Russische Korvette, deutscher Hubschrauber, Warnschüsse – Versuch eines Überblicks (Neufassung; Nachtrag: Pistorius)

Welche Bedeutung ein Zwischenfall in der Ostsee hatte, an dem ein russischer Tanker, möglicherweise eine russische Korvette und ein Bundeswehrhubschrauber beteiligt waren, ist irgendwie unklar – auch weil das Verteidigungsministerium sich da sehr bedeckt hält. Zu dem Vorfall, der sich bereits in der vergangenen Woche ereignete und am (heutigen) Mittwoch bekannt wurde, der Versuch eines Überblicks:

Eindeutig scheint, wenn man verschiedene Berichte und Quellen zusammen nimmt, dass sich in der vergangenen Woche in der Ostsee ein NH90-Bordhubschrauber der Fregatte Nordrhein-Westfalen der Deutschen Marine einem russischen Tanker näherte. Das russische Schiff wurde vom russischen Kriegsschiff Merkury begleitet, einer Korvette der Stereguschtschi-Klasse.

Der deutsche Hubschrauber, auch das scheint eindeutig, hatte den Auftrag, sich den russischen Tanker näher anzuschauen. Offensichtlich um dem Verdacht nachzugehen, dass es sich um ein Schiff der russischen Schattenflotte handelt, die zum Beispiel zur Umgehung von Sanktionen gegen Russland genutzt wird. Während sich der SeaLion der Marine in 1.000 Fuß (gut 300 Metern) Flughöhe dem Tanker näherte, wurden bei einer Distanz von knapp 4Seemeilen (rund 7 km) Schüsse mit Signalmunition abgegeben. Außerdem wurden auf der dem Helikopter zugewandten Bordseite des Schiffes Schüsse mit einem Maschinengewehr abgegeben – ins Wasser.

Was diese Informationen bedeuten, ist nun Gegenstand der Interpretation und weiterer, nicht bestätigter Details. Die russische Seite habe sich anschließend über Funk entschuldigt, berichtet der Norddeutsche Rundfunk. Die in deutschen Verteidigungskreisen kursierende, ebenfalls nicht bestätigte Version: Die Russen hätten Schießübungen durchgeführt und mit der Signalmunition die Hubschrauberbesatzung warnen wollen.

Ob das stimmt oder der Versuch einer Einordnung im Bendlerblock ist, bleibt unklar – denn offiziell will sich das Verteidigungsministerium dazu gar nicht äußern. Zu dem Fall kann und will ich nichts sagen, erklärte Ministeriumssprecher Michael Stempfle vor der Bundespressekonferenz.

Sollte die Übungs-Variante die Position des Wehrressorts sein, hat diese Einschätzung offensichtlich das Auswärtige Amt nicht erreicht. Denn Außenministerin Annalena Baerbock machte am Mittwoch den Vorfall erst publik, mit Äußerungen am Rande des Treffens der NATO-Außenminister in Brüssel. Die Ministerin sprach vor der Sitzung davon, dass Russland seine hybride Kriegsführung in der Region verstärke. … In diesem Zusammenhang erwähnte Baerbock Vorfälle mit „Hubschraubern, die auch aus Deutschland kommen“ und die dann „plötzlich von diesen Tankern aus beschossen werden“ zitiert die Süddeutsche Zeitung die Grünen-Politikerin (Link aus bekannten Gründen nicht).

Ob das bedeutet, dass der deutsche Hubschrauber tatsächlich gezielt beschossen wurde, bleibt damit weiterhin unklar. Dafür hat sich das Verteidigungsministerium zur Nicht-Antwort auf die Frage nach dem Zwischenfall eine hübsche Formulierung ersonnen: Aus Gründen der militärischen Sicherheit kann ich grundsätzlich und unabhängig von etwaigen Einzelfällen zu operativen Aspekten keine Informationen zur Verfügung stellen.

Nachtrag 5. Dezember: Zu dem Thema äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius im ausführlichen Deutschlandfunk-Interview, hier ab Minute 06:05.