Die Bonn-Konferenz: Beobachtung aus der Ferne
Bevor am (morgigen) Montag die große Afghanistan-Konferenz in Bonn beginnt (und während schon die ersten Gespräche von Diplomaten, aber auch Vertretern der afghanischen Gesellschaft am Rhein laufen), ein kurzer redaktioneller Hinweis: Ich habe mich zwar vorsorglich für die Konferenz angemeldet, aber, danach wurde ich in den vergangenen Tagen auch von Kollegen immer wieder gefragt: ich fahre nicht hin.
Ein Grund ist der Blick ins – noch leere – Pressezentrum in einem Bonner Hotel, den der Kabuler BBC-Producer Bilal Sarwary vorhin via twitter gepostet hat:
Oder, wie es eine Reuters-Kollegin ausdrückte: Journos have flown in from all over the world to cover… each other, in a giant media hall. Delegates a mile down road.
Als freier Journalist hat es für mich wenig Sinn, mit Hunderten von Kollegen den Statements der zahlreichen Delegationen nachzujagen – zudem die Medien an den Ort der Konferenz selbst praktisch nicht hinkommen, sondern die Konferenz überwiegend über die Fernsehschirme im Pressezentrum verfolgen. Deshalb spricht auf meiner Seite gegen die Anwesenheit vor Ort, was man im Militärischen als Economy of Force bezeichnen würde: Haushalten mit den Möglichkeiten.
Also: Ich werde die Konferenz natürlich beobachten, zum Beispiel über den Livestream des Auswärtigen Amtes, und im Auge behalten, was es an Statements und Äußerungen gibt, und versuchen, meine Schlüsse daraus zu ziehen.
Mit der Sammlung von Links kann ich ja schon mal beginnen:
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beklagt eine Decade of missed Opportunities
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle zum Thema Afghanistan im Interview der Woche des Deutschlandfunks
Der afghanische Sicherheitsberater Rangin Dadfar Spanta im Interview der Deutschen Welle
Die (laufende) Berichterstattung des Afghanistan Analysts Network, unter anderem von Thomas Ruttig
Aus der afghanischen Hauptstadt berichtet Agnes Tandler für die Welt: Die Gotteskämpfer sind zurück auf Kabuls Straßen
Und in Bonn wurde gestern demonstriert.
So friedlich war das Ganze meiner Meinung nach allerdings nicht, da sich einige Protestler mit Zuschauern angelegt haben, weil die einer anderen Meinung waren.
Außerdem wurde da gegen alles demonstriert; Sozialabbau, Bildungssystem, Wirtschaftsbonzen, Afghanistaneinsatz, Soldaten usw.
Das erste Video von Straftaten aus der Demo heraus gibt es dann auch, man ist ja stolz auf so etwas.
Naja … die paar Farbbeutel; und so unsinnig sind die Aussagen in dem Video ja auch nicht.
Hm, das mit den Demos geht schon ein bisschen OT…
Über die Aussagen der Demo/des Videos kann man in der Tat streiten; ich tue mich allerdings ein wenig schwer, die Gewaltakte von Taliban und anderen Aufständischen gegen die afghanische Zivilbevölkerung nur als legitimen Ausdruck der Wehrhaftigkeit eines unterdrückten Volkes gegen die Besatzer zu verstehen.
@T.W.
völlig richtig, was Sie da kommentieren….sehe ich genau so.
@Heiko Kamann:
Ich hab mir das gestern unfreiwillig live angetan, das war mal höchstgradig unsinnig. Und nichtsdestotrotz ist das Werfen der Farbbeutel eine Sachbeschädigung und damit eine Straftat.
Und ich mag es z.B. nicht permanent diese Tucholsky-Zitat unter die Nase gehalten zu bekommen; es wird dadurch nämlich nicht wahrer.
@Someone
Mir hilft da immer, was Beatrice Hall ueber Rousseau’s Haltung zu Claude Adrien Helvetius gesagt hat:
„‚I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it‘
Wenn Sie mal erlebt haben, was die Westboro Church (?, das Fragezeichen mache ich als Deutscher, fuer einen Amerikaner ist das Kirche) bei BeerdigungenUS gefallener Soldaten auf der Grundlage der Meinungsfreiheit abzieht, ist das Tucholski Zitat ein kleiner Fisch! Die respektieren noch nicht mal die Totenruhe! Und wenn sich jemand wehrt, weil es ihm in der Seele weh tut….., die Polizei ist machtlos und der Lawyer der Kirche steht gleich daneben.
Und wieder das Haupphänomen: Die wenigsten wissen wieso sie da mit machen.
Jetzt so richtig OT:
Das iranische Militär hat eine eindringende US-Drohne vom Typ RQ-170 im Osten Irans abgeschossen, so meldet zumindest SPON.
Also wohl in AFG gestartet.
@Someone
nicht nur SPON, aber egal.
Irgendwie beunruhigt mich das ganze Säbelrasseln ein wenig.
In der Tat beunruhigend.
(Und der dezente Hinweis auf meinen Twitter-Stream hier rechts oben… da stand was vor zwei Stunden…
Bereits im Januar behauptete Iran, zwei US-Drohnen abgeschossen zu haben. Belege dafür gab es meiner Erinnerung nach aber nicht.
@chickenhawk
Kann schon sein. Nur in anbetracht der momentanigen Spannungen, und nach dem Ding mit der britischen Botschaft, würd ich das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vor allen dingen wenn da so aussagen kommen wie: „Irans militärische Reaktion auf die Verletzung unseres Luftraumes durch die amerikanische Spionagedrohne wird nicht mehr auf die iranischen Grenzen beschränkt bleiben“, bereitet mir das ein wenig Magenschmerzen.
Es nehmen ja so allerhand Länder und Organisationen (90?)an der Afghanistan Konferenz teil.
Wichtiger ist wohl wer nicht teilnimmt.
Es fehlen nach meinem derzeitigen Stand:
– Taliban (ein paar ex-Taliban sind angeblich „inoffiziell“ in der Nähe)
– Pakistan
– Iran (?)
– Uzbekistan
Wie man ohne diese unmittelbar Beteiligten bzw Nachbarländer irgendetwas über die Zukunft Afghanistans beschliessen kann entzieht sich mir.
Die UN hat um ca. $150 Millionen zur Abwendung einer Hungersnot in Nordafghanistan gebeten. Für das Geld das diese Versammlung kostet könnte man vermutlich ganz Afghanistan ohne Hunger durch den Winter bekommen.
@b
Der iranische Außenminister ist in Bonn dabei:
http://www.dradio.de/nachrichten/201112041700/1
Zu dem OT Iran:
Die USA, UK, Israel wollen einen Systemwechsel im Iran. Diese um jeden Preis. Da die Iraner das nicht wollen muss man nun einen Grund finden um das mit Gewalt durchziehen zu können. Dafür muss dann mal das legale Nuklearprogram der Iraner herhalten, mal ein gescheiterter Gebrauchtwagenhändler der Drogen kaufen wollte und dem das FBI dann ein Attentatskomplott unterschob und wenn das auch nicht hilft dann kommt man mit „Menschenrechten“ die die eigenen Verbündeten auf der anderen Seite des persischen Golfes tagtäglich mit den Füssen treten.
Aufgrund seiner geographischen Lagen und seinem auf asymetrische Konflikte trainierten Militäör hat Iran nun aber die Möglichkeit der Welt den Ölhahn zuzudrehen. Einen offenen Konflikt wird man deshalb von U.S. Seite derzeit versuchen zu vermeiden.
Leider gibt es da aber einige Spielverderber die von einem offenen Konflikt profitieren würden und die auch die Möglichkeit haben, z.B. durch eine False Flag Operation, so etwas auszulösen.
Für uns Deutsche sollte die Maxime „raishalten“ gelten. Wenn es da nämlich kracht dann sind die Risiken und Folgen einer Einmischung unabsehbar.
@b,
gerade die Spielverderber sind die, die mir die Magenschmerzen bereiten.
@b
Sie sprechen von einem „legale Nuklearprogram“ des Iran, schreiben etwas von einer „False Flag Operation“ und raten „uns Deutschen“, dass wir uns lieber raushalten sollten?
Denken Sie sich das selbst aus, oder werden Sie für diese Stimmungsmache bezahlt?
@Offi – ich werde von Niemandem für meine Äusserungen bezahlt und verbiete mir solche Unterstellungen.
Zum Legalität des Nuklearprogramms Irans kann ihnen Prof. Dan Joyner Auskunft geben. Er ist DIE Autorität zu den legalen Grundlagen des Nichtverbreitungsvertrages und der IAEA. Er hat u.a. das umfassendste und anerkannteste Buch darüber geschieben. Iran verstöst in keiner Weise gegen seine vertraglichen Verpflichtungen während die IAEA unter dem neuen USA hörigen Amato seine Verpflichtungen eklatant bricht,
Seine letzten Anmerkungen hierzu: Iran’s Nuclear Program and the Legal Mandate of the IAEA
Zu den „False Flag“ Überlegungen sollten sie Mark Hibbs lesen. Der ist seit Jahrzehnten mit solchen Dingen befasst:
Who Wants Diplomacy on Iran?
Warum sie meinen Ratschlag an uns Deutschen bemängeln, ich bin Deutscher (und ehemaliger deutscher Offizier) und dieses ist ein deutsches Blog, kann ich nicht nachvollziehen. Fühlen sie sich dadurch ausgeschlossen?
@ Offi
Naja, bei b bin ich mir nicht immer sicher, das es sich um die ein und dieselbe Person handelt. Gelegentlich kommt wirklich kluges von ihm, manchmal sträuben sich aber auch die Haare zu Berge. :-)
Hier vermischt er aber einiges, wahres und vmtl. unwahres. Wahr ist, dass der Iran ein Nuklearprogramm betreibt, der Zustand ist unbekannt, da zwar Insepktoren zugelassen werden, aber nicht alle Gebiete inspiziert werden dürfen. Tatsache ist auch, das es keinen rauchenden Colt, also den bestätigten Nachweis eines entsprechenden Programmes gibt. Es gibt viele Indizien. Wahr ist, das El Barradai ohne den Beweis dies nicht in die Inspektionsberichte schreiben lies, sein Nachfolger schon. Die Masse der dort erhobenen Anschuldigungen enstand aus Quellen, die die IAEA nicht nachprüfen kann. Durch die Veröffentlichungen werden diese nachrichtendienstliche Erkenntnisse aber weißgewaschen. Dies ist ein berechtigtes fragwürdiges Verhalten. Wahr ist aber auch, das alle „guten“ Akteuere keinen „guten“ Kriegsgrund brauchen, sie könnten immer Israel den Konflikt beginnen lassen und dann sichernd eingreifen. Hoffentlich wahr ist, das keiner den Iran unterschätzt. Gerade AFG hat gezeigt, welches Drama daraus entstehen kann. Wobei ich das nicht so schlimm finde. Man sollte diesmal die Eier haben, gleich wieder zu gehen, nachdem man alles notwendige zerstört hat und nicht versuchen, alles zum Guten zu wenden. Dafür reichen die Mittel nicht.
False Flag, wozu? Der Iran braucht nicht anzufangen, er hat seine Satelliten, zudem braucht er die Zeit, die Bombe in ausreichender Anzahl zu bauen. (Wovon ich überzeugt bin). Daher wird es auch keiner glauben, d.h. der Iran anfängt, bspw. mit der Verminung der Öltankerwege.
zu OT Drone
Es scheint das der Iran tatsächlich eine U.S. Drone bekommen hat. Es war eine RQ-170, d.h. neueste Stealthtechnik.
Iran says it downed U.S. stealth drone; Pentagon acknowledges aircraft downing
Neben dem Iran werden China, Russland, Indien und einige andere sehr daran interessiert sein das Ding mal näher unter die Lupe nehmen zu können. Da bahnen sich einige interessante Geschäfte an …
Was für ein Bild. Gabriel spricht vor einem leeren Saal. Vielleicht siniert er gerade über Verhandlungen mit den Taleban.
Ist schon erstaunlich, erst werden solche Verhandlungen in Teilen der oppositionellen Parteienlandschaft favoritisiert und nun gibt es zunehmende Medienberichte, dass ISAF und auch unser Land mit „bösen Buben“ kooperiert. General Wesa ist korrupt und kümmert sich nicht um seine Soldaten. Ein Hauptmann der ANA gibt zu, dass er seine Soldaten selbstverständlich schlägt. Daud handelte mit Drogen. Karsai ist nur das kleinere Übel usw.
Herrliche Zeiten sind das.
@kuerassier
vor 10 Jahren war der Iran zwischen US plus verbuendete Streitkraefte im Irak und Afghanistan eingeklemmt. Nun koennte man fast den Eindruck gewinnen, dass US plus verbuendete Streitkraefte zwischen iranischen und pakistanischen Streitkraeften eingeklemmt sind….irgendwie kann ich das gar nicht herrlich finden.
@ klabautermann
Verstehen Sie bitte „herrliche Zeiten“ nicht als herrlich im Sinne der Bedeutung des Wortes herrlich.
In der Tat könnte man die Lage so wie Sie beurteilen. Aber neu ist das nicht.
Bush jr. wird nachgesagt, dass er bedauere mit AFG das falsche Land in der Region angegriffen zu haben. PAK hätte eher das Ziel sein müssen. PAK war schon immer ein unsicherer Kantonist. Wobei ich nicht in den Chor einstimmen werde, dass PAK die Unterstützung der Aufständischen als quasi Staatsziel verfolgt. Damit würden nämlich die PAK Anstrengungen vergessen, diese unter Hinnahme von Verlusten zu bekämpfen. Viel eher liegen die verschiedenen Loyalitäten in diesem Land für uns regelmäßig im Verborgenen. Es soll Gegenden auf der Welt geben, die anders als Westeuropa funktionieren. Ich hörte davon gerüchteweise.
Die iranische Sicherheitsperzeption war in den letzten 10 Jahren von einem Gefühl der Einkreisung durch USA geprägt. Truppen im Irak und Truppen in AFG. Zudem Navy im Indischen Ozean und im Arabischen Meer. Der nach regionaler Hegemonie strebende Iran muss aufgrund interner Machtstrukturen und -mechanismen zwangsläufig die USA und den Westen als Dämon pflegen. Dagegen ist der aus dem iranischen Machtanspruch resultierende Konflikt mit den arabischen Nachbarn fast schon spannender.