, im Jahr 2012, in Chicago aufgesetzt worden ist. Dort hat man grundsätzlich gefragt „Was traut ihr euch zu? Was könnt ihr für die Zukunft anmelden?“, und so etwas wird jährlich wieder abgefragt. Da ist es so, dass wir im Moment nicht die Zahl an „Eurofighter“-Maschinen erreichen, die wir eigentlich für diese Zeitraum vorhalten wollten, so, dass man mit einem halben Jahr Vorlauf eine Meldung bekommt und dann innerhalb eines halben Jahres die „Eurofighter“ in die Luft bekommt. Da liegen wir darunter. Wir liegen jetzt auch nicht wesentlich darunter. Zwei Drittel dieser Zahl werden erreicht; das ist auch nicht das Problem. Wenn man sich irgendwie anstrengt, dann kann man diese Zahl innerhalb eines halben Jahres sicherlich auch noch steigern. Wir erreichen sie nicht ganz. Es steht hier nicht irgendwie die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit infrage. Es stehen jetzt Zielmeldungen und Planziele infrage, die man vielleicht im vergangenen Jahr – (im Vergleich mit dem,) was jetzt, im Sommer 2014, aufgrund einer Ersatzteillage, wie sie sich im Moment darstellt, entwickelt hat – zu optimistisch beurteilt hat.

Frage: Wenn die Rede davon ist, dass das Prozesse sind, die doch einiger Zeit bedürfen, also die Ersatzteilbeschaffung auf den Stand zu bringen, dass die Ausrüstungsgegenstände funktionieren, gibt es denn dann so etwas wie einen Zeitplan? Sagt man „Unser Ziel ist es, das Problem jetzt anzugehen und in eineinhalb Jahren auf dem Stand zu sein, dass wir wieder sämtliche Verpflichtungen erfüllen, die wir eingegangen sind, oder Versprechungen erfüllen, die wir gemacht haben“?

Mich interessiert zum Zweiten Folgendes: Die Bundesverteidigungsministerin ist ja nun noch nicht so lange im Amt. Die Bundeskanzlerin ist als Bundeskanzlerin länger im Amt. Wenn die Bundesverteidigungsministerin sagt „Das sind Probleme, die sich über längere Jahre hinweg aufgestaut haben“, muss sich die Bundeskanzlerin dann nicht in einer Verantwortung sehen, weil sie ja nicht erst seit dieser Legislaturperiode amtiert? Ganz konkret gefragt: Gibt es bei der Bundeskanzlerin so etwas wie Selbstkritik in Bezug darauf, etwas versäumt zu haben, das man nun ausbaden muss?

StS Seibert: Ich will auf diese Frage nur ganz kurz antworten, dass die Bundeswehr seit 2005 in einer Vielzahl von Missionen und Einsätzen ihre Leistung erbracht hat, dass sie ihre Einsatzbereitschaft bewiesen hat und dass es an diesem Punkt sicherlich nichts zu kritteln gibt. Wenn nun einzelne Probleme auftauchen, dann ist es richtig, sie transparent darzustellen und sich ihnen mit aller Kraft zu widmen. Genau das geschieht jetzt im Bundesverteidigungsministerium.

Flosdorff: Ich habe eben schon einmal gesagt, dass das ein Prozess ist, der über viele Jahre hinweg entstanden ist, und das Problem wird sich auch nicht mit einem Schlag lösen lassen. Die drei Bereiche, die wir jetzt angehen müssen, sind, dass wir erstens Inspektionspersonal, Prüfgerät und Personal herauffahren, dass wir zweitens – das wissen Sie ja auch – intensiv mit der Industrie im Gespräch darüber sind, dass wir bezüglich der Anschlusssysteme, auf die wir im Moment dringend warten – das betrifft den Lufttransport, das betrifft gepanzerte Radpanzer, das betrifft aber auch das Ihnen bekannte Thema der Luftüberwachung durch Drohnen -, auf Vertragserfüllung pochen, aber unsererseits unsere Prozesse so optimieren, dass wir nicht in diesen Beschaffungsprozessen auch selbst für weitere Verzögerungen sorgen.

Für nächste Woche ist – das wissen Sie auch – ein umfassender Bericht angekündigt, der derzeit mit externer Expertise über drei Monate hinweg erstellt wird und in dem das ganze Beschaffungssystem intensiv auf den Prüfstand gestellt wird. Auch die Ergebnisse, die in der kommenden Woche auf den Tisch kommen werden, werden nicht gemütlich sein. Das heißt, darin wird man auch einige Fehler und problematische Prozesse benennen, die für die Zukunft korrigiert werden müssen. Wir werden uns sicherlich darauf einstellen, dass wir noch einige Zeit – dabei rede ich nicht von Monaten, sondern eher von Jahren – mit einzelnen Problemen zu tun haben werden.

Ich möchte es einmal kurz rund machen: Es geht nicht nur um die Beschaffung. Es gibt einen dritten Bereich. Das ist das Thema der Instandhaltung und Warteschleifen. Wir sind im Moment auch in einer so schwierigen Lage, weil es einen Großeinsatz gab, der jetzt in Afghanistan als Kampfeinsatz zu Ende geht, und weil wir im letzten Jahr in noch nie dagewesenem Maße auch eine Rückführung von Material erlebt haben. Dieses Material muss sozusagen durch das Nadelöhr der Instandsetzung, und da müssen wir die Kapazitäten hochfahren, um diese Bugwelle zu verarbeiten, damit das Material dann auch wieder im Grundbetrieb zur Verfügung steht. So etwas dauert lange. Das löst man nicht kurzfristig. Deswegen ist das auch der Hintergrund der Äußerungen der Ministerin, dass mehr Geld im Etat bei diesem Problem jetzt nicht kurzfristig hilft. Deswegen kommt kein A400M früher. Aber wenn wir diese Systeme hochfahren – da hängt Personal dran, da hängen Ersatzteilposten in der Lagerung und in der Produktion dran -, dann wird das mittelfristig absehbarerweise auch mehr Geld kosten.

Aber wenn Sie jetzt von mir hören wollen, dass wir eine Zielzahl daran hängen, wann das wieder auf dem 100-Prozent-Stand sein soll: Die kann ich Ihnen heute nicht nennen. Was ich Ihnen heute sagen kann, ist, dass dieses System der Materialverwaltung und der Instandsetzung genauso intensiv und genauso akribisch aufgearbeitet wird, wie wir das bei dem System der Beschaffung in den vergangenen drei Monaten gemacht haben, dass auch dort moderne Managementtools eingeführt werden, dass wir dabei Zahlensicherheit haben wollen, sowohl für die Planung als auch für die Beurteilung der Einsatzbereitschaft durch die Inspekteure, und dass wir uns dort ein enges Monitoring wünschen und aufsetzen werden.

Zusatzfrage: Herr Seibert, ich habe Ihre Antwort auf diese Frage nach der Selbstkritik nicht so richtig verstanden. Wer ist denn jetzt dafür verantwortlich, dass es so misslich aussieht, wie es aussieht? Konnte das nicht anders gemacht werden und ist quasi ohne Verantwortung von irgendjemandem passiert? Welche Antwort geben Sie auf die Frage nach der Verantwortung für die Mängel, die jetzt offenkundig dargelegt worden sind?

StS Seibert: Ich glaube, dass das, was wir jetzt gerade im Bundesverteidigungsministerium erleben, doch genau Ihrer Frage die Antwort gibt: Man legt die Fakten auf den Tisch. Man macht sich des Zustands bewusst, um ihn zu verändern. Das ist, würde ich sagen, ganz konkretes Übernehmen von Verantwortung, um die Bundeswehr in einen noch besseren Zustand zu versetzen. Trotzdem muss man einfach einmal festhalten: Sie ist einsatzfähig, sie ist einsatzbereit, und sie ist in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von sehr schwierigen Einsätzen erprobt worden und hat sich dort bewiesen.

Frage: Herr Flosdorff, ich habe eine Nachfrage zum Bundesamt für Beschaffung in Koblenz: Inwieweit steht im Zuge der Ermittlungen jetzt auch die Arbeit des Amtes auf dem Prüfstand?

Flosdorff: Im Zuge dieses Gutachtens, das erstellt wird und das nächste Woche auch vorgestellt werden wird, schauen wir uns natürlich die gesamte Kette von Entscheidungsprozessen an – im Ministerium über die Beschaffungsabteilung bis hinunter in die Ämter. Alle Prozesse sind da betrachtet worden. Insofern ist das Amt damit sicherlich auch befasst.

Weil sich letzte Woche nachhaltig das Gerücht hielt, dass da eine Ablösung von Personal an der Spitze bevorstünde: Dem ist nicht so. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal so klarstellen. Wir werden sicherlich Schlussfolgerungen daraus ziehen, die für die gesamte Kette von Belang sind – bis hin zu allen Stakeholdern, die mit diesem Prozess befasst sind. Ich möchte dem an dieser Stelle aber nicht vorgreifen.

Frage: Ich habe auch noch eine Frage zur Finanzierung. Herr Flosdorff, Sie hatten eben gesagt, es gehe jetzt nicht um eine kurzfristige Finanzierung. Gleichzeitig hatten Sie aber auch gesagt, dass man trotzdem vielleicht auch kurzfristig noch einmal die Anstrengungen bezüglich der „Eurofighter“ erhöhen könnte. Sehen Sie denn dann die Möglichkeit, das innerhalb des Verteidigungshaushalts zu finanzieren?

Steht die Ministerin bezüglich der mittelfristigen Aufstockung des Etats in Kontakt mit Herrn Schäuble? Diese Frage richtet sich dann vielleicht an beide Sprecher.

Flosdorff: Das war vielleicht eben ein Verständnisproblem. Es geht bei diesem „Nato Defence Planning Process“ um dieses Planspiel, dass irgendwann ein Alarmfall ausgerufen wird, und um die Frage, was dann innerhalb eines halben Jahres an fliegendem Gerät in die Luft gebracht werden kann. Wir haben die Ersatzteillager, wie wir sie haben, und man kann Anstrengungen anstellen, damit wir bei der Ersatzteillage besser werden. Aber das ist militärisches Gerät. Das sind auch Ersatzteile. Das sind Sonderanfertigungen. Das ist nicht irgendetwas, das man jetzt innerhalb eines halben Jahres einfach an der nächsten Ecke bei diesem oder jenem Mittelständler bestellen könnte, sondern das ist ein langfristigerer Prozess. Das wird sicherlich nicht für das Jahr 2015 haushaltswirksam werden. Wir werden dieses Thema, wenn es zur Anmeldung und Verhandlung von Haushalten für die Folgejahre kommen wird, sicherlich auf den Tisch bekommen. Aber das ist nichts, das jetzt kurzfristig in irgendeiner Form hilfreich wäre.

Zusatzfrage: Sieht das Finanzministerium mittelfristig auch den Bedarf und die Notwendigkeit, da mehr zu investieren?

Jäger: Wir sprechen im Augenblick über den Bundeshaushalt 2015. Im Übrigen hat sich der Bundesfinanzminister am Wochenende in einem Interview zu dieser Frage geäußert. Dem ist nichts hinzuzufügen. Für all diejenigen, die dieses Interview zufällig nicht gelesen haben: Er hat darin zum einen darauf hingewiesen, dass bestehende Haushaltsansätze nicht ausgeschöpft worden sind. Zum anderen hat er noch einmal daran erinnert, dass die Firmen, die militärische Ausrüstungsgüter liefern, oft im Verzug sind und dass er auch darin ein Problem sieht.

Frage: Herr Flosdorff, ich habe ein bisschen das Gefühl, dass sich manche Sachen doch sehr häufig wiederholen; auch als junger Journalist kommt mir das manchmal so vor. Gerade im Bereich der Rüstungsbeschaffung und -instandhaltung scheint sich doch das eine oder andere zu wiederholen. Vor dem Hintergrund dieses Gesamtbilds, das sich jetzt über die vergangenen Jahre hinweg hinsichtlich der jeweiligen Beschaffungsprobleme ergibt, sei es beim A400M, sei es bei Drohnen wie dem „Euro Hawk“ – da würde ich auch gerne wissen, was eigentlich aus ISIS geworden ist, also aus diesem ISIS, nicht Herrn Schäfers ISIS -, stellt sich doch die Frage, ob es nicht irgendwie auch ein bisschen systemisch ist, dass, obwohl der CPM im Verlauf der vergangenen zehn Jahre novelliert wurde, dort offenbar eben keine Besserung eintritt, sondern es eigentlich schlimmer zu werden scheint. Oder vertue ich mich da? Ist der Eindruck falsch?

Flosdorff: Dieser Eindruck, dass wir in diesem Bereich Probleme haben, hat dazu geführt, dass die Ministerin vor einem halben Jahr zum Beispiel dieses Rüstungsboard abgelehnt hat und dass wir nach einer Ausschreibung externe Experten beauftragt haben, die jetzt den ganzen Sommer über intensiv das Gesamtsystem unter die Lupe genommen haben. Der Bericht wird nächste Woche vorliegen. Ich habe er hier schon angedeutet: Auch die Erkenntnisse, die man daraus ziehen wird, werden nicht irgendwie gemütlich sein. Die werden sicherlich kontrovers diskutiert werden und sicherlich auch einer Vielzahl von problematischen Stellen benennen, die sowohl im Ministerium als auch im Beschaffungsprozess als vielleicht auch bei der Industrie liegen, aber vielleicht auch an nicht glücklich gesteuerten Managementprozessen innerhalb der Streitkräfte liegen. Damit werden wir uns nächste Woche intensiv beschäftigen. Das Problembewusstsein, das Sie haben, ist auch bei uns vorhanden; das kann ich Ihnen an dieser Stelle versichern.

Frage: Herr Flosdorff, ich wüsste gerne noch einmal, wie das ist. Sie beschreiben jetzt immer die Probleme mit der Ersatzteilbeschaffung und sagen, dass das langfristige Prozesse seien. Wenn Sie jetzt auf die vergangenen neun Monate oder so zurückblicken, die Sie oder Ihre Ministerin sozusagen persönlich überblicken können, sind dann in dieser Zeit auch keine Ersatzteile bestellt worden? Gab es Anforderungen für Ersatzteile, aber Sie haben gesagt „Wir müssen das erst einmal alles prüfen, und deswegen haben wir das jetzt nicht gemacht“? Was ist in diesem Jahr 2014 passiert? Oder haben die Inspekteure immer gesagt „Es läuft alles so weiter; irgendwann fliegt zwar kein Flugzeug mehr, aber wir haben das schon immer so gemacht“? Gab es sozusagen keine Rückmeldung von den Teilstreitkräften? Haben die gesagt „Wir haben hier ein Ersatzteilproblem, und wir müssen das dringend lösen“? Ich verstehe ja, dass das auf der einen Seite offensichtlich ein langfristiger Prozess ist und auf der anderen Seite jetzt plötzlich eine sichtbare Krise eintritt oder die Krise sichtbar wird. Was ist in den letzten neun Monaten passiert? Das ist die erste Frage.

Zweite Frage, weil wir uns ja in den vergangenen Tagen auch immer über diese Marinehubschrauber unterhalten haben: Da gibt es doch diese Vereinbarung, die noch vom Amtsvorgänger getroffen wurde, über diesen „global deal“, dass die Stückzahl der NH90 reduziert wird. Stattdessen sollen irgendwie Marinehubschrauber angeschafft werden. Ist diese Vereinbarung jetzt eigentlich geschlossen worden und gültig? Wird die umgesetzt, oder ist das sozusagen auch noch Bestandteil irgendeiner Prüfung und noch nicht entschieden?

Flosdorff: Um mit der letzten Frage anzufangen: Das ist immer noch Bestandteil der Prüfung. Wir haben diese Entscheidung bewusst angehalten, bis die externe Expertise vorliegt. Sie wissen: Das Hubschrauberthema ist eines dieser Themen, die dabei gesondert in den Fokus genommen und untersucht worden sind. Seitens der Experten werden auch Empfehlungen dazu ausgesprochen, wie wir weiter damit verfahren sollten, sodass wir sowohl unseren Bedarf erfüllen, dass wir uns in den fliegenden Fähigkeiten verbessern und einen besseren Klarstand bekommen, aber auch an dieser Stelle verantwortlich mit Steuergeld umgehen und die entsprechenden Verträge mit der Industrie so abschließen, dass das auch alles im Rahmen, vertretbar und angemessen ist.

Was die letzten neun Monate angeht: So intensiv, wie sich die Lage jetzt darstellt, hat sie sich nicht von Anfang an dargestellt. Wie Sie wissen, haben wir uns bei einigen Themen auch bewegt; das Thema Materialerhalt bei der Bundeswehr ist ja nicht das einzige wichtige Thema, und es wird jetzt sicherlich auch nicht jede Ersatzteilbestellung auf höchster Ebene verhandelt.

Wir laufen bei der Bundeswehr absehbar in einen Fachkräftemangel hinein. Um dieses Problem muss man sich kümmern. Auch wenn wir das Material im Klarstand haben, müssen wir uns darum kümmern, dass wir personellen Nachschub bekommen, dass wir qualifiziertes Personal bekommen.

Wir alle haben im letzten halben Jahr erlebt, wie sich die außen- und sicherheitspolitische Lage verändert hat und wie zusätzliche Aufgaben auf die Bundeswehr zugekommen sind – und zwar mit einer Wucht, dass sich weder die Bundeswehr noch das Land dem entziehen kann und möchte.

Wir haben erlebt, dass die Beschaffungsprozesse länger dauern und sich die Anschaffung von Neumaterial, auf das wir wirklich seit vielen Jahren warten, immer weiter verzögert. Wir hätten jetzt bei den Transportflugzeugen keinen Engpass, wenn wir nicht nach vier Jahren Verspätung immer noch auf die Anschluss-Transportflugzeuge warten würden. Wir müssen jetzt über eine Überbrückungslösung sprechen.

Diese Ersatzteillage wird umso sichtbarer, je mehr sich der Spalt zwischen dem alten Material, mit dem wir arbeiten, und dem neuen Material, das noch nicht da ist, vergrößert und je weiter sich das auseinanderzieht. Das erklärt vielleicht auch ein bisschen die Entwicklung der letzten Jahre, dass immer neue Verzögerungen eintreten: Die Lücke wird immer größer, und irgendwann werden auch der Materialbedarf und der Ersatzteilbedarf immer größer, weil natürlich alte Systeme viel aufwändiger zu warten sind. Bei gestiegenem Bedarf und gestiegener Kadenz der Einsätze ist das Material natürlich auch einer besonderen Belastung unterzogen. Da sind wir jetzt an dem Punkt, dass wir dieses Thema intensiv und dringend angehen müssen.

Zusatzfrage: Sie sagen jetzt, die außen- und sicherheitspolitische Lage habe sich verändert, und Herr Seibert sagt, die Einsatzlage sei so vielfältig wie niemals zuvor. Tatsächlich ist doch die Zahl der Soldaten im Einsatz in den vergangenen Monaten zurückgegangen und nicht nach oben gegangen. Der Abzug aus Afghanistan läuft doch; in den vergangenen Jahren waren 5.000 Mann in Afghanistan und mussten dauernd mit Material, mit Nachschub versorgt werden, und da war der Aufwand für Material und Logistik doch höher, als er das im Moment ist. Oder schätze ich das jetzt irgendwie falsch ein?

Flosdorff: Nein, was die Zahl der Soldaten angeht – nicht was die Zahl der Einsätze angeht -, haben Sie Recht. Wir sind ja auch nicht überall mit Bundeswehrpersonal vor Ort. Wenn wir zum Beispiel eine Luftbrücke im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie sicherstellen oder wenn wir jetzt eine Luftbrücke für humanitäre Güter und für Waffen, für militärisches Gerät, in den Irak betreiben, dann ist damit ja nicht eine hohe Zahl von Soldaten verbunden. Wenn Sie sagen, dass wir vor einigen Jahren deutlich mehr Soldaten im Einsatz gehabt hatten, dann ist das insofern richtig. Die Vorstellung, dass es, wenn wir die Zahl der Soldaten in den Einsätzen herunterfahren, unmittelbare Auswirkungen in der Form hat, dass das Material jetzt wieder zur Verfügung steht, ist aber falsch. Wir haben die Situation, dass wir mehrere hundert Fahrzeuge, die im letzten Jahr aus Afghanistan zurückgekommen sind, noch nicht wieder in den Grundbetrieb haben einordnen können, einfach weil die Kette der Prüfung und Instandsetzung viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt und es da ein Nadelöhr gibt und damit einen Stau gibt, den wir aufarbeiten müssen. Es geht dabei also nicht nur um Ersatzteile, sondern es sind wirklich personelle Ressourcen, industrielle Kapazitäten, die der Bundeswehr an dieser Stelle fehlen, um so einen Schwung aufzufangen.

Deswegen kommt das im Augenblick mit Verzögerungen hier an und deswegen sind wir im Moment in der Situation, dass wir nicht nur neues Material brauchen, sondern dass auch das bewährte – und darunter befindet sich hochmodernes Material – instandgehalten werden muss. Wir haben in Afghanistan den NH90, wir haben in Afghanistan den „Tiger“, wir haben in Afghanistan den „Boxer“. Das ist alles kein Schrott, sondern das ist hochmodernes Material, um das uns viele Verbündete auch beneiden. Dieses Material muss jetzt aber durch diesen Prozess, der zugegebenermaßen viel zu lange dauert.

Frage : Herr Seibert, Sie haben in den bisherigen Ausführungen mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr bei der Vielzahl von Einsätzen in der Vergangenheit Gelegenheit hatte, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, aber für die Zukunft gesprochen bleibt diese Einsatzfähigkeit ja eine unbewiesene Behauptung. Inwieweit sieht die Bundeskanzlerin Anlass, diese Krise – Herr Flosdorff hat das ja eindringlich dargestellt und sprach von einer „Wucht“, die jetzt aufgrund der Vielzahl von internationalen Anforderungen auf die Bundeswehr einwirkt – zu nutzen, um mit Formen von Sofortmaßnahmen, Abwrackprämien oder ich weiß nicht welcherlei Unterstützung der Bundeswehr Hilfe zu leisten? Sieht sie also Anlass, das, was einmal unternommen wurde, um der Wirtschaft zu helfen, jetzt zu nutzen, um der Bundeswehr zu helfen, ihre Fähigkeiten wiederherzustellen? Der Bedarf an diesen Fähigkeiten wird ja nicht geringer.

StS Seibert: Sie sprechen so, als seien die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium nicht ein Teil der Bundesregierung. Ich kann – –

Zusatzfrage: Ja, aber Sie haben vorhin gesagt, das Verteidigungsministerium habe die Sachen jetzt klar auf den Tisch gelegt, das sei die Art, Verantwortung zu übernehmen, und das werde jetzt aufgearbeitet. Das klingt aber so, als würde man das jetzt Frau von der Leyen überlassen. Was tut denn die Kanzlerin, um Frau von der Leyen zum Jagen zu tragen?

StS Seibert: Dass das Letztere, was Sie in Ihrer Bemerkung gesagt haben, notwendig ist, bestreite ich energisch.

Ich wiederhole mich jetzt, einfach weil ich keine bessere Antwort auf Ihre Frage weiß – ich glaube, es ist beantwortet -: Das, was die Ministerin macht, heißt, sie lebt Verantwortung als Verteidigungsministerin. Sie legt die Dinge auf den Tisch, sie schafft den Überblick, sie hat Strukturen und Verfahren im Bundesverteidigungsministerium eingeführt, die besser als in der Vergangenheit möglicherweise in der Lage sein sollen, solche Probleme zu überwinden. Genau dabei wird sie die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung haben.

Zusatzfrage: Gibt es zusätzliche Möglichkeiten, die Ministerin dabei zu unterstützen – in Form von Konjunkturprogrammen oder ich weiß nicht was?

StS Seibert: Ich weiß auch nicht was. Die Bundesregierung denkt nicht über Konjunkturprogramme nach.

Frage: Herr Flosdorff, der frühere Generalinspekteur Kujat hat auf Bild.de gesagt, es wäre doch ein prima Signal zur Einsatzbereitschaft, wenn sich Deutschland am Irak-Einsatz beteiligen würde. Und zwar hat er sechs „Tornados“ ins Gespräch gebracht. Von der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesregierung solchen Kampfeinsätzen gegenüber einmal abgesehen: Wäre die Bundeswehr von der Einsatzbereitschaft her überhaupt in der Lage, sechs Tornados für einen solchen Einsatz zu stellen?

Flosdorff: Die Bundeswehr verfügt grundsätzlich über einsatzfähige Tornados.

Zusatzfrage : Auch über sechs?

Flosdorff: Ja.

Frage: Herr Flosdorff, noch einmal zu Ihrem Begriff „Warteschleife“ bei der Wiederinstandsetzung, also gewissermaßen der TÜV-Überprüfung des zurückgeführten Materials aus Afghanistan: Wie ist diese Warteschleife denn zu erklären? Die Rückführung des Materials kommt ja nun wahrhaftig nicht überraschend, sondern ist seit langer, langer Zeit zu erwarten gewesen beziehungsweise geplant gewesen. Wie kommt es zustande, dass man dafür nicht vorbeugt – etwa auch mit den entsprechenden Instandsetzungskräften?

Flosdorff: Ich kann Ihnen jetzt nicht jede Detailfrage für die vergangenen Jahre rückwirkend beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Kapazitäten sind nicht so da. Das Profil der Bundeswehr hat sich ja auch geändert. Niemand hätte Ihnen vor zwei Jahren sagen können, dass sich ISAF genau so entwickelt, wie es sich entwickelt. An dieser Stelle muss ich wirklich einmal sagen: Wir alle hätten auch vor einem halben Jahr nicht gesagt, dass die Bündnisverteidigung wieder so in den Vordergrund rückt, wir hätten nicht gesagt, dass wir im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie innerhalb kürzester Zeit eine Luftbrücke würden aufbauen müssen, und IS hat auch keiner vorhergesehen. Es ist also nicht so planbar, in welcher Dimension man welchen Einsatz fährt. Das gilt auch mit Blick darauf, wie es mit ISAF zu Ende geht, wie sich – in welcher Größe und in welcher Stärke – die Anschlussmission ASM daran anschließen wird und wie sich das auf andere Verbündete, auf die es maßgeblich ankommt, verteilt. Sie wissen, dass das immer relativ kurzfristige Entscheidungen und Prozesse sind.

Die Bundeswehr ist nicht für eine Maximalrückführung von Material aus allen möglichen Einsätzen innerhalb eines Jahres ausgelegt, und sie kann auch nicht darauf ausgelegt sein, dass wir solche Kapazitäten immer vorhalten. Was wir brauchen, ist Flexibilität. Wir stellen jetzt fest: Die Flexibilität, mit einem größeren Schwung an Material, das zurückkommt, in kurzer Zeit fertig zu werden, ist nicht da. Da müssen wir besser werden, und wir werden wir alle Möglichkeiten technischer, personeller und rechtlicher Art nutzen und prüfen, die sich da anbieten. Das ist aber keine einfache Aufgabe. Sie haben ein atmendes System mit den Einsätzen und Sie müssen im Prinzip eine Schleuse dimensionieren, die weder zu klein noch zu groß ist und die auch solche Prozesse bewältigen kann.

Frage: Herr Flosdorff, sollen wir an einen Zufall glauben? Vor drei Wochen war der Nato-Gipfel, da wurde dann groß vereinbart, dass 2 Prozent des Bundesetats in die Verteidigung fließen sollen. Da hat Herr Schäuble dann gleich gesagt: Auf keinen Fall, das geht nicht. Und auf einmal, drei Wochen später, gibt es jetzt Probleme bei der Bundeswehr, aufgrund derer sie wieder mehr Geld braucht. Ist das ein Zufall?

Flosdorff: Ich weiß nicht, ob Sie jetzt darauf anspielen, dass sich über Jahre eine Situation aufgebaut hat, mit der wir jetzt dauerhaft werden kämpfen müssen, oder ob Sie auf die Ereignisse anspielen, die ja auch letzte Woche zur Genüge geschildert worden sind, also dass wir einen Ausfall an Marinehubschraubern haben und dass wir ein altes System Transall haben, das wir länger fliegen müssen. Da müssen Sie mir noch einmal helfen und mir sagen, was genau Sie meinen.

StS Seibert: Es sind übrigens 2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, nicht am Bundeshaushalt.

Zusatzfrage: Was ich meine, ist, ob das eine zufällige Entwicklung ist. Herr Schäuble hat gesagt: Nein, es gibt nicht mehr Geld für die Bundeswehr. Jetzt gibt es eine Entwicklung, aufgrund derer die Bundeswehr offenbar mehr Geld braucht.

Flosdorff: Es gibt hier keine Verbindung zwischen dem Nato-Gipfel und der Beschaffungssituation der Bundeswehr. Sehe ich nicht.

Frage: Herr Flosdorff, hat die aktuelle Situation, die Geld, Aufwand und Energie kostet, Auswirkungen auf das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr, das ja auch Geld kostet?

Flosdorff: Nein. Ich habe es ja noch einmal gesagt: Es gibt bei der Bundeswehr nebeneinander mehrere Bereiche, von denen man sagen kann: Das sind Punkte, an denen wir arbeiten müssen. Das geht ja seit Anfang der Legislaturperiode so. Das eine ist das Fachkräftethema. Das ist unabhängig von der Materialfrage. Auch wenn uns jemand jetzt das modernste Material, das wir kurzfristig gar nicht beschaffen könnten, hier hinstellen würde, müssten wir für die nächsten Jahre schauen, dass wir verantwortungsbewusste, gut ausgebildete Soldatinnen und Soldaten bekommen, die dieses Material bedienen. Das ist mindestens ebenso wichtig wie das Material und die Beschaffungsprozesse. Ich denke, wir sind als Bundeswehr auch immer wieder aufgerufen, das mit zu leisten und zu unterstützen, was Deutschland in der Welt an Prozessen mitbeeinflussen und mitgestalten möchte, also dass wir bereit sind zu helfen und zu unterstützen, wenn eine Notlage in der Welt vorhanden ist – in militärischer Form, wenn es notwendig ist, aber auch humanitär. Parallel dazu müssen wir uns darum kümmern, dass nicht nur die Menschen da sind und dass die Bevölkerung erkennt, wie sinnhaft das Tun und das Handeln der Bundeswehr ist, sondern dass auch das Material stimmt. Auf allen drei Gebieten müssen wir parallel und mit gleicher Intensität arbeiten.

(Archivbild Dezember 2013: von der Leyen bei ihrem ersten Truppenbesuch in Afghanistan.