Abschied von Peter Struck: Die Schneiderhan-Rede


Vor Djibouti

Politik und Bundeswehr haben sich zusammen mit Angehörigen und Freunden am (gestrigen) 3. Januar in Uelzen vom ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Verteidigungsminister Peter Struck verabschiedet, der am 19. Dezember nach einem Herzinfarkt starb. In der Berichterstattung über die Trauerfeier mit großem militärischen Ehrengeleit wird vor allem aus den Reden von Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem SPD-Fraktionschef Frank Walter Steinmeier zitiert, eine Rede kommt dagegen nur kursorisch vor: Die des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan.

Da ich die Rede für wichtig halte, weil sie viel über das Verhältnis von Soldaten zu Struck aussagt, und weil sie (im Unterschied zu denen von de Maizière und Steinmeier) bislang nicht vollständig zu finden ist, hier mit freundlicher Genehmigung von General a.D. Wolfgang Schneiderhan der Text seiner Ansprache in Uelzen:

Es war in unserer gemeinsamen Zeit im Amt, in der Pflicht, in der Verantwortung als Peter Struck vielen von uns seine  Freundschaft geschenkt hat. Für die, die so beschenkt wurden, darf ich heute mit ganz schwerem Herzen vor Ihnen allen unserem Freund Peter Struck zum Abschied danke sagen. Sehr viele Markierungen auf dem Weg zur Freundschaft setzte für die meisten von uns der Chef, also der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, für andere war es der Chef in anderen Aufgaben der Politik.
Als er im Juli 2002 Minister der Verteidigung wurde, war ich gerade mal 19 Tage Generalinspekteur, andere waren länger in ihren Funktionen, andere brachte er mit oder holte sie nach.
Wir waren in der Bundeswehr seit längerem schon auf dem Weg der Veränderungen. Die Richtung war definiert. Wir wussten aber alle, dass nach dem sicherheitspolitischen Beben des Jahres 2001 das Marschtempo erheblich beschleunigt werden musste. Und das jetzt plötzlich mit einem, auf den wir nicht gefasst waren – er auf uns ja auch nicht. Schnell haben wir miteinander Fassung gefunden. Peter Struck baute Vertrauen auf, gespeist aus Quellen,  von denen ich nur einige nennen werde. In seiner Art verkörperte er, was Streitkräfte als Kontinuität dringend brauchten in solchen Zeiten der Umbrüche: ganz wenig Pathos und ganz viel Ethos. Er ließ uns erfahren, dass wir dem Primat des Politischen zu dienen haben, nicht aber dem Primat des gerade kommandierenden Politikers.
Er hat allen von uns ohne Ansehen von Rang und Dienstgrad gezeigt, dass er unsere Kompetenz  mit Respekt akzeptiert. Er hat mit diesem Respekt aber sehr eindeutig seine Erwartung verbunden, dass wir Erfahrung, Wissen und Können vorbehaltlos und loyal weiter in den Dienst von Pflicht und Verantwortung stellen.
Sein Ethos im Umgang mit der ihm anvertrauten Macht hat uns eingebunden: Führungshandeln in hoher Verantwortung durfte, ja musste für ihn Gemeinschaftswerk sein. Er hat uns, ganz besonders mir, gezeigt, dass die normativen Bindungen im Netzwerk der Führungsprozesse nicht nur für den gelten, der mit großen Schuhen vorausgehen darf und die Spur legen muss. In allen Rang- und Hierarchieebenen war schnell Vertrauen in seine Aufrichtigkeit geschaffen. Seine freundliche und freundschaftliche Aufmerksamkeit für die Menschen unter seiner Verantwortung, das war keine Oberflächlichkeit, kein billiges Buhlen um schnelllebige Bewunderung. Das war echt und ehrlich. Das Klima des Vertrautseins hat nie Verantwortungen vernebelt oder gar Fluchtwege aus ihr geöffnet – im Gegenteil: freundschaftliche Vertrautheit hat uns auch im Kollegium Ordnung, Orientierung und Halt gegeben und dies in einer Zeit, die weit reichende, die anvertrauten Menschen existentiell berührende Entscheidungen voller Unsicherheiten am Orientierungshorizont verlangten. Das war für uns im Kollegium der Weg vom Chef zum Freund.
„Raubein“ heißt die Schablone, die in diesen Tagen oft zu lesen war. Ich darf das heute sagen, vielleicht muss ich es sagen: Dieses „Raubein“, das war eine Schutzmauer, die er bewusst vor seiner sensiblen Seele aufgebaut hat. Dieses „Raubein“ war ganz nah am Wasser gebaut.
Der Umgang mit Tod und Verwundung von anvertrauten Menschen wurde schnell harte Realität für diesen sensiblen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Und schnell war die Bürde der Verantwortung in seiner Führungsaufgabe spürbar, denn es war eben auch sie Verantwortung für Aufträge, die nicht nur das Risiko umfassten, Opfer zu werden, sondern auch die Pflicht, die Waffe einzusetzen, wenn dies zum Wenden der Not gefordert, also notwendig wird.
Zu oft habe ich erlebt, wie die Gespräche mit verwundeten  Soldaten, mit Angehörigen von Gefallenen ihn aufgewühlt haben. Sein Händedruck vor solchen Prüfungen in der fast unmenschlichen Wucht der Verantwortung war immer etwas länger als gewöhnlich. Oft wusste ich nicht, wer von uns beiden da wen gerade stützt.
Aufgewühlt und tief getroffen hat ihn auch, wenn aus Dummheit, Langeweile oder Führungslosigkeit die Würde von Soldaten verletzt wurde. Nicht, weil die mediale Empörungsmaschine angeworfen wurde, nein, sondern weil genau das dem Ethos zuwider lief, dessen Festigung ihm so sehr Herzensangelegenheit war. Es waren für mich keine angenehmen Momente, wenn er mir meine territoriale Hoheit über mein Dienstzimmer entzogen hat, zu mir kam und mir bei solchen Anlässen die Karten auf den Tisch legte – mit klaren Vorstellungen von Konsequenzen, bei deren Formulierung übrigens sein juristischer Sachverstand oft nicht die entscheidende Rolle spielte. Am Ende solcher Gespräche war ich froh, wenn er sich zu dem ersehnten „ Jetzt ist es wieder gut, GI“ durchgerungen hatte.
Was da zwischen uns ausgetauscht wurde, hat nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Es wurde nach Recht und Gesetz entschieden, der mediale Druck wurde ausgehalten und öffentlich wurden auch die geschützt, die gefehlt haben mögen. Auch darauf war stets Verlass und das für alle. Für diese Verlässlichkeit dankten ihm die Kommandeure der Bundeswehr in ungewöhnlicher Form:
Wieder einmal waren wir nicht gefasst: Zu Beginn unserer Kommandeurtagung zu 50 Jahre Bundeswehr erfuhren wir im alten Plenarsaal in Bonn, dass unser Minister in eine neue Aufgabe, seine alte als Fraktionsvorsitzender, berufen wurde. Die Kommandeure erhoben sich spontan und ehrten ihn durch langen Applaus – das ist nicht alltäglich in diesem Kreis, Peter Struck hat das sehr wohl verstanden. Vielleicht machte das ihm diesen Abschied so schwer.
Ganz bewusst nutze ich den heutigen Abschied zur Feststellung, dass es nach seinem Amtwechsel nie Grund zur Sorge gab, alte Loyalitäten und Freundschaften würden zum garstigen politischen Spiel hinter den Kulissen missbraucht. Dazu war der gegenseitige Respekt viel zu groß und die Achtung vor der jeweiligen Aufgabe und der Wille der Handelnden viel zu ernst. Auch dafür sage ich heute Dank. Unsere Freundschaft war bis Ende 2009 eine auf der Sie – Ebene: Herr Minister – GI. Als mir im November 2009 das Vertrauen entzogen wurde, sagt Peter Struck in seiner Berliner Wohnung zu mir: „ GI, ich kann Ihnen da nicht helfen, aber ich bin der Peter!“. Auch dafür bleibt mir ein bescheidenes Danke an den Freund.
Unser Kollegium hat den freundschaftlichen Kontakt all die vielen Jahre seit Ende 2005 gehalten. Wir haben uns regelmäßig getroffen und noch viele ganz konkrete Pläne für die nächste Zeit entworfen, nicht um die Welt zu verbessern, aber um unsere Freundschaft zu pflegen und uns unseres bleibenden Vertrauens zu vergewissern.
Wir waren 2002 nicht auf ihn gefasst und waren es wieder nicht, als er sich aus unserer Runde als erster, als in jeder Hinsicht erster, abmelden musste. Wir werden unseren tiefen Dank an Peter auf Dich, liebe Brigitte, übertragen und fortsetzen, was so gut gehalten und uns so viel geschenkt hat. Darauf, lieber Peter, kannst Du Dich verlassen.
Wir erbitten für Dich Frieden und Ruhe.

(Korrekturhinweis: Das oben stehende Foto entstand natürlich nicht 2010, sondern – so weit eruierbar – 2004; 2010 wurde das Negativ digitalisiert, daher die falsche Angabe.)