Ganz viele Gesetzes-Stellschrauben: Mehr Attraktivität für Brigade Litauen, mehr Industrie im Notstandsgesetz

Mit einem Bündel an finanziellen Maßnahmen hofft die Bundeswehr, mehr Soldaten und Soldatinnen gewinnen zu können – und die Meldung von ausreichend Freiwilligen für die geplante Kampfbrigade in Litauen zu sichern. Das Bundeskabinett verabschiedete dafür den Entwurf eines umfangreichen so genannten Artikelgesetzes, das darüber hinaus ausgeweitete Vorschriften für die Wirtschaft im Kriegsfall vorsieht.

Das Gesetz zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr, dass die Regierung am (heutigen) Mittwoch billigte und dem Bundestag zur Abstimmung weiterleitete, führt unter anderem zu einem Teil-Abschied von der Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV). Die bleibe im Grundbetrieb zwar gültig, sagte der stellvertretende Ministeriumssprecher Oberst Arne Collatz in Berlin. Die möglichen Ausnahmen würden aber deutlich ausgeweitet.

Das betrifft vor allem einen finanziellen Ausgleich für Mehrarbeit: Künftig soll in mehr Fällen als bisher gezahlt statt in Freizeit ausgeglichen werden – auch im Ausland. Damit soll vermieden werden, dass die Heeresbrigade, die ab 2027 in Litauen stationiert werden soll, bei umfangreichen Übungen durch den Freizeitausgleich praktisch lahmgelegt wird. Finanzielle Ausgleiche gibt es auch an anderen Stellen, zum Beispiel bei den Truppenteilen, die künftig in sehr hoher Alarmbereitschaft für die NATO stehen.

Für die Brigade in Litauen hofft das Verteidigungsministerium zudem auf Attraktivität durch eine Änderung der Regelungen für Umzugskosten und Trennungsgeld: Wer aus dem – geplant mehrjährigen – Einsatz im Baltikum zurückkehrt, soll sowohl den Umzug an seinen Heimatort als auch dann Trennungsgeld bei einer Stationierung an einem anderen Bundeswehr-Standort in Deutschland bekommen. Hinzu kommen mögliche Zahlungen für den Ausgleich von Pflegekosten zum Beispiel betreuungsbedürftiger Angehöriger sowie für Zuschüsse zur Altersversorgung der (Ehe)Partner. Allerdings, auch das machte der Ministeriumssprecher deutlich, werde bei allen Bemühungen um Freiwillige für die Brigade Freiwilligkeit nicht das oberste Organisationsprinzip der Streitkräfte sein können.

Die wesentlichen geplanten Änderungen hat das Ministerium in einer Pressemitteilung als Übersicht aufgeführt

20240904_BMVg_Artikelgesetz_Zeitenwende

und für die Feinschmecker den Gesetzentwurf online gestellt. (Die Sicherungskopie: 20240904_Entwurf_Artikelgesetz_Zeitenwende)

Die Aussagen des stellvertretenden Ministeriumssprechers (und zuvor des stellvertretenden Regierungssprechers Wolfgang Büchner) in der Bundespressekonferenz zum Nachhören:

BPK_Artikelgesetz_Bundeswehr_04sep2024     

 

Was das Ministerium in seiner Pressemitteilung (s. oben) recht knapp abhandelt

Der sachliche und räumliche Anwendungsbereich des Arbeitssicherstellungsgesetzes wird erweitert, um die Versorgung der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung besser gewährleisten zu können.

steht zwar nicht im Mittelpunkt dessen, was die Bundesregierung, das Wehrressort und die Bundeswehr im Zusammenhang mit diesem Gesetz offensiv bewerben – aber da steckt einiges drin, was langfristig für die Wirtschaft und damit auch für die Gesellschaft in einem Spannungs- oder Verteidigungsfall von Bedeutung ist, wenn nicht schon vorher.

Das Arbeitsicherstellungsgesetz ist eines der Notstandsgesetze aus den 1960-er Jahren, mit dem bestimmte Arbeitsbereiche im Falle von Krise und Krieg am Laufen gehalten werden sollen. Seit dem Kalten Krieg waren das vor allem Betriebe der Strom- und Wasserversorgung sowie der Abfall- und Abwasserentsorgung, Krankenhäuser und Pflegeheime, Ölraffinerien, Verkehrsunternehmen einschließlich Reedereien sowie Post und Telekommunikation.

Künftig wird von dieser Regelung die gesamte Rüstungsindustrie erfasst. Darüber hinaus aber auch praktisch alle Unternehmen, die Dienstleistungen für die Streitkräfte bereitstellen: Neu aufgeführt werden

– sonstige Unternehmen, soweit deren Leistungserbringung im Rahmen von Vertragsverhältnissen zur Versorgung der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte erforderlich ist,
– Betriebe oder Betriebsteile, soweit sie Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze liefern, erzeugen oder Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang dazu erbringen
– Forschungseinrichtungen, soweit sie militärisch forschen

Die Frage nach einer Kriegswirtschaft stellt sich damit noch einmal anders; mal sehen, ob es zu diesen geplanten Gesetzesänderungen eine Debatte gibt.