Für die Debatte: Wehrbeauftragte regt Musterung für alle an

Angesichts der anhaltenden Personalprobleme der Bundeswehr und, als eine Folge, der immer wieder neu anlaufenden Debatte über eine Wehr- oder Dienstpflicht hat die Wehrbeauftragte des Bundestages einen neuen Vorschlag gemacht: Eva Högl regte eine Musterung für alle an, ohne dabei für die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu plädieren.

Die Wehrbeauftragte äußerte sich in einem – längeren und lesenswerten – Interview auf dem Nachrichtenportal T-Online auch zu diesem Punkt, der am (heutigen) Freitag für ein gewisses Aufsehen sorgt:

Die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland wieder rückgängig zu machen, hilft überhaupt nicht. (…) Aber die Idee eines verpflichtenden „Dienstjahres für Deutschland“, was dann im zivilen oder militärischen Bereich abgeleistet werden kann, finde ich diskussionswürdig. Man könnte wie in Schweden einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen. Und sie dann, sofern sie wehrfähig sind, selbst entscheiden lassen, ob sie sich engagieren wollen oder nicht. Und diese Musterung sollte sich an alle Geschlechter richten.

Nun sind diese skandinavischen Modelle mit ihrer selektiven Wehrpflicht etwas, was in der der deutschen Debatte immer wieder auftaucht. Allerdings sind sowohl die rechtlichen als auch die gesellschaftlichen Umstände in Deutschland grundlegend anders als in Schweden oder auch in Norwegen, wo es eine Wehrpflicht für Männer und Frauen gibt und die Streitkräfte nach ihrem Bedarf sich aus diesem Potenzial bedienen.

Das fängt hierzulande schon mit dem Thema Musterung an: Die folgt der – derzeit nur ausgesetzten, aber nicht abgeschafften – Wehrpflicht. Zur Musterung kann nur verpflichtet werden, wer auch der Wehrpflicht unterliegt – und das sind ausschließlich Männer, weil das Grundgesetz den verpflichtenden Dienst an der Waffe für Frauen ausschließt. Damit bliebe eine Einladung zur Musterung für Frauen eine freundliche, aber unverbindliche Bitte. Alles andere würde voraussichtlich sehr schnell vor Gericht scheitern.

Der Ansatz, die Gemusterten sollten dann selbst entscheiden, ob sie sich engagieren wollen oder nicht, ist dann nicht viel anders als das derzeitige Verfahren, das auf völlige Freiwilligkeit setzt. Und schon jetzt werden über die Einwohnermeldeämter alle jungen Männer von der Bundeswehr angeschrieben – was sich grundlegend ändern sollte mit diesem Vorschlag, ist deshalb nicht so klar.

Auffällig ist allerdings, dass die Wehrbeauftragte, wie zuvor auch der Verteidigungsminister, einen anderen Aspekt der Nachwuchswerbung der Bundeswehr vermeidet. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hatte in einer Studie, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, den Umgang der Bundeswehr mit den Bewerberinnen und Bewerbern als eines der Nachwuchsprobleme ausgemacht:

Solange 70 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr keinen positiven Einstellungsbescheid bekommen, scheint trotz mancher anderslautender Aussagen von Verantwortlichen und Karriereberatern ein Teil des Problems weniger im Umfang des Bewerberaufkommens als vielmehr in dessen Ausschöpfung zu liegen.

Zu diesem Punkt sagte auch Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch im zuständigen Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) am (gestrigen) Donnerstag kein Wort. Die interne Optimierung scheint nicht im Vordergrund zu stehen.

(Das BMVg hat auf seiner Seite war usprünglich die Audio-Datei mit dem Statement des Ministers beim BAPersBw verlinkt, diesen Link aber offensichtlich wieder entfernt. Ich helfe gerne aus:

20230601_Pistorius_BAPersBw