RC N Watch: „Precision air strike“ gegen Taliban-Kommandeur bei Kundus
Das wirkt fast wie die Anschlussmeldung zur erneuten Debatte um gezieltes Töten: ISAF-Truppen haben mit einem Luftschlag den Taliban-Kommandeur des Distrikts Aliabad in der Provinz Kundus gezielt ausgeschaltet, meldet ISAF. Der Kommandeur habe für die Wahlen am Samstag Anschläge vorbereitet.
Bei dem ISAF-Angriff kamen acht Aufständische ums Leben. Sie wurden auf freiem Feld gezielt unter Feuer aus der Luft und vom Boden genommen.
Nachtrag: Gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua hat der (deutsche) Sprecher in Kundus präzisiert: The operation conducted in Sarak-e-Bala village, Ali Abad district last night resulted in the killing of eight militants including their commander Juma Gul Hamdul.
Nachtrag 2: Deutsche Soldaten waren nach Angaben des BMVg an der Aktion nicht beteiligt.
Die verstärkten Angriffe auf die Taliban im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet scheinen ebenfalls Wirkung zu zeigen. Ein Talibankommandeur beklagte sich in einem Interview, dass die Drohneneinsätze große Lücken in den eigenen Reihen hinterlassen hätten und lokale Bevölkerung trotz drastischer Strafen Informationen an die Behörden weitergibt.
http://bit.ly/9TEya9
So wird es eben gemacht, will man erfolgreich sein :-)
Mir hat immer noch niemand überzeugend erklären können, was an Maßnahmen wie der im Beitrag erwähnten besonders problematisch sein soll. Auf Nachfrage kommen meist nur schwammige Verweise auf das Völkerrecht, die näherer Nachfrage in den allermeisten Fällen nicht standhalten. Gibt es sachliche Kritik, die mehr zu bieten hat? Eine solche Kritik würde ich erwarten, damit man den Umgang mit dem Thema als „Diskussion“ bezeichnen kann.
Nur so funktioniert es. Fast wie beim Boxen. Am schlimmsten sind die Schläge, die wie aus dem Nichts kommen und direkt in die Visage rauschen.
Nur so kann man bewirken, dass die feindlichen Kräfte verunsichert werden und sich vor Angst nicht mehr rühren.
Wenn solche Schläge, die ja seit Jahren im Osten und Süden stattfinden, „erfolgreich“ sind, warum steigt dann:
– die Anzahl der IEDs
– die Anzahl ISAF Toten und Verletzten
– die Intensität des Aufstandes?
Brauchen wir wirklich mehr solcher „Erfolge“?
Ja, sicher ;-)
@b:
Weil die Anzahl der Truppen vor allem Süden und Osten massiv erhöht wurde. Mehr Kontakte erzeugen zwangsweise mehr Kämpfe und höhere Verluste. Ausländische Medien verstehen das. Deutsche nicht.
Es gab inzwischen einige Berichte, dass Taliban-Kämpfer ungern Führungspositionen übernommen haben, weil sie um ihr Leben fürchten. Wenn dass dazu führt, dass weniger kompetente Leute Verantwortung tragen ist das auch ein positiver Effekt.
@b
Auch die wirksamsten Taktiken und Maßnahmen auf operativer Ebene können Mängel auf der strategischen Ebene oft nicht kompensieren. „Kinetic Targeting“ ist zur Bekämpfung netzwerkartig strukturierten Feindes nachweislich wirksam (auch die Israelis haben sehr positive Erfahrungen gemacht), taugt aber zur Kontrolle von Räumen und Bevölkerungen nur im Rahmen einer Strategie, die dem Feind diese Kontrolle durch starke Präsenz in der Fläche verweigert. Letzteres war im Osten und vor allem im Süden bis letztes Jahr kaum vorhanden.
„Kinetic Targeting“ spielt übrigens in fast allen Überlegungen für die Zeit nach ISAF eine zentrale Rolle. Man kann damit zwar keine Räume kontrollieren und staatliche Strukturen schaffen, aber man kann damit „den Rasen mähen“ (wie es manche ausdrücken) und verhindern, dass der Feind bestimmte Fähigkeiten entwickelt, die für Deutschland und seine Verbündeten eine Bedrohung darstellen.
@Stefan – „Weil die Anzahl der Truppen vor allem Süden und Osten massiv erhöht wurde. “
Sie unterstützen meinen Punkt. :-)
Im Süden und Osten wurden über mehrere Jahre von Amerikanern und Engländern intensiv Kinetic Targeting und Nightraids eingesetzt.
Daraufhin hat sich der Widerstand dort so vergrößert, das die Amerikaner dort zwei erhebliche Truppenaufstockungen vornehmen mussten.
Wenn das Einsatzmittel dazu führt das sich der Gegner vermehrt, ist man auf dem falschen Weg.
Die Wirkung solcher Einsätze auf die Bevölkerung wird auch im Norden dazu führen, daß sich der Widerstand vergrößern wird.
Die Situation in Afghanistan wird zunehmend schlechter. Wenn das Kinetic Targeting und die Nightraids erfolgreich sind, wo ist denn das bitte sichtbar?
@b
„Im Süden und Osten wurden über mehrere Jahre von Amerikanern und Engländern intensiv Kinetic Targeting und Nightraids eingesetzt. Daraufhin hat sich der Widerstand dort so vergrößert, das die Amerikaner dort zwei erhebliche Truppenaufstockungen vornehmen mussten.“
Sie unterstellen da einen kausalen Zusammenhang. Können Sie den näher erläutern? Auch im Süden und Osten ist die Aufstandsbewegung übrigens kein Aufstand der breiten Bevölkerung wie Ihre Formulierung vom „Widerstand“ nahelegt. Wäre dies der Fall, hätten die Probleme von ISAF dort eine ganz andere Dimension.
In der Zeit gibt es einen Kommentar aus Jalalabad, der in eine ähnliche Bresche schlägt:
Dschalalabad – die Taliban greifen nach einer sicher geglaubten Stadt
Korrelation vs Kausalität:
http://xkcd.com/552/
S.W. „Sie unterstellen da einen kausalen Zusammenhang. Können Sie den näher erläutern?“
Eine Kausalität kann man dort nicht einfach nachweisen. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Berichten die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den ständigen Raids und den wachsenden Widerstand sehen. So sinkt z.B. die Anzahl der von der Bevölkerung gemeldeten IEDs mit steigender Anzahl der Raids.
„Auch im Süden und Osten ist die Aufstandsbewegung übrigens kein Aufstand der breiten Bevölkerung wie Ihre Formulierung vom “Widerstand” nahelegt. Wäre dies der Fall, hätten die Probleme von ISAF dort eine ganz andere Dimension.“
Es sind jetzt mindestens 70.000 Soldaten im Süden und Osten Afghanistans im Einsatz. Das ist (noch) eine ganz andere Dimension als im Norden.
Wie breit die Aufstandsbewegung wirklich ist wissen wir nicht, aber es ist offensichtlich das ein Großteil der Bevölkerung inzwischen „auf dem Zaun sitzt“ und keinerlei Interesse hat sich auf die Seite der korrupten Regierung und Verwaltung und deren internationaler Exekutive zu stellen, während die Taliban an Einfluss gewinnen.
Taliban justice earns locals‘ respect in southern Afghanistan
Afghanistan: Taliban justice ’fairer’ than state’s
Thousands Of Afghans Stage Anti – U.S. Protest In Kabul
@b
Alles richtige und wichtige Punkte, aber ein Beleg dafür, dass Frustration über fortdauernde Kampfhandlungen durch ISAF und Ineffektivität der Regierung sich in relevantem Ausmaß in wachsender Unterstützung für die Aufständischen äußert, fehlt. Es gibt allenfalls anekdotische Einzelbeispiele.
Es würde ja der Intuition entsprechen, so einen Zusammenhang zu vermuten, aber die Aufständischen werden auch im Süden eher geduldet als aktiv unterstützt. Die Aufständischen müssen immer noch in großem Umfang auf Einschüchterung zurückgreifen, um Akzeptanz herzustellen.
Der Zusammenhang zwischen unpopulärem Handeln durch ISAF (CIVCAS, Hausdurchsuchungen etc.) und Verhalten der Bevölkerung ist insgesamt sehr komplex. Das Thema würde ein Forschungsprojekt verdienen. Ich hatte mit hunderten Vorfällen zu tun, und der Raum reicht hier nicht aus, um alle interessanten Beobachtungen zu beschreiben.
> Daraufhin hat sich der Widerstand dort so vergrößert, das die Amerikaner dort
> zwei erhebliche Truppenaufstockungen vornehmen mussten.
Andersherum wird ein Schuh daraus, nachdem diese Rückzugsräume jahrelang ignoriert wurden wird nun dagegen vorgegangen. Das provoziert natürlich heftigen Widerstand… wer um das Wespennest am Dachboden vorsichtig herumgeht wird über Jahre manchmal gestochen, wer es einsackt wird einmal heftig gestochen, dann nicht mehr.
Früher waren einfach keine Kräfte verfügbar für eine langfristige Sicherung. Heute rücken mit den offensiven Truppen gleich dauerhaft stationierte Polizei und Armee hinterher.
Crass Spektacek – „Andersherum wird ein Schuh daraus, nachdem diese Rückzugsräume jahrelang ignoriert wurden wird nun dagegen vorgegangen.“
Sie tun so als sei die Anzahl der Gegner konstant geblieben. Al sei das ein Wespennest das man mal so eben beseitigen könnte.
Aber warum bitte hat sich der Widerstand von Jahr zu Jahr vergrößert? Warum steigt die Anzahl der IEDs? Warum vergrößert sich die Fläche in der die Aufständischen das Sagen haben?
@Crass Spektakel – (Entschuldigen sie bitte das ich oben ihren Namen verdreht habe)
Leseempfehlung:
THE AFGHANISTAN NGO SAFETY OFFICE Quartalsbericht Q2.
@b
„Aber warum bitte hat sich der Widerstand von Jahr zu Jahr vergrößert? Warum steigt die Anzahl der IEDs? Warum vergrößert sich die Fläche in der die Aufständischen das Sagen haben?“
Was Sie beschreiben, ist primär keine Reaktion der Bevölkerung auf Operationen von Spezialkräften, CIVCAS etc., sondern das Ergebnis des in vieler Hinsicht überlegenen Handelns der Aufständischen in Kombination mit den Schwächen von ISAF und afghanischer Regierung.
Die Aufstandsbewegung handelt doch nicht bloß reaktiv auf wahrgenommene Untaten von ISAF, sondern hat eine eigene Agenda, nämlich die Ausübung von Macht in möglichst großen Teilen des Landes. Dazu dringt sie in Machtvakuen ein und versucht gleichzeitig, ISAF und afghanischer Regierung die Ausübung von Kontrolle zu verweigern.
Kunduz ist ein gutes Beispiel: Die Aufstandsbewegung erstarkte dort seit 2007 nicht aufgrund steigenden Widerstands in der Bevölkerung, sondern weil die Taliban dort einen Schwerpunkt setzten, die Bundeswehr sich nach Anschlägen geringfügigen Ausmaßes weitgehend aus der Fläche zurückzog und die afghanische Regierung ineffektiv und inkompetent handelte.
Vermutlich ist es doch beides.
Welche negativen Auswirkungen Spezialkräfte-Murks haben kann sieht man wohl ganz gut an Imam Sahib sehen.
Und hier sei dann nochmal auf Zahlen im Artikel in der Asia Times zu den Spezialkräfte-Einsätzen verwiesen.
Letztlich drängt sich halt der Eindruck auf, dass Teile der internationelen Truppen „ihren“ Krieg fühen, ohne die Afghanen wirklich zu verstehen, einzubinden oder ernstzunehmen.
@J.R.
Reuter stellt die Erfahrungen der Niederländer in Uruzgan sehr verkürzt dar. Deren betont nichtkinetischer Einsatz lief zunächst alles andere als glatt ab und mündete zwischenzeitlich im „Battle of Chora“, einem der größten Einzelgefechte des Einsatzes. Sowenig wie die Tötung von Aufständischen alleine die Kontrolle von Räumen herbeiführen kann, können dies Aufbaubaumaßnahmen ohne Bekämpfung der Aufständischen. Davon abgesehen sind die Erfolge der Niederländer jedoch unbestritten.
Die offenbar fehlgeschlagene Operation der Amerikaner in Imam Sahib war davon abgesehen natürlich problematisch, aber sie war (zumindest im Norden) ein Einzelfall und führte weder zu einem Volksaufstand noch zu größerer Mobilisierung der Bevölkerung auf Seiten der Aufständischen. Auch nach dem Tanklaster-Vorfall war nichts dergleichen zu beobachten.
Ich finde mich immer wieder in der unfreiwilligen Position des pro-ISAF-Advokaten wieder. Die Rolle will ich eigentlich gar nicht spielen, weil ich den Einsatz für einen politischen Fehler halte und auch nicht glaube, dass er erfolgreich sein wird. Mir ist nur manche Kritik am Einsatz zu vereinfachend.
@ S.W.
Aber gerade die Kontrolle der Räume gibt es nur über nachhaltige Präsenz. Und da führt fast kein Weg daran vorbei ANA und ANP für diese Aufgabe fit zu machen.
Jetzt kann man mal einfach schaun, was die Bundeswehr in Afghanistan nicht macht. Da gibt es gerade mal 8 OMLTs und ein paar Feldjäger die Polizeikurse geben. Zusammen glaub irgendwas knapp über 300 Personen.
(Und selbst OMLTs sind da so ’ne Sache. Ich weiß schlicht nicht genug um meckern zu können, aber wenn ich lese, dass die ihre Aufgabe darin sehen „deutsche Taktiken und Arbeitsweisen nahezubringen“*, dann bin ich da etwas skeptisch.)
Und jetzt kann man sich mal anschauen, was bei der Bundeswehr-Reform mal wieder so gar keine Rolle spielt: Das Stabilisieren von zerbrechenden Staaten samt Ausbilden einheimischer Sicherheitskräfte in asymmetrischen Konflikten. Gibt ja auch keine Waffengattung die bisher dafür zuständig wäre…
Das Problem [mit] der Bundeswehr ist doch: Sie will einen konventionellen Krieg führen. Mit flotten Fliegern, posigen Panzern und formidablen Fregatten. Was Deutschland und Verbündete brauchen ist doch nicht wenigen in der Bundeswehr doch mittlerweile reichlich egal.
Nebenbei: Ich finde mich immer wieder in der unfreiwilligen Position des ISAF-Bashers wieder. Die Rolle will ich eigentlich gar nicht spielen, weil ich den Einsatz für politisch richtig halte und glaube, dass er erfolgreich sein kann. Mir ist nur manche Kritikresistenz hinsichtlich des Einsatzes zu vereinfachend.