Deutsche Waffen für Kurdistan: Was wir (bis jetzt) wissen

Am heutigen Sonntagabend will sich die Bundesregierung, am morgigen Montag der Bundestag mit Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak befassen. Deshalb ein kurzer Überblick, was wir an diesem Sonntagmorgen darüber wissen:

Waffen für die Kurden? Wieso?

Eine islamistische Terrorgruppe mit dem Namen Islamischer Staat (IS), meist auch mit ihrem früheren Namen Islamischer Staat in Syrien und Irak (ISIS) benannt, hat Teile des Nordirak erobert und geht mit großer Brutalität vor – gegen Muslime, die nicht wie sie der Glaubensrichtung der Sunniten angehören, aber auch gegen andere Glaubensrichtungen. Die irakische Armee, die einige Stützpunkte und Ausrüstung an ISIS verlor, kommt gegen die Terrormiliz nicht an. Gegen ISIS kämpfen kurdische Milizen, die ohnehin seit Jahren für einen eigenen Staat eintreten und sich durch die Gruppe gefährdet sehen. Diese kurdischen Milizen sind derzeit faktisch die kampfstärkste Truppe, die ISIS entgegentreten kann – allerdings vergleichsweise schlecht ausgerüstet und bewaffnet.

Die Bundesregierung hatte zunächst eine Unterstützung der Kurden mit Militärmaterial abgelehnt. In den vergangenen Wochen hat sich die Haltung der Koalitionsparteien CDU, SPD und CSU jedoch geändert. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von Gräueltaten, Außenminister Frank-Walter Steinmeier verwies darauf, dass man die Kurden im Kampf gegen ISIS nicht alleine lassen dürfe, ebenso Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Inzwischen haben sich die Minister der deutschen Regierung und die Koalitionspartner darauf verständigt, auch Waffen an die Kurden zu liefern.

Aber Deutschland liefert doch keine Waffen in Krisengebiete?

Das ist ein Mythos, der immer wieder bemüht wird, aber nicht stimmt. Spektakuläres Gegenbeispiel sind die U-Boote, die Deutschland seit Jahrzehnten an Israel liefert (und die auch für Atomraketen geeignet sind). Während des ersten Golfkrieges 1991, als vom damaligen irakischen Diktator Saddam Hussein Scud-Raketen auf Israel abgefeuert wurden, lieferte Deutschland zur Raketenabwehr leihweise Patriot-Flugabwehrsysteme. Und auch in den Irak wurde geliefert: 2011/2012 erhielt das Land 24 Kampfhubschrauber vom Typ EC635 aus Deutschland – der Irak war in jenen Jahren durchaus auch ein Krisengebiet.

Welche Waffen sollen die Kurden denn aus Deutschland bekommen?

Das soll erst heute Abend genau festgelegt werden. Vermutlich werden es vor allem so genannte panzerbrechende Waffen sein, also Panzerfäuste und die Panzerabwehrrakete Milan. Denn die stehen auf dem Wunschzettel der Kurden ganz oben: Die ISIS-Milizen haben aus den Beständen der irakischen Armee neben Waffen auch gepanzerte Fahrzeuge erbeutet. Die, übrigens, die USA an die Iraker geliefert hatten. Möglicherweise kommen aus Deutschland auch Handfeuerwaffen und Munition – aber das wissen wir noch nicht.

Und wer entscheidet nun, was geliefert wird?

Formal die Bundesverteidigungsministerin, weil es sich um eine so genannte Länderabgabe handelt, also Material aus den Beständen der Bundeswehr. Nicht um einen Rüstungsexport von Unternehmen. Aber angesichts der politischen Bedeutung dieser Entscheidung wird es dazu ein Treffen der Bundeskanzlerin mit Außenminister, Verteidigungsministerin, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Entwicklungsminister Gerd Müller und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geben. Der Finanzminister ist dabei, weil das Material wohl kostenlos abgegeben wird, weil die Lieferung im deutschen außenpolitischen Interesse ist – aber das muss auch vom Kassenwart ordnungsgemäß bestätigt werden.

Danach gibt es ein Treffen der Parteivorsitzenden der Koalition, und da die CDU-Vorsitzende, nämlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, und der SPD-Vorsitzende, nämlich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, schon da sind, muss nur noch der CSU-Chef Horst Seehofer dazukommen. Und in diesem informellen Kreis aus Regierungschefin, zuständigen Ministern und den Parteivorsitzenden wird dann die politische Entscheidung getroffen.

Moment – muss denn nicht der Bundestag entscheiden?

Nein. Der Export von Kriegswaffen ist eine Sache allein der Bundesregierung, so steht das im Grundgesetz. (Auch wenn es unter Juristen verschiedene Ansichten gibt, was das konkret bedeutet, und ob nicht das Bundeskabinett entscheiden müsse bei solchen Exporten.)

Aber der Bundestag will und wird am Montag darüber beraten. Dazu wird die Bundeskanzlerin erst eine Regierungserklärung abgeben. Dann gibt es eine Debatte, und dann wird über so genannte Entschließungsanträge abgestimmt. Die sind zwar keine Entscheidung, aber eine politische Willenserklärung des Parlaments.

Deshalb wird es auf jeden Fall einen gemeinsamen Antrag der Koalitionsparteien geben, voraussichtlich auch Anträge der Opposition. Der Koalitionsantrag ist recht vorsichtig gefasst, da steht nicht etwa drin Wir sind für Waffenlieferungen in den Nordirak‘, sondern da heisst es etwas vorsichtiger:

Mit dem Vorrücken des IS ist die staatliche Einheit Iraks in Gefahr. Weitere Auswirkungen auf die Region insgesamt, einschließlich auf den NATO-Partner Türkei, sind nicht auszuschließen. Die Entscheidung der Bundesregierung zur Überlassung von militärischem Gerät an die kurdisch-irakische Regionalregierung ist daher nach intensiven Beratungen und in Abstimmung mit unseren Partnern und einem Beschluss der EU-Außenminister ein Beschluss, der in Anbetracht einer außergewöhnlichen außen- und sicherheitspolitischen Lage verantwortungsvoll getroffen wurde. Es geht um eine Nothilfe, die dem Schutz von Leib und Leben der Flüchtlinge dient. Waffenlieferungen an nichtstaatliche Gruppen wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kommen nicht in Frage.

Ok. Wenn die Entscheidung getroffen ist, wie geht’s dann weiter?

Dann wird irgendwann geliefert, in Abstimmung mit den USA und europäischen Verbündeten. Deutschland ist ja nicht das einzige Land, das Waffen an die Kurden liefert – von den USA bis Albanien haben mehrere Länder was zugesagt, zuletzt Tschechien. Die ganzen Lieferzusagen werden vom US Central Command, dem für den Nahen Osten zuständigen Hauptquartier der Amerikaner in Tampa, Florida, koordiniert. Sozusagen als Clearingstelle.

Noch nicht so ganz klar ist, ob die Bundeswehr die Waffen – und vermutlich auch Munition – mit eigenen Flugzeugen direkt nach Erbil in die Hauptstadt der Kurdenregion liefert, oder erst via Bagdad, der irakischen Hauptstadt. Denn eigentlich kommt eine Länderabgabe, wie der Name schon sagt, nur an ein Land infrage. Und das ist nicht Kurdistan, sondern der Irak. Das muss auch rechtlich abgesichert werden – und bei der dafür nötigen schriftlichen Erklärung der Regierung in Bagdad, so berichtet der Spiegel, gibt es bislang Probleme.

Reicht das denn eigentlich, Waffen zu liefern?

Nun liefert Deutschland nicht nur Waffen, sondern auch humanitäre Hilfe, die von den Flüchtlingen in der Region dringend benötigt wird. Aber was den Kampf gegen ISIS angeht: Da ist in der Tat die Lieferung von Waffen ein Notnagel. Kämpfen sollen vor allem die Kurden selber.

Können die Waffen nicht in falsche Hände geraten?

Das ist immer ein Risiko – schließlich haben auch die ISIS-Kämpfer Waffen erobert, die nicht für sie bestimmt waren, sondern für die irakische Armee. Allerdings dürfte Deutschland zum einen nicht allzu viele Waffen liefern, und zudem Waffen, die zwar ihren Zweck erfüllen, aber keine High-Tech-Produkte sind – die Panzerabwehrrakete Milan, die zwar bewährt ist, aber bei der Bundeswehr auf das Ende ihrer Nutzungszeit zusteuert.

Das ist alles so kompliziert. Gibt’s da nicht was zur Entspannung?

Klar. Kurdische Musik, zum Beispiel das Lied der Peshmerga, der kurdischen Milizen:

(Direktlink: http://youtu.be/kOV3I8bp4gE)

(Foto: Archivbild 2008 – kurdische Peshmerga-Kämpferinnen – Kurdistan Foto via Flickr unter CC-BY-SA-Lizenz)