Neue Akzente für den Traditionserlass: Mehr Kriegstüchtigkeit auch in der Traditionspflege
Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine will die Bundeswehr auch in ihrer Traditionspflege neue Akzente setzen. Die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit und damit hoher Kampfkraft sei auch für die Traditionspflege bedeutsam, heißt es in neuen Ergänzenden Hinweisen zum 2018 in Kraft getretenen Traditionserlass der Bundeswehr. Bislang wurden sie nur intern in den Streitkräften verbreitet.
Die Ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege der Bundeswehr wurden am 12. Juli vom Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, unterzeichnet. Es gehe dabei um eine Klarstellung zur Auslegung des Traditionserlasses, heißt es in dem Dokument. Maßgeblich sei die Frage, wie der in dem Erlass genannte Wertemaßstab auszulegen sei, ebenso wie der Spielraum für traditionsstiftende Beispiele militärischer Exzellenz auch außerhalb der bundeswehreigenen Geschichte.
Der von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach öffentlicher, teils kontroverser Debatte 2018 unterzeichnete Traditionserlass legt unter anderem fest, dass weder die Wehrmacht des NS-Regimes noch die NVA als Institution traditionsstiftend für die Bundeswehr sein können. Einzelne Personen dieser Streitkräfte könnten jedoch, nach individueller Prüfung, als Vorbild und damit traditionsstiftend für die Truppe dienen.
Rohrschneiders Klarstellung verweist unter anderem darauf, dass der Gründergeneration der Bundeswehr, die zum großen Teil aus früheren Wehrmachtssoldaten bestand, mit Bezug zur Zeitenwende … eine bedeutende Rolle für traditionsstiftende militärische Exzellenz zukomme. In den aktuellen Weisungen werden auch zahlreiche frühere Wehrmachtsgenerale exemplarisch genannt, die beim Aufbau der Bundeswehr eine Rolle spielten.
Wesentliche Passage in den Ergänzenden Hinweisen nimmt der Bezug auf die von Verteidigungsminister Boris Pistorius geforderte Kriegstüchtigkeit ein – und die Rolle militärischer Vorbilder dabei:
Mit der durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelösten Zeitenwende ist die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen. Gemäß der „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ soll die Traditionspflege unter anderem die Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf stärken, wenn es der Auftrag erfordert.
Folglich muss auch in der Traditionspflege ein größeres Augenmerk auf militärische Exzellenz (Fähigkeit bzw. Können) gelegt werden gegenüber anderen traditionsstiftenden Beispielen wie klassische soldatische Tugenden (Charakter) oder Leistungen für die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft.
Bei der als Folge des Erlasses von 2018 betonten eigenen Tradition der Bundeswehr, vor allem durch die Auslandseinsätze, setzt das aktuelle Papier ebenfalls etwas andere Akzente:
Mit Blick auf die Geschichte der Bundeswehr kommt als traditionsstiftend und als Ausdruck von Kriegstüchtigkeit zwar das Bestehen im Gefecht im Rahmen des internationalen Krisenmanagements in Frage; es darf dabei aber keine Reduktion auf das Fallen im Einsatz erfolgen. Das Schicksal der gefallenen Soldaten bleibt unzweifelhaft Beispiel für soldatische Tugenden wie treues und tapferes Dienen. Es ist jedoch nicht per se als Beispiel für traditionsstiftende militärische Exzellenz, herausragende Haltung oder militärischen Erfolg geeignet.
Offen bleibt dabei, ob damit auch eine Abkehr von der Umbenennung von Kasernen nach den Namen im Auslandseinsatz gefallener Bundeswehrsoldaten verbunden sein wird.
Zur Dokumentation die – vorsorglich dazu gesagt: nicht eingestuften – Ergänzenden Hinweise zum Traditionserlass:
Die Bundeswehr hat seit 1956 genügend eigene Tradition die halt nur nie richtig gewürdigt wurde. Beispiele:
1959 Meknes/Maroc
1960 Erdbeben Agadir Maroc
1991 Erhac/Türkei Desert Storm
1993 UNAMIC Feldlazarett in Phnom Penh
1993 – 1995 Somalia
in den Neunziger: Balkan IFOR, SFOR etc.
1999 Kosovo-Krieg
1997 Tirana-Raid, Operation Libelle
2006 Kongo
….KFOR, ISAF, RS,
IRAK
MINUSMA
EUTM
…nur eine kleine Auswahl, auf der die Bundeswehr durchaus eine eigene neue Traditon seit 1956 bereits aufgebaut hat, denn die Einsätze sind in der Truppe nicht vergessen….
Fazit: wir brauchen, (bis auf die Ausnahmen im 19. Jahrhundert, damit meine ich Clausewitz, Scharnhorst, Gneisenau etc) keine Traditionen vor 1945 mehr.
Wer von den Mit-Foristen schon einmal im Auslandseinsatz vor unseren eigenen Gedenksteinen gestanden hat weiß was ich meine….
Der Eine oder Andere (siehe oben) hat wohl noch nicht verwirklicht das wir im Jahr 2024 leben…
Die jungen Kameraden von heute haben keinen Bezug mehr zu „ollen Kamellen“ (Original-Ton), da das Wissen um deutsche Militärgeschichte nicht vorhanden ist, aber sie wissen durchaus was in den Einsätzen los war.
@cosma
Richtig, nur hat das mit LV/BV – im soldatisch-kriegerischen Sinne – eben wenig gemein.
@cosmo
da muss ich Ihnen vehement widersprechen. Selbstverständlich sind die von Ihnen angesprochenen Einsätze ein Teil der Tradition geworden, aber nur darauf mit ein wenig preußischen Heeresreformern lässt sich doch keine Militärtradition aufbauen. Wir stellen uns seit zwei Jahren wieder darauf ein das Gefecht der verbundenen Waffen in einer Intensität zu führen, an die auch die härtesten Gefechte aus Afghanistan bei weitem nicht heran kommen. Derartig intensive Gefechte haben aber deutsche Armeen die letzten 300 Jahre geführt, da muss man schon sehr ignorant sein, um sich nicht dieser 300 jährigen vielfältigen Geschichte deutscher Armeen zu stellen und daraus ein vernünftiges Traditionsverständnis zu formen. So kann man dem deutschen Soldaten vielfältige Vorbilder an die Hand geben, denen er nacheifern kann um im Gefecht zu bestehen. Und dafür braucht man als Vorbilder Manschaftssoldaten, Unterführer und Führer der taktischen Ebenen, die durch ihre Tapferkeit oder auch Gerissenheit im Kampf als Vorbild dienen. Zu erwarten, dass diese Menschen ihr Leben lang für Demokratie und Freiheit eingestanden haben ist ein wenig realitätsfern. Die Zeiten waren damals nunmal andere und die Menschen völlig anders geprägt, da kann man nicht die gleichen Maßstäbe anlegen, wie heutzutage und muss potentielle Vorbilder im Lichte ihrer Zeit bewerten.
Meiner Erfahrung nach sind die Bundeswehr Einsätze für die heutige junge Soldatengeneration, die es ja nun häufig schon seit mehreren Jahren nicht mehr betrifft im übrigen auch alte Kamellen. Die völlige Ignoranz sich der schwierigen deutschen Geschichte zu stellen und einen vernünftigen Kompromiss zu finden führt nur wieder dazu, dass sich die Soldaten selber Vorbilder suchen und dann bei Verbrechern und/oder Vollblutnazis wie Rudel oder Wittmann landen. Gerade weil kein Wissen um deutsche Miltiärgeschite vorhanden ist.
Danke @VEREMUNDO, für die Bettlektüre. : )
Ich bin erschrocken, dass die Traditionslinie „Die Wehrmacht kann – mit Ausnahme des Widerstandes – für uns kein Vorbild sein.“ einfach aus Gründen des Pragmatismus aufgegeben wird.
Ganz ehrlich: ich brauche keine neuen Vorbilder aus der Vergangenheit! Ich brauche Vorbilder in der Gegenwart – wobei auch die brauche ich eigentlich nicht. Ich leiste guten Dienst aus mir selbst heraus. Wobei mehr Vorbilder an der Dienststelle trotzdem schön wären.
Und ich habe massive Zweifel daran, dass die heranwachsende Generation mit diesen Opis aus dem zweiten Weltkrieg was anfangen kann – egal wie gut der Tenor ihrer förmlichen Anerkennung aus den Aufstellungsjahren der Bundeswehr sein möge.
PS: wie sieht es eigentlich mit HptFw Armin Fortenbacher als Vorbild aus? Stand der nicht auch für kriegstaugliche Ausbildung? (Im Gegensatz zu den zuvor genannten Opis genießt der auch Akzeptanz in Teilen der Truppe. Anders als die deutschen Krieger von Sönke Neitzel sieht man dessen Konterfei auf so mancher Kaffeetasse in Gruppenführerbüros der Grundausbildung…)
Um mal ein weiteres kontroverses Vorbild an die Wand zu werfen, dass sich um Kriegstauglichkeit verdient gemacht hat, nominiere ich Karl-Theodor zu Guttenberg. Der hat nämlich den Kriegsbegriff überhaupt wieder in der Politik salonfähig gemacht. Am Einsatz für die Integration der Soldatinnen und Soldaten in Staat und Gesellschaft hat es auch nicht gemangelt. Und die persönliche Schuld werden wir ihm mit seiner gefälschten Doktorarbeit sicher noch verzeihen können. Und um diese Dinge zu wissen, braucht man auch nicht Geschichte studiert haben. Ob die seinerzeit fortgesetzte Einsatzorientierung unserer Streitkräfte zu Ungunsten der Landes- und Bündnisverteidigung nun ein Verdienst für die Kriegstauglichkeit waren oder nicht, ist sicher diskussionsfähig.
Das ist mal eine gute und klare Handreichung für den Umgang mit dem Traditionserlass. Die von manchen propagierte Reduzierung der Traditionspflege auf die eigene Geschichte der Bundeswehr ist ja schon im Text des Erlasses selbst nicht herauszulesen, sondern willkürlich. Dort ist schon angelegt, dass deutsche Militärgeschichte eben bis zur Varusschlacht zurückreicht und man bei der Auswahl der Tradition auch auf die Zeit vor 1945 schauen soll und darf. Nur ist das manchen eben zu viel Verantwortung und sie scheuen die öffentliche Debatte und die vorprogrammierte Empörung von links. Militärische Exzellenz spielt bisher eigentlich nur noch beim Namen Erwin Rommel eine Rolle, der durch seine Verbindung zum 20. Juli 1944, bisher von der „Bilderstürmerei“ verschon geblieben ist. Ich bin gespannt, welche Namen künftig für das „scharfe Ende“ als traditionsbildend genannt werden.
@DD
Da muss ich widersprechen. Die inhaltliche Aufarbeitung und Würdigung der IKM Einsätze ist in ihrer Detailierung vielleicht ein tausendstel dessen was man mit dem insbesobdere 2. Weltkrieg gemacht hat.
Bis 1992 weiss man in der Truppe ungefähr NULL über Einsätze, dann wirds brüchig und bei KFOR und ISAF kommt dann was, aber einzelne Operationen? Den Verlauf von ISAF (DEU Anteil) nachzeichnen? Wer kann das? Woher die Informationen?
Dahinter stecken aber gewiss genau die Operationen und Einzeltaten, die viele bräuchten um Vorbilder (Taten und Personen) zu bilden.
Die Bundeswehr hat da ein absurdes Bildungsproblem – das BMVg nutzt aber die wenigen Ressourcen um dann dich nochmal zu prüfen, ob wir nicht doch noch ein paar (teilweise echte Karrieristen) aus der Wehrmacht und Kriegsmarine nehmen können. Bäh…
@all
Ich möchte diese hochinteressante Einzelpersonendiskussion gerne nochmal auf das eigentliche Dokument zu lenken.
Da proklamiert man zur Begründung „hochdekorierter Frontoffizier“
Da sag ich mal „hochdekoriert von den Falschen für das Falsche“ da jetzt stolz drauf sein?
Ich frage mich ernsthaft: Wenn das „reicht“ – der Threshold so niedrig ist, dass es de facto wurscht ist wer einen für welche Taten ausgezeichnet hat, dann kann (und sollte vielleicht) die Bundeswehr einfach mal nach Vorbildern in anderen Armeen suchen. Wenn das Handwerk so viel zählt…
@DD „Die Zeiten waren damals nunmal andere und die Menschen völlig anders geprägt…“ – so Ihre Auffassung. Bitte ziehen Sie in Erwägung: Die Gewalt- und Tötungsbereitschaft ist eine Konstante (!) in der Menschheitsgeschichte. „Krieg ist damit ein Ausdruck dessen, was uns Menschen ausmacht“ – so Oberst Sven Lange, ein geschichtspolitischer Vordenker der Bundeswehr.
Ach ja, Rudel und die Bundeswehr. Im Dezember 1982 starb Hans-Ullrich Rudel. Insgesamt 2.500 Personen aus dem völkischen Lager waren bei Rudels Beerdigung in Dornhausen (Mittelfranken) dabei. Auch Soldaten der Bundeswehr in Uniform nahmen teil. Der Tiefflug in der Formation „Missing Man“ beim Rudel-Begräbnis stellte eine letzte Ehrenbezeugung der Bundeswehr für den verstorbenen Stuka-Helden dar.
@Erwinson Hier noch Urlaubslektüre aus dem Kultbuch „Offizier in kritischer Zeit“: „Noch ein Wort zu Salamanca. Ich führte ja den stolzen Titel ‚Standortältester von Salamanca‘. Die Plaza Major war einer der schönsten Plätze auf der Welt, in reinem Renaissance-Stil erbaut. Bei offiziellen Anlässen, wie der Überreichung von Beglaubigungsschreiben, war auf der Plaza großer Trubel. Francos marokkanische Leibwache auf edlen Berberhengsten und in fantastischen, farbenfreudigen Uniformen beherrschte das Bild. Wir deutschen Offiziere standen dann zusammen auf dem Balkon mit dem deutschen Botschafter.“ Hier ein weiterer erbaulicher Textauszug: „Ich war damals der Meinung, ein Offizier müsse im Frieden jede Möglichkeit, einen Krieg zu erleben, beim Schopf ergreifen. So überredete ich meinen Gruppenleiter auf einem Fest nach Mitternacht, mich nach Spanien zu entsenden. Canaris stimmte wenig begeistert zu. Am 10. Juli 1937 verließ ich Berlin mit falschem Namen und falschem Paß und flog über Rom nach Sevilla mit einer Ju 52. In Spanien sollte ich die Sabotage- und Spionage-Abwehr der Legion Condor leiten. Ich führte den stolzen Titel eines ‚Standortältesten von Salamanca‘.“
@all Zu guter Letzt einfach googeln: Die Traditionswürdigkeit von Rolf Johannesson für die Bundeswehr
Vielleicht kann man sich bei anderen SK etwas abschauen? Z.B. haben die „promotions“ / Jahrgänge von St. Cyr (aber auch andere Schulen) quasi immer eine historische Person als „patron“:
https://fr.wikipedia.org/wiki/Liste_des_promotions_de_Saint-Cyr
Wie wird diese ausgewählt, was sind die Kriterien? Was folgt daraus für den Jahrgang? Wäre dies nicht auch etwas für FüAk, OSH, u.a. (z.B. „Jahrgang Theodor Körner“ -?) ?
Ich begrüße die Ergänzung der bestehenden Traditionsrichtlinien ausdrücklich und freue mich über diesen vernünftigen Schritt.
Ein bisschen erstaunt bin ich schon, dass es unter den Kameraden hier einige laute Gegenmeinungen gibt. Ich persönlich denke, dass man es sich mit „Jeder der nicht im Widerstand aktiv war, war nicht traditionswürdig“ und jeder der kein Demokrat war ist böse viel zu leicht macht und der Sache nicht gerecht wird. Leider wird in der öffentlichen Berichterstattung inzwischen bei dem Thema sehr viel in schwarz/weiß gemalt und man setzt sich nicht mehr inhaltlich tief genug mit der Materie auseinenander. Ein strammes Haltung zeigen gegen rechts ist da scheinbar wichtiger.
Ich habe zufällig in letzter Zeit mal wieder einige Erlebnisberichte aus dem Zweiten Weltkrieg gelesen. Da dreht sich einem beim Lesen fast der Magen um und man kann nur staunen, was diese Soldaten erleiden mussten und wie tapfer und militärisch tüchtig sie in der Regel waren. Diese militärischen Leistungen sind so viel extremer, als alles was die Bundeswehr in ihren bisherigen Auslandseinsätzen geleistet hat, dass sich ein Vergleich nicht anbietet. Wer vor diesem Hintergrund sagt, die Bundeswehr habe genug Kampferfahrung und braucht keine „alten“ Vorbilder, der hat vermutlich einfach keine Ahnung, was ein wirklicher Krieg bedeutet.
@leidermussichmitdieserMeinunganonymbleiben 29.07.2024 um 3:58 Uhr:
Ich kann Ihnen in Ihren Bewertungen nur zustimmen, bei den Folgerungen, die auf HF Fortenbacher (Wohl der aus der Doku zu weiblichen Rekruten in Stetten am Kalten Markt) und auf den Lügenbaron abheben, darf ich wohl von Realsatire ausgehen?
/
Ich habe mich aktuell zu diesem Thema nur hier auf ag belesen, es scheint auch sonst keine Berichterstattung zu geben, ggf auch als Folge der Veröffentlichung hier denkbar. Seltsam, denn dieser Vorgang ist potenziell skandalös, Waffentaten von Nazis für Nazis als Leitsterne für eine kriegstüchtige Bundeswehr zu lancieren. Ich bin von der politischen und militärischen Führung der deutschen Streitkräfte enttäuscht, sollte dies nicht nur das gewiefte Ausnutzen eines „window of opportunity“ der bereits genannten Militärhandwerker-Clique zu sein, sondern mit Billigung des IBUK geschehen. Dann käme als nächste Kontroll- und Korrektur-Instanz das Parlament. So oder so: Hier muss aufgeschaltet werden.
@ Thomas Melber Gestatten Sie, dass ich Ihrer Anregung zu Theodor Körner in Entschiedenheit widerspreche! Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Der Totenkult der Nazis knüpfte an das national-religiöse Pathos eines Theodor Körner an. In den Gedenkbüchlein, welche zur Verteilung an die Hinterbliebenen der Gefallenen gedacht waren, fanden sich Gedichte von Theodor Körner bis Baldur von Schirach. Aus Körners Feder stammt auch das „Lied von der Rache“ (1813), eines der hasserfülltesten Gedichte der Freiheitskriege. Der bereits um „Gnade“ bittende Feind sollte „ohn‘ Erbarmen“ niedergehauen werden. Der Text beschwört die „Lust“, wenn das „Gehirn aus dem gespaltnen Kopfe / Am blutgen Schwerte klebt“, und empfiehlt schließlich die gänzliche Auslöschung des Gegners: „Wir türmen die Hügel ihrer Leichen / Zur Pyramide auf! / Dann brennt sie an, – und streut es in die Lüfte, / Was nicht die Flamme fraß, / Damit kein Grab das deutsche Land vergifte / Mit überrhein’schem Aas!“
Schlusspunkt: Bei der Bundeswehr gibt es Theodor-Körner-Kasernen in Aachen und in Lüneburg. Sapienti sat!
Mackiavelli sagte am 29.07.2024 um 9:36 Uhr:
„Ein bisschen erstaunt bin ich schon, dass es unter den Kameraden hier einige laute Gegenmeinungen gibt.“
So ist das – zum Glück! – mit Staatsbürgern in Uniform.
„[…] … jeder der kein Demokrat war ist böse viel zu leicht macht und der Sache nicht gerecht wird. […] man setzt sich nicht mehr inhaltlich tief genug mit der Materie auseinenander. […] was diese Soldaten erleiden mussten und wie tapfer und militärisch tüchtig sie in der Regel waren.“
Demokratisch sein ist viel wichtiger als ein guter Krieger zu sein! Gute Krieger, die keine Demokraten sind, wollen wir nicht haben! Gute Krieger, die nicht gleichzeitig überzeugte Demokraten sind, sind gefährlich für die Gesellschaft, die wir haben möchten. Und der einzige Grund, warum wir guten Kriegern Waffen in die Hand geben, ist derjenege, dass sie diese demokratische Gesellschaft schützen. Wenn sie das nicht tun, dann wollen wir sie nicht mit Waffen ausstatten. Und wenn sie mit diesen Waffen kämpfen, dann wollen wir, dass sie sie nur für demokratische – und das bedeutet bei uns auch: für menschenrechtlich richtige – Zwecke und in einer entsprechenden Weise einsetzen. Ein Krieger, der einfach nur ein guter Krieger ist, aber dessen Handeln nicht demokratisch und menschenrechtlich legitimiert geleitet ist, darf unsere Gesellschaft – schon gar nicht mit einer Waffe in der Hand – vertreten.
Klar werden einige jetzt sagen, wenn meine Familie oder meine Nachbarn von brandschatzenden, marodierenden, vergewaltigenden fremden Truppen bedroht werden, ist es mir egal, was die Leute _denken_, die mich vor denen verteidigen – aber wer legt dann seine Hand (oder vielmehr sein Leben und das seiner Liebsten) dafür ins Feuer, dass diese Verteidiger nächtste Woche nicht genauso handeln, bei den anderen, oder sogar bei uns selbst?!
Nur ein demokratischer Soldat ist ein guter Soldat.
@J10 um 09:37 Uhr:
Nicht unbedingt Realsatire. Eher provokativ und laut gedacht. Ganz ehrlich , „der Lügenbaron“ taugt für mich eher als Vorbild als jemand, der zwar was für die Bundeswehr geleistet hat aber eben auch für das Dritte Reich. Die im Erlass genannten verbindet nämlich nicht nur, dass sie etwas für die Bundeswehr geleistet haben sondern auch für das Dritte Reich und in der BRD dann zu politischen Wendehälsen geworden sind. Mag eine gute Wendung des Halses gewesen sein. Und diese Halswendung haben sie auch mit dem Widerstand gemeinsam. Was sie vom Widerstand abgrenzt ist der Zeitpunkt der Halswendung und die Tatsache, dass der Widerstand diese Halswendung mit eben jenem Hals bezahlt hat.
Mir erschließt es sich jedenfalls nicht, wie das innere Führung sein kann. Die innere Führung war stets moralischer Kompass. Da ging es für mich um Ethik. Und da passt für mich nicht rein, das unverzeihliche – dem falschen Regime gedient zu haben – zu verzeihen.
Ich habe mich 2013 im Kosovo mit einem
Amerikaner über Soldaten-„tradition“ in meiner und seiner Familie unterhalten. Da sagte ich ihm, mein Opa sei in Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geraten. Da sagte er: „So he‘s a war hero.“ Da sagte ich nein. Da sagt er: „They may have lost the war. But he still fought for your country.“ Da sagte ich still zu mir: „Er mag für sein Land gekämpft haben. Aber definitiv nicht für meins!“
@F. Richter: Danke, 100% Zustimmung!
@Blücher
Es geht nicht um militärische Exzellenz ect. während des spanischen Bürgerkrieges, sondern daß reine Anwesenheit, unabhängig späteren Wirkens, ein Ausschlußkriterium ist.
Wenn die betreffende Person dann auch noch in der BW treu diente wird es besonders wild. Sich, nach deren Ableben, gegen die eigenen Leute stellen, schlicht weil sie am falschen Ort, zur falschen Zeit dienten, egal wie ihre spätere Leistung aussah, ist schon schwer nachzuvollziehen.
Andererseits gibt es heute ja auch Stimmen, die selbst vor Körner nicht Halt machen, weil er ein paar Lieder geschrieben hat, die man offenbar nicht im historischen Kontext beurteilen kann.
@VEREMUNDO
Der Text z.B. der französischen Nationalhymne ist auch nicht viel friedlicher auch wenn er eher appellativ an die eigenen Bürger gerichtet ist. Es wäre auch eine gute Gelegenheit sich mit dem Tun und Wirken der jeweiligen Person, sofern sie nicht komplett negativ belastet ist, auseinanderzusetzen – z.B. auch mit obigem Text.
Nun ja, die Franzosen waren damals eben nicht sehr beliebt, woran das nur gelegen haben mag. Das könnte man heute noch in der Pfalz erfragen.
In der UKR geben z.B. Drohnenpiloten dem erkennbar verletzten Gegner auch öfters einen Fangschuß.
[Ihre so nonchalant vorgetragene Behauptung von Kriegsverbrechen belegen Sie noch, oder? T.W.]
VEREMUNDO sagt: 29.07.2024 um 9:55 Uhr
Empfehle: referre annum
Jede Epoche hat ihre eigene Art der Motivation und des Ausdrucks. Alle verdichten oder verweben sich im Laufe der Geschichte zu einem Teppich der Traditionen (des Ueberlieferten/ der Geschichte). Wir/jede neue Generation koennen sich aus diesem Teppich einige Muster als beispielhaft auswaehlen, das ganze Gewebe zu veraendern schaffen nicht mal Diktaturen oder „Putzfrauen“ mit einseitiger Geschichtsschreibung.
Aufgrund dessen bin und war ich immer dagegen die Denkmaeler vergangener Epochen verschwinden zu lassen. Besser als jede Museumsausstellung haetten sie taeglich gemahnt was der Buerger seiner Zeit mit zu verantworten hatte und wo positive Traditionen erkennbar waeren.
@ VEREMUNDO
Gestatten Sie mir bitte, dass ich Ihren Ausführungen zu Körner widerspreche – Sie reißen die Lyrik(!) aus dem historischen Kontext und werten Sie als Anleitung fürs Brandschatzen, was handwerklich unzulässig ist. Ebenso wurde Körner eben nicht nur von den Nazis vereinahmt (was wohl kaum sein Verschulden ist), sondern beispielsweise auch von Kurt Huber als Mitglied der Weißen Rose zitiert bzw. verwendet. Selbst in der DDR konnte man sich mit Körner arrangieren… [@ T.W. Ich hoffe, dieser Umgangston war angemessener.]
@all
Ich möchte abseits davon ein Beispiel für „gut gemeint ist nicht gut gemacht“ aus der Bundeswehr liefern: Vor zwanzig Jahren hatte ein Offizieranwärterjahrgang (OAJ) im Heer drei Durchgänge für den Offizierlehrgang (OL) an der OSH, die über das Jahr verteilt anfingen und sechs Monate dauerten. Ungefähr zu dieser Zeit fing man auch an, den einzelnen Jahrgängen Paten bzw. (Traditions-)Namen zu geben. Dabei beschränkte man sich nicht nur auf die Militärgeschichte, sondern auf die gesamte Geschichte der Bundeswehr.
So kam es dazu, dass ein OL den Beinamen „Georg Leber“ bekam. Aus Gesprächen wurde damals schnell klar, dass sich nahezu keiner der betroffenen OA mit dem ehem. Minister Leber identifizieren konnte, geschweige denn ohne Recherche wusste, wer der Mann eigentlich war. Daraus folgte, dass die Masse der jungen Leute sich dann befehlsgemäß für Ihre Zeit in Dresden damit arrangierten, nachfolgend aber null Bezug o. Ä. zu „ihrem“ Ehrennamen aufbauten, wohingegen sich beispielsweise der Durchgang „Gebhardt Leberecht von Blücher“ nachfolgend durchaus mit ihrem Traditionsbezug identifizieren konnten.
Es kommt also sehr wohl darauf an, dass eine traditionsstiftende Person auch zur „Zielgruppe“ passt. Ich werde nicht müde, da auf die Niederlande und dortige Regimentsnamen zu verweisen, die gerade für junge Soldatinnen und Soldaten einen Ankerpunkt in der eben begonnenen Karriere bilden können.
@ T.W.: [Ihre so nonchalant vorgetragene Behauptung von Kriegsverbrechen belegen Sie noch, oder? T.W.]
Dass diese Kriegsverbechen der französischen Truppen 1945 beim Vormarsch auf Reichsgebiet vorkamen ist unumstrittener Stand der historischen Forschung. https://en.wikipedia.org/wiki/Freudenstadt. Ich kenne etliche Originalakten, in denen diese Vorgänge bis Ende der 1950er Jahre (!) politisches Thema waren, zum Beispiel gab es Eingaben von Oberbürgermeistern an die Landesregierungen BaWü und RLP, wenn „belastete“ frz. Kommandeure neu in südwestdeutsche Standorte kamen. Außerdem ist unumstritten, dass die frz. Führung dieses Problem kannte, denn schon 1943/1944 war es in Italien zu massiven Verfehlungen gekommen… https://en.wikipedia.org/wiki/Marocchinate In Frankreich hat man die Frage nach der moralischen Traditionswürdigkeit verantwortlicher Befehlshaber grundsätzlich von deren militärischen Leistungen getrennt. Siehe besonders die Kontroverse um General Massu. Obwohl seine Anordnung von Folter im Algerienkrieg ein offenes Geheimnis war, wurde er später Oberfehlshaber der Französischen Streitkräfte in Deutschland und erhielt das Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband… https://fr.wikipedia.org/wiki/Jacques_Massu….. Wie sagt man so? Es ist unschön, aber es ist geschehen. Ein ganz anderes Traditionsverständnis als in Deutschland. By the way: Die Briten haben sich in Sachen „Butcher Harris“ sehr viel reflektierter Verhalten und es gab schon während des Krieges massive fachliche UND ethische Kritik an seiner Strategie des „moral bombing“. Und nach Kriegsende zeigte sich diese Distanzierung auch im Grad der Würdigung. P.S.: Die quellengestützten historischen Kenntnisse zur frz. Armee hindern mich nicht daran, seit vielen Jahrzehnten, wo immer möglich, beruflich und privat für die dt.-frz. Partnerschaft zu wirken!
@Mike Molto „Aufgrund dessen bin und war ich immer dagegen die Denkmaeler vergangener Epochen verschwinden zu lassen.“ – so Ihre Überzeugung. Meine Erwiderung: Bitte unterscheiden Sie zwischen Geschichte und Traditionspflege (= wertebezogene Auswahl aus der Geschichte)! In meiner historisch-kritischen Perspektive sind das Stabsgebäude „Generalmajor Gericke“ in Altenstadt, die „Fürst-Wrede-Kaserne“ in München sowie die beiden Körner-Kasernen in Aachen und Lüneburg „Denkmäler vergangener Epochen“.
1812 begann Napoleon seinen Feldzug gegen Russland. Das Königreich Bayern kam seinen Verpflichtungen nach und leistete Waffenhilfe. 32.000 bayerische Soldaten überschritten unter der Führung von General Fürst von Wrede den Grenzfluss Memel. Von jenen 32.000 Soldaten, die den Fluss Memel überschritten, konnte General Wrede am 1. Januar 1813 ganze viertausend Mann zählen, also zwölf Prozent. Alle anderen waren verhungert und erfroren. Sie sind längst vergessen. Aber Wrede wird als vermeintlich sinnstiftendes Vorbild öffentlich geehrt: Wrede-Kaserne und Standbild in der Feldherrnhalle München.
Gericke im Kriegsjahr 1943: „Die stolzeste Erinnerung für alle Zeit bleibt aber jener Empfang beim Führer in seinem Hauptquartier. Er war für uns und damit für alle Kämpfer von Kreta höchste Anerkennung. … Getreu dem Befehl des Führers tragen wir die Fahne voran, im unerschütterlichen Glauben an unsere heiligste Aufgabe, das ist ‚Deutschland‘.“
@Mackiavelli Der Historiker Ludolf Herbst bringt es so auf den Punkt: „Der Krieg füllte nicht nur die Hälfte der nationalsozialistischen Herrschaftsperiode aus, sondern der Nationalsozialismus kam aus dem Krieg, fand im Krieg seine eigentliche Bestimmung und ging im Krieg schließlich unter. Rassismus und Krieg waren eng miteinander verbunden. Und natürlich bahnte der Krieg der mörderischen Variante des Rassismus den Weg: Er schuf durch die Freisetzung von Gewalt wesentliche Voraussetzungen für den Massenmord und bezog beinahe ganz Europa in die Mordmaschinerie ein.“
@ T.W. Davon gibt es Videos. Es gibt auch Videos von israelischen Soldaten, selbst aufgenommen von diesen vor dem 7.Oktober 2023, die zeigen, wie sie palästinensiche Kinder anschießen und sich abfeiern.
@ F. Richter,
Auf Ihr Zitat „Demokratisch sein ist viel wichtiger als ein guter Krieger zu sein! Gute Krieger, die keine Demokraten sind, wollen wir nicht haben!“
möchte ich kurz eingehen:
Die meisten Soldaten des Zweiten Weltkrieges hatten gar keine Chance Demokraten zu sein. Sehr viele waren trotzdem charakterlich völlig integer und wären unter den heutigen Umständen sicherlich auch Demokraten gewesen.
Diese Soldaten alle gewissermaßen in moralische Sippenhaft zu nehmen, finde ich sehr schwierig und eines aufgeklärten Geistes für unwürdig.
Das zweite das mich stört ist die fehlende Anerkennung für soldatische Leistungen, die bei Ihnen und einigen Mitkommentatoren durchklingen. Höchste militärische Kompetenz und Tapferkeit bis in den Tod hinein sind mitnichten selbstverständlich und sollten uns als Fachleute des Krieges etwas mehr Achtung abgewinnen. Wir sollten diesbezüglich auch anerkennen, dass unsere heutige Generation in Sachen Kriegstüchtigkeit und Einsatzbereitschaft deutlich hinter den alten Soldaten ansteht und entsprechend bescheiden auftreten.
@Thomas Melber
Frankreich verdankt den Anstoß zur Marseillaise dem Straßburger Bürgermeister Freiherr Philipp Friedrich von Dietrich.
Er bat in der Nacht vom 25/26 April 1792 den ihm bekannten Hptm des Festungskorps Claude Joseph Rouget ein revolutionäres Lied für die „Rheinarmee“ zu verfassen.
Im Club der Verfassungsfreunde von Marseille fand am 22. Juni ein Bankett für die Freiwilligen der Rheinarmee statt, bei dem mit großem Erfolg die künftige Hymne gesungen wurde.
Durchschlagender Erfolg, das Revolutionslied war geboren.
Quelle: Stefan Zweig *Sternstunden der Menschheit“.
@Thomas Melber
Ein erkennbar verletzter Gegner (Kombattant) ist noch lange nicht kampfunfähig („hors de combat“). Wer erinnert sich an die vollgedröhnten Aufständischen, die nach mehreren Treffern noch Widerstand geleistet haben und u.a. deshalb die „Mannstoppwirkung“ von verwendeten Kalibern diskutiert wurde? Trifft im Kern das gleiche Thema. Der verletzte Soldat kann ebenso eine unmittelbare Bedrohung seinb, genau wie der Aufständische: im einen Fall schießt der Aufständische sofort zurück, im anderen fordert der Soldat den Artillerieschlag an oder meldet eine erkannte Stellung.
Hier ein Auszug aus einem Paper von 2013 („Human rights implications of the usage of drones and unmanned robots in warfare“):
“Follow-up strikes”: Third, the reported practice of conducting “follow-up strikes” on wounded
survivors of first attacks would appear to violate the principle of distinction and the prohibition of
denial of quarter. __To the extent that this practice leads to the deliberate targeting of **persons hors
de combat**__, it constitutes a serious violation of humanitarian law and may amount to a war
crime.
https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/etudes/join/2013/410220/EXPO-DROI_ET%282013%29410220_EN.pdf, Seite 35
Impliziert, dass Follow-up strikes gegen Verletzte kein Kriegsverbrechen darstellen, solange die Verletzten nicht kampfunfähig oder definitionsgemäß „hors de combat“ sind, siehe dazu https://ihl-databases.icrc.org/en/customary-ihl/v1/rule47.
Unbeschadet dessen stellt die Nutzung von Drohnen die Einhaltung des humanitären Völkerrechts in der Tat vor neue Herausforderungen und erfordert deshalb neue Ansätze.
@Voodoo
„Ebenso wurde Körner eben nicht nur von den Nazis vereinnahmt (was wohl kaum sein Verschulden ist), sondern beispielsweise auch von Kurt Huber als Mitglied der Weißen Rose zitiert bzw. verwendet.“ – so Ihre bedenkenswerte Sichtweise. JA! Es gibt eine Reihe von kritischen Biografien zu Kurt Huber. Ich erinnere an die Rezeptionsgeschichte, wo die Frage beantwortet wird, welche Zeilen und Gedichte von Theodor Körner wirkungsmächtig wurden. Für Kurt Huber und die Weiße Rose: „Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!“ Für die NS-Kriegspropaganda auf der anderen Seite: „Wir türmen die Hügel ihrer Leichen zur Pyramide auf!“
Im Dezember 1942 wurde Kurt Huber in die geheime Widerstandstätigkeit der „Weißen Rose“ eingeweiht. Am 11. Februar 1943 zeigte Professor Kurt Huber seinen Entwurf für das nächste Flugblatt den beiden Studenten Hans Scholl und Alexander Schmorell. Der folgende Passus stieß bei Scholl und Schmorell auf entschiedene Ablehnung: „Es kann für uns alle kein anderes Ziel geben, als die Vernichtung des russischen Bolschewismus in jeder Form. Stellt Euch auch weiterhin in die Reihen unserer herrlichen Wehrmacht.“ Ihre Kriegserfahrungen bei der Frontfamulatur in der Sowjetunion hatten Scholl und Schmorell dazu veranlasst, diese beiden Sätze für die Endfassung des Flugblattes zu streichen.
Hier nun die Sätze am Ende des Flugblattes, die Kurt Huber als bewegenden Aufruf verfasste: „Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns! „Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!“ Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre!“
Da werden sich viele aber freuen, dass endlich wieder auch auf die Wehrmacht zurückgegriffen werden darf. Ich finde es absurd, dass sich nunmehr Kräfte durchzusetzen zu scheinen, die allen Ernstes wieder die Wehrmacht mit der Bundeswehr vermischen wollen. Exzellenz im Kampf gab es sicherlich auch in der SS und hier auch untadelige Menschen (falls das jemand falsch verstehen möchte: Nein, gab es nicht!!!)- bei aller Liebe: Soll dieser Unsinn ernsthaft nochmal erörtern werden? Ich fand die Ära der sauberen Wehrmacht schon befremdlich und jetzt will man dahin, aber natürlich mit Augenmaß, wieder zurück?
Die Wehrmacht kann nicht Traditionsstiftend sein, da mag Excellenz vorgelegen haben oder auch nicht. Sie war Teil des Angriffs- und Vernichtungsfeldzuges und wer beginnt das aufzuweichen betreibt Revisionismus.
2018 war erstmals eine sehr klare Aussage hierzu getroffen worden und man kann von Frau von der äh Leyen halten was man will, hier hat sie mal einen rausgehauen – Bildersturm hin oder her.
Das ist der völlig falsche Weg und wird Soldaten eine völlig falsche Einstellung vermitteln.
Wir haben uns selbst und sollten auch beginnen von uns heraus Kriegstüchtigkeit zu leben – Altnazis, Ex-Wehrmacht etc. können uns hier nicht helfen – auch wenn sie dann natürlich alles lupenreine Demokraten waren.
Ich bitte meine teils Polemik zu entschuldigen, aber das fasst mich echt an.
Für mich sind folgende Aspekte bemerkenswert:
1. Nach Sönke Neitzels Buch vom deutschen Krieger (das m.E. methodisch nicht ausbalanciert ist, weil es zu sehr bzw. beinahe ausschließlich auf Infanterie und Kampftruppen abhebt) hängt ihm jeder an den Lippen und ganz viele finden ihn richtig toll, den Tankwart aus Hofgeismar; selbst GL Rohrschneider. Substantiell durchdringt er aber die jetzige Situation der Bw nicht.
2. Genau in seiner Argumentationslinie werden in dem Erlass Personen nach vorne geholt, die in weiten Teilen für den nichtpolitischen Nicht-nur-Wehrmachtsoldaten stehen oder geradezu reaktionäre Typen waren (Karst, Lemm).
3. Zu anderen (z.B. Altenburg und Karl Schnell) wissen wir viel zu wenig. (By the way, die Helgoländer waren nicht nur mutig, sie hatten auch einen Plan, der allerdings verraten wurde …)
4. Damit ergeben sich hier wie anderswo die üblichen Scharmützel, Seitenhiebe gegen das ehem. MGFA (Jungs, das muss doch gar nicht mehr sein …), und alles meistens aus Unkenntnis oder schmaler Literaturbasis. So what also?
5. Bemerkenswert ist das Papier, weil es nach dem Bildersturm von UvdL und Ihrem TradErlass – der ALLES rasierte, was nicht politisch korrekt schien – stark an 1982 erinnert Nach den RL zur TradPflege von Hans Apel hat Manfred Wörner (und seine Epigonen) das Papier durch sein Handeln nach und nach so unterlaufen, dass es 2004, als die Mölders-Sache virulent wurde, keiner mehr kannte. (Dass damals nahezu alle ihre Hausaufgaben nicht kannten, kommt noch dazu; führt aber auch nur zum „So what else?“)
6. Eine ausgewogene Analyse, was auch vor 1945 und erst recht im 19. Jahrhundert traditionswürdig sein könnte, findet nicht statt, weil Lautsprecher, siehe Ziffer 1.
Und da Haltung in der Bundeswehr auch nicht weit verbreitet ist in den B-Besoldungen, wird sich daher auch dieses Papier nach einem kurzen Rascheln hier nicht weiter auswirken. Aber schneidige Kommandeure wittern jetzt die Gunst der Stunde, jemanden auszugraben, den sie für würdig halten für irgendwas. Solche Kommandeure sieht man immer wieder. Ist aber auch nur ein Fall für Whataboutism. Im Übrigen haben wir ja nun gang andere Sorgen, als uns den ein oder anderen Namenstreit ans Bein zu binden, auf den Linke und Jakob Knab etc. nur warten. Ceterum censeo: Das Papier wird verpuffen …. Durchatmen und hinlegen. Olympia kann so schön sein.
@ F.Richter
„ Nur ein demokratischer Soldat ist ein guter Soldat“
Interessante steile These. Nur, wie weist man denn nach, das der gute Soldat auch tatsächlich ein Demokrat ist? Wer macht das, wer kontrolliert das? Ich hatte das ja schon in anderen Zusammenhang anklingen lassen….. Wie darf ich mir das vorstellen in der Praxis?
@Mackiavelli 29.07.2024 um 16:11 Uhr:
Sind die Annahmen falsch, sind die Schlüsse es auch. Wer einem verbrecherischen Regime dient, welches nur durch Verrat von konservativen Eliten (Hindenburg) an der liberalen Verfassung der Weimarer Republik (Demokratie!) an die Macht gekommen ist, nach dem alle, die sehen, hören, lesen und denken konnten und wollten, wussten, was Hitler bringen würde, so eine Person kann nicht „charakterlich völlig integer“ sein. Schon garnicht ein Vorbild für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Dass Sie hier im Jahre 2024 noch die Mär von der „sauberen“ Wehrmacht spinnen, ist wohl provokant gemeint – ich kann das dennoch nicht ohne Replik stehen lassen. Es mutet grotesk an, dass Sie von „aufgeklärtem Geist“ und „unwürdig“ sprechen, um sich dann genau an diesem Maßstab massiv zu scheitern. Das Handeln eines Einzelnen kann nicht ohne den Zweck des Handelns beurteilt werden. Wer höchste soldatische Tapferkeit für ein verbrecherisches Regime zeigte, welches sich an allen zivilisatorischen Errungenschaften gerade deutscher Geistes- und Kulturgeschichte vergangen hat, ist ein Idiot, der im Kollektiv mit allen anderen Idioten, die wider besseren Wissens mehr oder weniger mitgemacht haben beim Ausleben blutrünstigen Rassenwahns, vor der deutschen Geschichte versagt hat,
„Nur ein demokratischer Soldat ist ein guter Soldat“
Was ist ein „guter Soldat“?
Nicht ganz zufällig jener mit hoher Kampfkraft und von überragendem Gefechtswert, also im Kampf erfolgreich?
Einige Beispiele für Un/Antidemokraten, die sich im Kampf bewährt haben.
Also Rotarmisten, Viet Minh, Vietcong, Jugoslawische Partisanen.
Dem Idealbild des Staatsbürgers in Uniform entsprechen weltweit sehr wenige. Und um es deutlich zu machen, „gut“ im Sinn von Bestehen im Kampf misst sich nicht am Aufsagen der Grundrechte.
Anderes ist weltvergessen.
@Richter
„ Nur ein demokratischer Soldat ist ein guter Soldat“
Wenn das so wäre, dann könnten die ihren jeweiligen Staaten und politischen Ordnungen loyal gegenüberstehenden Soldaten aller freiheitlichen Gesellschaften keine guten Soldaten sein, denn bei diesen handelt es sich um Republiken und nicht um Demokratien. Ein demokratisch eingestellter Soldat müsste konsequenterweise z.B. Kriegsverbrechen begehen, solange diese durch Mehrheitsentscheidungen legitimiert sind. Republikanische Ordnungen hingegen erkennen an, dass es z.B. Menschenrechte gibt, die unabhängig von Mehrheitsentscheidungen gelten. Auch das deutsche Grundgesetz geht im Übrigen nicht von einer demokratischen Ordnung aus, sondern von einer republikanischen Ordnung mit demokratischen Elementen.
[Hm. Sie scheinen mir jetzt dem genannten Kommentator etwas zu unterstellen, was er kaum so gemeint haben dürfte. Ist nicht so recht der Stil der Debatte hier. T.W.]
Ich darf höflich daran erinnern, dass die These einer „Machtergreifung“ mittlerweile abgelöst wurde und man eher von einer Machtübertragung spricht. Ausgangspunkt des NS-Regimes waren demokratische Wahlen und der anschließende Versuch konservativer Kreise, den „böhmischen Gefreiten“ auf verfassungsgemäße Weise zu zähmen – zugegeben eine sehr blauäugige Ansicht, die sich retrospektiv als Katastrophe herausstellte. Zudem gibt es auch Stimmen, die dem Offizierkorps eine recht kritische Sichtweise auf den „Führer“ zuschreiben, was sich angesichts der erfolgreichen Feldzüge 1939/1940 allerdings dann im Siegestaumel ändert.
Im Übrigen finde ich Ihre Wortwahl nicht wirklich angemessen, denn es ist retrospektiv sehr einfach, auf „Idioten“ zu zeigen, wenn man selbst nicht im gesellschaftlichen, preußischen Wertekontext des frühen 20. Jahrhunderts aufwuchs. Damit möchte ich sicher nicht für eine „saubere Wehrmacht“ einstehen, aber daran erinnern, dass wir als in Sicherheit und Wohlstand aufgewachsene Nachkriegsgeneration(en) mit dem Geifern etwas zurückhaltender sein sollten – niemand von uns wurde bisher nämlich auch nur annähernd in so einer Form geprüft.
Danke @Theobald Tiger für die herrliche Zusammenfassung.
Mir kommt es fast so vor als wolle man in der provokanten Auswahl der Einzelbeispiele einen Testballon starten (*Ironie: standen in der Entwurfsfassung auch Generalfeldmarschall v. Manstein und Generaloberst Guderian?*)
In konsequenter Anwendung der ergänzenden Hinweise hätte man zu Generaloberst Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord auch seine Verdienste um die Erstellung bzw. Zusammentragen der Truppenführung (T.F.) heraustellen können (mit Generaloberst Ludwig Beck; beide haben i.Ü. sehr bemerkenswerte Vitae bzw. Anektdoten, insb. in Art und Weise der ablehnenden Haltung zum Nationalsozialismus).
Wenn es schon auf Biegen und Brechen Wehrmachtbezug sein soll, zwei weitere nahezu unverfängliche Einzelbeispiele, die mMn immer noch zuwenig Beachtung finden:
– Generalleutnant Carl-Gero von Ilsemann (früher Verfechter der Inneren Führung unter Ulrich de Maizière (letztgenannten hätte man eigentlich auch erwähnen können). In „Die innere Führung in den Streitkräften (= Die Bundeswehr. Band 5) beschreibt er wir kein anderer den Wesenskern der IF: Intrinsische Motivation + zeitgemäße Menschenführung = Kampfkraft).
– Generalmajor Rudolf-Christoph Frhr. von Gersdorff (Autobiografie „Soldat im Untergang“; im aktiven Widerstand)
Prof. em. Dr. Bernhard R. Kroener, der Vorgänger von Prof. Dr. Sönke Neitzel, hat 2017 in einer Ringvorlesung zur Traditionsdebatte einen wie ich finde schönen Dreiklang zum Spannungsverhältnis Bundeswehr und vermeintlichen Vorbildern, militärischer Exzellenz unter Ausblendung der Verbrechen etc. aus Wehrmachtszeiten gefunden. Man müsse unterscheiden:
A) die Wehrmacht des kleinen Mannes, in der durchaus konkrete Einzelfälle auch als Vorbilder für militärische Tugenden o.ä. herhalten könnten (aber eben auch das diabolische Gegenteil der Fall gewesen ist).
B) die Wehrmachtsgeneralität – die spätestens ab 1941 wusste, zu welchem Zwecke der Krieg geführt wurde und mit welchen Verbrechen er insb. zur Schaffung des Lebensraums im Osten verbunden war. Nicht zu vergessen, dass diese Generalität es war, die zum Großteil willhörig ihrem Reichskanzler Hitler folgte, und alte (preußische) Militärtugenden, sowie militärische Grundsätze über Bord warf – und damit eben genau nicht für militärische Exzellenz stehen kann, und
C) die Wehrmacht wie man sie in den 1950ern im Kontext der Wiederbewaffnung und des Wiederaufbaus sehen wollte.
@Voodoo 29.07.2024 um 21:56 Uhr:
Danke für die Ergänzung/Paraphrase zum Jänner 1933.
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Von Tresckow hat sich doch gerade auf den preußischen Wertekanon berufen, der ihn zum Handeln zwang. Der kann dann wohl nicht vollumfänglich als Grundlage dafür herhalten, dass deutsche Eliten und das Kleinbürgertum in großer Zahl konvertierten. Worin bestand dann also die Prüfung, welche die damaligen Zeitgenossen zu bestehen hatten, und deren Form und Inhalt uns Nachgeborene vom Urteilen ausschließt? Werden Sie doch mal konkret. Sie reihen sich ein in die Riege von Mitkommentierenden, die hier mit großen Worten raunen, aber keine Substanz liefern. Warum? Weil es wahrscheinlich bei den meisten so war wie in meiner Familie: Brave Menschen in Weimar, durchaus mit Engagement dafür, danach aus Opportunismus & Karrierismus, da eine Parteimitgliedschaft für einen selbst und die Kinder schlicht ein gutes Ticket für den Sozialmobilitätsbeschleuniger 3. Reich war, zum Beitritt entschlossen. Tausende andere, die nicht nur wussten: Hitler bedeutet Krieg, sondern daraus für sich Konsequenzen zogen, haben anders gehandelt. Wenn so eine Situation für Sie schon ne harte Prüfung wäre, ja, dann sind wir heute in Deutschland tatsächlich alle Snowflakes.
Meine Empfehlung lautet, die folgenden Einsichten des Historikers Friedrich Meinecke zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen: „Fragt man nach der seelisch tiefsten und ursprünglichsten Schicht in Hindenburgs Denken, die ihn dazu bringen konnte [Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, NN] so kann es nur der preußisch-deutsche Militarismus sein. Und diesen darf man dann als diejenige geschichtliche Macht bezeichnen, die den Aufbau des Dritten Reiches wohl am stärksten gefördert hat.“
Nach ihrem Besuch vom 3. Mai 2017 in der Kaserne von Illkirch tat UvdL kund: „Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Einzige Ausnahme sind einige herausragende Einzeltaten im Widerstand. Aber sonst hat die Wehrmacht nichts mit der Bundeswehr gemein.“ Am 28. März 2018 unterzeichnete UvdL in Hannover den neuen Traditionserlass. Aus diesem Anlass wurde die Emmich-Cambrai Kaserne neu benannt nach Hauptfeldwebel Lagenstein. Meine Frage @all lautet: Warum wurde an jenem 28. März 2018 Major Thomas Tholi totgeschwiegen?
@O tempora, o mores! Sie sprechen von Generalmajor Rudolf-Christoph Frhr. von Gersdorff. Am 25. November 1981 wurde die damalige „Loncin-Kaserne“ in Euskirchen neu benannt nach Generalmajor Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff (1905-1980). Inzwischen ist diese Namensgebung umstritten. Beleg: „Gersdorff sah die Beseitigung jüdischer Männer als eine militärische Notwendigkeit an, um den sowjetischen Widerstand gegen die deutsche Invasion zu brechen. Hier kam ein Feindbild zum Vorschein, das die Bekämpfung, ja Vernichtung des ‚jüdischen Bolschewismus‘ als eine existenzielle Notwendigkeit erscheinen ließ.“ (Johannes Hürter, Spätes Erwachen; in: Widerstand. Stauffenberg und der 20. Juli 1944, ZEITGeschichte Nr. 4/2024, S. 50)
Ach J10, schließen Sie nicht von sich auf anderen. In meiner Familie gab es keine Parteimitglieder, aber dafür SPD-Mitglieder die sich nach 1933 klein machen mussten. Trotzdem haben alle männlichen Familienangehörigen gedient, weil sie mussten und weil sie es trotz allem als staatsbürgerliche Pflicht empfanden.
Der Wertekanon damals war ein anderer und die Informationslage auch. Trotzdem waren die meisten Menschen damals ebenso gute Menschen, wie das heute der Fall ist. Bescheidener ware sie allemal.
Es sind weit größere Geister, als wir es sind, an dem Widerspruch zwischen Pflichtgefühl dem Vaterland gegenüber und der Erkennnis von einem verbrecherischen Regime missbraucht zu werden, gescheitert. Ihre plumpe Überheblichkeit bei diesem Thema wird hier niemanden vom Gegenteil überzeugen.
Hat man jemals die Soldaten selbst zu diesem Thema befragt ? Was sind denn ihre Vorbilder ? Gibt es dazu empirische Untersuchungen ? Für Hinweise dankbar.
@J10
Brave Menschen in Weimar…
Wobei gerade die Menschen in Weimar frühzeitig genau wussten, was auf dem Ettersberg passierte und mit was für einem Regime sie es zu tun hatten. Sie sahen die Häftlinge auf vielen Baustellen.
Ich stimme Voodo zu, „dass wir als in Sicherheit und Wohlstand aufgewachsene Nachkriegsgeneration(en) mit dem Geifern etwas zurückhaltender sein sollten – niemand von uns wurde bisher nämlich auch nur annähernd in so einer Form geprüft.“ Oder wie der ehemalige Wehrbeauftragte schrieb „man muss die Leute aus der Zeiit heraus beurteilen“.
Die Wahrnehmung einzelner Wehrmachtsangehöriger kann im Nachhinein sehr unterschiedlich sein. Ich will hier. niemanden heroisieren. Die Diskussion im Rahmen der Umbenennung der Lent-Kaserne hat mich da bewegt. Der Wikipedia Artikel zu Lent und die Diskussion hier dazu ist lesenswert.
@Mackiavelli
„Die meisten Soldaten des Zweiten Weltkrieges hatten gar keine Chance Demokraten zu sein.“
Warum denn nicht?
Es gab meines Wissens mal so etwas wie eine Weimarer Republik, die vergleichsweise ziemlich Demokratisch war. Die meisten deutschen Soldaten des 2.WK haben diese bewusst erlebt. Nur haben eben zu wenige für sie gekämpft. Das war bei vielen eine bewusste Entscheidung.
„Höchste militärische Kompetenz und Tapferkeit bis in den Tod hinein sind mitnichten selbstverständlich und sollten uns als Fachleute des Krieges etwas mehr Achtung abgewinnen.“
Also auch Respekt für Selbstmordattentäter der Islamisten?
Mit AK und Sprengstoffgürtel bis zum letzten zu kämpfen ist definitiv höchste Opferbereitschaft und kann auch mit soldatischem Geschick und Nutzen einhergehen. Aber ist nichts, was ich in dem Kontext irgendwie als Nachahmenswert ansehe.
Analog die Einmanntorpedos oder Panzerjagdkommandos der letzten Tage des 3.Reiches. Dazu kommt mir eher der Spruch: es brauchte mehr Mut das Leben zu wählen, um hinterher die Trümmer wieder aufbauen zu helfen, als den Weg des sinnlosen „Heldenhaften Opfers“ für ein verbrecherisches System zu wählen. Die die sich geweigert haben, da mitzumachen, die haben mehr Mut gezeigt. Das sind Vorbilder.
@Vodoo
„Damit möchte ich sicher nicht für eine „saubere Wehrmacht“ einstehen, aber daran erinnern, dass wir als in Sicherheit und Wohlstand aufgewachsene Nachkriegsgeneration(en) mit dem Geifern etwas zurückhaltender sein sollten“
Und letzteres sicher ja. Jeder hatte seine Gründe, warum er so wurde wie er war. Auch Hitler selbst.
Und über unsere Generation wird die Geschichte sicher auch nicht nur rosig urteilen, da sollte man keine Illusionen haben.
Deswegen können wir uns hier und heute dennoch Vorbilder nach unserem Wertekanon suchen und wenn wir keine finden sollten, uns fragen warum das so ist.
Militärstrategisch kann ich mich politisch neutral bei allen bedienen. Egal ob Rommel, Cäsar oder Hannibal. Auch was Führung generell angeht und wie eine Einheit als Einheit funktioniert und handelt.
Deswegen brauche ich aber keinen von denen individuell als Nachahmenswerte Helden zu stilisieren.
Denn wenn sich mancher fragt, warum es noch so viel gesellschaftlichen Widerstand gegen die Aufrüstung gibt: der Grund ist schlicht die Angst, das am Ende eben die falschen wieder die Macht haben. Es nützt mir nichts, wenn mich Nazis erfolgreich vor Putin beschützen, ich am Ende aber doch in einer Diktatur leben muss.
@ Mackiavelli vom 29.07.2024 um 16:11 Uhr:
1. Die meisten Soldaten des 1. Weltkrieges hatten _mindestens_ 14,5 Jahre Zeit (Herbst 1918 – Frühjahr 1933), Demokraten zu werden. Ich gebe zu, ich hatte den dankenswerten (wörtlich gemeint!) Luxus eines sehr viel längeren Zeitraums, aber ich meine mich zu erinnern, dass ich Demokratie auch schon im Alter von 15 Jahren besser fand. Und als erwachsener Mensch auch. Aber auf die Probe gestellt wurde ich zugegebenermaßen anders als die damaligen Zeitgenossen nicht, außer bei demokratischen Wahlen (ich konnte eigentlich immer Parteien wählen, die mein Wahlrecht am Liebsten abschaffen woll(t)en, habe es aber nie getan).
2. Mein Text nahm niemanden in moralische Sippenhaft, sondern formulierte einen Anspruch an Soldaten unseres Landes. (Wer nicht demokratisch gesonnen ist, ist natürlich ‚raus. Aber das ist ja wohl individuell, und nicht sippenbezogen.)
3. Hohes Können verdient Anerkunnung! Da haben Sie Recht. Und nur – und das kommt mir wiederum bei einigen Beiträgen zu kurz -, wenn es für anzuerkennende Zwecke eingesetzt wird, und das ist bei Soldaten besonders wichtig. Wer perfekt soldatisch handelt, aber es nicht (sowohl im Großen als auch bei der konkreten Handlung) für Freiheit und Menschenrechte tut, verdient _keinerlei_ Anerkennung. „Ohne Freiheit ist alles nichts“ (frei nach Friedrich Merz, ca. 2024), und ohne Tugend ist alles Soldatenhandwerk nichts. Und dieses Handwerk entgegen der Tugend auszuüben wäre sogar schrecklich falsch, egal wie handwerklich gut ausgeführt.
und @ Nicolo15 vom 29.07.2024 um 19:42 Uhr:
Dass Sie das (nur ein demokratischer Soldat ist ein guter Soldat) als „steile“ These bezeichnen, finde ich „interessant“. Und wieso fragen Sie nach „Kontrollen“ und „Nachweisen“? Wie meinen Sie das? Es geht hier doch nicht um Gesinnungsschnüffelei. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen (und an ihren Äußerungen). Und ihre Taten an den demokratisch legitimierten Gesetzen messen. Und damit letzteres möglichst gar nicht erst (in einem Ermittlungsverfahren) nötig wird, sollen unsere Soldatinnen und Soldaten von vornherein nur mit einem zu unserer Gesellschaftsordnung passenden moralischen Kompass ausgestattet werden. Und zu diesem Kompass gehört, welche Vorbilder / welche vorbildgebenden Verhaltensweisen präsent sind / präsentiert werden. Und da steht „freiheits- und menschenrechtsschützend“ weit über „kann gut kämpfen“, denn letzteres ist allein akzeptabel (und auch rechtlich nur dann gerechtfertigt), wenn es für das erstere geschieht. Ja, „kann gut kämpfen“ ist auch nötig, weil es sonst natürlich eventuell nichts wird mit der Verteidigung von Freiheit und Menschenrecht. Beides ist notwendig – können wir uns einigen, dass beides notwendige, aber beides je für sich keine hinreichenden Eigenschaften von guten Soldaten sind? (Allerdings kann „schlecht kämpfen“ immer noch gut ausgehen, falls die andere Seite noch schlechter kämpft – aber ohne Tugend geht es _immer_ schlecht aus.) Ich jedenfalls würde meinem Mitmenschen erst dann eine Waffe in die Hand geben, wenn ich meine, dass er sie weder gegen mich noch unrecht gegen andere führt, und insofern gäbe ich sie eher dem zweitbesten Kämpfer – da gibt es für mich schon eine klare Priorität, was wichtiger ist.
Aber es werden sich doch wohl Vorbilder finden lassen, die _beides vereinen_ und so für die Streitkräfte stehen, wie wir sie in unserer Gesellschaft brauchen?
Der Zweite Weltkrieg wurde von der Wehrmacht als verbrecherischer Angriffs-, Raub- und Vernichtungskrieg geführt. Die Bundeswehr hat eine lange Linie zur Wehrmacht. Zunächst war diese Linie gewollt, dann toleriert, dann wurde sie bekämpft. Nun gibt es Tendenzen zur erneuten Tolerierung im Gewand der Kriegstüchtigkeit.
Der deutsche Widerstand hat gezeigt, dass man das Verbrecherische des Nationalsozialismus, das Verbrecherische des Angriffs- und Vernichtungskrieges der Wehrmacht, während es geschah, erkennen konnte. Wer nicht die Augen verschloss, konnte es sehen, wissen, spüren.
Von einer sauberen Wehrmacht, von einer Armee, die sich im Krieg wie jede andere Armee auch verhielt – davon kann und konnte nie die Rede sein. Da gibt es keine Ausnahmen.
Dass die Wehrmacht keine saubere Armee war, heißt nicht, dass jeder einzelne Soldat an den (Kriegs-)Verbrechen direkt beteiligt war. Doch die Entbindung von individueller Schuld bedeutet eben auch nicht, dass man kein Mitglied einer verbrecherischen Armee war. Darüber kann also kein Zweifel bestehen.
Als 1955 die Bundeswehr aus der Taufe gehoben wurde, bestand fast das gesamte Füherkorps, vom Unteroffizier bis zum General, aus früheren Soldaten der Wehrmacht, sogar der Waffen SS. Sie brachten aufgrund ihrer Kriegserfahrung die viele Fähigkeiten mit, ohne die eine militärisch effiziente Armee so nicht aufgestellt werden konnte. Mit ihnen kamen Verhaltensweisen und operativ-taktische Grundsätze in die neue Bundeswehr leider aber auch Teile der Tradition, die die Streitkräfte dann lange prägten. Manche Mythen wurde gepflegt. Unter anderem die des untadeligen Kriegers.
Doch Kriegerhaltung, Kriegstüchtigkeit, auch Tapferkeit im verbrecherischer Angriffs-, Raub- und Vernichtungskrieg ist nicht traditionswürdig.
@Lukan: „Es gab meines Wissens mal so etwas wie eine Weimarer Republik, die vergleichsweise ziemlich Demokratisch war. Die meisten deutschen Soldaten des 2.WK haben diese bewusst erlebt. Nur haben eben zu wenige für sie gekämpft. Das war bei vielen eine bewusste Entscheidung.“ Ohne irgendwelche Schönfärberei betreiben zu wollen sollte man m.E. etwas genauer und realistischer auf die jeweils betroffenen Jahrgänge schauen: Am Start zum 2. WK dürfte die Masse der Soldaten aus den Jahrgängen 1911 bis 1921 (1939 also zwischen 18 und 28 Jahre alt) bestanden haben. Selbst die 1911er sind erst 1932 volljährig geworden, haben kurz vorher ihr Abitur oder ihre Gesellenprüfung gemacht. Was später mit den Jahrgängen bis 1927/28 kam, hat schon die Grundschule im 3. Reich begonnen. Da dürfte bei vielen von den tatsächlich in die Uniform gesteckten wenig bewusste Entscheidung für die Nazis aber viel Gehirnwäsche durch die Nazis und ihrer Helfer gewesen sein. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass bei Neitzels Arbeit über die Abhörprotokolle von Trent Park immer wieder durchscheint, dass gerade die jüngere Generation am schlimmste Nazi-verseucht (Entschuldigung, ich finde kein besseres Wort) erscheint. Man vergleiche nur Vater und Sohn Eberbach.
Dieses Verständnis für die Umstände macht diese verfeuerte Generation (für viele Diskutanten hier wohl die Vater-Generation) allerdings keinesfalls heldentauglich. Im Gegenteil. Sie taugen unter keine Umständen als Vorbild („wer getan hat, wozu mir der Mut gefehlt hätte“, so sinngemäß Erich Kästner). Wenn es ums Vorbild sein geht, ist der Held auch für seine Zwecke verantwortlich.
Außerhalb der bundeswehreigenen Geschichte muss doch nicht zwingend innerhalb der deutschen (Militär-)Geschichte liegen oder preußischer Prägung sein.
Was spricht denn dagegen sich Vorbilder bei den demokratischen Siegermächten, anschließenden Schutzmächten und heutigen Verbündeten zu suchen? Als Ergänzung zum Einwand von H4lebob: Nicht nur Hitlers Nationalsozialisten haben den Krieg verloren — Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe ganz genauso. Spätestens ab Ende 1942 war es ein Verliererhandwerk von Verlierern.
@VEREMUNDO
Danke für die Ergänzung zu Generalmajor Rudolf-Christoph Frhr. von Gersdorff: Da streiten sich wohl schon länger die Geister. Stichwort: „Der Aussagewert von Paraphen und der Handlungsspielraum des militärischen Widerstandes.“ (in nuce wird sonst off-topic).
Vgl. Vierteljahrshefte Jg 58 (2010), Heft 3 Günther Gillessen – Tresckow und der Entschluß zum Hochverrat – Eine Nachschau zur Kontroverse über die Motive, Institut für Zeitgeschichte.
@Theobald Tiger: Immerhin hat der „Tankwart von Hofgeismar“ gedient und dabei an seinem ersten Buch gearbeitet, was in seiner Generation der Geschichtswissenschaft mit fester Anstellung in Deutschland eher selten ist. Und dabei ist bezeichnend, dass er einen weiten Umweg über angelsächsische Universitäten gehen musste… Das sagt doch sehr viel über Militärgeschichte und Tradition in Deutschland aus, dass nahezu alle, die sich mit der direkten Schlammzone der Truppe befassten, manchmal nur im MGFA, aber oft nur in Großbritannien den beruflichen Einstieg/Aufstieg schaffen konnten. Seien es z.B. Neitzel in Glasgow und London oder Lieb und Schmider in Sandhurst. Andere, die relevante Arbeiten, z.B. zum Innenleben der Wehrmacht vorlegten, etwa Rass, sind spätestens mit der Habilitation auf Sicherheitsabstand zur engeren Militärgeschichte gegangen. Die Militärgeschichte des 18. und 19. Jahrhundert ist auch alles andere als ein Karrieremotor für eine wissenschaftliche Laufbahn im deutschsprachigen Raum.
@ Mackiavelli 30.07.2024 um 9:19 Uhr:
Erneut vielen Dank, dass Sie mein Argument mit einem Beispiel aus Ihrer Familiengeschichte stützen, wiewohl wir uns im Bereich „anecdotal evidence“ bewegen.
Allerdings: Von „Staatsbürgerliche Pflicht“ konnte damals keine Rede sein; die Nazis selber hätten das zurückgewiesen, denn die Staatsbürger wurden entweder zu Volksgenossinnen und Volksgenossen, wenn gemäß der schrägen Rassenlehre genehm, oder sie wurden der Volksgemeinschaft verstoßen, da als „rassisch minderwertig“ eingestuft. Das unabhängig von ihren Verdiensten als deutsche Staatsbürgerinnen oder -bürger. Der Rassenwahn der Nazis war Kern ihrer Ideologie und damit Propaganda, die dezidiert transnational, de facto anti-national war, denn sie lehnten das Konzept eines territorialstaatlichen Verfassungsbürgertums konsequent ab. Wie die ihrerseits die Kommunisten, fanden die Hitler-Schergen überall in Europa in allen Staaten begeisterte „Arier“, ohne deren Mittun zum Beispiel die systematische Vernichtung der Juden, von Hitler 1939 in der Kroll-Oper öffentlich zum primären Kriegsziel erhoben, nicht möglich gewesen wäre. Das wussten alle. Jene, die hinterher nichts gewusst und nichts verbrochen haben wollen, wozu immer sie danach noch taugen mochten, als Vorbilder unserer Kameradinnen und Kameraden taugen sie nicht, weder gestern noch heute. Ihr Schmalspur-Relativismus ändert daran nichts.
@O tempora, o mores! (30.07.2024, 1:11 Uhr),
genau diese Kroener’sche Differenzierung geht hier vielen offensichtlich nicht völlig in den Kopf (und auch Neitzel spricht davon m.E. zu wenig im öffentlichen Raum) – und auf der grundlage der Differenzierung kommen eben viele aus Wehrmacht, die naxch 1945 ihren „Ehrenschild sauber polierten“ nicht in Frage.
@all
Es kann mir doch keiner erzählen, dass auch nur irgendwas von der Organisation Wehrmacht irgendwie nun durch die Bw gerettet werden muss. Macht die Firma nicht besser als sie war (mit leichten Einschränkungen nach Kroener).
@ fischer (30.07.2024, 9:24 Uhr)
Nein, die werden faktisch nie gefragt. Solche Namentümelei ist in der Regel Sache von einigen wenigen da oben. Dem gewöhnlichen Soldaten geht sein Kasernenname doch „am Arsch vorbei“. – (eine) Ausnahme Jürgen-Schumann-Kaserne der USLw in Appen. – Dafür sorgen auch Ministeriale noch dafür, dass beispielsweise ein ehem. General der Bw, der vor 1945 in der Wehrmachtluftwaffe Fallschirmjäger und davor noch in einer Polizeiformation Görings aktiv war, Namenspatron für ein Gebäude in Altenstadt blieb. Hinweise auf Verstrickungen in verbrecherische Handlungen (z.B. im zuge wilder KZ in der Frühphase des NS) waren im Papier des ZMSBw ausdrücklich nicht erwünscht.