Neuer Traditionserlass: „Handwerkliches Können im Gefecht“ alleine reicht nicht
Das Verteidigungsministerium hat den Entwurf des neuen Traditionserlasses für die Bundeswehr fertiggestellt. Zu Beginn dieser Woche wurde er an die so genannten Beteiligungsgremien verschickt, die bei der Endfassung ein Wort mitzureden haben, aber bislang noch nicht veröffentlicht. Allerdings sind wesentliche Grundzüge des neuen Erlasses bekannt geworden – mehr dazu weiter unten.
Mit dem neuen Erlass, fertiggestellt nach einer Reihe von Workshops, folgt das Ministerium der von Ressortchefin Ursula von der Leyen im Sommer vorgegebenen Roadmap – auch wenn der Erlass (absehbar) nicht wie geplant in der vergangenen Legislaturperiode neu gefasst werden konnte. Auslöser für die Überarbeitung des seit 1982 unverändert geltenden bisherigen Traditionserlasses war vordergründig der Fall des Oberleutnants Franco A. und die folgende, nennen wir es Sichtung von Traditions-Gedenkstücken in den Bundeswehrkasernen. Tatsächlich hat sich natürlich seit 1982 in der Bundeswehr einiges verändert – und nicht zuletzt durch die Auslandseinsätze ist eine neue Realität hinzugekommen, die für eine eigene Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle spielt.
Der neue Erlass, so heißt es nach Informationen aus dem Ministerium in dem Entwurf, soll zwar die gesamte deutsche Militärgeschichte in den Blick nehmen – aber zu nicht traditionswürdigen Kapiteln, Ereignissen und Personen eine klare Trennung vorsehen. Besonders hervorgehoben werden die Wehrmacht und die Nationale Volksarmee der DDR, die beide als Institution nicht traditionswürdig für die die Bundeswehr sein könnten.
Interessant wird da natürlich die konkrete Formulierung. Der bisherige Erlass enthält den Begriff Wehrmacht gar nicht, aber dort heißt es: In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht. Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen. Die mögliche Ablage zu der damaligen Aussage wird ein wesentlicher Definitionspunkt für das neue Regelwerk werden.
Zusammen mit der Ablehnung der Streitkräfte aus Nationalsozialismus wie DDR als traditionsbildende Institutionen enthält der Erlass die Bindung des soldatischen Selbstverständnisses an die Werte des Grundgesetzes und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Allein auf rein handwerkliches Können im Gefecht dürften sich deshalb Traditionen nicht stützen. Das wird vor allem zahlreiche Beispiele aus den Feldzügen der Wehrmacht betreffen, die bislang aufgrund der gezeigten militärischen Tapferkeit als Vorbilder herangezogen werden.
Allerdings sollen, so heißt es aus dem Ministerium, auch künftig einzelne Angehörige der Wehrmacht und der NVA in das Traditionsgut der Bundeswehr aufgenommen werden können. Dabei müsse aber immer der Einzelfall betrachtet werden – und zudem seine eine Abwägung nötig, die die Frage persönlicher Schuld einschließt sowie eine Leistung, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regiome, besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr, die Auflehnung gegen die SED-Herrschaft oder besondere Verdienste um die Armee der Einheit. Das wird voraussichtlich eine Anforderung, die die Messlatte deutlich höher legt als bisher.
Diese Messlatte soll auch für die Namensgebung gelten – Kasernen- und Verbandsnamen werden den Anforderungen des neuen Erlasses entsprechen müssen. Damit ist absehbar, dass einige derzeit diskutierte Kasernennamen auch dann verschwinden müssen, wenn sich Kommunalpolitiker und die Soldaten am Standort dafür aussprechen.
Schwerpunkt für das Traditionsgut der Streitkräfte soll der reiche Fundus der Geschichte der Bundeswehr werden – sechs Jahrzehnte als künftiger zentraler Bezugspunkt.
Jetzt wird’s natürlich spannend, den Wortlaut des Entwurfes zu lesen – ich bemühe mich darum, den in die Finger zu bekommen. Bis dahin zum Nachlesen und später zum Vergleich der Traditionserlass von 1982 im Wortlaut (von der Bundeswehr im Mai 2017 veröffentlichte Fassung): 20170517_Traditionserlass_1982_Wortlaut
(Foto: Blick in einen Traditionsraum beim Jägerbataillon 292 in Illkirch im Mai 2017 – der Besuch der Ministerin dort im Zusammenhang mit dem Fall Franco A. hatte die Debatte über den Traditionserlass ins Rollen gebracht)
„Bis nahezu 2002 wurden homosexuelle Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr mit Karrierenachteilen belegt bis hin zum Entfernen aus dem Dienstverhältnis.“
Ist die Bundeswehr vor 2002 denn dann überhaupt traditionsfähig? Der Erlass sagt ja:
„Ausgeschlossen aus der Tradition der Bundeswehr sind insbesondere Personen, Truppenverbände und militärische Institutionen, die nach heutigem Verständnis eindeutig verbrecherisch, rassistisch oder menschenverachtend gehandelt haben.“
Oder war das nicht menschenverachtend?
@Nachdenklich
1. Wer hindert wen einem 17 jährigen Kanonenfutter zu gedenken und ihn zu ehren.
2. Wird nicht in bestimmten Kreisen gerade jenen gehuldigt, welche diese armen Menschen in die Schlacht geführt hatten?
3. Wo ist die Tradition der Freiheit?
4. Warum immer dieser Zwang aus Organisationen und Personen Tradition abzuleiten?
5. Sollten nicht besser Werte, Verhaltensweisen (Bräuche) und Erfahrungen tradiert werden.
6. Das Bekenntnis zur Geschichte bedeutet nicht, dass man deren Inhalt als Tradition betrachtet.
7. Wir müssen die Schicksale der Menschen in Kriegen erzählen und da gehören zwingend die Opfer in Uniform an (gerade der 17jährige).
8. Dass wir diese in PolBil betrachten (ob homosexuell, jüdisch oder was auch immer) hat Tradition in der Bw.
9. Ich glaube, dass viele ein Problem um das Verständnis von Tradition haben und auch das ist schon Tradition ;-)
TobyR | 23. November 2017 – 10:59
Sehe ich genauso. Überspitze es noch zusätzlich:
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Jahr 2154.
Die Bundeswehr der Jahre 2017/2018, ist aus heutiger Sicht nicht traditionswürdig.
——
Die Selbstüberschätzung und Überheblichkeit der Gegenwart hinsichtlich des Blickes in die Vergangenheit, wird zukünftig sicherlich relativiert.
Ja, jede Gesellschaft muss in ihrer Zeit entscheiden was sie aus der Vergangenheit für übernahmefähig hält. Das ist Tradition seit es Menschen mit Kultur gibt.
Man kann die Geschichte respektieren, muss sie aber nicht umfänglich tradieren.
Man darf seine Eltern schätzen ohne dass man es ihnen nach macht.
@ Elahan | 23. November 2017 – 14:
Die Gedanken sind bekanntlich frei……Aber im neuen Traditionserlass soll der Denk- und Gefuehlsinhalt verordnet werden zu einer neuen Tradition. Beim Hund wuerde ich das als Konditionierung bezeichnen.
Da ja gem Wortlauf alle Tatsachen, bis auf den aktiven Widerstand 1933 bis 1945 nicht traditionswuerdig (nach dem Erlass) sein sollen, bis 1918 ‚feudal‘ und ‚Staat im Staate‘ bis 1933, sollte man/frau konsequenter Weise (ich spreche jetzt nur ueber die Marine) die ‚alten‘ Uniformen der Mannschaften (kopiert aus und von den imperialistischen Zeiten der Briten) und die Offizieruniformen abschaffen, denn auch die sind maritime Tradition seit ca 1880.
Statt dessen sollte, auch in der Oeffentlichkeit, der schlichte AGA oder der Blaumann (Monteuranzug) getragen werden. das waere doch Traditions-Verordnungskonform und politisch korrekt. Es gibt sicherlich noch viele weitere Moeglichkeiten der Praezisierung ung Konditionierung auf das jahr 2017, dafuer gibt es ja auch die oben bezeichnete Stelle im BMVg.
(Wie wird das mit den Biesen der Herren und Damen iG?)
@ Elahan | 23. November 2017 – 18:00
„Ja, jede Gesellschaft muss in ihrer Zeit entscheiden was sie aus der Vergangenheit für übernahmefähig hält. “
Es ist, bezeichneder Weise, ja nicht ‚die Gesellschaft‘ sondern ein exclusiver Kreis, welcher der Gesellschaft gegenueber, nach seinem Empfinden und seiner Beurteilung, die Tradition vorschreiben will.
@MikeMolto
„Es ist, bezeichneder Weise, ja nicht ‚die Gesellschaft‘ sondern ein exclusiver Kreis, welcher der Gesellschaft gegenueber, nach seinem Empfinden und seiner Beurteilung, die Tradition vorschreiben will.“
Das ist so nicht richtig, denn gerade dieser Erlass schreibt keinen Tradition vor, sondern nur den Rahmen. Dass dies durch die Verantwortlichen im Rahmen der FDGO geschieht ist selbstverständlich und auch diese unterliegen dem Zeitgeist.
Auch die Tradition der Zimmerleute unterliegt dem Zeitgeist und gesellschaftlichen Wandel und doch bestimmt sie nicht DIE Gesellschaft.
Einer muss den Rahmen setzen und bei der Bw ist es das BMVg als legitimiertes Ministerium und Bestandteil der Regierung…….und das ist gut so.
@Elahan | 23. November 2017 – 21:40
„Dass dies durch die Verantwortlichen im Rahmen der FDGO geschieht ist selbstverständlich und auch diese unterliegen dem Zeitgeist.“
Ja, aber die FDGO unterliegt nun einmal nicht dem Zeitgeist (bzw. sollte es nicht tun), sondern genau und ausschließlich die wesentlichen und im Kern für JEDEN Teilnehmer an der Willensbildung in unserer Gesellschaft verbindlichen Grundsätze.
Und da muss man nun einmal auch Dinge zulassen, die der aktuellen IBuK („geliehenen“ Amt) nicht gefallen, wenn es gesamtgesellschaftlich „akzeptabel“ ist.
Damit meine ich nicht, das der IBuK nicht dennoch darüber hinausgehende, VERBINDLICHE Befehle erteilen darf.
Aber man kann das dann hat nicht mit FDGO rechtfertigen, sondern nur mit „ich will das so und ich habe (derzeit) die Macht“.
@Koffer
„Ja, aber die FDGO unterliegt nun einmal nicht dem Zeitgeist (bzw. sollte es nicht tun), “
Stimmt, aber die Verantwortlichen.
„…sondern genau und ausschließlich die wesentlichen und im Kern für JEDEN Teilnehmer an der Willensbildung in unserer Gesellschaft verbindlichen Grundsätze.“
….und genau dazu lässt der Erlass für die verantwortlichen Vorgesetzten den entsprechenden Spielraum.
@Elahan | 24. November 2017 – 16:04
„Stimmt, aber die Verantwortlichen.“
Und ist das gut wenn es um Traditionspflege geht? Ich denke nicht. Angesichts der Angst die derzeit unter Soldaten umgeht, wenn es um Tradition geht, dann wäre weniger Zeitgeist und mehr Gelassenheit und gleichzeitig mehr Prinzipientreue glaube ich von Vorteil.
„….und genau dazu lässt der Erlass für die verantwortlichen Vorgesetzten den entsprechenden Spielraum.“
Reden wir vom gleichen Erlass? Ich sehe nur ein bürokratisches und Angst schürendes und Zeitgeist getriebenes Papierungetüm..
@ Elahan | 24. November 2017 – 16:04
….und genau dazu lässt der Erlass für die verantwortlichen Vorgesetzten den entsprechenden Spielraum.“
Eben nicht, dadurch, dass in der praeambelatorischen Bewertung alles was vor 1955 (bis auf aktiven Widerstand 33-45) als traditionsstiftend/begruendend ausgeschlossen wird.
(Auch bei den Zimmerleuten entscheiden diese ueber die Tradition und nicht ‚die Gesellschaft).
Ich gehe konform mit Hr Koffer, dass der/die IBUK das darf. Nur die Begruendung ist feige. Sie muesste heissen: Ich will/sehe das so, nicht: Die FDGO gebietet das .
(Hat etwas mit (zivil) Courage zu tun. Aber diese von heutigen Politikern zu verlangen ist vielleicht naiv.)
Salve,
@MikeMolto 1+
die Bundeswehr ist jetzt zur Parlamentsarmee ala Oliver Cromwell verkommen. Das Volk hat, da es ja quasi dort auch nicht mehr dient, keine wirkliche Mitsprache. Da das Parlament offenbar immer zersplitterter wird, haz es ebenfalls keinen Einfluß mehr. Und da dann die Umwandlung eines Volksheeres zu einem „Staat im Staate“ befürchtet wird, hat man den Traditionserlaß verbrochen.
Wie der sich auswirken könnte, würde Bände füllen, wie er sich auswirken wird, kann man dann in der Zukunft selbst erleben. Am Wahrscheinlichsten ist, daß gar nichts passiert.
@MikeMolto
Zum Glück gibt es Aisnahmen
http://semper-talis-bund.de/semper-talis-bund/wachbtl-bmvg.php
@ Elahan | 24. November 2017 – 20:35
Chapeau! & danke!
Wahrscheinlich weiss das die IBUK vdL aber garnicht, sonst wuerde in dem Laden sofort aufgeraeumt!
Das geht doch garnicht: Dem Hause Hohenzollern verbunden, wenn es wenigstens die Welfen waeren!?
http://www.deutschlandfunk.de/traditionserlass-bartels-fuer-klare-abgrenzung-zur-wehrmacht.1939.de.html?drn:news_id=820298
Der Entwurf ist noch nicht in Stein gemeißelt. Ob es traditionalistische Änderungswünsche noch in den Entwurf schaffen bleibt fraglich.
Die Frage und das Problem mal so:
Wie erklaeren sie jemand dessen (Gross)eltern etc. Opfer der Verbrechen der Wehrmacht, der von ihnen ermoeglichten Verbrechen des NS Regimes wurde warum die Wehrmacht bzw. bestimmte Soldaten der Wehrmacht Vorbild sein soll oder kann?
Wiefern diese Person(en) die Welt besser machten?
https://www.youtube.com/watch?v=RqSzBOv_OGg
@JPG | 27. November 2017 – 11:54
„Der Entwurf ist noch nicht in Stein gemeißelt. Ob es traditionalistische Änderungswünsche noch in den Entwurf schaffen bleibt fraglich.“
„traditionalistische Änderungswünsche“
Hihi, nette Formulierung für „ausgeglichenere und größere Teile der Streitkräfte und der Bevölkerung berücksichtigende Formulierungen und Vorgaben“ ;)
@ThoDan | 28. November 2017 – 19:03
„Wie erklaeren sie jemand dessen (Gross)eltern etc. Opfer der Verbrechen der Wehrmacht, der von ihnen ermoeglichten Verbrechen des NS Regimes wurde warum die Wehrmacht bzw. bestimmte Soldaten der Wehrmacht Vorbild sein soll oder kann?“
1. Nach meiner Kenntnis gibt es keine (ernstzunehmenden) Stimmen (mehr) die die Wehrmacht als ganzes für traditionswürdig halten.
2. Warum sollten einzelne DEU Soldaten aus den 12 dunklen Jahren nicht traditionswürdig sein? Wer vorbildhaft (auch in dunkler Zeit) diente, der kann doch auch noch 70 Jahre später vorbildhaft sein…
Nach meiner persönlichen Bewertung, würde sowohl der Diskussion hier im Faden, als auch der durch die IBuK angestrebten Veränderungswelle ein bißchen weniger entrüstete Verallgemeinerung und bißchen mehr sachliche und faktenbasierte Einzelfallbetrachtung dienlich sein.
Und vielleicht ein bißchen mehr Toleranz ggü. konservativen Werten und ein bißchen mehr Akzeptanz einer pluralistischen Gesellschaft und ein bißchen mehr und echte Anerkennung der durch die Inneren Führung und das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform gewährten Freiheiten!
@Koffer
Zu 2.) dann kann dies vor oben genannten Personen auch vertreten werden.
Im übrigen wüsste ich nicht, warum man konservativen Werten gegenüber toleranter sein sollte als progressiven?
@ThoDan | 29. November 2017 – 0:01
„Zu 2.) dann kann dies vor oben genannten Personen auch vertreten werden.“
Das könnte es natürlich, ich sehe da überhaupt kein Problem. Allerdings sehe ich auch nicht, warum sie notwendig sein sollte und zudem warum es inhaltlich eine Rolle spielen sollte. Aber wie gesagt, natürlich könnte man das ggü. jedermann vertreten!
„Im übrigen wüsste ich nicht, warum man konservativen Werten gegenüber toleranter sein sollte als progressiven?“
Ich wüsste es auch nicht. Aber ich habe DAS ja auch gar nicht gefordert!
Vielmehr ist es doch das Problem, das der Erlass (und vor allem die Gesteshaltung, die dahinter steht) ein bestimmtes Welt- und Soldatenbild als Basis anlegt und vollkommen intolerant gegen allen anderen Ansätzen vorgeht und versucht die eigenen Vorstellungen allen zwangsweise über zu stülpen :(