Jetzt doch: Deutschland beteiligt sich an Vernichtung syrischer Chemiewaffen
Da hatte es im vergangenen Jahr doch eine gewisse Verwirrung gegeben: Der außenpolitische Berater der Bundesregierung, Christoph Heusgen, hatte im November eine deutsche Beteiligung an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen ins Gespräch gebracht. Das war einen Tag später von Regierungssprecher Steffen Seibert mehr oder weniger konkret dementiert worden. Am (heutigen) Donnerstag nun die gemeinsame Mitteilung von Außen- und Verteidigungsministerium, die sowohl Heusgens Äußerungen bestätigt als auch den damaligen Aussagen des Regierungssprechers nicht widerspricht: Es sollen doch Stoffe in Deutschland vernichtet werden. Aber nicht die gefährlichen Chemiewaffen oder ihre Komponenten selbst, sondern Reststoffe … die Industrieabfällen ähneln. Dennoch gehen diese Reststoffe natürlich nicht in eine industrielle Verbrennungsanlage, sondern zur Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (GEKA) in Munster.
Die Mitteilung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Wortlaut:
Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) entschieden, dass Deutschland einen substantiellen Beitrag zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zu leisten bereit ist.
Die Bundesregierung ist willens und in der Lage, Reststoffe, die im Zuge der irreversiblen Neutralisierung chemischer Kampfstoffe aus Syrien entstehen und Industrieabfällen ähneln, in Deutschland zu vernichten.
Außenminister Steinmeier erklärte heute (09.01.):
„Die Vernichtung der Chemiewaffen könnte der erste, entscheidende Schritt sein, mit dem eine Entschärfung des Syrien-Konflikts möglich wird. Nachdem, entgegen den Erwartungen von ganz Vielen, die syrischen Chemiewaffen schnell identifiziert, gesichert und geräumt werden können, steht die Staatengemeinschaft in der Pflicht, für ihre Beseitigung zu sorgen.
Dem darf sich niemand verweigern, der seine internationale Verantwortung ernst nimmt. Das gilt auch für unser Land, weil wir über ausgereifte technische Fähigkeiten zur Vernichtung von chemischen Stoffen verfügen. Die Einhaltung von Absprachen ist deshalb besonders wichtig, weil wir vor der nächsten Stufe schwieriger Verhandlungen stehen, für die die Verlässlichkeit von Zusagen der Staatengemeinschaft nicht in Frage stehen darf.“
Verteidigungsministern von der Leyen erklärte heute (09.01.):
„Den Friedensprozess in Syrien voranzubringen, ist ein internationaler Kraftakt, für den sich bereits viele Nationen in die Pflicht nehmen lassen. Deutschland hat eine sichere Technologie und lange Erfahrung mit der Vernichtung von Reststoffen chemischer Kampfmittel. Es ist sinnvoll, dass wir diese Fähigkeit in der internationalen Gemeinschaft einbringen und damit einen wertvollen Beitrag für den Friedensprozess leisten können.“
Die praktische Umsetzung wird die bundeseigene Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (GEKA) im niedersächsischen Munster übernehmen. Die GEKA arbeitet im Auftrag des Bundes. Alleingesellschafter ist das Bundesministerium der Verteidigung. Dort werden die Substanzen, sogenanntes Hydrolysat, in einem bewährten Verfahren unter Einhaltung aller Umweltauflagen verbrannt.
Damit setzt die Bundesregierung ihre tatkräftige Unterstützung für die Arbeit der OVCW fort: Deutschland hat bislang bereits 5 Millionen Euro für den OVCW-Treuhandsfonds für die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zur Verfügung gestellt, OVCW-Inspekteure fortgebildet und für Inspektionen nach Syrien geflogen.
(Übrigens: An einer öffentlichen Beobachtung der Bemühungen zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen besteht offensichtlich kein Interesse – mehr. Anfang der Woche wurden Journalisten, die die Vernichtung auf See beobachten wollten und eigentlich durften, kurzfristig von Bord entfernt, zum Beispiel eine BBC-Kollegin.)
„[D]er erste, entscheidende Schritt […], mit dem eine Entschärfung des Syrien-Konflikts möglich wird.“
Das glaubt doch der Herr Außenminister selbst nicht. Der Einsatz konventioneller Waffen und Kampfmittel wird hiervon auch nicht signifikant beeinträchtigt. Hierzu wären ganz andere Lösungsansätze notwendig.
Und wer wird das bezahlen? Der in der Erklärung erwähnte „OVCW-Treuhandsfonds“, in den die Bundesregierung 5 Millionen eingezahlt hat?
Wie ward as noch als die erste Nachricht ueber die vermeintliche Uneineinigkeit im Regierungsapparat produziert wurde.
Das sei „undenkbar“.
Ist diese Entscheidung nun ohne zu denken gefallen?
Gibts hier eigentlich auch Chemiker? Was bitte ist denn „Hydrolysat“?
@ADLAS-Doe
Die Hydrolyse ist die Spaltung einer (bio)chemischen Verbindung durch Reaktion mit Wasser. http://de.wikipedia.org/wiki/Hydrolyse
Vielleicht hilft es ja.
Man muß kein Anhänger der Grünen sein, um zu erkennen, daß diese doch so manches bewegen. Vgl. http://frithjof-schmidt.de/detail/nachricht/informationsbesuch-bei-der-geka.html
Zum Thema Hydrolysation von Kampfstoffen: Die H. ist ein chemisch-physikalisches Verfahren welches z.B. Kampfstoffe wie Senfgas molekular aufspaltet. Die nach wie vor enthaltenen Stoffe der Nervengifte wie z.B. Sarin – wenn auch „neutralisiert“ – müssen damit in einer 2ten Verfahrensstufe vernichtet bzw. verbrannt werden. Damit geht es bei den „Syrien-Beständen“ um ca. 1.000+ to Kampfstoffe und um ca 8 Mio. Liter giftiger Abwässer. (man google mal unter „DW.de – Das unspektakuläre Ende der Giftgase).
@Christian: Soweit bin ich auch gekommen. Mich interessierte mehr, was das in diesem konkreten Zusammenhang bedeutet. D.h. von welchem Stoff wir hier konkret reden (hab das vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt). Hab mir das eben mal von nem Chemiker für den Fall von Sarin erklären lassen.
Danke trotzdem.
Das Hydrolysat sind die Abwässer die bei der wässrigen Zersetzung der Kampfstoffe entstehen. Insgesamt rechnet die OPCW mit einer Gesamtmenge von ca. 6 Mio Litern, davon entfallen 0.3 Mio Liter auf das Hydrolysat von Senfgas (HD) und 4.5 Mio Liter auf das Hydrolysat von Sarin (DF). Nachzulesen ist das ganze hier:
http://www.opcw.org/index.php?eID=dam_frontend_push&docID=16977
In einem Interview eines ehemaligen OPCW Angehörigen wurde zumindest behauptet, dass die GEKA nicht für die Vernichtung von Nervenkampfstoffen geeignet ist, somit würden die Sarin Hydrolysate nicht nach Deutschland kommen wenn dies nicht nur für die Reinsubstanzen gilt. Ob dies stimmt oder nicht vermag ich nicht zu beurteilen.
Die jeweiligen Hydrolysate solltenlaut OPCW nur eine sehr geringe Resttoxizität aufweisen die nicht höher als bei normalen Chemieabwässern ist. Wer es genauer wissen will kann sich die entsprechenden Daten hier ansehen.
http://www.opcw.org/about-opcw/information-for-vendors/tenders/
@Saibot: Das gibt es sicherlich zusätzlich zum Treuhandsfonds.
@Chemiker: Danke für die Erklärung. Nun ergeben sich für mich noch zwei Fragen: 1) Was passiert mit dem EMPTA Effluent (ist das überhaupt als Hydrolysat noch gefährlich?). Und 2) Wie sinnig ist eine Vernichtung von Stoffen mit ’sehr geringer Resttoxizität‘ in GEKA-Anlagen? Also ist das eher ein politisches Entgegenkommen durch Deutschland oder helfen wir tatsächlich mit Spezialfähigkeiten aus (so klingt es für mich nämlich nicht).
Und mal ganz abgesehen von der Vernichtungstechnik: Neben den diplomatischen Purzelbäumen hierzu (von ‚wir könnten vernichten‘, über ‚wir vernichten nicht‘ und ‚wir helfen dafür anders‘ zu ‚wir machen doch noch ein bisschen mit‘) habe ich noch kein Wort darüber gehört, was mit den Experten passiert, die diese Waffen ursprünglich herstellten und bedienten. Wer engagiert sich, damit das ‚Fachwissen‘ nicht einfach in den Wirren des Konflikts weiterzieht? Das waren, bei der Zahl an Produktionsstätten, sicherlich auch einige.
Zum einen transportiert man aus Syrien nicht nur fertige C-Kampfstoffe ab, sondern auch Komponenten und Vorprodukte zur Herstellung von C-Kampfstoffen. Zum anderen kam es den Staaten bei der Vernichtung der C-Waffen vor allem auf den Faktor Zeit an. In der beabsichtigten Zeit von wenigen Monaten kann man die in Syrien vorhandenen Mengen aber nicht umweltverträglich vernichten. Daher hat man sich zu einem zweistufigen Vernichtungsverfahren entschieden. Die Hydrolysation geht recht schnell und ist wohl auch auf See zu machen. Das dabei entstehende Hydrolysat ist aber weder ungefährlich noch kann man die Kampfstoffe als „vernichtet“ bezeichnen. Die weitere Vernichtung ist dann aufwendiger, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht. Mit der GEKA-Anlage verfügt Deutschland in der Tat über eine weltweit seltene Fähigkeit zur C-Kampfstoffvernichtung.
Beim Geld ausgeben für solche Sachen hat Deutschland immer die Nase vorn.
Für uns deutsche Bürger bleibt immer weniger übrig!
Gibt es eine Liste in welcher Höhe sich andere Länder beteiligen???
@Mics:
Zur Sinnhaftigkeit des Verfahrens:
Würde man die ca. 1000 t Kampfstoffe direkt in Munster verbrennen, dauert das bei einer Jahreskapazität von 100 t (lt. tagesschau.de) auch schon 10 Jahre.
Nach der Hydrolyse haben wir jetzt aber schon 6000 m³ flüssige Reste und dazu noch die ca. 400 t organische und anorganische Bestandteile, die im Link von @Chemiker aufgelistet sind. Jetzt kann sich jeder selbst ausrechnen, um welche Zeiträume es geht.
Allein aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass nur ein (kleiner, eher gefährlicher) Teil der Kampfstoff(-reste) nach Munster geht.
Hätten wir die cojones gehabt, die Kampfstoffe direkt nach Munster bringen zu lassen, wären wir in überschaubarer Zeit fertig geworden und hätten uns vor internationaler Anerkennung nicht retten können.
Mit dem Weser-Jade-Port hätten wir sogar einen Tiefwasserhafen in der Pusta gehabt. Operation Lindwurm 2.0 – man muss nur wollen.
Nun kann man die jetzt gefundene Lösung aber auch verteidigen. Die Chemikalien sind nun deutlich ungefährlicher (und nicht nur verdünnt). Vermutung meinerseits: Der größte Teil muss jetzt nicht in Munster verbrannt werden, sondern kann auch in deutlich weniger spezialisierten Anlagen thermisch behandelt werden.
Politisch bleibt die ganze Angelegenheit ein einziges Armutszeugnis:
Deutschland = berechenbarer Partner?
Ein Fähnchen im Wind dreht sich berechenbarer als die deutsche Bundeskanzlerin. Aber vielleicht ist das ja nur eine höhere Form der Berechenbarkeit…
Und was die Kosten angeht:
5 Taurus gegen syrische Chemiewaffenlager = 5 Mio EUR
Da können wir meinetwegen auch 50 Mio EUR ausgeben. Dermaßen gut war unser Geld im sicherheitspolitischen Bereich selten angelegt.
Nur kurz ein paar Links:
Die 1000t-Quelle:
http://www.nytimes.com/2013/10/10/world/middleeast/syria-chemical-weapons.html?_r=1&
Ähnliche Massen bei der BBC:
http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-22307705
@Lothar Wulfken
Ein Blick durch div. Medien hätte Ihnen gezeigt, dass deutlich kleinere Länder in diesem Fall deutlich mehr Aufwand treiben, insbesondere die Skandinavier.
Irgendwie wollte dieser Kommentar nicht hochgeladen werden – zweiter Versuch:
OK, kurz zur Chemie:
Bei der Vernichtungsanfrage von OPCW geht es um die Überreste von Senfgas (HD), Methylphosphonyldifluorid (DF = Vorstufe von Sarin) und Methylthiophosphonsäure-O-ethylester (EMPTA = Vorstufe von VX-Gas).
Wenn man sich den sehr guten DW-Artikel durchliest und die Ausschreibungsunterlagen von OPCW, dann verliert die ganze Sache deutlich an Schrecken.
Senfgas zerfällt zu Thiodiglycol (nur „Reizend“) und Salzsäure (wird zu Kochsalz neutralisiert).
DF zerfällt zu Methylphosphonic acid und Flusssäure (wird zur Natriumfluorid neutralisiert).
EMPTA zerfällt zu Methylphosphonic acid, O-ethyl methyl phosphonic acid, Chlorethanol, Essigsäure und Schwefel.
Was heißt das?
Die Beseitigung der Reste von Senfgas und Sarin erscheint relativ problemlos. Die Methylphosphonsäure ist nicht übermäßig gefährlich.
Die Reststoffe von EMPTA (VX) sind dagegen deutlich problematischer. Ethylmethylphosphonsäure und Chlorethanol sind giftig.
Bei vernünftigem Umgang mit den Resten sehe ich da aber keine Gefahr. Da fahren täglich Güterzüge durch die Republik, von denen eine wesentlich größere Gefahr ausgeht…
Was ich jedoch nicht gefunden habe, ist eine konkrete Angabe zur Zusammensetzung der Produkte – wesentlich zur Gefährdungsbeurteilung.
Bei den Sarin-Resten werden zumindest grob die Inhaltsstoffe von 1 Liter Abwasser beschrieben:
15 g organischer Kohlenstoff
220 g gelöste Stoffe
2,7 g ungelöste Stoffe
Wie viel Prozent der Ausgangsstoffe umgesetzt sind, wird jedoch nicht beschrieben!
Insbesondere beim Hydrolyseprodukt von EMPTA wird gar keine Zusammensetzung angegeben. Will man sich möglicherweise von Seiten der Amerikaner nicht in die Karten schauen lassen? Keine Ahnung.
Das meiste, was bei der Verbrennung entsteht, ist in jedem Fall Wasserdampf.
Ob man da nicht vorher das Problemstoffe herausextrahieren oder adsorbieren könnte…?
@Mics: Soweit ich das mitbekommen habe wird nícht alles nach Munster zur GEKA gebracht sondern eher nur die Senfgasabfälle. Dafür wurde die Anlage ursprünglich auch konzipiert. EMPTA wie auch die Sarinabfälle kommen eher nicht nach Munster.
Meinem Gefühl zufolge sind die Senfgashydrolysate kaum gefährlich und sollten in einer Vielzahl an Anlagen entsorgt werden können. Die GEKA ist da für deutlich „mehr“ ausgelegt, zB die Verbrennung von Kampfstoffen in Granaten uä.
@Nordlicht: Der zweistufige Prozeß ist definitiv vorzuziehen. Wer möchte schon Kesselwagen nach Kesselwagen voll von Kampfstoffen über deutsche Gleise transportieren lassen? Die Proteste hiergegen würden die Castortransporte wie einen Kindergeburtstag wirken lassen. Gleichzeitig war der Zeitplan der OPCW sehr knapp. Es war also Eile geboten eine Lösung zu finden.
Ist der Kampfstoff hydrolysiert ist er auch vernichtet. Der Aufwand um aus diesem wieder den Kampfstoff zu synthetisieren wäre immens und stände in keinem Vergleich einfach direkt neuen Kampfstoff herzustellen.
Als kleiner Anhang: Die Amerikaner konnten in den letzten Jahren extrem viel Erfahrung bei der Vernichtung (Hydrolyse) von Kampfstoffen jeglicher Art sammeln (sprich, ihre eigenen Lagerbestände). Dieses Know-How ist in Deutschland schlicht nicht vorhanden. Die Mengen die in der GEKA vernichtet (verbrannt) werden sind absolut gering im Vergleich zu den riesigen Lagerbeständen die in den USA zerstört wurden.
@Chemiker:
Warum sollen bei der GEKA die ungefährlichen Senfgasabfälle vernichtet werden, wenn die Anlagen dort doch für deutlich gefährlichere Stoffe ausgelegt sind?
Sollte man dann nicht eher EMPTA und Sarin dorthin bringen und Senfgas in x-beliebigen Verbrennungsanlagen vernichten?
Wer sich – wie ich – fragt, warum die USA die Vernichtung nicht komplett übernehmen:
Deren große Ensorgungsanlage auf dem Johnston Atoll (bei Hawaii) wurde – nach Abschluss der Arbeit – vor ca. 10 Jahren abgerissen. Die verbleibenden Bestände werden jetzt dezentral in den jeweiligen Depots vernichtet.
(So das Ergebnis einer kurzen Wiki-Recherche.)