Zwei Welten prallen aufeinander

Unternehmenskultur kann so entscheidend sein. Please rise for the commander, Bitte stehen Sie auf für den Kommandeur, tönt es durch den Briefing-Saal der alten Luftwaffenkaserne in Münster zu Beginn des Mission Update Briefings. Während die Soldaten sich sofort erheben, grummeln die Zivilisten im Saal. Aufstehen? Nur weil der General reinkommt?

Zwei Welten prallen aufeinander in der Übung Common Effort, zu der Generalleutnant Ton van Loon, Kommandeur des Deutsch-Niederländischen Korps, in dieser Woche nach Münster eingeladen hatte. Die Idee des niederländischen Drei-Sterne-Generals: Bevor Soldaten und zivile Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, aus UN und Regierungen in den Wirren eines Krisengebiets aufeinander treffen, sollten sie zuvor schon mal miteinander geredet haben – und vor allem wissen, wie die jeweils andere Seite tickt. Denn in Kriseneinsätzen werden beide Seiten darauf angewiesen sein, bestmöglich miteinander zu arbeiten, um gemeinsam die Situation zu bewältigen.

Van Loon und sein Stab haben deshalb Neuland betreten. Zu der Übung, in der ein Szenario in dem fiktiven afrikanischen Land Tytan mit Grenzkonflikten, Flüchtlingsproblemen, kriminellen Banden, bösen Nachbarländern und Naturkatastrophen abgearbeitet wurde, waren die zivilen Akteure in dem Krisenstaat diesmal nicht Rollenspieler fürs Militär: Die Hilfsorganisationen waren echt, die Diplomaten waren echt, und selbst die UN-Vertreter waren aus ihren echten Arbeitsgebieten New York oder Uganda angereist. Sie spielten sich sozusagen selbst – und machten damit die Friktionen zwischen militärischer und ziviler Seite nicht zu einem von der Regie vorgegebenen Teil des Rollenspiels, sondern zu einem Abbild der Realität.

Die Irritation vor dem Briefing ist nicht, wie man vorschnell vermuten könnte, nur der Ablehnung militärischen Umgangstons durch Zivilisten geschuldet. Denn bei der Begegnung im Einsatzland unterliegen die Soldaten oft einem organisationsbedingten Irrtum: Weil die Stellung ihres zivilen Gegenübers nicht gleich äußerlich erkennbar ist, können sie den nicht einordnen. Ein Special Representative des UN-Generalsekretärs hat eine vergleichbare Stellung zu einem Staatssekretär, sagt ein NGO-Mitarbeiter mit Jahrzehnte langer Auslandserfahrung. Warum sollte der aufstehen müssen, wenn der General reinkommt?

Das sind natürlich Randaspekte, die aber die Atmosphäre und den Umgang in einem Krisengebiet prägen können. Details sind wichtig: Da richtet die Truppe ein Stability Center ein, in dem der zuständige Offizier für die zivil-militärische Zusammenarbeit als Ansprechpartner der zivilen Organisationen bereit steht. Doch wenn dieses Interagency Center im militärischen Bereich steht, ist wieder eine Chance verschenkt: manche NGOs weigern sich schlichtweg, diesen Bereich zu betreten.

„Es ist ein Kulturschock für beide Seiten“, sagt Jan Hendrik van Thiel, auch im realen Leben im deutschen Auswärtigen Amt mit Afrika befasst und einer der Motoren dieser Übung. Schon die Begriffe seien mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt, so dass Soldaten und Zivilisten oft nicht wüssten, ob sie über die gleiche Sache redeten. Wo werden Entscheidungen getroffen, wie werden die möglicherweise gegensätzlichen Vorhaben harmonisiert?

Die Übung im ehemaligen Sitz des Lufttransportkommandos in Münster war mit dem Ziel angelegt, ein nur zu reales Problem zu überwinden: Es geht eben nicht ohne den comprehensive approach, die Zusammenarbeit von ziviler Seite und Militär in einer Krise. Aber: Alle stimmen zu, das war’s und dann treffen wir uns im Einsatzland, schildert Projektoffizier Ullrich Spannuth, G3 des Deutsch-Niederländischen Korps, die Motivation für das Experiment. Das muss vorher geübt werden.

Die Probleme stecken oft in Kleinigkeiten. Wo das Militär von Koordinierung redet, mögen viele NGOs diesen Begriff gar nicht, weil er aus ihrer Sicht schon eine Entscheidung bedeutet – also redet man lieber von Harmonisierung. Manche Hilfsorganisation lehnen eine Zusammenarbeit mit Uniformträgern grundsätzlich ab – Das ist nichts Ehrenrühriges, betont Spannuth. Wenn wir wissen, dass es keine Zusammenarbeit gibt, ist das auch eine Form der Koordination. Wenn wie in Afghanistan mehr als 6.000 zivile Organisationen in einer Krisenregion aktiv sind, können alle Koordinationsbemühungen nur Versuche sein: Wir sollten nicht glauben, wir bekommen alle unter einen Hut.

Im Interesse des effektiven Zusammenwirkens können beide Seite auch durchaus kreative Lösungen entwickeln. Bei der Versorgung von Flüchtlingslagern im Übungs-Staat Tytan bedeutete das in einem Fall, die Lebensmitteltransporte von Soldaten der Eingreiftruppe NIMFOR (NATO Interim Forces) zu schützen – aber nur bis zu den Depots, nicht bis zu den Flüchtlingslagern selbst, wo dann NGOs die Verteilung übernahmen und großen Wert auf ihre Unparteilichkeit legten. Andererseits forderte in der Übung die Vertreterin des Welternährungsprogramms (WFP), auch im realen Leben für das WFP tätig, weitreichenden militärischen Konvoischutz an – ein ungewöhnliches Vorgehen für diese UN-Organisation.

Ein verändertes Denken, jenseits der eigenen eingeübten Muster, ist ohnehin für beide Seiten Voraussetzung für eine effektive Zusammenarbeit. So öffneten die Militärs in Münster zwar nicht ihre Datennetze für die Zivilisten, bauten aber ein zusätzliches Info-Netzwerk auf, in dem auch die zivilen Hilfsorganisationen wichtige Daten über Sicherheitssituation, Versorgungswege oder Wetter abrufen konnten. Das habe ich so noch nie erlebt, lobte die Vertreterin einer Organisation, die allerdings wiederum ihre Beteiligung an der Übung nicht publik gemacht wissen wollte: Wenn in ihrem Einsatzgebiet bekannt würde, dass sie praktisch an einem NATO-Manöver teilgenommen habe, werde das ihre Arbeit deutlich erschweren.

Dass die militärische Organisation mit ihren strengen Sicherheitsauflagen den Zivilorganisationen so viel Information wie möglich gab, war allerdings auch ein wenig die künstliche Situation einer Übung: In einem echten Einsatz, räumt ein Offizier ein, habe das örtliche Kommando gar nicht die Freiheit, zum Beispiel von der NATO eingestufte Daten frei- und weiter zu geben. In Münster spielte dabei allerdings eine große Rolle, dass Kommandeur van Loon Geheimhaltungsnotwendigkeit anders sieht als viele seiner Kameraden: Bereits bei einem Vortrag vor der deutschen Clausewitz-Gesellschaft hatte er etliche deutsche Offiziere verblüfft mit der Einschätzung, dass 80 Prozent aller Informationen ohnehin offen sei könnten – zehn Prozent müssten zeitweise geheim bleiben, um eine Operation zu schützen, und nur die restlichen zehn Prozent seien wirklich auf Dauer geheimhaltungsbedürftig.

Hier sieht’s aus wie immer bei einer Übung: Blick in das Joint Operations Center (JOC) von Common Effort (Foto: Eric Morren/Deutsch-Niederländisches Korps)

Wie sich der Common Effort-Ansatz erst mal in die NATO (und dann vielleicht auch in die Realität) übertragen lässt, wird das Korps möglicherweise schon bald selbst ausprobieren können. Der NATO-Oberkommandierende, der US-Admiral James Stavridis, ließ sich bei einem Blitzbesuch in Münster die Übung persönlich erläutern. Und vielleicht, sagt van Loon, ist dieses Experiment demnächst nicht auf das Deutsch-Niederländische Korps beschränkt – sondern wird ein NATO-weiter Versuch.