„Gezieltes Töten erlaubt“ (mit Nachtrag)
Liebe Kollegen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wenn ein Gastbeitrag in der FAZ Gezieltes Töten erlaubt – Im Völkerrecht findet sich kein Verbot, bestimmte Personen in Konflikten unschädlich zu machen. Solche Operationen gehören zur Praxis von UN und NATO von einem Autor stammt, der im Hauptberuf Asssistant Legal Advisor beim NATO-Kommando Transformation in Norfolk ist, also (deutscher) Jurist an einem der beiden höchsten NATO-Kommandos – dann fällt es mir sehr schwer, nachzuvollziehen, dass der Beitrag nur seine persönliche Ansicht sein sollte.
Wer das Verteidigungsministerium ein bisschen kennt, ahnt, dass jemand in dieser Position einen Beitrag zu einem derzeit so innenpolitisch umstrittenen Thema für eine der größten deutschen Zeitungen nicht mal so als Privatangelegenheit niederschreibt. Der Artikel in der heutigen FAZ ist bislang leider nur für Abonnenten online.
Ein Kernsatz: Der seit der Veröffentlichung diverser amerikanischer und Isaf-Dokumente in Gang gekommene öffentliche Diskurs über gezielte Tötungen zeigt aber: Es gibt keine Rechtsüberzeugung des Inhalts, dass gezielte Tötungen verboten seien oder dass die Festsetzung von besonders ausgewählten Zielpersonen grundsätzlich Vorrang hätte. Die lang bekannte Praxis der Staaten und internationalen Organisationen – in der Nato und im UN-Sicherheitsrat, ebenso die Einbindung der Empfangsstaaten internationaler Militäroperationen in gezielte Tötungen – und auch die neuen Counterinsurgency Guidelines des Isaf-Kommandeurs bezeugen sogar das Gegenteil.
Nachtrag: Der Autor Ulf Häußler teilte mir (via Facebook) mit: Es ist meine rein persönliche Auffassung, es gibt also keinerlei begründete Zweifel — und ich wäre dankbar, wenn dies auch so im Netz stünde.
Diese Klarstellung akzeptiere ich natürlich – aber ich habe ihn auch gebeten zu akzeptieren, dass angesichts der unter dem FAZ-Beitrag genannten Position des Autors und der publizistischen Bedeutung der FAZ natürlich die Frage aufkommt, ob es sich lediglich um eine persönliche Meinung handeln kann…
Der Rechtsberater spricht (bezogen auf den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt) eine völkerrechtliche Offensichtlichkeit aus. Wenn in Deutschland zuweilen das Gegenteil behauptet wird, dann scheint man sich eher auf gefühltes Völkerrecht zu beziehen als auf reales. Mir hat noch nie jemand erklären können, woraus ein Verbot des Kinetic Targeting hervorgehen sollte, und ich frage jedesmal nach, wenn solche Behauptungen aufgestellt werden.
Ich hatte mal das Vergnügen, an einer offenen Veranstaltung mit Rechtsberatern und Juristen aus Deutschland und den USA teilzunehmen, wo dies unter dem Applaus der meist militärischen Teilnehmer nochmal von allen Rednern ausdrücklich bestätigt wurde. Wenn es nach zehn Jahren Einsatz in Deutschland immer noch als heikel gilt, über solche Offensichtlichkeiten zu sprechen, dann läuft m.E. wirklich etwas falsch.
Eine Gegenmeinung, wonach gezieltes Töten moralisch und rechtlich nicht beliebig zulässig und vor allem nicht auf Nicht-Kombatanten anwendbar ist findet sich von Heribert Prantl in der Süddeutschen: „Spiel mit dem Völkerrecht: Töten auf Kommando“.
Gut ist, dass mit dem Hinweis von J.R. auf Prantl nun das ganze Bild sichtbar wird. Beide Beiträge zusammen zeigen die Bandbreite der Diskussion von LEGITIM bis LEGAL, egal aus welchem Blickwinkel und aus welcher Motivlage heraus.
Ein interessanter, wenn auch teilweise verklausulierter Beitrag eines Volljuristen. Man achte auf die Wahl der Worte, die sehr überlegt gewählt sind.
Für den geneigten FAZ-Leser sicher verständlich, für Otto-Normalverbraucher würde ich mir eine Transformation in leicht verständliches Deutsch wünschen.
Da ich bei einer Tagung von Juristen einmal das Vergnügen hatte, den Ausführungen einer der führenden Völkerrechtlern Deutschlands lauschen zu dürfen, empfehle ich das Interview von Herrn Professor Kress in der TAZ vom 02.03.2010 diesen Jahres:
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/der-angriff-im-bett-ist-zulaessig/
Im Übrigen mitunter ein Beleg dafür, dass das Thema der gezielten Tötungen durchaus der Wissenschaft bekannt ist und dort behandelt wird – und das nicht erst seit Wikileaks, deren „Enthüllungen“ ich immer noch für einen fulminanten Werbegag halte.
Auch das Max-Planck-Institut in Freiburg hat sich mit der Frage der gezielten Tötungen bereits beschäftigt und dazu eine öffentliche Veranstaltung angeboten:
http://www.mpicc.de/ww/de/pub/aktuelles/veranstaltungen/terrorismus.htm
@J.R.
Herr Prantls Darstellung halte ich für ein gutes Beispiel dessen, was ich gerne als „gefühltes Völkerrecht“ bezeichne. Der Stand der völkerrechtlichen Diskussion scheint ihm völlig unbekannt zu sein.
Womöglich gilt auch hier:
Ein Sachverhalt – drei Juristen – acht Meinungen
Entscheidend scheint mehr: welche juristische Auffassung setzt sich durch.
Es darf erinnert werden an Artikel 12 a (4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.
„Sie“ bezog sich auf den Satz davor, nämlich auf diejenigen Frauen, die „zu deratigen Dienstleistungen herangezogen werden“. Jahrzehntelang beharrten Juristen darauf, dass damit „alle Frauen“ gemeint waren.
Bekanntlich kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Auffassung und Frau Tanja Klein schreib Rechtsgeschichte.
Der Autor des FAZ-Artikels hat übrigens beim Facebookäquivalent dieser Meldung einen interessanten Kommentar hinterlassen. Sollte vielleicht Erwähnung finden:
Ulf Haeussler- „Es ist meine rein persoenliche Auffassung, es gibt also keinerlei begruendete Zweifel — und ich waere dankbar, wenn dies auch so im Netz stuende. Danke.“
Eher ot, trotzdem einen Blick wert auf das, was am Ende so
bleibt. Immerhin liegt erstmals wieder ein Schiff der US-Navy vor Da Nang. Was dann jedenfalls mich so nett an die seinerzeit verfolgte „Vietnamisierung des Krieges“ erinnert, mit der die entscheidende Phase des Abzugs der Amerikaner umschrioeben wurde. Steht schon ein Huibschraubeer auf der US-Botschaft in Kabul?
Sorry, den limk gibts hier:
http://english.vietnamnet.vn/politics/201008/US-naval-ship-docks-at-Da-Nang-port-928486/
@ Alexander F.
Danke, habe Häußlers Antwort als Nachtrag in den Eintrag aufgenommen.
Was sagt eigentlich das afghanische Recht zu diesen gezielten Tötungen ohne jegliches Gerichtsverfahren? Das kann ja wohl nicht unerheblich sein
Mir wäre es nicht Recht, unabhängig von eventuellen UN Resolutionen, wenn in Deutschland irgendwelche fremden Truppen auf Verdacht in nächtlichen Kommandoaktionen meine Landsleute umbringen würden. Deutsches Recht würde das wohl kaum zulassen. Warum tut afghanisches Recht das? Oder tut es das nicht?
Ja ne is klar, ein vom BMVg bezahlter Jurist veroeffentlicht mal einfach so unabgestimmt seine Meinung in der FAZ. Entweder er ist vollkommen naiv ( und damit unprofessionell ), oder er versucht uns hier einen wirklich großen Baeren aufzubinden …
@SiPol
Sie scheinen eins der wesentlichen Argumente Prantls zu übersehen: Das (Kriegs-)Völkerrecht ist nur eins von mehreren Rechten das greifen kann (und das eben vor allem bei bewaffneten Konflikten), eben neben den Menschenrechten und nationalem Recht. Nicht alles was nicht durch das (Kriegs-)Völkerreicht abgedeckt ist – und das ist bei nicht-internationalen bewaffneten Konflikten ja einiges – ist damit automatisch erlaubt.
Das deckt sich auch mit den von Jugendoffizier verlinkten Aussagen des Herrn Professors Kreß.
Von daher wären die (imho schlüssig argumentierten) Beispiele des Herrn Prantl womöglich einen zweiten Blick wert. Wobei allerdings auch ein kurzer Einblick in ihren Stand der völkerrechtlichen Diskussion sicherlich interessant wäre.
Ein anderer Punkt Prantls ist imho auch sehr valide: Dass sich „der Westen“ eben sehr gerne einen Konflikt „herbeidefiniert“ wenn es ihm gelegen kommt, aber wenn dergleichen nicht ins Konzept paßt dann wieder gerne auf die nationale Souveräntität. Sehr deutlich sieht man das ja an den Palästinensergebieten. Aber auch in Afghanistan läßt sich diese Schizophrenie beobachten: Wenn es darum geht in den Dörfern für Sicherheit zu sorgen ist das prinzipiell Aufgabe der ANP als Arm des Souveräns, ob Konfliktgebiet oder nicht. Geht es um das Ausschalten von Kriminellen, dann wird der Souverän von Teilen der internationalen Unterstützungskräften schlicht übergangen.
Ein Teil davon scheint durchaus bewußt zu geschehen um die eigenen nationalen Interessen möglich umfassend zu vertreten. Vieles – gerade in Afghanistan – scheint aber schlicht auch „nur“ Ignoranz der Streitkräfte zu sein. Von denen scheinen sich viele schlicht gar nicht vorstellen zu können, dass für die Menschen außerhalb der Militärlager über weite Strecken eben kein Krieg herrscht. Sehr deutlich wird das unter anderem in den Berichten der wenigen außerhalb der Stützpunkte angesiedelten Blogger, wie Ann Jones oder Tim Lynch.
@SiPol
Nein, die Darstellung von Prantl ist ziemlich raffiniert: Er sagt inhaltlich eigentlich nichts falsches, verdreht es aber geschickt bis zur Unkenntlichkeit.
Wenn man ihn richtig liest, sagt auch er, dass Kombatanten (also alle Mitglieder der unter „Taliban“ zusammengefassten Guerillagruppen, und um die geht es in 99% der Fälle) auch abseits von Kampfhandlungen im Schlaf getötet werden dürfen.
Für „Terroristen“ versucht er Zweifel zu sähen, das ist aber weitgehend Unsinn: IEDs sind die Hauptwirkmittel der Taliban.
Eine Einschränkung macht das Kriegsvölkerrecht nur da, wo etwa einfache Bauern gegen Geld 1-2mal (also nicht „regelmäßig“) durch legen einer IED an Kämpfen teilnehmen. Sieht man sie bei der Teilnahme an / bei der unmittelbaren Vorbereitung einer Kampfhandlung (zB Bombenlegen / bauen), darf man sie erschiessen. Findet man das erst später heraus, darf man sie tatsächlich nicht einfach nachts in die Luft jagen, weil sie eben (dann) keine Kombatanten (mehr) sind. Das tut aber absichtlich auch keiner – würde den Aufwand nicht lohnen oder wäre gar kontraproduktiv
Bei Taliban, AlQuaida oder auch Milizen von Drogenschmugglern, die ganze Gebiete kontrollieren, gilt diese Einschränkung aber nicht.
@b
Das afghanische Recht hat zu den vom UN Sicherheitsrat legitimierten Aktionen der ISAF genausoviel zu sagen, wie das deutsche Recht bis 1955 zu den Aktionen der allierten Truppen in Deutschland : gar nichts (vgl. etwa BVerfGE 2, 181, E 3,368, vgl. für die Übergangsphase ab 1955 auch E 4 ,157 sowie E 15, 337 „Nach dem Überleitungsvertrag gelten besatzungsrechtliche Vorschriften ohne Rücksicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem GG zunächst fort; die Verwerfungskompetenz des BVerfG ist insoweit ausgeschlossen“).
Das deutsche BVerG erklärte sich insoweit stets für unzuständig, da die Besatzungsmacht nicht der deutschen Hoheitsgewalt unterlag. Genausowenig sind – jedenfalls aus deutscher Sicht – vom UN-Sicherheitsrat legitimierte hoheitliche Maßnahmen der ISAF am Maßstab des afghanischen Rechts zu messen (statt dessen brauch(t)en unsere Wagen deutschen TÜV / ASU, juchu) …
@J.R. „Das (Kriegs-)Völkerrecht ist nur eins von mehreren Rechten das greifen kann (und das eben vor allem bei bewaffneten Konflikten), eben neben den Menschenrechten und nationalem Recht. “
Urgh. Die Menschenrechte fließen natürlich in die Auslegung des Kriegsvölkerrechts ein; darum heißt das in Neusprech ja auch „humanitäres Völkerrecht“. Die Menschenrechte sind aber kein NEBEN dem HVR geltendes Recht, sondern Teil davon – etwa in Hinblick darauf, dass vorab als wahrscheinlich erkennbare Kollateralschäden nicht außer Verhältnis zum angestrebten militärischen Ziel stehen dürfen.
Afghanisches Recht ist irrelevant, vgl. meinen Voreintrag.
Selbst wenn das deutsche Mandat den deutschen Truppen „gezielte Tötungen“ außerhalb von Kampfhandlungen verbieten würden (was sie meiner persönlichen Meinung nach sehr eindeutig nicht tun), machen diese das Verhalten der Amis in Kunduz etc nicht rechtswidrig. Wenn daher von pazifistoider Seite von „Beihilfe zum Mord“ gefaselt wird, ist dies juristischer Mumpitz: Beihilfe setzt eine rechtswidrig Haupttat voraus. An der fehlt es hier. Ende der strafrechtlichen Diskussion ….
@b
Zum Thema „afghanisches Recht“: Eine afghanische Justiz existiert nur in Ansätzen und ist nur in Teilen des Landes wirksam. Das Vorgehen von ISAF steht mit ihr aber nicht im Konflikt, denn es gibt ein „Status of Forces Agreement“, welches ISAF das Recht einräumt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
@J.R.:
„Dass sich “der Westen” eben sehr gerne einen Konflikt “herbeidefiniert” wenn es ihm gelegen kommt, aber wenn dergleichen nicht ins Konzept paßt dann wieder gerne auf die nationale Souveräntität.“
Das ist nicht „Schitzophrenie“, sondern Politik. Die Staaten, die sich in Afghanistan durchsetzen wollen, interpretieren die völkerrechtliche Regelungen natürlich so, dass es dieses Vorhaben unterstützt. Das ist kein Problem, denn das „Völkerrecht“ ist kein Recht im eigentlichen Sinne, sondern eine Ansammlung von unvollständigen und größtenteils veralteten Abkommen sowie der Berufung auf Gewohnheiten. Das Völkerrecht entwickelt sich auch durch Handeln weiter, so dass die Klärung mancher Unklarheiten durch das Schaffen von Fakten als Beitrag zur Weiterentwicklung des Völkerrechts betrachtet werden kann. Die Interessen des Feindes dabei einzubeziehen ist eine Idee, deren Sinnhaftigkeit sich nicht nur mir entzieht.
@Sascha Stoltenow
Meines Wissens nach ist der Satz über die „rein persönliche Ansicht“ etc. Voraussetzung dafür, dass man sich in bestimmten Funktionen überhaupt äußern darf. Der die Uniform eines Oberstleutants tragende Jürgen Rose z.B. setzte diese Formulierung unter jeden seiner Anti-Bundeswehrtexte, die garantiert nicht mit dem BMVg abgestimmt waren.
Ich wusste doch, dass wir dieses Thema schon mal hatten:
http://wiegold.focus.de/augen_geradeaus/2009/12/die-neue-ehrlichkeit-v%C3%B6lkerrecht-grundlage-der-isafmission.html
Da die damalige Stellungnahme des BMVg das alles schon mal gesagt hat, versteh ich die Aufregung über die „Privatheit“ des FAZ-Beitrages nicht wirklich …
@SiPol
Ja, das “Status of Forces Agreement” sollte man der Vollständigkeit halber erwähnen, auch wenn es aus internationaler Sicht insoweit rein deklaratorischer Natur ist.
@Positroll
;-)
Ich sollte mich öfter an das erinnern, was ich schon mal geschrieben habe. Danke für den Hinweis.
@J.R.
Die Aussage, das Völkerrecht sei nur eines von mehreren „Rechten“ welches greifen könne, führt nur teilweise zur Klarheit. Keinesfalls ist dies ein „beliebiger“ oder opportunistischer Auswahlprozess „des Westens“.
Wie aus den Beispielen von Herrn Kreß ersichtlich, kommt es auf die nachvollziehbar begründbare Existenz eines „bewaffneten Konfliktes“ an (nicht auf die Feststellung, deshalb können sich die deutschen Soldaten in einem solchen befinden auch ohne dass dies durch Regierungsmitglieder festgelstellt wird). Dann – und nur dann – legt das humanitäre Völkerrecht (aka Kriegsvölkerrecht) den Rahmen des Handelns fest.
Ebenso sind sämtliche Verschwörungstheorien a la „die Afghanische Regierung wird umgangen“ durch die rechtliche Grundlage des „SOFA“ zu entkräften: ISAF ist dort und handelt auf Einladung und mit rechtlicher Billigung durch Afghanistan. Wenn afghanische Kräfte selbst für Sicherheit sorgen könnten, würde ISAF dem nicht nur nicht im Weg stehen, sondern ihren Auftrag erfolgreich erledigt haben und nach Hause fahren.
Die Frage, ob gezielte Tötungen durch die Bundeswehr nun erlaubt sind oder nicht mit dem Völkerrecht zu beantworten, ist m.E. aber eine klassische „Nebelkerze“: der Waffeneinsatz eines deutschen Soldaten bedarf einer sog. „Ermächtigungsgrundlage“, welche das Völkerrecht allein – zumindest nach Verständnis der mich ausbildenden Rechtsberater – nicht gibt. Hier gilt für einen Soldaten immer der rechtliche Dreiklang: Grundgesetz (steht übrigens über dem Völkerrecht) – Mandat (durch Parlament) – ROE (Einsatzregeln vor Ort, durch BMVg und damit die Regierung). Erst wenn hier dreimal grün gezeigt würde, wären gezielte Tötungen für einen Bundeswehrangehörigen legal. Alles klar, oder?
Die interessante Frage ist dann doch eher: will unser Parlament, will unsere Regierung gezieltes Töten durch Bundeswehrangehörige? Ein nachträglicher (vermutlich beruhigender) Blick ins Völkerrecht reicht mir nicht aus.
@Positroll
Mir hat der Rechtsberater das SOFA als Grundlage für sehr weitreichendes Handeln vorgestellt. Es legitimiert z.B. den Zutritt zu allen Teilen des Territoriums zu jeder Zeit, jedes für erforderlich erachtete Handeln und sichert zudem vollständige Immunität zu.
Korrektur: Ich meinte das „Military Technical Agreement“ zwischen NATO und afg. Regierung, nicht das SOFA.
@SiPol
Das Military Technical Agreement wurde doch Ende 2001 von den Briten ausgehandelt, die als erste ISAF-Truppe reingingen, lange bevor die Nato das übernahm…
(ist Geschichte, weiß auch keiner mehr. Ich erinnere mich nur vage, dass es damals ein bisschen böses Blut gab, weil der Streit über die Ansicht der Amis tobte, der Internationale Strafgerichtshof dürfe keinesfalls US-Soldaten belangen – und als Beispiel für die Immunität ihrer Soldaten, die auch andere Staaten durchsetzen wollen, wurde eben jenes MTA angeführt.)
@Positroll:
Prantls Beitrag habe ich einen Kommentar gewidmet. Ich halte es für ziemlich daneben, was er sagt.
http://weblog-sicherheitspolitik.info/2010/08/13/heribert-prantl-linksliberaler-selbsthass-und-kinetic-targeting/
@MTA
So wie es mir erklärt wurde, gewährte das MTA mir als Deutschem Immunität vor Verfolgung durch die afghanische Justiz. Vor Auslieferung an den ICC schützt es nicht. Die Rechte deutscher Soldaten wurden diesbezüglich durch eine Grundgesetzänderung beschnitten, die eine Auslieferung ermöglicht. Die Bundesregierung traut den notorisch disfunktionalen VN offenbar mehr zu als der eigenen Justiz, und die Idee, dass ein Staat sich vor seine Soldaten stellen könnte (indem er ihnen z.B. einen fairen Prozess statt eines politischen Tribunals ermöglicht), ist hierzulande ohnehin unbekannt.
Kleine Anmerkung am Rande:
Das Darmstädter Signal kann nur noch auf die Dienste eines OTL a.D. Jürgen Rose zurück greifen.
Ein Dienstunfähigkeitsuntersuchung, angeordnet durch den Dienstherrn, hat es möglich gemacht.
@SiPol
Ob ein Gesetes- bzw. Vertragswerk, dass keine Sanktionionsautomatismen vorsieht jetzt „Recht“ oder „Politik“ ist kann man jetzt gerne debatieren, führt aber irgendwie nicht weiter. Nominell dient (so zahnlos es auch ist) das Völkerrecht als Rahmen, und das wird auch von der nationalen Rechtssprechung aufgegriffen.
Das ist doch auch letztlich einer der Gründe, warum diese Debatte in Deutschland angestoßen wird: „Das Völkerrecht verbietet das nicht, also sollen deutsche Kräfte das auch dürfen sollen.“
@Positroll
Ob das Hauptwirkmittel der Taliban IEDs sind darf dann doch bezweifelt werden. Ein großer Teil ihres Einfluß ist auf Drohbriefe, Hinrichtungen und den Aufbau von Schattenregierungen zurückzuführen. Das sind Aspekte, die genauso wie Korruption und Drogenhandel eben fließend in den kriminellen/mafiösen Bereich übergehen.
Nicht zuletzt daher kommt ja auch die Maßgabe, dass die Bundeswehr nicht gegen kriminelle Infrasturktur wie Drogenlabore vorzugehen hat (auch wenn da sicherlich auch ein bequemes „Nicht mehr Risiko als nötig“ eine Rolle spielt).
@Seestratege
„ISAF ist dort und handelt auf Einladung und mit rechtlicher Billigung durch Afghanistan. „
Das hat ja auch niemand angezweifelt. Aber praktisch hat die afghanische Regierung keinen Einfluß auf den ISAF-Einsatz. Wenn sich irgendwo die Sicherheitslage verschlechtert, dann ist sie vom Wohlwollen der entsprechenden ISAF-Einheiten abhängig, ob die da jetzt was machen oder nicht. Und gerade bei mafiösen Aktivitäten im Norden kann man da fast schon mit einem „Nicht zuständig“ rechnen. Wenn die ISAF irgendwo eine Operation durchführen will, dann kann die afghanische Regierung sie meines Wissens nicht daran hindern – der „Gaststatus“ ist also eher nomineller Natur.
Umgekehrt hat die ISAF keinen Einfluß auf das afghanische Sicherheitskonzept – wenn die Regierung in Kabul mal eben 500 Polizistenstellen in Nordafghanistan streicht, dann ist dem halt so.
Eine wirkliche Zusammenarbeit findet eher punktuell statt, meistens scheint man sich vor allem nicht zu sehr auf die Füße treten zu wollen…
Nun mal abgesehn von der rechtlichen Frage, macht es denn militärisch wirklich Sinn in Kommandoaktionen aufgrund notorisch unzuverlässiger Informationen nachts einzelne Verdächtige umzubringen wenn der dabei entstehende Kollateralschaden in Form von toten Zivilisten die Bevölkerung immer mehr gegen die Besatzer aufbringt?
Aktuell: Afghan villages protest over Nato ‚civilian killings‘
Man kann jeden Monat der vergangenen neun Jahre einen solchen oder ähnlichen Bericht finden, z.B.: Survivors of family killed in Afghanistan raid threaten suicide attacks
Den Widerstand gegen die Besatzer hat das Einsatzmittel ‚kinetic Targeting“ in den vergangenen neun Jahren ja offenichtlich nicht verringert, anscheinend hat es sogar erhöht.
Wenn das Einsatzmittel also kontraproduktiv zu den Zielen ist, dann ist die Diskussion über den rechtlichen Aspekt dieses Mittels ziemlich witzlos. Es gehört schlichtweg nicht mehr eingesetzt.
Nun haben wir wieder einige akademische DIN A4 Seiten lang Paragraphen rauf und runter dekliniert. Jetzt oder auch an einem beliebigen Zeitpunkt des Tages, legt ein 19 jähriger Hauptgefreiter mit seinem G36 auf einen Taliban an, drückt ab und trifft. Gezieltes Töten?
@b
Ihre Interpretation des Konflikts als „Widerstand gegen die Besatzer“ wird der Situation in Afghanistan nicht mal ansatzweise gerecht. Wissen Sie wohl selbst..
Wenn Sie sich tatsächlich für die Effektivität des „kinetic targeting“ interessieren, kann ich Ihnen das Buch „The Logic of Violence in Civil Wars“ von Kalyvas empfehlen. Vermutlich die bislang beste wissenschaftliche Behandlung des Themenkomplexes. Auf den Punkt gebracht: Die Frage im Konflikt zwischen ISAF/Afghanischer Regierung und Insurgents ist ja nicht, ob man Gewalt einsetzen soll oder nicht. Die Taliban selbst gehen hart gegen Kollaborateure vor. Die Frage ist immer, wie gezielt diese Gewalt eingesetzt wird. Die Zielsicherheit hängt von Informationen ab, und natürlich nutzen Individuen markopolitischen Konflikt auch aus, in dem sie falsche Informationen streuen um ungeliebte Mitbürger los zu werden. So sind nun mal aber asymmetrische Kriege. Entweder lässt man sich auf diese Mechanismen ein, oder man zieht ab. Aber wir können uns die Spielregeln des Konflikts nicht aussuchen.
Etwas anschaulicher ist die Beschreibung des Sachverhalts beim Capain’s Journal über die Erfolge der US-Streitkräfte in irakischen Großstädten.
http://www.captainsjournal.com/category/the-anbar-narrative/
@BausC
Bezgl. des HG mit G36: Wegen dieser Unklarheiten verwende ich den Fachbegriff des „Kinetic Targeting“. Was gerade politisch in Deutschland diskutiert wird, ist die Bekämpfung von Zielen aufgrund der Wirkung, die der Ausfall dieser Ziele auf den Feind haben wird. „Kinetic Targeting“ ist ein Prozess, bei dem man sich Gedanken darüber macht, welche Ziele man treffen muss, um bestimmte Wirkung beim Feind zu erzielen. Dieser Prozess ist militärisch völlig unumstritten und bezog sich in der Vergangenheit meist auf Brücken, Fliegerhorste und ähnliches. Bei Feind, der als Netzwerk aus Zellen von Kämpfern agiert, sehen die Ziele naturgemäß anders aus und bestehen in stärkerem Umfang aus Personen, aber der Ablauf ist der gleiche. „Kinetic Targeting“ ist ein so normaler únd selbstverständlicher militärischer Vorgang, dass die gegenwärtige Aufregung für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Auch Völkerrechtlich gibt es dabei im „nicht-internationalen bewaffneten Konflikt“ überhaupt keine Probleme, solange man sich nicht absichtlich welche bereiten möchte. Ich finde es bezeichnend für den Zustand unseres Landes, dass militärische Normalität dieser Art in Deutschland derart skandalisiert wird.
Ich finde die Thematik dennoch sehr interessant, auch wenn wir uns „gefühlt“ ein wenig im Kreis drehen, was die gezielte Tötung anbelangt.
Interessant erscheint mir der Beitrag des ICRC von Nils Melzer (Legal Advisor) „INTERPRETIVE guidance on the notion of direct participation in hostilities under international humanitarian law“
http://www.icrc.org/Web/Eng/siteeng0.nsf/htmlall/p0990/$File/ICRC_002_0990.PDF
Leider nur in englisch verfügbar – falls sie jemand in deutsch haben sollte – ich bin interessiert!
@SiPol
danke für ihre Analyse. Ich stimme ihnen heftig zu auch wenn meine Wortwahl ggf. etwas plastischer ausfällt. Es ist eben Krieg. Deutschland ist im Krieg. Dieser folgt bestimmten Gesetzen, die sich ein Soldat nicht aussucht aber beherrschen muss. Dabei sollte es der deutsche Soldat besser können als sein Feind, ansonsten kostet es sein Leben, so einfach ist das. Wir musten z.B. wieder einmal lernen, dass es gar nicht so toll ist, seinen Dienstgrad leuchtend zur Schau zu tragen. Auch Taliban können Sterne oder Streifen zählen. Insofern ist es immer ein großer militärischer Erfolg, aus einer Gruppe möglichst den Ranghöchsten zu töten. Nun haben wir im Einsatz schwarze Dienstgradabzeichen. Gleiches gilt natürlich auch für Kräfte die im Verborgenen agieren. Abgesehen davon erwartet der Taliban auch, dass er Ziel einens Angriffes ist, für ihn ist es ein völlig normaler Vorgang. Nur in Deutschland ergeht man sich in akademischen Diskussionen. Weswegen ich mein Beispiel mit dem 19 jährigen Hauptgefreiten gewählt habe ist, um deutlich zu machen, dass dieser genug damit zu tun hat, seine Aufgabe zu meistern. Krieg zu führen ist eine sehr schwere Aufgabe weil ständig mit dem Tode bedroht und die Paragraphen mit denen unsere Soldaten fertig werden müssen, enden nicht beim Kriegsvölkerrecht. Nicht zu vergessen Gleichstellungsgesetz, Betriebsschutzgesetze, Feuerverhütungsvorschriften, Nichtrauchergesetz …… wer jetzt Sarkasmus erkannt haben sollte, liegt genau richtig ;-)
Ist das Einsatzmittel zweckmäßig wenn dieses das Ergebnis ist?
@BausC
Jetzt oder auch an einem beliebigen Zeitpunkt des Tages, legt ein 19 jähriger Hauptgefreiter mit seinem G36 auf einen Taliban an, drückt ab und trifft. Gezieltes Töten?
Wenn ich ebenfalls meinen sarkastischen Tag hätte würde ich sagen: Ist doch eh egal, hat doch eh keine Konsequenzen. Das hatte es schon nicht als man für das Umbringen von ein paar Taliban die Einsatzrichtlinien überschritt und Dutzende tote Nichtkombatanten in Kauf nahm. Und es für die polnischen Soldaten, die „einfach so“ ein Dorf beschossen hatten, hatte es auch keine Konsequenzen.
Ob die durch diese übergesetzliche Narrenfreiheit sich langfristig auszahlt darf bezweifelt werden; zumindest ich kann mir keinen besseren Nährboden für die Taliban vorstellen als ohnmächtige Wut.
@b
Im Einzelfall möglicherweise nicht. Man kann diesen Einzelfall aber nicht verallgemeinern. „Kinetic Targeting“ ist für einen sehr niedrigen einstelligen Prozentanteil der getöteten Zivilisten in Afghanistan verantwortlich, und ein Nachweis, dass das CIVCAS-Problem eine wesentliche Ursache des schwächer werdenden Rückhalts für ISAF und die afghanische Regierung ist, steht weiterhin aus. Wenn es so wäre, müssten die laut VN 75% Anteil der Aufständischen an zivilen Toten ja eine gigantische Welle des Protestes in der Bevölkerung hervorrufen, was aber nicht geschieht. Und es gibt weitere Gründe für Zweifel an dieser These, z.B. die nicht eingetretene positive Wirkung der Reduzierung von CIVCAS von ISAF, die von Vertretern der CIVCAS-Problemthese erwartet wurde.
Am Beispiel Pakistans sind indirekte negative InfoOps-relevante Wirkungen von „Kinetic Targeting“ relativ gut erforscht. Dort wurde z.B. behauptet, dass die Drohneneinsätze im Nordwesten antiwestliche Einstellungen nähren. Untersuchungen zeigten dann, dass diejenigen, die sich über die Bekämpfung von Al-Qaida empören, mit Masse auch schon vorher antiwestlich eingestellt war. Verglichen mit der Zeit nach 9/11, als eine deutliche Bevölkerungsmehrheit in Pakistan Sympathie für Al-Qaida erklärte, ist die Situation nach Ausweitung der Drohnenangriffe trotz Kollateralschäden übrigens besser geworden. Die Ursachen sind unbekannt, hängen aber vermutlich auch damit zusammen, dass Al-Qaida nicht mehr als so stark wie früher wahrgenommen wird. Die Kollateralschäden waren ein nachgeordneter Faktor, um die Präferenzen der Pakistanis zu erklären.
Der von Ihnen zitierte Beitrag nennt übrigens wichtige Kontextinformationen nicht. Solche Situationen sind häufig sehr komplex. Wer sind die Protestierenden? Wo kommen sie her? Woher bezogen sie ihre Informationen? In welcher Beziehung standen sie zu den Zielen? Wer kontrolliert den Raum, in dem die Proteste stattfinden? Erst wenn diese und andere Faktoren bekannt sind, kann man vielleicht erahnen, warum diese Menschen wirklich protestieren, und danach kann man vielleicht die „non-kinetic effects“ beurteilen.
@J.R.
Was sie beschreiben ist in der Tat Krieg. In diesen wurden unsere Soldaten im Namen des Parlamentes und insofern des deutschen Volkes entsandt. Und wenn Soldaten ihrem Handwerk nachgehen, kommt genau das bei raus, was sie kritisieren. Natürlich kann man gegen jede Form der kriegerischen Auseinandersetzung sein und dafür seine Mehrheiten in einer Demokratie suchen. Solange das nicht so ist haben m.E. unsere Soldatén nicht nur das Recht sondern die Pflicht so zu handeln wie es augenblicklich tun.
Ich glaube Afghanen haben damit weit weniger ein Problem damit als wir. Es sind die Taliban die ansonsten mordend und plündernd in die Dörfer ziehen. Oder das Dorf zwingen Selbstmordattentäter aus ihren Reihen zu stellen. Ein Land in dem es völlig normal ist seiner rebellischen Ehefrau Nase und Ohren abzuschneiden um sie anschließend sterben zu lassen was, aus deren Sicht, leider mißlang. Jetzt noch wird gesteinigt oder Recht in einer anderen, für uns nicht zeitgemäßen, Form umzusetzen.
Das Alles ist völlig normal für Afghanen. Eines eint uns allerdings mit diesem und auch anderen Völkern, die finden uns genau so seltsam wie wir sie.
[…]für uns nicht zeitgemäßen, Form umgesetzt. […]
@BausC
Nein, das was ich beschreibe ist Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der Kriegsführenden. Und vorbeugend gleich vorneweg: Ich glaube nicht daran, dass sich Sicherheit in Afghanistan nur mit rein zivilen Mitteln herstellen läßt, und halte den ISAF-Einsatz daher für gerechtfertigt.
Aber gerade in Afghanistan sieht man dermaßen viel Schmuh, dass es einfach weh tut. Ein Luftschlag, der bewußt zivile Tote in Kauf nimmt ist verantwortungslos (und imho nicht durch das Kriegsrecht gedeckt, aber naja). Ein Dorf zu beschießen, ohne überhaupt irgendeine militärischen Sinn angeben zu können wie in Nangar Khel ist kriminell. Taliban-Gegner mittels Kinetic Targeting umzubringen weil man die Verhältnisse vor Ort nicht kennt ist fahrlässig – nicht auf verbündete Quellen zurückzugreifen die diese Informationen haben ist hirnlos (siehe Imam Sahib). Wenn Green Berets Kinder anschießen weil sie keine vernünftige Perimetersicherung beherrschen und – oh wunder – Fahrer keine schallgedämpften Warnschüsse hören ist das Inkompetenz (siehe mal wieder Tim Lynch: „Lara does the Special Forces“). Wenn international Truppen für Tote und Verletzte sorgen indem sie in den Verkehr feuern und mit Wasserflaschen werfen, dann ist das – tara – Inkompetenz.
Spätestens wenn europäische und amerikanische Expats mit Militär-Erfahrung die ISAF-Konvois als eine ihrer Hauptgefahrenquelle einstufen sollte man sich mal Gedanken machen. Etwa wenn Rainer Erös davon berichtet wie er von US-Kräften genötigt wurde in ein Minenfeld auszuweichen, oder Tim Lynch ausführt dass Konvoy-Schützen gar nicht die Möglichkeit haben Selbstmordattentäter rechtzeitig zu erkennen, und daher lediglich eine Gefährdung für Zivilisten sind.
Und das ist eben durchaus etwas, was ich den Afghanen ebenfalls zutraue: In den meisten Fällen zu erkennen ob die Soldaten aktiv werden um tatsächlich für ihre Sicherheit zu sorgen, oder eben um Eigenschutz und Dienst nach Vorschrift zu praktizieren.
Denn ganz im Ernst: Die Bundeswehr schützt kaum. Weder schützt sie Schulen, noch verhinderte sie dass die Taliban die Mobilfunk-Stationen zum nächtlichen abschalten zwangen. (Welche Auswirkungen das auf die gefühlte Sicherheit hat kann man sich ja vorstellen.) Die Bundeswehr ist nicht in den Polizeistationen und sie kann die afghanischen Amtsinhaber nicht schützen. Sie kann nicht gegen die Drogenmafia aktiv werden.
Die ISAF hat auch nichts für Bibi Aisha tun können, und sie kann nicht verhindern dass die in pakistanischen Koranschulen Flüchtlingskinder zur nächsten Welle an Taliban-Kämpfern indoktriniert werden.
Was fehlt ist der Wille, die Probleme in Afghanistan anzugehen, und dazu die notwendigen Werkzeuge bereitzustellen. Stattdessen blind an einem Werkzeug festzuhalten, und sich nur mit dessen Problemen zu beschäftigen, ist schlicht kontraproduktiv.
Und von Targeted Killings zu fabulieren wenn es für das Gebiet um Kundus nicht mal einen Zensus der Bevölkerung gibt zeigt und die Bundeswehr das Gros der Dörfer lediglich von der Durchreise kennt zeigt imho nur wie weit sich die „sicherheitspolitische Diskussion“ in Deutschland von der Realität vor Ort entfernt hat.
@SiPol
„ein Nachweis, dass das CIVCAS-Problem eine wesentliche Ursache des schwächer werdenden Rückhalts für ISAF und die afghanische Regierung ist, steht weiterhin aus. Wenn es so wäre, müssten die laut VN 75% Anteil der Aufständischen an zivilen Toten ja eine gigantische Welle des Protestes in der Bevölkerung hervorrufen, was aber nicht geschieht. “
Hier der Nachweis. Heutige Washington Post: : Afghans blame civilian deaths on U.S. despite spike from insurgent violence
Gerade die „schwarzen Hubschrauber“ mit ihren Nachtüberfällen, i.e. Kinetic Targeting“ sind bei den Afghanen der Knackpunkt. Da kann man schön viele Konspirationstheorie drumherumspinnen und die haben dann auch ihre Wirkung.
Zwischen durch ISAF getötete Zivilisten und der Zahl der Angriffe auf die ISAF scheint es einen statistischen Zusammenhang zu geben (grob: Je getötetem Zivilist etwa sechs zusätzliche Angriffe).
Über die entsprechende Studie des National Bureau of Economic Research berichtete etwa die BBC oder die Time.
@J.R.
Nun weiß ich ganz genau wie es nicht gehen soll. Wie soll es den konkret funktionieren? Wie soll der Soldat und die Verantwortlichen ihren Auftrag durchführen, damit er ihren Ansprüchen genügt? Gibt es im Krieg überhaupt unbeteiligte Zivilisten?
Ist es überhaupt möglich, quasi mit dem Laserskalpell, die Bösen von den Guten zu unterscheiden? Wie funktioniert der ideale Krieg?
@J.R.
Die Daten der Studie geben wenig her. Es gibt in den beobachteten Distrikten eine Korrelation, deren Ursachen aber unklar bleiben. Eine Erklärung für die Korrelation ist, dass die Einsätze z.B. in solchen Räumen stattfinden, in denen die Aufständischen stark sind und eigene Kräfte Operationen durchführen.
Man muss sehr vorsichtig bei der Interpretation solcher statistischer Daten sein.Ich las vor kurzem z.B. eine Interpretationen wie diese: „Die Zahl der Vorfälle stieg massiv an, nachdem ISAF die Präsenz verstärkt hatte, also war die Ausweitung der Präsenz destabilsierend“. Tatsächlich war es so In einem von Aufständischen kontrollierten Distrikt ohne ISAF-Präsenz gab es schlicht und einfach keine Ziele für die Aufständischen, während es in der „Clear“-Phase dann natürlich mehr Vorfälle gab. Die verstärkte ISAF-Präsenz war nicht Ursache zusätzlicher Probleme, sondern die Probleme waren zuvor einfach statistisch nicht sichtbar. Es kann also sehr problematisch sein, auf Grundlage einer Korrelation voreilig Schlußfolgerungen über Ursachenzusammenhänge zu ziehen.
@b
Diese Meldung unterstützt nur die These, dass Äußerungen von Unmut in der afghanischen Bevölkerung eben nicht in einem direkten Zusammenhang zu CIVCAS stehen, weil es sonst viel mehr Proteste gegen die Aufständischen geben müsste.
Ich habe es hier versucht zu erklären: http://weblog-sicherheitspolitik.info/2010/08/14/zivile-kollateralschaden-reduzierung-durch-isaf-ohne-wirkung-auf-wahrnehmung-der-afghanischen-bevolkerung/
Die FAZ hat Ulf Häußlers Beitrag nun frei zugänglich: http://www.faz.net/s/RubD5CB2DA481C04D05AA471FA88471AEF0/Doc~EBAC7A12580B041489DD1572DA4158037~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Danke, ich ändere das im Beitrag.