NATO plant Verachtfachung schnell einsatzbereiter Truppen (Neufassung)

Die NATO will die gemeinsame Verteidigung vor allem gegen Russland auf eine neue Grundlage stellen und dafür die Zahl der schnell einsatzbereiten Truppen deutlich erhöhen. Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte für den bevorstehenden Gipfel der Allianz in Madrid die Entscheidung über praktisch eine Verachtfachung dieser Truppenstärke an.

Stoltenberg nannte die Zahlen am (heutigen) Montag bei seiner Pressekonferenz zur Vorbereitung des Gipfels der Staats- und Regierungschefs:

At the Summit, we will strengthen our forward defences.
We will enhance our battlegroups in the eastern part of the Alliance up to brigade-levels.
We will transform the NATO Response Force.
And increase the number of our high readiness forces.
To well over 300,000.
We will also boost our ability to reinforce in crisis and conflict.
Including with:
More pre-positioned equipment, and stockpiles of military supplies. More forward-deployed capabilities, like air defence. Strengthened command and control. And upgraded defence plans, with forces pre-assigned to defend specific Allies.
These troops will exercise together with home defence forces. And they will become familiar with local terrain, facilities, and our new pre-positioned stocks. So that they can respond smoothly and swiftly to any emergency.
Together, this constitutes the biggest overhaul of our collective deterrence and defence since the Cold War.

Dass die Allianz ihre Pläne für die gemeinsame Abschreckung und Verteidigung überarbeiten will, war bekannt – die konkreten Zahlen mit einer Aufstockung schnell einsetzbarer Truppen von bislang 40.000 auf mehr als 300.000, die der Generalsekretär nannte, bisher allerdings nicht. Auf Nachfrage stellte Stoltenberg diese Pläne in Zusammenhang mit den bereits bekannten Überlegungen für eine stärkere Truppenpräsenz von NATO-Ländern in den baltischen Staaten, zum Beispiel die von Deutschland angekündigte Aufstockung der Truppen in Litauen.

Aber die Pläne, die die Staats- und Regierungschefs in Madrid beschließen sollen, dürften nach Stoltenbergs Worten darüber hinaus gehen:

What we are doing now is that at the Summit we will take decisions that will be transformative for our deterrence and defence, that will lead to the fundamental shift in the way we organize collective defence in NATO. And that will be built on many elements on sea, naval, cyber power, but when it comes to the land element, the main messages is party to have up to brigade level forward presence. Germany in Lithuania is one example. I expect other Allies to make similar announcements. Then, it will be based on more forward deployed equipment, stocks, fuels, weapons, ammunition. And then, it will be made up by pre-assigned forces in their home country. But these forces will train, exercise regularly in those countries where they are pre-assigned to be deployed in times of crisis. And by doing that we are fundamentally strengthening both our forward defence but also our ability to quickly reinforce. It’s quite…to move people goes quite fast, to move heavy equipment takes time. But with more forward deployed equipment, including lots more forward deployed combat formations, and more exercises, we will significantly increase our ability to defend and protect all Allies also in the eastern part of the Alliance.

Die Überlegungen sind offensichtlich noch in einem frühen Stadium – aber absehbar ist schon jetzt, dass die Anforderungen an Deutschland steigen werden. Derzeit stellt die Bundeswehr für die NATO Response Force rund 14.200 Soldatinnen und Soldaten, einschließlich nationaler Unterstützungskräfte.

Das hat natürlich damit zu tun, dass die Bundeswehr den Kern der so genannten Speerspitze (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) für dieses Jahr in der stand-up und für 2023 in der stand-by-Phase vorhält. Da ist dann die Frage, wie eine faktische Verachtfachung der High Readiness Forces sich auf die, wie Bundeskanzler Olaf Scholz es nannte, größten konventionellen europäischen NATO-Streitkräfte auswirken wird.

Ohnehin vorgesehen ist, dass Deutschland künftig neben dem Beitrag zur NATO-Battlegroup in Litauen in Bataillonsstärke eine Brigade für das baltische Land vorhalten wird – wenn auch nicht der Großteil der zusätzlichen Soldaten in Litauen selbst stationiert wird, sondern nur in Teilen für Übungen dorthin rotieren wird. Bei künftig mehr als 300.000 Soldatinnen und Soldaten der Allianz in hoher Bereitschaft werden das aber voraussichtlich mehr werden müssen.

Erste Überlegungen deuten auf eine deutsche mechanisierte Division hin, die über zwei deutsche und eine niederländische Brigade verfügt, plus einen luftbeweglichen Gefechtsverband. Zwei Luftwaffenstaffeln könnten in Deutschland bereitgehalten werden, zudem vier Luftverteidigungseinheiten, außerdem Fregatten in der Nord- und Ostsee. Alle diese Einheiten müssten dann innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit sein, um dem Anspruch an High Readiness Forces zu genügen.

Das so genannte New Force Model der NATO ist bislang vor allem eine Planungsvorstellung – deshalb kommt die Angabe konkreter Zahlen durch den Generalsekretär so überraschend. Die Begründung lieferte Stoltenberg in seiner Antwort auf die Frage nach dem bereits bekannten geplanten Aufwuchs im Baltikum:

And the purpose of credible deterrence is not to provoke a conflict, but to prevent a conflict, to prevent Russia or any other potential adversary from attacking a NATO allied country.
And I’m confident that Moscow, President Putin understands our collective security guarantees, understands the consequence of attacking a NATO allied country. It will trigger a response from the whole Alliance. And to underpin that message we have increased the presence. So that’s the main message, is that we will defend. And by sending that message clearly we are actually preventing an attack.

Nachtrag 30. Juni: eine Übersicht über die möglichen deutschen Teile für die ausgeweitete Eingreiftruppe findet sich beim Deutschen Bundeswehrverband:

(Archivbild: Bundeswehrsoldat bei der Übung Iron Wolf in Litauen im Mai 2022)