EuroHawk: Harte Schläge vom Rechnungshof
Der Bundesrechnungshof hat immer wieder Anmerkungen zu Projekten der Bundeswehr, die in Truppe wie Ministerium gequältes Aufstöhnen auslösen. Was Angelika Bauch (Foto oben) von der Prüfungsbehörde am (heutigen) Mittwoch dem EuroHawk-Untersuchungsausschuss des Bundestages vortrug, dürfte allerdings das Ministerium noch ein wenig mehr quälen als die üblichen Prüfbemerkungen: Das Projekt der Riesendrohne, listete die Ministerialrätin auf, krankte nicht nur im Detail, sondern schon an grundsätzlichen Problemen des Apparats. Da fielen Worte wie blauäugig oder fehlendes Fachcontrolling. Oder, ein Graus für jedes Bundesministerium: Der Vorwurf, es gebe kein anständiges Dokumentenmanagement. Würde Angelika Bauch zur Flapsigkeit neigen, was sie offensichtlich nicht tut, wäre bestimmt der Begriff Kraut und Rüben gefallen.
Ein paar Kernpunkte aus den Aussagen der Rechnungshof-Mitarbeiterin:
· Die vertraglichen Kosten für das Gesamtprojekt EuroHawk – Trägerflugzeug plus Aufklärungssystem – sind von ursprünglich 431 Millionen auf insgesamt 668 Millionen Euro gestiegen. Davon entfallen nach BRH-Berechnung 305 Millionen auf das Trägersystem und 363 Millionen Euro auf das Missionssystem ISIS, einschließlich der Integration – alles gerechnet ausschließlich auf den Prototyp samt Aufklärungstechnik.
· Im gesamten Projektverlauf, teilweise schon vor dem Vertragsabschluss, habe es vielfältige Schwächen gegeben. Bereits vor 2007 seien die Probleme eine Musterzulassung des unbemannten Flugsystems bekannt gewesen, aber unterschätzt worden. Aus heutiger Sicht war man da etwas blauäugig. Außerdem seien die Probleme der Geheimhaltung von US-Technologie ebenfalls unterschätzt worden, offensichtlich hätten alle Beteiligten gehofft, dass eine Vereinbarung zwischen dem deutschen und dem US-Verteidigungsministerium ausreichende Einblicke in die US-Zulassungsunterlagen ermögliche.
Die Entscheidung 2010, nur den Protoypen für eine Zulassung prüfen zu lassen, aber keine Musterzulassung anzustreben, sei eine wichtige Abweichung vom Vertragsziel gewesen – darüber hätte die Leitung des Verteidigungsministeriums informiert werden müssen.
Schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte geprüft werden müssen, wie hoch die Realisierungschancen des Gesamtsystems waren. Dabei sei auch bedeutsam, dass das Aufklärungssystem ISIS auf die Flugparameter der Drohne ausgelegt waren, zum Beispiel die Flughöhe – und sich damit die Frage stellte, ob diese Technik überhaupt mit einem alternativen Trägersystem grundsätzlich sinnvoll sei: Die Sensorik lässt sich nicht so einfach auf eine andere Plattform bringen. Deshalb hätte das ganze Projekt infrage gestellt und neu bewertet werden müssen. Allerdings sei im Vertrag nur vorgesehen, dass die Integration von ISIS in den EuroHawk nachgewiesen werden müsse.
Das Projektcontrolling für das Millionenprojekt habe auf verschiedenen Ebenen nicht funktioniert. Immer wieder sei die Tragweite von Risiken nicht erkannt worden, aber auf keiner Ebene im (damaligen) Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung oder im Verteidigungsministerium sei Alarm geschlagen worden. Außer beim Projektleiter habe es kein fachliches Controlling gegeben.
Nach den BRH-Unterlagen gab es die erste Information der Staatssekretäre im Verteidigungsministerium zum 8. Februar 2012, die Hinweise auf die Risiken für die vorgesehene Musterzulassung enthielt. Noch 2011 sei dagegen dem Staatssekretär Stéphane Beemelmans gemeldet worden, dass der Überführungsflug des EuroHawk aus den USA nach Deutschland ohne Probleme gelaufen sei.
Die Beteiligten beim Auftraggeber habe zu sehr darauf vertraut, dass der Auftragnehmer – also die beteiligten Firmen – schon wisse, was für eine Zulassung nach deutschen Vorschriften erforderlich sei. Der Apparat habe sich aber gar nicht darum gekümmert, ob zum Beispiel vorliegende amerikanische Genehmigungen auf Deutschland übertragbar seien und genutzt werden könnten.
Obwohl das Projekt für das Ministerium in der höchsten Priorität gewesen und damit leitungsrelevant gewesen sei, habe die Leitung des Ministeriums wenig Interesse an dem Thema gezeigt: Weil es ein bedeutendes Projekt ist, gibt es eine Holschuld. Die verschiedenen Ebenen hätten sich regelmäßig über das Projekt berichten lassen müssen – das ist nach meinem Kenntnisstand nicht erfolgt.
Grundsätzliche Kritik übte Bauch an der Verwaltung der Unterlagen im Verteidigungsministerium. Ein Problem des Ressorts sei, dass es kein einheitliches Dokumentenmanagement gebe. Da wurde rumgesucht, wo haben wir das denn, schilderte die Prüferin die Arbeit mit Unterlagen bei diesem Projekt. Bei den dislozierten Akten hätten sich die BRH-Mitarbeiter die Informationen mühselig zusammenholen müssen. Das ist ein Problem, an dem die Bundeswehr arbeiten muss.
So traurig wie es ist:
Ich glaube jeden einzelnen Satz der Dame ohne den geringsten Zweifel.
Das mit dem Dokumentenmanagement betrifft übrigens nicht nur AIN oder das BAAINBw, das fällt auch in der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen des BMVgs gelegentlich mal auf….
Mit den bisherigen Zeugenaussagen und den heutigen absolut erwartungsgemäßen Ergebnissen der Zeugeneinvernahme der Angelika Bauch, Ministerialrätin, Bundesrechnungshof (vgl. und bei focus.de >Rechnungshof macht Verteidigungsministerium schwere Vorwürfe< vom 24.07.2013, 11:28), dürfte es aktuell für den Zeugen Detlef Selhausen, Ministerialdirektor, BMVg AL AIN und danach für den Zeugen Walter Storz, Direktor der WTD 61 von März 2007 bis September 2010 unter Umständen ziemlich unangenehm in Sachen Organisationsversagen, Projekt-Controlling, Informationspflichten und Blauäugigkeit werden.
Gerade Selhausen als AL AIN wird sich am „Bericht der Ad-hoc Arbeitsgruppe EURO HAWK“, den zwischenzeitlich aufgedeckten weiteren Sachständen und Urkundsbeweisen sowie den Tacheles-Worten der BRH-Prüferin A. Bauch messen lassen müssen und steht in der Zwickmühle „Ich oder der Minister samt StS AIN“.
Hinzukommt die langjährige Zusammenarbeit mit dem anerkannten Rüstungs- und Haushaltsexperten StS Rüdiger Wolf, dessen Zeugeneinvernahme erst am Dienstag, den 30. Juli 2013 erfolgt. M.M.n. wird Selhausen also eine eindeutige und klare Position – auch bezüglich seiner eigenen Person – heute beziehen müssen. Niemand im BMVg dürfte besser über die Beschaffungsprojekte des Hauses informiert sein, als Selhausen unhjd Wolf..
Zudem folgen noch die Zeugeneinvernahmen von Bernhard Gewert (CEO Cassidian), Janis G. Pamiljans (Senior Vice President NG), StS Werner Gatzer (BMF), MinDir Ministerialdirektor Dr. Paul Jansen (BMVg – Haushalt und Controlling), StS Stéphane Beemelmans (BMVg – Personal, Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen), StS Rüdiger Wolf (BMVg – Politik, Haushalt und Controlling, Recht, GI Bw samt unterstellten Abt. Planung, Führung Streitkräfte sowie Strategie und Einsatz), General Volker Wieker (GI Bw ), TdM und Prof. Dr. Dieter Engel (BRH).
Selhausen muß also heute "vorlegen" um sich aus der Schusslinie zu bringen, "nachlegen" geht und gilt nicht!
[den Link habe ich aus bekannten Gründen gelöscht. T.W.]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/drohnen-projekt-euro-hawk-neue-unterlagen-belasten-de-maiziere-a-912804.html
http://www.propublica.org/article/nsa-says-it-cant-search-own-emails
Dass man als Sicherheitsbehörde seine eigenen Dokumente nicht so richtig archiviert hat im Zeitalter der Corporate Governance wohl System ;-)
Blöd bloß wenn dann doch eine Parteipfeife anfängt zu flöten ;-)
@Kevo
Kommentarlos Links in die Kommentare werfen sollte nicht der Stil hier werden.
Sorry. Es geht in dem Bericht um eine E-Mail des Abteilungsleiters AIN, in der er bereits Anfang 2012 an das Büro von Staatssekretär Beemelmans berichtet, dass es eine „dramatische Kostenexplosion“ gäbe. Also war die Info viel früher und vor der Rüstungsklausur im März der Führung bekannt.
@Kevin/Kevo
Dazu hat Selhausen in der Anhörung Stellung genommen; schreibe ich nachher zusammen (und höre im Moment lieber noch was zu).
Wurde eine weitere Detaillierung bzgl. des ISIS Systems genannt?
Wie in einem anderen Thread bereits festgestellt sind heutige SIGINT Systeme zum großen Teil softwarebasiert, d.h. ein großer Teil der Mittel sind mit Sicherheit in die Software geflossen. Die ist – so behaupte ich jetzt mal – Sensor und Träger-unabhängig.
Dokumentenmanagement und Archivierung sind seit Jahren in der Bundeswehr schlichtweg nicht vorgesehen und jeder macht halt mit seinen Ordnern, Word- und Powerpoint-Dateien so herum, wie es gerade passt. Jede kleine Stadtverwaltung arbeitet mit RegiSafe, sogar das österreichische Bundesheer hat vernünftige digitale Lösungen – und der BWI Lotus-Notes-Vertrag sieht nicht mal Mailarchive für 250MB umfassende Abteilungs-Mailaccounts vor. Die Musterlösung: „Exportieren Sie doch alles zu PDF“ …
SASPF !
@Alexander
Ich sage nur: Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien SASPF
Jeder der sich einmal mit der Mustzulassung bemannter oder unbemannter Fluggeräte nach deutschem Recht beschäftigt hat, wird das Vorgehen des Ministeriums hier für blauäuigig und kurzsichtig halten.
Am schlimmsten aber wiegt die Tatsache, dass entgegen gängiger Praxis für zivile Fluggeräte bei militärischen Geräten der Bund sowohl das Pflichtenheft (also die Anforderungsliste) erstellt, das Projekt auswählt, damit den Hersteller, die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen hat (Luftrecht) und überprüft und nicht zuletzt die Fertigung überprüft (GPS) und als Kunde noch das Gerät in Empfang nimmt und nutzen möchte.
Und bei so viel unterschiedlichen Kompetenzen bekommt man es immer noch hin, dass das Projekt lahmliegt und nicht realisierbar ist?
Was hier vorliegt ist eine klassische Blockadehaltung unterschiedlicher Ministerialstellen und BW-Gremien gegeneinander…
Man möchte träumen von einer Reform der BW in Richtung LEAN-Management und Einsatzorientierung anstatt noch mehr Wasserkopf an Bürokratie aufzubauen und die operativen Möglichkeiten der Truppe zu beschneiden…
@QMensch
Zustimmung
Man nennt das den Nomenklatura-Effekt.
Das BMVg – und mehr noch das Kanzleramt – sind aus systemtheoretischer Sicht als“Black Box“ organisiert. Mit Blick auf organisatorische Verantwortlichkeit ist dadurch sicher gestellt, dass ein „Wartungstechniker“ (zBsp ein Untersuchungssausschuß oder der BRH) für innere Funktionen der Black Box nicht zuständig ist, so dass im Falle des Versagens die Black Box nur im Ganzen ausgetauscht werden kann. Nun, das ist natürlich im Falle BMVg undenkbar, also fordert man ein symbolisches Opfer wie Rücktritt des Black Box Ministers und ist ansonsten ganz glücklich, dass die dysfunktionale black box die Nomenklatura ( die aus den politischen Parteimaschinen besteht) weiterhin alimentiert.
@ alexander
… und wenn man dieses Problem thematisieren will, dann kommt nur der schlappe Hinweis auf den Herkules-Vertrag, in dem das halt nicht vorgesehen war … auch so ein Beweis dafür, dass hier oft genug eine Laienspieltruppe verhandelt und von der Gegenseite (Industrie) über den Tisch gezogen wird … Reibungswärme = Nestwärme … und am „sharp-end“ dürfen dann die Sachbearbeiter die Suppe auslöffeln. Da verbrennt Arbeitskraft, weil hektisch Dokumente gesucht werden, die elektronisch einer Löschaktion zum Opfer gefallen sind („wir haben nicht genug Speicherplatz gekauft“) und die Papieroriginale im Rahmen der Umstrukturierung irgendwohin gingen, keiner weiß wo oder im Bundesarchiv gelandet sind und die hängen Jahre mit der Erfassung hinterher …