Dokumentation: Wissenschaftler fordern Parteien zur schnellen Einigung über Verteidigungsausgaben auf

Unmittelbar vor Beratungen des – alten – Bundestages über die Möglichkeit zu deutlich höheren Verteidigungsausgaben haben Politikwissenschaftler die derzeit über eine Grundgesetzänderung verhandelnden Parteien zu einer schnellen Einigung aufgerufen. Die Frage nach der Finanzierung deutscher und damit auch europäischer Sicherheit duldet keinen Aufschub und keine Taktik, heißt es in dem Aufruf von bislang 18 Wissenschaftlern. Von daher fordern wir CDU, CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen auf. EINIGT EUCH!

Zur Dokumentation der Appell, der von Claudia Major (bislang Stiftung Wissenschaft und Politik, demnächst German Marshal Fund), Carlo Masala von der Bundeswehruniversität München und Christian Mölling von der Bertelsmann-Stiftung initiiert und am (heutigen) Mittwochabend veröffentlicht wurde:

Einigt Euch!
Die demokratische Zukunft Deutschlands hat Priorität.
Die kommende Bundesregierung übernimmt Verantwortung in einer Zeit historischer Umbrüche. Die bestehende Weltordnung, in der die Bundesrepublik Freiheit, Wohlstand und Frieden aufbauen und davon profitieren konnte, wird abgebaut: wir stehen vor einer Systemumwälzung. Die Sicherheitsordnung, der wirtschaftliche Rahmen und der politische Kontext, in dem wir das Friedensprojekt der Europäischen Integration aufgebaut haben und dank derer Deutschland nach den Zweiten Weltkrieg wieder zu einem starken und respektierten Partner in der internationalen Gemeinschaft werden konnte, sind unmittelbar bedroht.
Getrieben werden die Veränderungen von dem Rückzug der USA als globaler und europäischer Ordnungsmacht und einer zunehmenden demographischen, wirtschaftlichen, technologischen und verteidigungspolitischen Gewichtsverschiebung in Richtung Asien, besonders China.
Insbesondere die Positionierung der USA unter Trump fordert Deutschland. Unter Trump entwickelt die USA ein antagonistisches Verhältnis zur Ukraine und Europa. Allianzpolitik lehnt Washington zunehmend ab und tritt als Großmacht mit aggressiver Machtpolitik und moralischer Indifferenz auf. Europa und die Ukraine sind Verhandlungsmasse, über deren Köpfe hinweg entschieden wird. Washington wendet sich von der liberalen Ordnung ab hin zur Autokratie. Von einem Verbündeten und Schutzmacht werden die USA zu einem Sicherheitsrisiko für Europa. Unser Kontinent steht damit vor einer doppelten Herausforderung:
Russland, dass Europa dominieren und politisch unterminieren will, und die US-Regierung Trump, die die EU als ökomischen Konkurrenten zerschlagen will, sie als ideologischen Gegner diffamiert und die amerikanische von der europäischen Sicherheit entkoppeln will.
Daraus erwächst eine historische Verantwortung für die neue Bundesregierung und den Bundestag, und auch für zukünftige Regierungen und Parlamente. In einem Kontext zerfallender Ordnungsstrukturen und wachsenden geopolitischen, geoökonomischen und systemischen Wettbewerbs müssen Deutschland und Europa sich nach außen und innen neu aufstellen. Nur dann können wir gemeinsam Sicherheit, Freiheit, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit sichern.
In dieser kritischen Phase deutscher und europäischer Sicherheit darf die Frage der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas kein Preisschild haben. Wir nehmen zur Kenntnis, dass verschiedene Vorschläge, wie die zukünftige Verteidigung Deutschlands von der Schuldenbremse ausgenommen werden soll, auf dem Tisch liegen. Dabei geht es um Summen, aber auch um die Frage, was genau unter Verteidigung zu verstehen ist.
Wir sind Wissenschaftler*innen, die verschiedene Disziplinen repräsentieren und die auch zu den einzelnen Vorschlägen verschiedene Meinungen haben. Aber trotz unserer Unterschiedlichkeit eint uns ein gemeinsames Ziel: Die Frage nach der Finanzierung deutscher und damit auch europäischer Sicherheit duldet keinen Aufschub und keine Taktik.
Von daher fordern wir CDU, CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen auf.
EINIGT EUCH!

Erstunterzeichner*nnen
Prof. Dr. Jan C. Behrends, Europa Universität Viadrina/Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
Prof. Dr. Tanja A. Börzel, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Goethe-Universität Frankfurt / Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung
Dr. Sabine Fischer, Osteuropa Expertin
Prof. Dr. Klaus Gestwa, Universität Tübingen
Dr. Claudia Major, Stiftung Wissenschaft und Politik
Prof. Dr. Carlo Masala, Universität der Bundeswehr, München
Dr. Christian Mölling, Bertelsmann Stiftung
Prof. em. Dr. Herfried Münkler, Humboldt Universität Berlin
Prof. Dr. Armin Nassehi, LMU München
Prof. Dr. Sönke Neitzel, Universität Potsdam
Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Paulus, Georg-August-Universität Göttingen
Dr. Jana Puglierin, European Council on Foreign Relations Berlin
Prof. Dr. Thomas Risse, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Gwendolyn Sasse, ZOIS, Berlin
Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, LMU München
Prof. Dr. Ursula Schröder, Universität Hamburg
Prof. Dr. Michael Zürn, WZB Berlin Social Science Center