In Kundus tötet ISAF im Schnitt 0,22 Personen pro Tag
Die Diskussion über das gezielte Vorgehen gegen Aufständische in Afghanistan, seien es Festnahmen oder auch gezielte Tötungen, ist meist recht abstrakt. Das Afghan Analysts Network hat sich jetzt mal die offiziellen ISAF-Mitteilungen vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. September 2011 vorgenommen und für alle afghanischen Provinzen ausgewertet, wie viele solcher capture-or-kill-Operationen es gab, unter anderem bei den berüchtigten night raids. Und der britische Guardian hat das auf einer Landkarte grafisch umgesetzt.
Zum Bespiel für die Provinz Kundus:
Kunduz
Total Operations: 111
Kills: 147
Kill/Capture (KC) Raids: 92
Kills in KC Raids: 97
Captures in KC Raids: 241
Ratio, kill to capture: 0.54
Average kills/day: 0.22
Average captures/day: 0.407
Average kill or capture/day: 0.626
Ratio KC raids to total ops: 0.83
Immerhin: doppelt so viele Aufständische wurden gefangen genommen wie getötet. Doch die Frage bleibt, ob tatsächlich jeder gefangen genommene (oder getötete) Aufständische tatsächlich die Bedeutung hatte, die ihm ISAF (mit Bezeichnungen wie leader) in den offiziellen Mitteilungen wie dieser beimisst.
Was die Kleinarbeit aussagt? Den Bericht muss man sich noch mal genau angucken; der Guardian kommt zu dem Ergebnis: Nato success against Taliban in Afghanistan ‚may be exaggerated‘
(Die ZEIT hat auch den Guardian gelesen und daraus ne deutsche Fassung gemacht, leider aber nicht die Grafik verlinkt.)
Nicht direkt dazu gehört, aber auch lesenswert ist die Kritik, die ein ehemaliger Angehöriger des Stabes RC North an der deutschen Unterstützung aus Politik und Militärführung für den Einsatz übt.
Der Begriff „leader“ ist tatsächlich weit gefasst und kann z.B. auch einen Knotenpunkt in einem Netzwerk beschreiben. Die Aussagekraft der Statistik ist aber begrenzt, weil möglicherweise nicht alles, was geschieht, in ISAF-Pressemitteilungen gemeldet wird.
Ich habe davon abgesehen niemanden vor Ort getroffen, der die bloße Zahl getöteten Feindes als Indikator für Erfolg oder Mißerfolg betrachtet hat. Möglicherweise sind die Medienleute der Versuchung erlegen, die scheinbar objektiven Zahlen gegenüber der Öffentlichkeit so zu verwenden. Was den Erfolg der kritisierten Operationen angeht, so könnte man diesen z.B. an „enemy initiated attacks“ messen, solange das eigene Vorgehen und sonstige Rahmenbedingungen gleichbleiben und das Ergebnis nicht verzerren.
Die Studie der „Open Society Foundation“ ist mit Vorsicht zu genießen. Die politischen Aktivisten dort wollten möglicherweise eine vorgefasste Meinung bestätigen. Dass die kritisierten Operationen jedoch „across the country“ negativ von der Bevölkerung aufgefasst würden, deckt sich nicht mit anderen, ergebnisoffeneren Untersuchungen. Denen zufolge hängt es u.a. von bestimmten Rahmenbedingungen dieser Operationen ab, wie diese wahrgenommen werden. Die negative Wahrnehmung ist zudem nicht landesweit gegeben, sondern steht im Zusammenhang mti den geographischen Schwerpunkten dieser Operationen. Interessant ist auch zu vergleichen, wie diese Operationen von Afghanen in der Hierarchie der Probleme z.B. im Vergleich zu gefährlichem Fahren durch ISAF wahrgenommen werden.
Oberst Dederichs Kritik kann ich z.T. bestätigen. Die allerwenigsten Abgeordneten (auch im Verteidigungsausschuss) verfügen über solide Grundkenntnisse der Lage, was gerne damit entschuldigt wird, dass „man nicht informiert wird“. Wer sich aber um Informationen bemüht, findet diese in der Regel auch. Beispiele dafür dürften hier ja allgemein bekannt sein.
Ich wurde aber darüber aufgeklärt, dass es der Politik gar nicht um einen wirksamen Einsatz der Bundeswehr geht, sondern nur um die Erfüllung „internationaler Verpflichtungen“ bzw. möglichst risikolose Präsenz ohne schlechte Presse in der Heimat. Vor diesem Hintergrund ist der „halbherzige“ Einstz durchaus konsequent.
Aus meiner Froschperspektive ist dieser halbherzige Ansatz aber einfach nur verlogen und veranwortungslos.
Halb OT: Die Kurzfassung eines Berichts zum Verlust eines CH-47 während einer SOF-Operation in Wardak vor einigen Wochen ist im Internet aufgetaucht. http://cryptome.org/0005/ch47-wardak.pdf
Er enthält auch einige Einblicke in einen möglichen Ablauf dessen, was die Medien als „Night Raid“ bezeichnen.
Der Bericht ist wohl offiziell veröffentlicht worden?
http://news.yahoo.com/us-report-rpg-downed-chinook-afghanistan-081055642.html
@T. Wiegold
Hatte die Pressemitteilung von CENTCOM und die sich darauf beziehenden Meldungen erst später gesehen…
Kommisarbefehl
Mit dem Erlass über die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Gebiet „Barbarossa“ vom 13. Mai und dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 wurde gerechtfertigt, dass „Straftaten feindlicher Zivilpersonen“ nicht mehr gerichtlich geahndet werden sollten, sondern dass „Freischärler“ und „tatverdächtige Elemente“ sofort und ohne Einschaltung eines Kriegs- und Standgerichts einem Offizier vorzuführen wären, der über ihre Erschießung zu entscheiden hätte.
Wo ist der Unterschied?
@Elhanan
ISAF tötet aktive Kombattanten, während der Kommissarbefehl (ebenso wie seine diversen später für völkerrechtsgemäß erklärten alliierten Entsprechungen) die Tötung von Gefangenen forderte. Ein deutlicher Unterschied also.
Das ist sehr bitter, das schafft doch ein GI an einem Nachmittag…