Merkposten Mali: Keine Daten, keine Drohnen (Nachtrag: Pistorius)

Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist weiterhin die größte Auslandsmission der Streitkräfte: knapp 1.200 deutsche Soldatinnen und Soldaten gehören derzeit zur UN-Mission MINUSMA in dem westafrikanischen Land. Angesichts des Ukraine-Kriegs und der Konzentration auf die Ostflanke der NATO geht das hierzulande meist unter – aber bis zum geplanten Abzug im Frühjahr 2024 wird die Bundeswehr noch mehr als ein Jahr dort bleiben. Deshalb ein Blick auf die Entwicklungen dieser Woche:

Seit Oktober vergangenen Jahres, also seit mehr als drei Monaten, bekommt die Bundeswehr von den malischen Behörden praktisch keine Startgenehmigung für ihre Drohnen mehr. Diese Situation, Folge eines lang anhaltenden Streits zwischen der Regierung in Bamako und der UN-Truppe, scheint festgefahren, wie das Verteidigungsministerium in dieser Woche den Abgeordneten des Bundestages mitteilte.

Wie schon seit Monaten bekamen die deutschen Blauhelme auch im Januar keine Fluggenehmigungen für ihre unbewaffneten Aufklärungsdrohnen. Nicht nur die weit fliegende Heron 1 (Foto oben) musste am Boden bleiben, auch die deutlich kleinere Luna und selbst die Drohnen für den Nahbereich, Aladin und Mikado, gaben die malischen Behörden nicht zum Start frei. Damit wird nicht nur der eigentliche Auftrag des deutschen Kontingents eingeschränkt, nämlich die Aufklärung für MINUSMA. Auch die Sicherung der eigenen Truppe am Boden aus der Luft findet damit nicht mehr statt.

Die Argumentation der malischen Regierung, warum das unverändert so bleibt, teilte das Ministerium den Abgeordneten nicht mit. Nachlesen lässt sich das jedoch in einer Erklärung des malischen Außenministeriums vom 25. Januar, abgegeben im Hinblick auf einen Bericht von UN-Generalsekretär Antonio Guterrez zum MINUSMA-Einsatz (s. unten) und die wenige Tage später angesetzte Sitzung des UN-Sicherheitsrats:

Zur Frage der operativen Herausforderungen der MINUSMA stellt der Generalsekretär fest, dass seit dem 4. Oktober 2022 237 Fluganfragen der MINUSMA von den malischen Behörden abgelehnt oder nicht beantwortet wurden.
Die Regierung von Mali merkt an, dass zu diesem Punkt das Koordinierungstreffen. Regierung/MINUSMA, das am 1. August 2022 stattfand, die Einführung eines Verfahrens zur besseren Verwaltung der Rotation der Kontingente der Mission ermöglicht hat. Die besagte Rotation erfolgt derzeit in einem normalen und für beide Seiten zufriedenstellenden Rhythmus.
Die Regierung von Mali bedauert jedoch die mangelnde Transparenz und fehlende Gegenseitigkeit bei der Zusammenarbeit der MINUSMA, die trotz eingegangener Verpflichtungen die von den Drohnen der Mission gesammelten Informationen und Daten nicht mit den malischen Behörden teilt. Diese Schwierigkeiten sind Gegenstand des Austauschs zwischen den beiden Parteien.
Die Regierung fordert die MINUSMA auf, sich an das im Rahmen des Treffens vom 15. November 2022 vereinbarte Verfahren und an die Schlussfolgerungen des Koordinierungstreffens vom 18. Januar 2023 zu halten, bei dem eine Wiederaufnahme der Drohnenflüge unter Einhaltung der einvernehmlich festgelegten Konditionalitäten beschlossen wurde. Die im Rahmen der strategischen Überprüfung der MINUSMA durchgeführten Konsultationen haben es der Regierung Malis und den Vereinten Nationen ermöglicht, zu einer übereinstimmenden Auffassung darüber zu gelangen, dass die Bemühungen um eine bessere Anpassung und Artikulation des Mandats der Mission unter Berücksichtigung der von der malischen Seite geäußerten Prioritäten und Erwartungen fortgesetzt und verstärkt werden müssen.
In diesem Sinne plädiert die Regierung Malis für eine offensive Haltung der MINUSMA bei der Erfüllung ihres Mandats, insbesondere bei der Unterstützung der malischen Behörden im Rahmen der Wiederherstellung der staatlichen Autorität im gesamten Staatsgebiet, beim Schutz der Zivilbevölkerung und bei der Unterstützung der MINUSMA für die Umsetzung des Abkommens.
(Übersetzt mit deepl.com)
(Die komplette Erklärung im Original: 20230125_Mali-Aussenministerium_UN)

Vereinfacht gesagt: So lange es keine Daten der Drohnenflüge für die malische Regierung gibt, bleibt es auch mit den Startfreigaben schwierig.

Das Problem der fehlenden Fluggnehmigungen hatte der UN-Generalsekretär in seinem Bericht vom 6. Januar ausdrücklich benannt:

Since 4 October, 237 MINUSMA flight requests have been either denied or received no response from Malian authorities. Most of these restrictions (219) applied to intelligence, surveillance and reconnaissance unmanned aircraft. This affected the safety of MINUSMA convoys, which were deprived of pre-convoy reconnaissance and intelligence collection along resupply routes, particularly on the Gao -Kidal axis.
Following sustained engagement with Malian authorities and the Chief of Staff of the Malian air forces, a new procedure for flight requests was agreed upon, on 15 November. The procedure streamlines the approval process by emphasizing decentralized coordination between MINUSMA and regional authorities and clarifying responsibilities. As a result, intelligence, surveillance and reconnaissance flights were conducted in coordination with the authorities on 11 and 12 December, marking the resumption of these operations. Since the implementation of the
procedure, the number of approved flights has increased, although there remain restrictions in areas where the Malian Armed Forces are operating.

Der Bericht war Grundlage für eine Sitzung des Sicherheitsrats am 27. Januar. In seiner Rede vor diesem Gremium ging der malische Außenminister Abdoulaye Diop ebenfalls auf diesen Punkt ein:

In Bezug auf die operativen Herausforderungen von MINUSMA stelle ich fest, dass der Bericht die Errungenschaften des neuen Flugantragsverfahrens anerkennt, das am 15. November 2022 eingeführt wurde und durch eine dezentralisierte Koordination und Klärung der Zuständigkeiten zu einer höheren Anzahl genehmigter Flüge geführt hat.
Diese ermutigenden Ergebnisse sind leider aufgrund der manchmal nur teilweisen oder nicht verwertbaren Weitergabe der von Drohnen gesammelten Informationen gemischt. Ich möchte daran erinnern, dass die Drohnenflüge trotz allem wieder aufgenommen wurden, und wir wagen zu hoffen, dass die Erwartungen der malischen Seite erfüllt werden.
(Übersetzt mit deepl.com)
(Die Rede im Original: 20230127_Mali_Diop_UN)

Nun sind die Drohnenflüge und die damit verbundene Sicherheit für die deutschen Soldat*innen in Gao im Norden Malis natürlich für die Bundeswehr von besonderem Interesse – aber eigentlich nur ein Randaspekt des viel größeren Problems: Die Abwendung Malis von der durch die UN repräsentierten internationalen Gemeinschaft und die deutliche Orientierung an Russland. Das bestimmte auch die Debatte des UN-Sicherheitsrats, wie AP nach der Sitzung berichtete:

Mali’s foreign minister defended the military government’s cooperation with Russia on Friday and rejected three options proposed by the U.N. chief to reconfigure the U.N. peacekeeping force in the west African country where Al-Qaida and Islamic State extremist groups are driving insecurity.
Abdoulaye Diop told the U.N. Security Council that security is the country’s top priority and Mali will not continue to justify its partnership with Russia, which is providing training and equipment to the military. He did not mention Russia’s Wagner Group, the private military contractor with ties to the Kremlin.
But Secretary-General Antonio Guterres’ internal review released this week of the 17,500-strong U.N. mission, known as MINUSMA, noted that Mali’s longstanding security partnership with France and others deteriorated over concerns about Wagner Group personnel operating in support of the Malian armed forces, which he said Russian officials have publicly acknowledged.

Die engere Zusammenarbeit mit Russland hatte der malische Übergangs-Staatspräsident Oberst Assimi Goïta im vergangenen Jahr als Win-Win-Partnerschaft bezeichnet. Am 19. Januar erhielt das Land weitere Flugzeuge und Hubschrauber aus russischen Beständen: wie schon im August vergangenen Jahres weitere Su25-Erdkampfflugzeuge, umgerüstete L39-Trainer und Mi8-Hubschrauber.

Russland unterstützt zwar formal weiterhin die UN-Mission in Mali – beharrt aber auf seiner eigenen militärischen Unterstützung für die malischen Streitkräfte, verbunden mit Vorwürfen des Neokolonialismus gegen westliche Länder. Aus dem Statement des russischen UN-Botschafters Wassili Nebensja vor dem Sicherheitsrat:

Wir freuen uns, dass im Dialog mit der Übergangsregierung Fortschritte erzielt wurden und dass Schritte unternommen werden, um ein angemessenes Maß an Koordination zu gewährleisten. Wir bedauern, dass eine Reihe von Ländern, die Truppenkontingente bereitstellen, beschlossen haben, sich zurückzuziehen oder ihre Beteiligung an der MINUSMA auszusetzen.
Wir sind der Ansicht, dass sich die MINUSMA strikt an ihr Menschenrechtsmandat halten muss, d. h. die malischen Behörden bei der Durchführung der einschlägigen Untersuchungen zu unterstützen. Eine Politisierung des Falls ist nicht hinnehmbar.
Im Rahmen der Bewertung der Arbeitsmodalitäten der MINUSMA und der internen Überprüfung der Mission möchten wir betonen, dass wir weiterhin Möglichkeiten für eine Neuformatierung der Präsenz der Vereinten Nationen prüfen. Wir hoffen, dass sich der gesamte Prozess an den Bedürfnissen Malis orientieren und seine Bemühungen unterstützen wird. Da die Meinung des Gastgeberlandes oberste Priorität hat, sind wir der Ansicht, dass die Konsultationen fortgesetzt werden sollten.
Generell sind wir der Ansicht, dass die erfolgreiche Umsetzung des Mandats der Mission, insbesondere in den Bereichen Unterstützung bei der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, Umsetzung des Friedens- und Versöhnungsabkommens und anderen Bereichen, ohne die Unterstützung der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte Malis nicht möglich sein wird. Nur sie sind in der Lage, die notwendigen Offensivmaßnahmen gegen die Terroristen durchzuführen.
Russland leistet der malischen Armee umfassende Unterstützung, insbesondere im Bereich der Steigerung der Kampfeffizienz und der Ausbildung von Militärpersonal. Diese Zusammenarbeit, die auf Ersuchen Bamakos und unter strikter Einhaltung der geltenden Normen des Völkerrechts durchgeführt wird, trägt Früchte. Die malischen Streitkräfte führen erfolgreich Antiterroreinsätze im Zentrum des Landes durch. Es wurden nachhaltige Anstrengungen unternommen, um die Regionen im Norden und Osten von Terroristen zu befreien.
Wir glauben, dass die negative Reaktion der westlichen Kollegen auf die verstärkte russisch-malische Zusammenarbeit eine weitere Manifestation neokolonialer Ansätze ist, die zusammen mit dem Mangel an greifbaren Ergebnissen bei der Stabilisierung Malis nach vielen Jahren (ihrer) militärischen Präsenz dazu geführt hat, dass die Malier beschlossen haben, neue Partner für sich zu suchen.
Die Ineffizienz dieser Bemühungen wurde im Bericht über die interne Überprüfung deutlich. Eine ähnliche Situation erlebten wir mit Afghanistan, wo eine 20-jährige US-Präsenz zu einem totalen Misserfolg führte und von zahlreichen Verbrechen begleitet wurde. Nun muss der Sicherheitsrat, wie in Afghanistan, all dies korrigieren, und es ist, als ob Russland daran schuld wäre.
Im Gegensatz zu einigen westlichen Kollegen versucht Russland nicht, sich in die Politik des Landes einzumischen, und stellt auch keine Bedingungen für die Hilfeleistung, die die nationale Souveränität beeinträchtigen könnten. Unsere Beziehungen basieren auf vielen Jahren gleichberechtigter bilateraler Zusammenarbeit und dem Verständnis für das gemeinsame Ziel, den globalen Terrorismus zu bekämpfen. Es ist nicht überraschend, dass wir von unseren afrikanischen Partnern keine Beschwerden über die Parameter unserer Zusammenarbeit erhalten haben. Die Plattform des Sicherheitsrats zu nutzen, um mit Russland abzurechnen, ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch respektlos gegenüber Millionen Maliern.
(Übersetzt mit deepl.com)

Die deutsche militärische Präsenz in dem westafrikanischen Land soll zwar bis zum Mai 2024 befristet werden – aber dass sie auf jeden Fall so lange bestehen bleibt, ist keineswegs sicher. Eine der Voraussetzungen dafür soll nach malischen Angaben aber erfüllt werden: Die Wahl eines neuen Präsidenten, hatte Außenminister Diop zugesichert, soll wie geplant Anfang 2024 stattfinden.

Ergänzung: Auch der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Mali  betonte die Bedeutung der Bewegungsfreiheit von MINUSMA für den Erfolg der Mission. Aus dem Statement von El-Ghassim Wane vor dem UN-Sicherheitsrat ergibt sich noch ein anderes interessantes Detail –  künftige Aufklärungsfähigkeiten sollen offensichtlich von China übernommen werden:

8. In der kommenden Zeit wird die Fähigkeit der MINUSMA, durch Unterstützung der malischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte einen wirksameren Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage zu leisten, von mehreren Faktoren abhängen.
9. Der erste Faktor bezieht sich auf die Bereitstellung der erforderlichen Kapazitäten und den rechtzeitigen Ersatz derjenigen truppenstellenden Länder, die beschlossen haben, die Mission zu verlassen. Es ist ermutigend, dass in den kommenden Monaten zusätzliche Luftstreitkräfte aus Indien, Bangladesch und Pakistan nach Timbuktu, Gao bzw. Mopti verlegt werden sollen. Darüber hinaus wird die derzeit in Timbuktu stationierte pakistanische Hubschraubereinheit nach Mopti verlegt. Außerdem arbeiten wir mit den malischen Behörden an der Bereitstellung von Land, damit die von China seit langem zugesagte Einheit für Nachrichtendienst, Überwachung und Aufklärung (ISR) stationiert werden kann. Es werden Anstrengungen unternommen, um die Einheiten, die die Mission verlassen oder dies planen, zu ersetzen. Ich kann die Bedeutung dieser Bemühungen nicht genug betonen, da die Gesamtzahl der betroffenen Truppen 17 Prozent der genehmigten Gesamtstärke der Mission ausmacht.
10. Zweitens muss die Koordinierung mit den malischen Verteidigungs- und Sicherheitskräften gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Mandats der Mission und der Vereinbarung zwischen MINUSMA und Mali vom November 2017 verstärkt werden. Dies ist auch ein Anliegen, das die malischen Behörden vorgebracht haben. Die sinnvolle Nutzung der vorhandenen Ressourcen und Kapazitäten – sowohl der malischen als auch der MINUSMA-Kapazitäten – ist von entscheidender Bedeutung, insbesondere für den Schutz der Zivilbevölkerung. Während des gesamten Berichtszeitraums hielten wir in dieser Frage eine kontinuierliche Interaktion mit den malischen Behörden aufrecht. Am 18. Januar führte die Mission ausführliche Gespräche mit dem Generalstab der malischen Armee, um die gemeinsamen Planungs- und Koordinierungsmechanismen zu stärken. Ich hoffe auf sorgfältige und konkrete Folgemaßnahmen, die uns in dieser wichtigen Frage voranbringen werden.
11. Schließlich ist die Achtung der Bewegungsfreiheit gemäß dem Abkommen über die Rechtsstellung der Streitkräfte (Agreement on the Status of Forces) eine absolute Notwendigkeit. Konkret möchte ich die Bedeutung von Informations-, Überwachungs- und Aufklärungsflügen (ISR-Flüge) für die Sicherheit und den Schutz unserer Blauhelme sowie für die Erfüllung unseres Mandats zum Schutz der Zivilbevölkerung hervorheben. Wir werden weiterhin mit den malischen Behörden zusammenarbeiten und uns dabei auf das am 15. November 2022 vereinbarte neue Verfahren und die darauf folgenden Gespräche, zuletzt am 18. Januar 2023, stützen, um eine dauerhafte Einigung über die Genehmigung von Flügen unserer Drohnen zu erzielen.
(Übersetzt mit deepl.com)

Nachtrag 30. Januar: Verteidigungsminister Boris Pistorius stellte angesichts der anhaltend untersagten Flugbewegungen einen Abzug der Bundeswehr noch vor 2024 in Aussicht. Die Süddeutsche Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht) zitierte den Minister mit den Worten:

Bis Mai 2024 in Mali bleiben, macht unter den aktuellen Bedingungen überhaupt keinen Sinn. (…) Wenn unsere Soldaten und Soldatinnen das Lager nicht verlassen oder sich nur im kleinen Radius außerhalb bewegen können, weil die Drohnen nicht fliegen dürfen, dann erfüllen sie ihren Auftrag nicht. Und dann ist dieser Einsatz Geld- und Zeitverschwendung, vor allem für die Soldatinnen und Soldaten, die dort getrennt von ihren Familien und Freunden ihren Kopf hinhalten.

Etwas überraschend ist, dass diese Festlegung wenige Stunden nach dem Besuch des Ministers im Einsatzführungskommando der Bundeswehr kam – da hatte Pistorius eine solche Aussage noch vermieden:

Pistorius Mali 30jan2023     

 

(Archivbild April 2022: Heron 1-Drohne in Gao – Florian Gärtner/photothek.de)