Gipfel zum Nachlesen
Nachdem ich mir ein familiäres Offline-Wochenende gegönnt habe… zur Übersicht und zum Nachlesen die Ergebnisse des NATO-Gipfels von Lissabon:
Die Allianz hat ein neues Strategisches Konzept verabschiedet. Das wurde bis zur Verabschiedung geheim gehalten; die Inhalte waren dennoch vorher in den Grundzügen absehbar: Das Bündnis stellt sich auf neue Bedrohungen ein, vor allem im Bereich Energiesicherheit und Cyberwar; setzt zwar auf nukleare Abrüstung, hält aber an Atomwaffen fest; und will sich mit Partnern außerhalb des NATO-Gebiets besser vernetzen. Natürlich steht auch die Aufforderung an alle Mitgliedsstaaten erneut drin, dafür die nötigen Mittel aufzubringen: We will …. sustain the necessary levels of defence spending, so that our armed forces are sufficiently resourced.
U.S. President Barack Obama’s hand points at a journalist who asked a question during a news conference at the NATO Summit in Lisbon November 20, 2010. REUTERS/Marcelo Del Pozo via picapp
Das Strategische Konzept war das wichtigste, aber bei weitem nicht das einzige Papier, dass die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsstaaten verabschiedeten. In der Abschlusserklärung (Punkt 37) wird unter anderem die Einigung auf ein gemeinsames Raketenabwehrsystem der Allianz festgelegt, prinzipiell gemeinsam mit Russland.
Afghanistan, die derzeit wichtigste Einsatzregion für die NATO, stand besonders im Blickpunkt. In einer gesonderten Erklärung bekräftigten die Gipfelteilnehmer, ohne Einzelheiten zu nennen, den geplanten Beginn einer Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen in ersten Distrikten und Provinzen im kommenden Jahr; bis 2014 sollen die afghanischen Sicherheitskräfte vollständig für die Sicherheit des eigenen Landes verantwortlich sein. Auch darüber hinaus sicherte das Bündnis Afghanistan weitere Zusammenarbeit und Unterstützung zu, in einer Erklärung, die auch Präsident Hamid Karzai unterzeichnete. Gerade diese Entwicklung wird von den Medien in der Region mit Skepsis gesehen, wie eine Kommentar-Übersicht der BBC zeigt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg haben übrigens auch die Ergebnisse des Lissaboner Treffens auf einer Pressekonferenz erklärt.
Das die NATO bis 2014 in Afghanistan durchhält glaube ich nicht. Aber das wird sowieso mehr und mehr die reine U.S. Veranstaltung bei der die Verbündeten nichts zu sagen haben.
Interessant sind einige Stimmen in diesem Bericht der kanadischen Global Post dazu: NATO summit: Afghanistan mission to end in 2014 – Analysis: Agreement reached at Lisbon summit but many questions remain
In Ergänzung hier Zahlen zur Finanzierung, die offenbar von den USA auf dem Gipfel herumgereicht werden: Demnach gaben die USA 2009 insgesamt fast 550 Mrd Euro für ihre Verteidigung aus. Das entspricht einer knappen Verdoppelung seit 2001. Die europäischen NATO-Staaten gaben dagegen 2009 nur und 220 Mrd Euro für Verteidigung aus. Das waren 30 Mrd Euro weniger als 2001 mit 250 Mrd. . Selbst Frankreich und Großbritannien fahren jetzt ihre Verteidigerfinanzierung runter. Wie das zu den sonstigen Größen im Querschnitt passt, können andere hier besser beurteilen. Zum Längsschnitt über die Zeitachse könnte es m.E. allerdings heftige Probleme geben, denn die Amerikaner werden wohl oder übel auch sparen müssen, also offen oder verdeckt ins effektive Budget schneiden müssen.
Gibt es irgendwo Leute, die schon mal ernsthaft darüber nachgedacht haben, wie Europas Sicherheitspolitik aussehen könnte, wenn die USA ihren Beitrag für uns um 50% oder mehr reduzieren? Wer sich über konkret absehbare Risiken in einem absehbaren Zeitraum (die nächsten 5-10 Jahre) nachdenkt, müsste sich langsam dieser Frage zuwenden. Any suggestions?
Die Amerikaner haben-nicht erst seit gestern-MASSIVE Finanzprobleme.
Daher ist es kein Wunder, das sie nun „Zahlen herumreichen“, um den anderen Ländern zu signalisieren „Schaut mal, wieviel wir ausgeben…..“.
Man kann die Bemühungen allerdings nicht alleine an den ausgegebenen Finanzen messen-so rechnen die Amerikaner auch die Aufwendungen zur Absicherung im eigenen Land teilweise dem Verteidigungsetat zu (was hier bei uns über das Innenministerium läuft).
Zudem ist es auch ein kleiner Unterschied, ob ich eine Operation logistisch „vor der Haustüre“ (Europa-Afghanistan), oder aber in „Übersee“ (USA-Afghanistan) versorgen muss…
Die NATO wird auch nach 2014 in Afghanistan präsent sein-auch weil „der NATO“ die Finanzmittel ja nicht wirklich ausgehen…..vielleicht liegt der Schwerpunkt in der Truppenkontingentstellung dann eben nicht bei den US-Streitkräften, sondern woanders.
„Gewinnen“ lässt sich der Krieg in Afghanistan ohnehin nicht-das sollte uns allen spätestens seit den 80iger Jahren deutlich geworden sein…
Gibt es irgendwo Leute, die schon mal ernsthaft darüber nachgedacht haben, wie Europas Sicherheitspolitik aussehen könnte, wenn die USA ihren Beitrag für uns um 50% oder mehr reduzieren?
Zunächst mal geben die USA dieses Geld bestimmt nicht „für uns“ aus. Sie geben es, wie jeder Staat, aus um ihre Interessen durchzusetzen.
Wenn die USA ihre Militärausgaben (weit mehr als die genannten $550 Milliarden übrigens) verringern, wird die Welt erstmal sicherer.
Europa hat ja bereits (rudimentäre) Strukturen die eine gemeinsame Verteidigung im Rahmen der EU erlauben. Da derzeit auch keine Bedrohung sichbar ist, hat man auch Zeit diese sauber zu implementieren.
Europa hat ja bereits (rudimentäre) Strukturen die eine gemeinsame Verteidigung im Rahmen der EU erlauben. Da derzeit auch keine Bedrohung sichbar ist, hat man auch Zeit diese sauber zu implementieren.
In welchem Zeitrahmen ?
Und wie schnell kann sich der Wind drehen ?
Und wenn die USA weniger für Militär ausgeben wird die Welt sicherer, ja nee is klar .
Das Russland gerade jede Menge Anstrengungen unternimmt und mit China ein neuer Stern am Himmel erscheint ist ja kein Problem, sind ja weit weg oder „Freunde“.
Uns wir als absolut autarkes Land haben auch kein Rohstofproblem und sind so ja nicht erpressbar.
Ach ja und die Erde ist doch eine Scheibe…
@StFwR
Ich denke in fünf bis zehn Jahren ist der Aufbau einer integrierten rein europäischen Verteidigung mühelos machbar. Viele der Verfahren etc. wird man schlicht von der NATO übernehmen.
Der Wind kann sich auf zwei Arten drehen:
a. Es erwächst ein Gegner der von aussen Europa bedroht. Hier ist kein potentieller Gegner absehbar.
b. Europa zerfällt im Streit und fängt die früher übliche Fraktionsbildung wieder an um dann über Lapalien in neue große Auseinandersetzung einzutreten. Das halte ich für unter Umständen denkbar, aber ein europäisches Verteidigungsbündnis würde einer solchen Tendenz entgegentreten.
Das die USA alleine mehr für das Militär ausgeben als der Rest der Welt zusammen trägt nicht unbedingt zum Weltfrieden bei. Siehe Irakkonflikt und die anderen ~50 Auseinandersetzungen in die die USA seit 1945 verwickelt waren.
Russland hat viel Fläche und Bodenschätze zu bewachen. Bedroht ist es eher im fernen Osten und Süden als im europäischen Raum. Die Russen sind gerade dabei ihre Armee massiv zu verkleinern (von 4.5 Millionen auf <1 Millionen Soldaten) und haben zudem ein demographische Problem mit zu geringem Nachwuchs um selbst die verminderte Stärke auf Dauer durchzuhalten. Am Rhein brauch die keiner mehr zu erwarten.
China hat durch die ein-Kind-Politik ebenfalls ein demographisches Problem und kann sich damit keine großen Kriege leisten. Sicherlich wird es da mal kleiner Konflikte um irgendwelche umstrittenen kleine Inseln (und deren Rohstoffe) im südchinesischem Meer geben aber die gehen uns nichts an.
Ein Rohstoffproblem hat Deutschland schon immer gehabt. Aber jedesmal wenn es versucht hat das militärisch zu lösen hat das nicht gut geendet. Unsere beste Möglichkeit uns Zugang zu Rohstoffen zu sichern ist ein gutes Verhältnis mit Russland das diese im Überfluss hat.
Alle Rohstoffe kann man übrigens kaufen und selbst wenn es mal temporäre Engpässe gibt, z.B. den OPEC Boykott in den 70ern, kann man die Probleme auch mit friedlichen Mitteln und Geld lösen.
Eine gute Bundeswehr brauchen wir trotzdem. Einmal um die militärischen Fähigkeiten zu erhalten und im Notfall aufwachsen zu können und zum zweiten um nicht politisch (noch mehr) erpressbar zu werden.
Die interessen von Russland und NATO sind doch sehr aehnlich, Pragmatismus ist da angebracht. Die NATO muss Russland zeigen, dass sie ein zuverlaessiger Partner sein kann. Um auch das notwendige Vetrauen aufzubauen.
Vor ein paar Jahren hat man sie ja gleich zwei mal kurz nacheinander auf die Nase fallen lassen. Erst im Kosovo dupiert. Danach beim georgischen Angriff auf Suedossetien.
Chinas wirtschaftliche Bedeutung nimmt zwar enorm zu, aber militaerisch ist und bleibt es ein Zwerg. Mit einer Armee die konventionell gerade einmal zu rudimentaerer Landesverteidigung in der Lage ist.
China setzt seit jeher auf Handel, und notfalls direkte Zahlungen, um seine aeussere Sicherheit zu garantieren. Es sieht so aus, als haette China wieder eine Position wo dies Global funktioniert. Man darf nicht uebersehen, dass die Opiumkriege nicht vergessen sind. Es militaerisch zu Bedrohen, waere nicht sehr weise.
Russland hat viel Fläche und Bodenschätze zu bewachen. Bedroht ist es eher im fernen Osten und Süden als im europäischen Raum. Die Russen sind gerade dabei ihre Armee massiv zu verkleinern (von 4.5 Millionen auf B> Am Rhein brauch die keiner mehr zu erwarten.
Das mag heute so sein aber das hier hört sich anders an :
http://de.rian.ru/security_and_military/20101008/257413815.html
http://de.rian.ru/security_and_military/20101004/257384027.html
alleine bis 2020 will Russland 550 MRD Euro in die Rüstung stecken :
http://de.rian.ru/security_and_military/20100922/257320851.html
in der aktuellen mifrifi sieht das dann so aus :
„Die nationale Verteidigung ist der zweitwichtigste Punkt im Etat (mehr als 1,5 Billionen Rubel). In den nächsten drei Jahren werden diese Ausgaben konsequent wachsen. Diese politische Entscheidung habe die Regierung getroffen, unterstrich der Sprecher des Finanzministeriums. Außerdem werde derzeit ein neues Rüstungsprogramm entwickelt, und es sind andere Prinzipien für die Besoldung von Soldaten vorgesehen. “
mit einer Hintertür für weiteres Geld :
„Ziemlich groß sind die so genannten „bedingt gebilligten“ Ausgaben: 419,3 Milliarden Rubel 2012 und 798,4 Milliarden Rubel 2013. Es handelt sich dabei um die nichtverteilten Haushaltsausgaben, die für unvorgesehene Zwecke bestimmt sind. Der Sprecher des Finanzministeriums ließ zu, dass diese Gelder für die Polizeireform und die Finanzierung der Armee verwendet werden könnten. “
Mal eben 50% mehr :
http://de.rian.ru/security_and_military/20100802/127343613.html
macht eine Steigerung von 36 Mrd in 2011 auf 51 Mrd in 2013
http://de.rian.ru/security_and_military/20100730/127307173.html
mit Bilderserie was sich die Militärs schönes gönnen ;.)
Und angesichts der schieren Zahl ist die „Ein-Kind“ – Argumentation bei den Chinesen, sagen wir mal, gewagt ;-)
Und klar kann man Rohstofe kaufen, keiner ist wild darauf sich diese mit Gewalt zu holen. Aber zu welchen Preis ?
Eine gute Bundeswehr brauchen wir trotzdem. Einmal um die militärischen Fähigkeiten zu erhalten und im Notfall aufwachsen zu können und zum zweiten um nicht politisch (noch mehr) erpressbar zu werden.
Da sind wir uns einig ;-)
Zitat b: „Da derzeit auch keine Bedrohung sichbar ist, hat man auch Zeit diese sauber zu implementieren.“ Hmm, keine Ironie, sondern ernsthaft gefragt: Wenn keine Bedrohung sichtbar ist, warum ist die BW dann jetzt schon an der Grenze der Belastbarkeit mit Auslandseinsätzen? Sind das alles nur sicherheitspolitisch verzichtbare, humanitäre Kaffeefahrten? Und was soll erst passieren, wenn jetzt eine Bedrohung sichtbar würde (und meine bescheidene Phantasie reicht da völlig aus . . .) Was sagt uns das über unserere konkrete sicherheitspolitische Lage?
Und: Lieber StfwdR: Wenn ich glauben würde, dass es allen automatisch besser geht, wenn unsrere lieben US-Verbündeten weniger Geld fürs Militär ausgeben, hätte ich andere Fragen gestellt. Bei aller Kritik, die an den USA zu üben wäre (wie auch an D), wird mir trotzdem eher unwohl, wenn etwa auch Spangdahlem oder Rammstein wegfallen sollten. Denn: Was ist an den „rudimentären Strukturen“ der Europäer denn dran? Mal so ganz praktisch gefragt: Die verbündeten und neuerdings ja auch militärisch wieder NATO-integrierten Franzosen führen seit vielen Jahren einen Kampf gegen die Islamisten in Nord- und Zentralafrika. Gibt es da irgendeine vernünftuge Vernetzung zu OEF/ISAF/Enduring Freedom? Ich habe schon öfter danach gefargt, aber nie auch nur den Ansatz einer zitierfähigen Antworten erhalten.
Was sagt uns das über unsere konkrete Lage?
Als Nachtrag zu den „rudimentären Strukturen“ Europas als Mittel gegen Illusionen eine Betrachtung aus französischer Sicht:
http://www.marianne2.fr/blogsecretdefense/Entre-Paris-et-Londres-la-nouvelle-entente-cordiale-sonne-le-glas-de-la-defense-europeenne_a2.html
Die beiden wichtigsten europäischen Partner stehen einer europäischen Alternative zur NATO eher krtisch gegenüber. Dazu gleich noch eine Beobachtung: In den meisten Poltikbereichen werden alle Entwicklungen, Bewegungen und Maßnahmen aus Frankreich sorgsamt registriert, analysiert und die eigene Position dazu kontrolliert und ggf nachjustiert. Schließlich gilt praktisch immer: D&F bestimmern den Kurs Europas bis in die Außenpolitik, solange sie sich einig sind.
Nun hat sich Frankreich vor nicht allzulanger Zeit entschlossen, in den Schoß der NATO zurückzukehren. Von irgendwelchen Reaktionen, Diskussionen, Analysen, Konzeptrevisionen unsrerer Verteidiger-Community habe ich nichts bemerkt. Wenn es eine deutsche Reaktion gab, dann fiel sie so still aus, dass es keiner bemerkt hat. Was sagt uns das über unsere Lage?