ILA 2024 eröffnet: zwei Merkposten

Vor den Toren Berlins hat die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) begonnen – und eines ist sehr offensichtlich: Der militärische Anteil spielte zwar schon immer eine große Rolle, nach zweieinhalb Jahren russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist sie jedoch mehr als je zuvor auch eine Rüstungsmesse. Das zeigte auch die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz gleich zum Start, weitere 20 Eurofighter zu bestellen.

In seiner Eröffnungsrede machte der Kanzler die Ankündigung, auf die der europäische Rüstungs- und Luftfahrtkonzern Airbus vermutlich gehofft hatte. Aus dem Redetext:

Meine Damen und Herren, die Politik in Deutschland hat nicht nur die Raumfahrt lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Auch um die Rüstungswirtschaft hat sie in der Vergangenheit einen zu großen Bogen gemacht, auch hier auf der ILA. Das ist vorbei. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat ganz Deutschland vor eine neue sicherheitspolitische Realität gestellt. Deutschland bekennt sich zur Landes- und Bündnisverteidigung und zum Zwei-Prozent-Ziel klar und unmissverständlich. Dafür gibt es das Sondervermögen. Dabei bleibt es. Darauf können Sie sich verlassen.
Heute sehen wir klarer denn je, wie wichtig eine europäische und deutsche Verteidigungsindustrie ist, die alle wichtigen Waffengattungen und die nötige Munition kontinuierlich produzieren kann. Dies gilt natürlich auch in den Dimensionen von Luftverteidigung und Weltraum. Hier stand bislang das Kampfflugzeug im Mittelpunkt. Künftig wird es stärker um die Vernetzung von bemannten und unbemannten Plattformen gehen, um moderne Sensoren und Effektoren, um Drohnen, um Cloud- und KI-Technologien oder um den Loyal Wingman, dessen Prototypen ich gerade besichtigen konnte.
Ich möchte, dass unsere Industrie in all diesen Bereichen ganz vorne mitspielt, in Sachen Forschung und Technologie, aber eben auch in der Produktion, am besten digitalisiert. Das ist eine enorme Herausforderung; denn in den Jahrzehnten vor 2022 wurde in Deutschland und in ganz Europa zu wenig in die Ausstattung unserer Streitkräfte investiert. Die Industrie hatte daher Kapazitäten heruntergefahren, Standorte geschlossen und Investitionen in neue Technologien vertagt. Das ändert sich gerade.
Diese verteidigungsindustrielle Kehrtwende hat zwei gleichermaßen wichtige Dimensionen: Erstens schließen wir rasch die wichtigsten Fähigkeitslücken ‑ dafür brauchen wir neue Produkte, die auf dem Markt verfügbar sind ‑, und zweitens sorgen wir dafür, dass unsere Industrie in Deutschland und Europa nun Produktionskapazitäten aufbaut und Technologien weiterentwickelt. Dafür brauchen Sie verlässliche Aufträge von uns.
Ich will gar nicht verhehlen, dass es zwischen diesen beiden Zielen nicht auch Zielkonflikte geben kann, zumindest auf kurze Sicht. Gerade weil in der Vergangenheit so wenig nachgefragt wurde, hat unsere heimische Industrie nicht mehr alles marktverfügbar im Angebot, was die Bundeswehr heute dringend benötigt. Dann weichen wir auf Produkte von Verbündeten aus, Beispiel „schwerer Transporthubschrauber“. Auf manches können wir schlicht nicht warten.
Schnelligkeit aber ist nur ein wichtiger Aspekt. Zugleich setze ich mich mit Nachdruck für den Erhalt und den Ausbau von Produktionskapazitäten ein. Deshalb werden wir noch in dieser Legislaturperiode 20 weitere Eurofighter bestellen, zusätzlich zu den 38 Flugzeugen, die derzeit noch in der Pipeline sind. Zudem setzten wir uns für weitere Perspektiven beim Eurofighter ein, auch, was den Export betrifft.
Ich hatte im Januar ja schon Gelegenheit, die Eurofighter-Produktion in Manching zu besuchen. Wir werden dort für eine kontinuierliche Auslastung sorgen. Das bietet Sicherheit für Airbus, für den Standort, aber auch für die gesamte Zuliefererkette. Und wir werden ‑ möglichst gemeinsam mit unseren Partnern ‑ in die Weiterentwicklung des Eurofighters investieren, einschließlich der Entwicklung von unbemannten Begleitern.
KI, Cloud und Loyal Wingman, sie werden dann eine Brücke zu FCAS bilden, dem Luftkampfsystem der Zukunft. Gerade in diesen Zukunftsfeldern hat die deutsche Industrie bei FCAS die Führungsrolle. Das ist eine große Chance, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen!
Wir können es uns in Europa schlicht nicht mehr leisten, eine deutlich größere Zahl konkurrierender Waffensysteme zu haben als etwa die USA. Wir brauchen weniger Systeme und solche, in denen sich die Stärken unserer Industrie klar widerspiegeln. Dann erreichen wir auch die nötige Interoperabilität zwischen Europas Streitkräften und höhere Stückzahlen.

Die Ankündigung, 20 weitere Eurofighter noch in dieser Legislaturperiode zu bestellen, bedeutet nicht weniger als den faktischen Einstieg in eine Tranche 5 dieses Kampfjets. Und die Ankündigung bedeutet auch, dass die Zustimmung des Parlaments – und der Vertragsschluss – spätestens in den ersten Monaten des kommenden Jahres nötig sein werden. Denn sonst wird das Projekt vom ebenso faktischen Stillstand vor der Bundestagswahl im Herbst eingeholt.

Ein weiterer Merkposten: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der seinen ILA-Rundgang nicht wie geplant gemeinsam mit Verteidigungsminister Boris Pistorius absolvieren konnte (der Verteidigungsminister schaffte es wegen der Zeitverzögerung bei der Regierungsbefragung im Bundestag nicht raus zum Messegelände), machte seine Bereitschaft zu mehr Verteidigungsausgaben deutlich. Zwar wollte Habeck nicht auf Details eingehen, weil die Haushaltsverhandlungen in der Bundesregierung noch laufen. Aber es ist richtig, dass wir eine größre Wehrhaftigkeit brauchen. Wir müssen in unsere Sicherheit investieren, sowohl zum Schutz der Ukraine als auch des eigenen Landes.

Habecks komplettes Pressestatement (in dem es naturgemäß nicht in erster Linie um Rüstung geht) zum Nachhören

20240605_ILA_Habeck     

 

… um den Haushalt geht es in der Frage am Schluss, und der Vollständigkeit halber die dort erwähnte gemeinsame Erklärung mehrerer Verbände aus dem sicherheitspolitischen Bereich:

20240604_Gemeinsame_Erklaerung_Verbaende_Verteidigungshaushalt

(Foto: Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz mit dem indischen Air Chief Marshal Vivek Ram Chaudhari beim Rundgang auf der ILA)