Syrien: NATO, Bundespressekonferenz & Unklarheiten

Trotz der erkennbaren Absicht der USA und mit ihnen verbündeter Staaten wie Großbritannien, Syrien als Reaktion auf den Chemiewaffeneinsatz am 21. August anzugreifen, bleibt noch zu vieles im Unklaren. Zum Beispiel was der NATO-Generalsekretär mit seinem Statement nach einem Treffen des Nordatlantikrats am (heutigen) Mittwoch sagen wollte: Sicherlich, dass auch aus NATO-Sicht das Assad-Regime für den Giftgaseinsatz veranwortlich ist. Aber was bedeutet kann nicht ohne Antwort bleiben? (Und da das ein Statement aller NATO-Botschafter ist, muss auch Deutschland zugestimmt haben.)

Das Statement von Anders Fogh Rasmussen oben im Video und hier im Wortlaut:

The North Atlantic Council has just discussed the situation in Syria and in particular the horrific use of chemical weapons around Damascus on 21 August.
We condemn in the strongest possible terms these outrageous attacks, which caused major loss of life.
NATO Allies expressed their full support to the ongoing UN investigation. They deplored that the Syrian regime failed to provide immediate and secure access for the United Nations inspectors to the sites of the attacks.
The Syrian regime maintains custody of stockpiles of chemical weapons.  Information available from a wide variety of sources points to the Syrian regime as responsible for the use of chemical weapons in these attacks.
This is a clear breach of long-standing international norms and practice. Any use of such weapons is unacceptable and cannot go unanswered.  Those responsible must be held accountable.
We consider the use of chemical weapons as a threat to international peace and security.
We will continue to consult and keep the situation in Syria under close review, and NATO continues to assist Turkey and protect the Alliance’s south-eastern border.

Vielleicht bekäme man ein wenig mehr Klarheit, wenn man wüsste, was der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière heute bei dem Telefonat mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel besprochen hat. Dazu gibt es aber leider keine Auskunft.

Und ein wenig ratlos lassen mich auch  die Aussagen des Regierungssprechers und  der Ministeriumssprecher in der heutigen Bundespressekonferenz. Daraus lerne ich unter anderem, dass Deutschland die von Großbritannien vorgelegte UN-Resolution unterstützt (auch wenn die wegen des absehbaren Vetos von Russland und China wenig Chancen haben dürfte). Allerdings: Der Resolutionsentwurf, sagen die Briten, soll nicht nur dem Assad-Regime die Verantwortung zuweisen – sondern auch alle erforderlichen Mittel (all neccessary measures) unter Kapitel 7 der UN-Charta erlauben. Mit anderen Worten: einen militärischen Angriff autorisieren. Das ist dann auch deutsche Position?

Die Aussagen von Regierungssprecher Steffen Seibert, Außenamtssprecher Andreas Peschke und BMVg-Sprecher Stefan Paris zum Nachhören (Transkript ggf. später):

BPK_Syrien_28aug2013     

 

 

Nachtrag: Die Aussagen in der Bundespressekonferenz jetzt auch zum Nachlesen:

Zum Schluss hat Außenminister Westerwelle dem Kabinett kurz zur Lage in Syrien vorgetragen – einer sehr ernsten Lage, nachdem nun doch mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass es dort zum ersten großflächigen Einsatz von Chemiewaffen im 21. Jahrhundert gekommen ist. Das ist ein Verbrechen an Hunderten von Männern, Frauen und Kindern. Die erschütternden Bilder und Berichte kennen Sie alle. Auf eine solche Tat, auf einen solch schweren Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention, die jeglichen Gebrauch ächtet, auf einen solchen Tabubruch muss reagiert werden. Die Staatengemeinschaft muss nach unserer Überzeugung eine Antwort darauf geben. Insbesondere geht der Blick auf den UN-Sicherheitsrat, der sich bisher in Sachen Syrien leider oft gelähmt gezeigt hat.

Sie haben inzwischen wahrscheinlich gehört, was der Außenminister zum britischen Vorstoß bei den Vereinten Nationen gesagt hat. Ich möchte nur noch einmal für die ganze Bundesregierung und die Bundeskanzlerin nachdrücklich unterstreichen: Wir hatten uns immer auch für eine Befassung des Sicherheitsrats mit diesem sehr ernsten Thema eingesetzt. Daher begrüßen wir ausdrücklich die britische Initiative, jetzt den UN-Sicherheitsrat zu befassen. Der genaue Resolutionsentwurf liegt uns noch nicht vor.

Der Außenminister berichtete auch über die engen und regelmäßigen Abstimmungen mit den Verbündeten. – So viel jetzt von mir zu diesem Thema.

FRAGE: Herr Seibert, zum britischen Vorstoß für eine UN-Resolution: Ist es die Auffassung der Bundesregierung, dass die Konsequenzen, von denen die Bundesregierung spricht, von einem solchen Beschluss des Sicherheitsrates abhängen, oder können die Konsequenzen auch gezogen werden, wenn die Blockade im Sicherheitsrat bestehen bleibt?

STS SEIBERT: Ich will hier nur wiederholen: Wir haben uns sehr nachdrücklich dafür eingesetzt, dass sich der UN-Sicherheitsrat damit befasst. Wir haben uns im Übrigen immer dafür eingesetzt, dass der UN-Sicherheitsrat zu einer einstimmigen klaren Aussage zu Syrien kommt, auch schon vor diesem schrecklichen Verbrechen. Insofern ist das die Stoßrichtung unserer Politik. Das gehört in den UN-Sicherheitsrat. Dort kann sich die internationale Staatengemeinschaft zu so etwas äußern. Wir hoffen, dass es jetzt, aufgrund dieser britischen Initiative, gelingt, dort mit einer Sprache zu einer Haltung zu kommen.

ZUSATZFRAGE: Hat die Bundesregierung irgendwelche Anzeichen dafür, dass Russland seine Position verändert?

STS SEIBERT: Ich denke, das alles wird zu sehen sein, wenn sich die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats ich glaube, noch heute in New York mit dem britischen Vorstoß befassen.

FRAGE: Herr Seibert, Entwicklungsminister Niebel sagt, dass der Einsatz von Chemiewaffen einen militärischen Einsatz auch ohne eine Zustimmung des Sicherheitsrates bzw. ohne eine Resolution rechtfertige. Teilt die Bundesregierung diese Einschätzung?

STS SEIBERT: Ich will hier jetzt nicht über die Art und Weise spekulieren, wie die internationale Reaktion ausfallen könnte. Ich werde jetzt die verschiedenen Möglichkeiten mit Ihnen nicht durchdiskutieren. Die Sache wird nun dort diskutiert, wohin sie unserer Meinung gehört, nämlich im UN-Sicherheitsrat. Wir hoffen auf eine klare und abgestimmte Haltung. Das wäre etwas Neues, weil sich der Sicherheitsrat leider immer blockiert gezeigt hat. Das heißt, Mitglieder des Sicherheitsrats müssten ihre Haltung dazu ändern. Wir hoffen darauf.

FRAGE: Herr Seibert, es ist jetzt ganz offensichtlich, dass ein Militärschlag vorbereitet wird. Was ist denn die Haltung der Bundesrepublik zu diesen Vorbereitungen und damit auch zu dem wahrscheinlichen Militärschlag? Sie reden immer so vage von Konsequenzen, die gezogen werden müssten. Aber die Konsequenz ist ja offenbar ein Militärschlag.

STS SEIBERT: Ich finde, ich sage gar nicht vage, dass wir hier keine hypothetischen Abläufe bewerten. Dabei wird es von mir aus in dieser Regierungspressekonferenz auch bleiben.

FRAGE: Herr Seibert, liegen der Bundesregierung mittlerweile Beweise vor, dass das Regime für den Einsatz verantwortlich ist?

STS SEIBERT: Ich habe Ihnen in dieser Sache heute öffentlich keinen Sachstand zu berichten, der sehr anders wäre als der vom Montag. Deswegen kann ich nur wiederholen: Es gibt sehr viele Hinweise und zwar aus verschiedenen Ecken , dass die Täterschaft beim Regime, bei Kräften innerhalb des Regimes zu vermuten ist. Es gibt bisher keinerlei Hinweise, die für die behauptete Unschuld des Regimes sprächen. Das ist mein Stand am Montag gewesen, und nur so kann ich Ihnen auch heute vortragen.

ZUSATZFRAGE: Es gab auch einmal sehr viele Hinweise, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen habe. Sollte man nach der damaligen Erfahrung jetzt nicht vielleicht wirklich auf Beweisen bestehen?

STS SEIBERT: Ich sehe keine Parallelen zwischen diesen beiden internationalen Krisen.

Wir haben glücklicherweise UN-Inspektoren vor Ort. Dafür haben wir uns sehr stark eingesetzt. Diese UN-Inspektoren sind vom syrischen Regime das muss man sagen reichlich spät an den Ort des Geschehens gelassen worden, sodass man realistisch befürchten muss, dass auch manche Spur schon verwischt war. Dennoch gehen sie ihrer Arbeit nach; das unterstützen wir sehr.

Ich habe vorhin bisher unbestätigte Medienberichte gelesen die haben vielleicht auch Sie gehört , dass sich der Syrien-Gesandte der UNO dahin gehend geäußert hat, dass C-Waffen-Spuren gefunden worden seien. Mehr kann ich jetzt dazu nicht sagen. Ich kann das auch nicht bestätigen. Ich habe das nur gehört. Jedenfalls laufen diese Untersuchungen. Wir erhoffen uns noch weiteren Aufschluss davon.

PESCHKE: Dazu kann ich nur prozedural noch ergänzen nicht inhaltlich, das hat der Regierungssprecher vollumfänglich abgedeckt , dass wir mit der UN-Mission in ständigem Kontakt stehen, auch mit der Leiterin der UN-Mission, Angela Kane. Der Minister selbst hat am Sonntag mit ihr gesprochen. Wir sprechen auf verschiedenen Ebenen ständig mit ihr und mit anderen.

Es besteht Kontakt zur UN-Mission, weil wir an der gefährlichen Arbeit der Inspektoren nahe dran sein wollen. Das ist der eine Aspekt.

Der andere Aspekt ist, dass wir die gesamten internationalen Bemühungen durch eine allerengste Abstimmung begleiten. Wir hatten schon am Montag die Gelegenheit vorzustellen, wie viele Telefonate und Gespräche es gegeben hat. Außenminister Westerwelle hat gestern längere Telefonate sowohl mit dem britischen Außenminister, William Hague, als auch mit dem französischen Außenminister, Laurent Fabius, geführt. Auch mit dem polnischen Außenminister hat er länger telefoniert. Er hat auch ein Gespräch mit dem iranischen Außenminister gehabt; das ist von iranischer Quelle schon kommuniziert worden. Es gibt hier einen ständigen heißen Telefondraht, um eine intensive internationale Abstimmung zu ermöglichen.

Dass es nun auf britische Initiative hin zu einer erneuten Befassung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen kommt, ist, so glaube ich, ein wichtiger Schritt, um dieses Thema auch in dem Gremium zu besprechen, in das es gehört, nämlich im Sicherheitsrat. Das ist eine Chance umzusteuern für diejenigen, die bisher eine gemeinsame Haltung der Weltgemeinschaft verhindert haben. Wir würden uns wünschen, dass es zu einer gemeinsamen Haltung der Weltgemeinschaft kommt. Das ist noch immer möglich.

ZUSATZFRAGE: Herr Peschke, erwarten Sie denn von den UN-Inspektoren auch Auskünfte darüber, wer für diesen Einsatz verantwortlich ist? Denn meines Wissens sollen sie doch nur feststellen, ob es so etwas gegeben hat.

PESCHKE: Das Mandat ist in der Tat begrenzt. Aber schon dieser Untersuchungsauftrag ist schwer umzusetzen. Jede verlässliche Erkenntnis, die von UN-Inspektoren käme, wäre in diesem Kontext natürlich extrem hilfreich. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Arbeit dieser UN-Inspektoren möglich ist. Wir drängen darauf, dass diese Arbeit möglichst schnell stattfinden kann.

FRAGE: Herr Seibert, sind deutsche Stellen bisher ausschließlich auf diplomatischem Wege in den ich sage einmal Kommunikationsverkehr zwischen den USA, Großbritannien und Frankreich mit einbezogen, oder rechnen Sie mit militärpolitischen Anfragen, die Deutschland ins Spiel bringen könnte?

STS SEIBERT: Ich kenne keine solche Anfragen.

ZUSATZFRAGE: Rechnet Deutschland mit militärischen Anforderungen seitens der befreundeten Freunde?

STS SEIBERT: Ich kann nicht für ganz Deutschland, sondern nur für die Bundesregierung sprechen. Die Bundesregierung hat keine solchen Anfragen vorliegen.

Ganz grundsätzlich kann ich hier nur sagen, dass ein Auslandseinsatz der Bundeswehr sehr engen rechtlichen Regeln unterliegt. Er muss laut Parlamentsbeteiligungsgesetz vom Parlament genehmigt werden. Verfassungsrechtlich ist er auch nur in bestimmten Grenzen und nach bestimmten Regeln zulässig, nämlich im Rahmen und nach den Regeln eines sogenannten Systems kollektiver Sicherheit, also UNO, NATO oder EU. Dies als prinzipielle Bemerkung.

ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die Grundlagen für die Entsendung der Patriot-Einheiten in den türkisch-syrischen Grenzbereich in irgendeiner Form verändert? Könnte dies der Fall sein, wenn es zu militärischen Aktionen kommt?

STS SEIBERT: Das deutsche Bundeswehrkontingent mit den Patriot-Einheiten in Kahramanmaras in der Türkei, unweit der syrischen Grenze, hat einen rein defensiven Auftrag, ein rein defensives Mandat. Daran hat sich nichts geändert.

FRAGE: Herr Peschke, Sie betonen die besondere Nähe zu Frau Kane und zu der Mission der Chemiewaffeninspekteure. Hat die Bundesregierung Informationen darüber, wie lange diese Mission noch andauern wird und wann die Inspektoren zurückkehren? Das ist die erste Frage. Danach habe ich noch eine Frage an Herrn Seibert, bitte.

PESCHKE: Nein.

ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, die andere Frage: Politiker aus dem Iran und auch aus Syrien haben schon scharfe Drohungen ausgestoßen, gerade im Hinblick auf Israel. Wie bewertet die Bundesregierung diese Drohungen? Wäre man bereit, Israel möglicherweise, natürlich auf Anfrage, mit ABC-Spürpanzern oder weiteren Patriot-Einheiten zur Seite zu springen?

STS SEIBERT: Ich bewerte diese Drohungen nicht. Leider sind Drohungen aus dem Iran oder aus der iranischen Politik in Richtung Israel nichts gänzlich Neues oder noch nie Dagewesenes. Ich bewerte das nicht und spreche auch nicht über hypothetische Fälle.

Wir haben es jetzt hier mit der Notwendigkeit zu tun, als internationale Staatengemeinschaft auf eine sehr ernste Lage in Syrien zu reagieren. Deutschland ist damit beschäftigt, dazu beizutragen, dass es eine klare und deutliche Reaktion gibt. Wir beraten ständig mit unseren Verbündeten darüber und sind in engem Kontakt. Das ist das, was für uns jetzt zählt.

ZUSATZFRAGE: Bei der Bevölkerung gibt es Sorgen um einen Flächenbrand, der durch einen solchen Einsatz eintreten könnte. Teilt die Bundesregierung solche Sorgen nicht?

STS SEIBERT: Ich kann verstehen, wenn sich Menschen, die die gesamte Region Mittlerer und Naher Osten betrachten, Sorgen machen. In der Tat passieren dort fürchterliche Dinge. Der syrische Bürgerkrieg, der mittlerweile schon 100.000 Menschenleben gekostet hat, ist eine Situation, die uns allen Sorgen macht. Wenn wir jetzt noch Berichte und Bilder wie am letzten Wochenende oder Ende letzter Woche von einem Angriff auf schlafende Männer, Frauen und Kinder mit höchstwahrscheinlich Giftwaffen, C-Waffen sehen, dann verstärken sich diese Sorgen. Ich kann die Sorgen verstehen.

Die Bundesregierung wird dazu beitragen, dass so etwas, ein solcher Tabubruch, ein solcher Verstoß gegen alle internationalen Normen, nicht ohne Konsequenz bleibt. Wenn so etwas ohne Konsequenz bliebe, müssten wir uns wahrscheinlich noch mehr Sorgen machen.

FRAGE: Herr Peschke, nachgefragt zu dem Flächenbrand: Hat Ihr Minister ähnliche Vorahnungen, teilt er die Prognose des russischen Kollegen, dass es dazu kommt, wenn eine Strafaktion, ein Militärschlag auf den Chemiewaffeneinsatz erfolgt?

PESCHKE: Ich spekuliere mit Ihnen nicht über hypothetische Szenarien. Ich kann nur noch einmal das bekräftigen, was Herr Seibert schon gesagt hat: Die Gefahr eines Flächenbrandes im Zusammenhang mit dem Syrien-Konflikt ist in der Stunde, in der wir miteinander sprechen, und war auch schon vor zwei Wochen real.

Schauen Sie sich die Lage im Libanon an! Schauen Sie sich die Lage in Jordanien an! Schauen Sie sich die Flüchtlingsströme an, die es gibt! Schauen Sie sich an, wie viele Flüchtlinge es in der Türkei gibt! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen im türkisch-syrischen Grenzgebiet aufgrund von Auswirkungen des Konflikts bereits ihr Leben verloren haben! Das sind Indizien, die die Gefahr eines Flächenbrandes aufgrund des Konflikts in Syrien eindrücklich untermauern.

ZUSATZFRAGE: Gab es die beiden Außenminister sollen ja ein vertrauensvolles Verhältnis haben gar einen direkten Kontakt zwischen Herrn Westerwelle und Herrn Lawrow, nicht nur mit Blick auf den Flächenbrand, sondern auch mit Blick auf den Sicherheitsrat?

PESCHKE: Es gab ein Gespräch von Außenminister Westerwelle mit dem russischen Außenminister am vergangenen Samstag. Dabei ging es vor allem darum, den Zugang der Inspektoren der Vereinten Nationen zu ermöglichen.

FRAGE: Herr Seibert, genau dieser Themenbereich interessiert auch mich. Sie haben eben die besondere Verantwortung Russlands mit Blick auf die Befassung des Sicherheitsrates angesprochen. Nun sagt der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die deutsche Bundesregierung habe ihre Verantwortung im Kontakt mit Russland nicht wahrgenommen. Warum gab es nur einen einzigen Kontakt der beiden Außenminister vor vier, fünf Tagen, bei dem es nur um die Inspektoren ging? Oder wissen wir weniger als Sie? Dann bitte ich um Aufklärung.

STS SEIBERT: Zwischen der Bundesregierung und der russischen Regierung, zwischen der Bundeskanzlerin und dem russischen Präsidenten ist das Thema Syrien häufig, intensiv und sehr ausführlich debattiert worden, und zwar bei vielen bilateralen Begegnungen, zuletzt bei G8 in großer Intensität. Es gibt zahlreiche Kontakte zwischen Herrn Westerwelle und Herrn Lawrow.

Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative das ist das Ergebnis von G8 gewesen, und zwar nach langen, intensiven Diskussionen mit Russland , eine Syrien-Konferenz zustande zu bringen. Es hat also an intensiver Auseinandersetzung mit dem russischen Standpunkt in dieser Frage nie gemangelt. Die russische Seite weiß auch sehr gut, was unser Standpunkt ist und dass wir uns von ihr einen anderen wünschen würden.

ZUSATZFRAGE: Hat es nach den mutmaßlichen Giftgasangriffen Kontakte zwischen der Bundesregierung und der russischen Regierung gegeben?

PESCHKE: Das habe ich doch gesagt.

STS SEIBERT: Das wollte ich gerade sagen. – Im Übrigen erinnere ich daran, dass die russische Regierung heute beim Sicherheitsrat wieder mit unseren engsten Verbündeten zusammentreffen wird, um die neue Lage zu beraten und sich mit der britischen Initiative zu befassen. Das heißt, die Dinge fokussieren sich jetzt in New York, und das ist auch richtig. Wir sind in sehr engem Kontakt mit den Briten, mit den Franzosen, mit den Amerikanern. Auch das fließt dort natürlich ein.

ZUSATZFRAGE: Es hat also keine Kontakte der Kanzlerin mit dem russischen Präsidenten gegeben?

STS SEIBERT: Wenn es Gespräche der Bundeskanzlerin gibt, über die zu berichten ist, dann tue ich das selbstverständlich immer anschließend.

FRAGE: Herr Seibert, Sie sagten, die Dinge fokussierten sich in New York. Hat der Termin des G20-Gipfels, nämlich der 5. und 6. September, in irgendeiner Weise eine Bedeutung, eine Rolle für den Zeitpunkt der klaren Reaktion, von der Sie die ganze Zeit sprechen? Ist das möglicherweise für die Bundesregierung eine Gelegenheit, eine Möglichkeit, um noch einmal zu versuchen, eine einheitliche Position aller wesentlichen Player herzustellen? Denn dort sitzen ja auch China und Russland mit am Tisch.

STS SEIBERT: Noch einmal: Wie wir an der britischen Initiative im UN-Sicherheitsrat sehen, wird die UNO, wird die internationale Staatengemeinschaft, werden die Player, wie Sie sie genannt haben, Russland und China, jetzt genau mit dieser dringenden Angelegenheit befasst, und das begrüßen wir.

Ich kann in diesen Tagen, in denen so viel in Bewegung ist, nicht vorhersagen, wo genau wir in dieser Angelegenheit zum Zeitpunkt des G8-Gipfels stehen. Die Fähigkeit, Prophezeiungen vorzunehmen, habe ich nicht. Ich bin aber ziemlich sicher, dass das Thema Syrien auf dem G20-Gipfel eine wichtige Rolle spielt; das ist ganz klar. Aber jetzt fokussieren sich die Gespräche im UN-Sicherheitsrat. Das ist die britische Initiative. Da sind die Russen, die Chinesen und auch einige unserer engsten Verbündeten dabei. Die Kontakte sind eng. Dort wird man sich jetzt mit dem Fall befassen.

FRAGE: Herr Seibert, ich möchte auch noch einmal fragen, weil Sie jetzt mehrfach von klaren Reaktionen und eindeutigen Konsequenzen sprachen: Wäre ein Militärschlag einiger westlicher Staaten eine klare Reaktion im Sinne der Bundesregierung?

STS SEIBERT: Ich werde weiterhin sagen, dass ich jetzt nicht die verschiedenen Möglichkeiten dessen, wie eine solche klare Reaktion aussehen könnte, hier in der Öffentlichkeit diskutiere.

FRAGE: Herr Seibert, ich habe zwei Fragen: Ab wann beginnt eine klare Reaktion? Können Sie das einmal definieren?

Zur zweiten Frage: Wir leben ja in einer parlamentarischen Demokratie. Hat die Bundesregierung angesichts der allgemein als sehr kritisch eingeschätzten Lage rund um Syrien schon die entsprechenden Gremien des Bundestages informiert, um sozusagen auch das Parlament mit einzubeziehen?

STS SEIBERT: Eine klare Reaktion, und das ist jetzt mein einziger Definitionsversuch, ist eine, die den Tätern, also denjenigen, die ein solches Verbrechen begangen haben, klarmacht, dass das ein internationaler Normenverstoß ist, ein Verstoß gegen all unsere Grundüberzeugungen und Werte, der nicht hingenommen werden kann.

Über die Kontakte mit dem Parlament werde ich Ihnen dann berichten, wenn sie stattgefunden haben.

ZUSATZFRAGE: Daraus schließe ich: Es gab noch keinerlei Unterrichtung der Obleute im Außenauschuss, im Verteidigungsausschuss, in sonstigen Ausschüssen oder der Fraktionen. Ist das richtig?

PESCHKE: Wenn ich das ergänzen darf: Das wäre ein voreiliger Schluss. Es gab bereits am Montag eine Unterrichtung der Obleute des Auswärtigen Ausschusses durch unsere Staatssekretärin.

ZUSATZ: Ich komme darauf, weil der Staatssekretär gesagt hat, er werde darüber berichten, wenn die stattgefunden haben.

PESCHKE: Genau. Deswegen habe ich das jetzt ergänzt.

FRAGE: Gibt es Bemühungen der Bundesregierung, eine gemeinsame Haltung der EU zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien herbeizuführen, also zumindest eine Resolution, eine Vereinbarung oder ein gemeinsames Auftreten jenseits eines Militärschlags?

PESCHKE: Es gibt natürlich ein umfangreiches Bemühen von unserer Seite, eine Abstimmung innerhalb der Europäischen Union stattfinden zu lassen. Das können Sie allein daran sehen, wie eng die Telefonkontakte innerhalb der Europäischen Union sind. Ich will Ihnen jetzt nur einmal schildern, mit wem der Außenminister in den letzten Tagen alles telefoniert hat: Er hat am Montag mit dem spanischen Außenminister und mit dem niederländischen Außenminister telefoniert. Er hat am Dienstag, also gestern, mit dem dänischen Außenminister, mit dem französischen Außenminister, mit dem polnischen Außenminister und mit dem britischen Außenminister telefoniert. Er hat auch mit dem derzeitigen Ratsvorsitzenden, dem litauischen Außenminister, telefoniert. Es gibt eine sehr, sehr, sehr enge Abstimmung. Wir stehen natürlich auch in ganz engem Kontakt mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst als dem für die Koordinierung der Außenpolitik federführenden Gremium. Es gibt also sehr enge telefonische Kontakte innerhalb der Europäischen Union, um natürlich eine möglichst geschlossene Haltung der Europäischen Union in dieser Frage vorzuhalten.

FRAGE: Herr Peschke, in der „Neuen Züricher Zeitung“ konnten wir heute lesen, dass sich der Außenminister kaum noch eine politische Lösung vorstellen kann. Ist das nicht die Quotierung eines Militäreinsatzes? Falls nicht, würde ich gerne wissen, wie ich das verstehen soll.

PESCHKE: Jetzt hole ich einmal kurz den Interviewtext heraus. – Ich finde die entsprechende Passage jetzt nicht.

ZURUF: Soll ich Sie ihnen vorlesen?

PESCHKE: Sie haben, glaube ich, die Agenturfassung vorliegen deswegen suche ich die Passage aus dem Interview , und die ist, ehrlich gesagt, etwas unscharf. Meine erste Bitte oder mein erster Appell an Sie wäre deshalb, das Interview noch einmal zurate zu ziehen und den genauen Wortlaut zu zitieren.

ZURUF: Genau das tat ich. Ich zitierte aus dem Interview, nicht aus der Agenturfassung.

PESCHKE: Wenn Sie genau das taten, dann ist das ja schon einmal gut. Aber an andere Kollegen, die das vielleicht noch nicht gemacht haben, habe ich die Bitte, den genauen Wortlaut zurate zu ziehen.

In der Sache ist es so, dass der Außenminister eine Tatsache festgestellt hat, die der Regierungssprecher am Montag auch schon festgestellt hat, nämlich dass die tragischen Ereignisse der letzten Woche, also der mutmaßlich bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgte großflächige Einsatz von Chemiewaffen, von Giftgas, die Chancen für das Stattfinden einer Konferenz nicht erhöht hat, sondern im Gegenteil sehr verringert hat. Das konnten Sie auch an den entsprechenden Kommentaren der syrischen Opposition sehen, an entsprechenden Kommentaren von russischer Seite sowie an entsprechenden Kommentaren der amerikanischen Seite, die eine Konferenz auf Fachebene mit Russland zur Vorbereitung der Genfer Konferenz abgesagt hat. Die Chancen für das unmittelbare Stattfinden einer solchen Konferenz sind also leider nicht gestiegen. Im Gegenteil: Sie haben sich verringert.

Dennoch, und das hat Staatssekretär Seibert auch bereits am Montag hier herausgestellt, muss man hierbei zwei Dinge trennen: Zum einen geht es um den mutmaßlichen bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgten Einsatz von Chemiewaffen, auf den es eine klare Reaktion der Staatengemeinschaft geben muss, und zum anderen um eine dauerhafte Beilegung des Syrien-Konfliktes, die am Ende wie auch immer, über eine Konferenz, über einen längeren Zeitraum natürlich eine politische Lösung bzw. Regulierung beinhalten muss.

ZUSATZ: Aber die kann sich der Außenminister ja nicht vorstellen.

PESCHKE: Ihre Frage war auf die Konferenz im Zusammenhang mit einer politischen Lösung gemünzt, und die Chancen darauf sind für die nähere Zukunft nicht gestiegen.

FRAGE: Ich würde gerne einmal wissen, wahrscheinlich von Herrn Paris, welche Einheiten der deutschen Marine zurzeit im westlichen Mittelmeer unterwegs sind, Stichwort UNIFIL oder Active Endeavour, und welche Auswirkungen eines möglichen Militärschlags anderer westlicher Staaten auf diese Einheiten gesehen wird.

PARIS: Hinsichtlich der zweiten Frage, Herr Leithäuser, schließe ich mich meinen beiden Kollegen ein: Das ist eine hypothetische Fragestellung, die ich hier nicht erörtern werde.

Im Übrigen bitte ich um Nachsicht. Ich kann Ihnen das Bild unserer Einheiten, wie es sich derzeit im Bereich des östlichen Mittelmeers in Bezug auf die doch nicht wenigen Mandate, die wir dort innehaben, darstellt, nicht aufzeigen. Ich bitte, das einfach einmal beim Einsatzführungskommando abzufragen. Dort wird das sicherlich aktualisiert vorliegen. Ich weiß es schlichtweg nicht; es tut mir leid.

ZUSATZFRAGE: Hält sich denn gegenwärtig eines der Flottendienstboote der Marine im östlichen Mittelmeer auf?

PARIS: Davon gehe ich aus. Ich weiß aber nicht genau, wo.

PESCHKE: Sie hatten ja vorhin schon einmal gesagt, dass Sie aus dem Interview zitieren. Ich wollte ich habe es jetzt gefunden doch noch einmal die gesamte Passage vortragen. Die erste Frage war: „Gibt es Möglichkeiten, diesen Flächenbrand präventiv einzudämmen?“ Die Antwort des Außenministers lautete: „Nur im Rahmen einer politischen Lösung kann dauerhafter Frieden und Stabilität gelingen. Deswegen ist es richtig, trotz der Begrenztheit unserer Möglichkeiten alles Machbare dafür zu tun.“ Nachfrage: „Von einer Syrien-Konferenz in Genf redet unterdessen niemand mehr.“ Antwort: „Die schrecklichen Ereignisse vor einigen Tagen haben uns dem Ziel einer politischen Lösung jedenfalls nicht nähergebracht. In Anbetracht der schrecklichen Bilder und Anschuldigungen gegenwärtig kann man sich eine politische Lösung kaum mehr vorstellen. Ich weiß aber auch aus zahlreichen Besuchen der Region, dass am Ende nur eine politische Lösung Syrien dauerhaft Frieden bringen kann.“ – Das ist der Wortlaut des Außenministers, und ich denke, das habe ich vorhin in meinen eigenen Worten richtig wiederzugeben versucht.

FRAGE: Herr Seibert, ich wollte noch einmal auf das Thema Patriot zurückkommen. Sie haben gesagt, es habe sich nichts daran geändert, dass es sich um einen defensiven Einsatz und ein defensives Mandat handele. Ändert sich denn etwas an den Rahmenbedingungen, falls es jetzt zu einer militärischen Intervention kommen sollte? Sind dann noch die Gegebenheiten erfüllt, die die Grundlage des Mandats für diesen Einsatz sind?

STS SEIBERT: Diese Frage werde ich Ihnen gerne beantworten, wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte. Die Patriot-Einheiten sind dort, um einen möglichen Beschuss von syrischem Territorium aus gegen türkische Städte in dieser Grenzregion abzufangen. Das ist ihr Auftrag, und wir haben bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Situation verändert. Der Auftrag verändert sich nicht. Das Mandat ist so, wie es ist.

ZUSATZFRAGE: Auch wenn Sie diesen Umstand jetzt nicht in den Mund nehmen wollen, ist ja bekannt, dass eine militärische Intervention höchstwahrscheinlich kurz bevorsteht. Die Verbündeten reden ja ganz offen darüber, also könnten wir es hier ja auch tun. Auf diese Situation müssten Sie sich doch vorbereiten. Sie können sich doch nicht erst, nachdem das eingetreten ist, zum Beispiel mit dem Bundestag ins Benehmen setzen.

STS SEIBERT: Ich bleibe dabei, dass ich über einen solchen Fall nicht spekuliere. Ich weiß nicht, ob das Verteidigungsministerium etwas über den Grad der Vorbereitung sagen kann.

PARIS: Die Soldaten sind vor Ort, seitdem das Mandat läuft. Sie erfüllen ihren Auftrag. Sie haben einen Auftrag, und den erfüllen sie auch weiter. Alles andere sind Hypothesen.

FRAGE: Herr Peschke, gestern gab es die Meldung aus syrischen Oppositionskreisen, dass eine Delegation unter Leitung des Vorsitzenden der Nationalen Syrischen Allianz, dessen Namen ich nicht aussprechen kann, in Westeuropa auf Reisen sei und unter anderem gestern in Frankreich gewesen sei. Es seien auch Gespräche mit Regierungskreisen in Berlin geplant. Gibt es dafür schon Termine? Ist das verschoben worden, oder gab es die Gespräche vielleicht schon? Um was wird es gehen?

PESCHKE: Wir erwarten den Vorsitzenden der Nationalen Koalition der syrischen Opposition demnächst auch in Berlin. Einen genauen Termin kann ich Ihnen jetzt aber noch nicht nennen. Es hat angesichts einer im Moment sehr verdichteten internationalen Lage auch wirklich keinen Sinn, jetzt darüber zu spekulieren.

FRAGE: Herr Seibert, angesichts dieses möglichen Flächenbrandes frage ich mich, ob die Bundeskanzlerin in irgendeiner Form ihre fest eingeplanten Wahlkampfaktivitäten tangiert sieht, weil sich eine deutsche Kanzlerin ja auch um eine der brisantesten weltpolitischen Angelegenheiten der letzten Zeit so zu kümmern hat, dass sie möglicherweise nicht alle Parteitermine nahtlos wahrnehmen kann. Verzeichnen Sie eine gewisse Beeinträchtigung des CDU-Wahlkampfes, den Frau Merkel plant oder im Tageskalender hat?

STS SEIBERT: Die Bundeskanzlerin kümmert sich um diese internationale Situation, die eine sehr ernste ist, und zwar mit der Intensität, die das erfordert.

ZUSATZFRAGE: Ohne dass ihre Wahlkampfeinsatzmöglichkeiten und Wahlkampfplanungen bisher davon tangiert wurden?

STS SEIBERT: Bisher haben Sie sie zu den angekündigten Kundgebungen auftreten sehen. Für die Zukunft kann ich nicht sprechen, wie ich ohnehin nicht für Wahlkampfveranstaltungen der Bundeskanzlerin zuständig bin.