Sicherheitspolitik und die Kommunikation im Web 2.0

Mit der sicherheitspolitischen Kommunikation im so genannten Web 2.0, dem dialog-basierten Internet mit den sozialen Netzwerken, tun sich gerade die Deutschen ein bisschen schwer – das ist jedenfalls mein ganz subjektiver Eindruck. Um so löblicher, dass sich die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) mit dem Initativkreis Zukunft der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und den Young Leaders des Förderkreises Deutsches Heer zusammengetan hat, um mal dieses Thema zu beleuchten.

Die ganze Veranstaltung am heutigen Abend mag ich nicht widergeben, das wäre bei so einem Abend mit viel Diskussion auch nicht so recht möglich. Deshalb beschränke ich mich auf drei Hinweise und eine Dokumentation:

Den Vortrag von Stefanie Babst, als Deputy Assistant Secretary General für die Public Diplomacy Division im NATO-Hauptquartier zuständig, hänge ich mit ihrer freundlichen Genehmigung unten an – sie hat ihn im Wesentlichen so gehalten.

Die Position des zweiten Redners, Bendler-Blogger Sascha Stoltenow, findet man am besten, genau, in seinem Bendler-Blog.

Und: Es ist bedauerlich, dass das Bundesministerium der Verteidigung an dieser Diskussion offensichtlich nicht teilnehmen wollte und nach Veranstalterangaben abgesagt hat…

Allerdings ist mir aus der Diskussion auch klar geworden: Die so genannte sicherheitspolitische Community in Deutschland fremdelt doch arg mit diesem Web 2.0. Die Angst vor Kontrollverlust, die Furcht, die Debatte nicht bestimmen zu können, hat daran offensichtlich einen großen Anteil. Aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil die Unkenntnis dessen, was diese sozialen Netzwerke im Internet eigentlich ausmacht und treibt. Vielleicht, das ebenfalls eine sehr persönliche Ansicht, ist das auch eine Generationenfrage.

Der Vortrag von Stefanie Babst:

„Sicherheitspolitik 2.0. – welchen Einfluss haben Facebook & co darauf?“

Meine Antwort darauf ist, kurz gesagt: einen wachsenden. Nun behaupten die zahlreichen Skeptiker sozialer Medien ja gerne, dass die Vernetzung und Kommunikation durch soziale online Foren lediglich oberflächlich bleibt und kaum nachhaltige Wirkungen auf politische Prozesse hat. Diese Behauptung lässt sich jedoch relativ leicht widerlegen.

Da ist zunächst die rein qualitative Dimension. Schätzungsweise sind heute zwei Milliarden Menschen online aktiv – das ist fast ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung. Facebook kann mit Stolz auf gegenwärtig 750 Millionen registrierte Nutzer verweisen, nachwievor mit steigender Tendenz. Menschen rund um den Erdball nutzen es in 70 Sprachen. In jedem Monat werden 700 Milliarden Minuten allein in und mit Facebook verbracht.

Die mikro-blogging Plattform Twitter vermeldet 200 Millionen Nutzer und gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Produzenten globaler Nachrichten. Wer einer der letzten öffentlichen Auftritte von Oberst Gadaffi in Tripolis anschauen will, geht zu YouTube und findet in sekundenschnelle die jüngsten 20 Aufnahmen. Es gibt kaum einen schnelleren und effektiveren Weg, um aktuelle Entwicklungen zu verfolgen.

Obwohl niemand genau weiss, wie viele websites and blogs es in der Cyber-Welt überhaupt gibt, kann man das Internet zu Recht als globalen Marktplatz im 21. Jahrhundert bezeichnen: einen Ort, wo Ideen und Familienphotos ausgetauscht werden, wo sich Menschen nach Jobs und gebrauchter Kleidung umsehen, wo Nachrichten im Sekundentakt weitergegeben werden und neueste Entwicklungen, auch und gerade im politischen Raum, Millionen Menschen erreichen können, ungeachtet nahezu jeglicher geographischer Grenzen

An etlichen Schauplätzen dieser Welt haben Facebook & co mittlerweile bewiesen, dass sie erheblichen internationalen medialen Druck erzeugen können, der wiederum internationales und nationales Handeln motivieren kann; dass sie blitzschnell eine beträchtliche Anzahl von Menschen mobilisieren können; sie die Bildung von grassroot-Aktivitäten und gesellschaftspolitischen Interessengruppen beförden und ganz allgemein eine Plattform für den Dialog von Menschen bilden, die sonst nicht miteinander kommunizieren würde.

Der vielfältige Einfluss von Facebook, Twitter and YouTube lässt sich an etlichen Beispielen festmachen, von denen ich nur einige wenige aufzählen möchte.

Da wäre zum einen der Wahlkampf Barak Obamas 2008, in dem vor allem Facebook und YouTube zum ersten Mal als Wahlkampfinstrument erfolgreich eingesetzt wurden. Seitdem ist diese Taktik von vielen Wahlkämpfern kopiert worden – mehr oder weniger erfolgreich.

Aussenpolitisch bieten sich die Proteste im Iran 2009 als anschauliches Beispiel an. Ohne die 250.000 tweets pro Tag würde die Welt wohl wenig von den Demonstrationen und ihrer brutalen Niederknüppelung erfahren haben; und ohne Facebook wäre es für die iranischen Studenten sehr viel schwieirger gewesen, ihren Widerstand zu organisieren.

Der sogenannte „Arabische Frühling“ hat die Bedeutung von Facebook & co noch deutlicher gemacht. Am 28. Januar 2011 hatte die Facebook-Seite „We are all Khaled Said“ 43.000 Nutzer. Drei Wochen später hatte sie 1.5 Millionen ‚likes’. Nachweislich hat diese Seite, zusammen mit anderen, massgeblich zur Mobilisierung der Protestierenden am Tahir Platz und anderswo in Ägypten beigetragen. Allein in den Golfstaaten ist die Anzahl der Facebook-Nutzer im letzten Jahr auf 21 Millionen angestiegen, bei denen es sich überwiegend um gut gebildete, oftmals englischsprachige Nachwuchseliten handelt.

Bekannte twitteratis wie @Sandmonkey, der arbeitslose Sohn eines einflussreichen ägyptischen Parlamentariers, oder @zeinobia, eine weibliche Bloggerin, haben zig-tausend followers und sind Beispiele für eine lebhafte politische online-Debatte in Nordafrika und der arabischen Welt. In Bahrain bilden Menschenrechtsaktivisten, Angehörige der königlichen Familie, unter denen sich eine „@certified princess“ befindet, zusammen mit dem Regimetreuen eine eigene, sehr spezielle Twittergemeinde, in den der Konflikt über die Säkularisierung des Landes offen ausgetragen wird. In Libyen sind es Gruppen wie @feb17libya, die ihre twitter-news im Minutentakt in die Welt schicken. Und in der U.S. Administration gibt es wohl kaum jemanden, der nicht die Andy Carvins tweets von über die Entwicklungen im Nahen Osten verfolgt.

Diese Liste liesse sich mühelos verlängern. Selbst in dieser Kurzversion macht sie jedoch bereits deutlich, dass sich Menschen über soziale Netzwerke nicht nur zusammenschliessen, um Urlaubsphotos auszutauschen.

Generell ist die Wirkung sozialer Netzwerke auf das Ökosystem Nachrichten sehr vielfältig. Längst nicht mehr wird nur in den Redaktionsräumen darüber entschieden, was nachrichtenwürdig ist, sondern zunehmend von individuellen Bügern und Gruppen, was wiederum erhebliche Folgen für die traditionelle Massenmedien und das gesamte journalistische Gewerbe hat.

Internationale Fernsehsender wie BBC oder CNN sind vermehrt dazu übergegangen, Amateurvideos und –photos über YouTube und Flickr für ihre aktuelle Berichterstattung zu nutzen und diese über soziale Netzwerke zu verbreiten.

Auch die Anzahl von nicht-professionellen, quasi privaten Berichterstattern ist gewaltig angestiegen. Nicht-professionelle Journalisten und Reporter sind zunehmend zu direkten Quellen der Berichterstattung geworden. Ihre Berichte, Videos und Bilder über den Tsunami in Japan oder die Proteste in Syrien sind direkt oder indirekt in den news cycle eingeflossen.

CNN hat mittlerweile 750.000 I-reporter, die ihre Reports aus aller Welt posten. Al-Jazeera hat diesen Weg ebenfalls beschritten und eine Vielzahl von I-Reportern, auch genannt field correspondents, angeheuert, um über die Entwicklungen in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien zu berichten.

Das US online-Blatt Huffington Post stellt seine Nachrichten, Interviews und Hintergrundberichte grundsätzlich mit Hilfe einer Mischung von professionalen und nicht-professionellen Journalisten zusammen.

Und was macht die NATO?

Das Bündnis hat in den vergangenen Jahren etliche radikale Schritte zugunsten digitaler Medien und sozialer Netzwerke unternommen. Ich bin froh, dass ich diese Entwicklung massgeblich initieren und mitgestalten konnte.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ist bekenndender social media activitist. Seit Beginn seiner Amtszeit und trotz des spöttischen Lächelns mancher Botschafter beschäftigt er ein kleines Team, das seine Facebook und Twitter-Seiten aktiv und interaktiv füllt, u.a. mit politischen Botschaften, videos, aber auch persönlichen Informationen. Er hat etwas mehr als 69.000 followers auf Facebook und 30.000 auf Twitter. Seine regelmässigen Videobotschaften, insbesonders von Reisen, werden sehr gut angenommen.

Rasmussens digitale Aktivitäten sind wiederum mit der der NATO als Organisation verknüpft, sodass Pressemeldungen, offizielle Reden und stories von NATO TV gleichzeitig über traditionelle und digitale Medienträger verteilt werden. Die Facebook-Seite der NATO hat allein in den vergangenen 12 Monaten einen Zuwachs von 104 Prozent verzeichnet und hat mehr als 42.000 followers. Verglichen mit der von Barack Obama (22.6 Millionen) ist das natürlich nicht viel, aber mittlerweile erreichen wir über Facebook, Twitter und YouTube weitaus mehr Menschen als jemals zuvor.

Darüber hinaus haben wir weitere Initiativen gestartet. Dazu gehören regelmässige Einladungen für blogger in das NATO-Hauptquartier, die systematische Plazierung von Op Eds (Meinungsartikel) und Interviews in internationalen online Foren wie Huffington Post, Global Voice oder politico und die gezielte finanzielle Unterstützung für transatlantischen online communities (z.B. www.atlantic-community.org), die inbesondere Studenten, Journalisten und Wissenschaftler ansprechen, zu bestimmten NATO-Themen (Afghanistan oder die VN Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“) Beiträge zu posten und darüber zu diskutieren. Der jüngste Neuzugang in unserem digitalen Werkzeugkasten ist die arabische Version von Videos auf YouTube.

Wichtige offizielle NATO-Veranstaltungen und Konferenzen sollen in Zukunft noch stärker mit Hilfe sozialer Medien vorbereitet, begleitet und nachbereitet werden. Auch das neue Strategische Konzept der Allianz wurde mit Hilfe sozialer Medien diskutiert. Bevor die Verbündeten es auf ihrem Lissabonner Gipfel im November letzten Jahres verabschiedeten, haben wir eine Reihe von online Diskussionen organisiert, zum Teil auch live. Mit Blick auf den nächsten NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 ist bereits klar, dass wir ähnliches erneut anbieten werden.

Mit der Frage, wer darf ausser dem Generalsekretär in Facebook und Twitter posten, hat sich die NATO-Führung etwas schwerer getan. Immerhin liess sie sich das Zugeständnis abringen, dass drei vertrauenswürdige und langjährige Mitarbeiter des Internationalen Stabes aktiv auf Facebook posten dürfen – ohne jedes Mal um formale Authorisierung zu bitten.

Auch in den Partnerstaaten versucht das Bündnis, den digitalen Meinungsaustausch zu befördern. In Afghanistan hat sie zusammen mit der U.S. Mission bereits einige Millionen Euro für die Ausstattung von Universitäten mit Internettechnologie ausgegeben. Ingesamt sind 8 Universitäten in 7 Provinzen damit augestattet worden, inklusive Ausbildungsprogramme. Das Projekt soll im nächsten Jahr auf weitere Univeritäten ausgeweitet werden.

Für laufende NATO-Operationen spielen Twitter & co ebenfalls zunehmend eine Rolle. Zu einem werden sie, wenn auch in sehr geringem Umfang, im Rahmen der allgemeinen militärischen Nachrichtengewinnung ausgewertet. Für konkrete militärische Zielerfassungen, so wie jüngst in den Medien behauptet, können sie natürlich nicht als Quelle verwendet werden.
Wie verhalten sich die Regierungen dazu?

Was machen die Regierungen?

Die U.S. Aussenministerin Hilary Clinton hat die Bedeutung digitaler Medien mit der Atomenergie verglichen: im positiven Sinne könne mit atomarer Energie eine ganze Stadt mit Energie versorgt werden; im negativen Sinne könne sie atomar zerstört werden. Die Rede Clintons zur „21st Century Statecraft Policy“ (2010) ist in vielerlei Hinsicht richtungsweisend. Sie argumentiert, dass die Freiheit, sich im Internet zu versammeln, auszutauschen und sich frei zu äussern, als universelles Grundrecht verstanden und notfalls auch verteidigt werden muss.

Alec Ross, Clintons Berater für Innovation und Kommunikationstechnologien, und Jared Cohen, ehemaliger Mitarbeiter in ihrem Plannungsstab, haben an der Formulierung des „21st century statecraft“ Politik einen erheblichen Anteil. Cohen ist mitterweile zu Google gewechselt und leitet dort den neuen Bereich von Google Ideas.

Nach Ross’ Angaben hat das State Department allein im letzten Jahr 28 Millionen Dollar für digitale Technik und Programme ausgegeben. Mehrheitlich flossen diese Summen in die Verbesserung der amerikanischen digitalen Öffentlichkeitsarbeit und Ausrüstung von politischen Oppositionsgruppen, NGOs und Universitäten im Nahen Osten, Südamerika, Afghanistan und anderswo.

Im Gegensatz zu den Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes hat Frau Clinton alle ihre Botschafter und höheren Mitarbeiter im State Department formell angewiesen, soziale Netzwerke pro-aktiv zu nutzen, sich im Rahmen bestimmer Grundregeln zu vernetzen und systematisch amerikanische Politikinhalte zu verbreiten. Gleiches gilt für die amerikanischen Streitkräfte, für die bereits vor 2 Jahren eine Reihe verbindlicher „social media guidelines“ verabschiedet wurden. Diese sind übrigens nicht geheim, sondern wurden bezeichnender Weise auf Facebook gepostet.

Natürlich haben nicht alle NATO-Mitglieder eine so ausgefeilte und finanziell untermauerte digitale Kommunikationsstrategie wie die Vereinigten Staaten. Aber mehr und mehr Regierungen unternehmen zumindestens erste vorsichtige Schritte in dieser Richtung. Wollte man beispielsweise in Deutschland das weit verbreitete und langjährige Klagelied über eine zu begrenzte Diskussion innerhalb einer überalterten sicherheitspolitischec community beenden, könnten Facebook und Co sicherlich dabei behilflich sein. Immerhin ist auch hier die Anzahl der Nutzer auf 8.5 Millionen gestiegen, von Twitter immerhin 1.6 Millionen.

Um eine jüngere und breitere Öffenlichkeit in Deutschland und anderswo für aussen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Themen zu interessieren, sollte man dort ansetzen, wo diese Menschen tatsächlich Zeit verbinden und offen für neue Informationen und Diskussionen sind – beispielsweise auf Facebook.