Waffen für die Ukraine: Artillerie aus USA und Niederlanden – und aus Frankreich (Nachtrag: Audio Rohrschneider)

Zur Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg liefern westliche Staaten zunehmend Artillerie für die ukrainischen Streitkräfte. Nachdem die USA weitere 72 Haubitzen in Aussicht gestellt hatten, kündigte Frankreich die Lieferung von Caesar-Geschützen an. Sowohl die USA als auch Deutschland wollen Ukrainer an Artilleriewaffen in Deutschland ausbilden.

Die Ankündigung, die französischen Geschütze zur Verfügung zu stellen und möglichst schnell mit der Ausbildung von Ukrainern dafür zu beginnen, machte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am (heutigen) Freitag – etwas überraschend, da das Land bisher über seine Waffenlieferungen für die Ukraine Stillschweigen bewahrt hatte. Macron äußerte sich in einem Interview der französischen Tageszeitung Ouest-France auf die Frage, ob Europa schwere Waffen an die Ukraine liefern müsse:

Jeder übernimmt seine Verantwortung mit seinem politischen Gleichgewicht, und ich mische mich nicht in das politische Leben der anderen ein. Wir sind sehr koordiniert. Ich habe vorgestern mit Bundeskanzler Scholz über dieses Thema gesprochen. Wir liefern immerhin beträchtliche Ausrüstungsgegenstände, vom Milan über den Caesar bis hin zu verschiedenen Waffenarten. Ich denke, wir sollten auf diesem Weg weitergehen. Dabei gibt es immer eine rote Linie, die darin besteht, nicht in den Bereich der Kriegsbeteiligung einzutreten.
(Übersetzt mithilfe von deepl.com)

Schon der Hinweis auf die Panzerabwehrrakete Milan war mehr oder weniger neu; die Lieferung der Caesar-Haubitzen bislang völlig unbekannt. Nach ergänzenden Informationen von Ouest-France sollen zwölf Geschütze bis Mai geliefert werden; die Ausbildung von 40 ukrainischen Soldaten werde unverzüglich beginnen.

Das System Caesar – ein Apronym für den Begriff Camion équipé d’un système d’artillerie,  mit Artilleriesystem ausgestatteter Lastwagen – ist eine selbstfahrende 155mm-Haubitze auf einem Lkw-Fahrgestell und gilt deshalb als besonders beweglich. Nach französischen Medienberichten sollen die Geschütze nicht aus dem Bestand der Streitkräfte genommen werden: Der Hersteller Nexter habe bereits eine Lieferung für Marokko vorbereitet, die nun an die Ukraine weitergegeben werde.

Die französische Initiative folgt den Ankündigungen der USA, die mittlerweile 90 Haubitzen für die Ukraine bereit gestellt haben. Erst am (gestrigen) Donnerstag hatte US-Präsident Joe Biden weitere Lieferungen angekündigt; darunter nach Angaben des Pentagon 72 gezogene Geschütze samt Zugfahrzeug. Damit, so das US-Verteidigungsministerium, könnten allein fünf Artilleriebataillone zusammengestellt werden.

Die USA werden die ukrainischen Soldaten an diesen Haubitzen des – britischen –  Typs M777 ausbilden – und zwar in Deutschland. Das Training sei auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern geplant, sagte Generalleutnant Kai Rohrschneider, Abteilungsleiter Führung Streitkräfte im deutschen Verteidigungsministerium, bei einem Briefing am Freitag in Berlin.

Rohrschneider kündigte zugleich an, dass die Bundeswehr auch zur Unterstützung bei der Ausbildung an Geschützen des – deutschen – Typs Panzerhaubitze 2000 bereit seien, die voraussichtlich von den Niederlanden für die Ukraine bereitgestellt werden. Das Training werde dann an der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein stattfinden – allein schon deshalb, weil die Niederlande keine eigenen Ausbildungskapazitäten für diese Artilleriewaffen mehr haben und auch ihre eigenen Soldaten dort auf der Panzerhaubitze schulen.

Deutschland selbst werde allerdings keine seiner Panzerhaubitzen abgeben können, sagte Rohrschneider. Dafür habe die Bundeswehr zu wenig Artillerie im Bestand. Die Ausbildung an diesen Geschützen sei zudem nicht trivial, da es auch darum gehe, wie die Panzerhaubitze in ein Aufklärungs- und Zielsystem eingebunden werden könne.

Die geplante Lieferung von deutschen Schützenpanzern des Typs Marder an Slowenien im Zuge eines so genannten Ringtauschs ist unterdessen nach den Worten des Generalleutnants noch in der Abstimmung. Dabei ist geplant, dass das kleine NATO-Land Kampfpanzer des Typs M84 an die Ukraine abgibt und dafür aus Deutschland Marder und möglicherweise auch Transportpanzer Fuchs erhält.

Entscheidend ist nach Rohrschneiders Angaben dabei, dass die Bundeswehr keine Schützenpanzer aus ihrem einsatzbereiten Bestand abgeben muss, aber zugleich die Ukraine schnell unterstützt werden kann. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht habe zugesichert, dass der Truppe keine Marder weggenommen würden. Die Gefechtsfahrzeuge für Slowenien in höherer zweistelliger Zahl würden deshalb von der deutschen Rüstungsindustrie bis zum Jahresende aus dem Bestand hergerichtet, der derzeit ohnehin zur Umrüstung oder Instandsetzung bei den Unternehmen stehe.

Nur mit der Lieferung von Material aus dem ehemaligen Ostblock, das den ukrainischen Streitkräften bekannt sei und schnell eingesetzt, aber auch repariert werden könne, sei der Ukraine unmittelbar geholfen, betonte Rohrschneider. Wenn ein Land ein Waffensystem wie den Schützenpanzer Marder neu einführe, sei dagegen mit längerer Ausbildungszeit zu rechen – für ein komplettes Bataillon rund neun Monate, für einen Zug ein bis zwei Monate.

Update: Die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren bestätigte erstmals öffentlich die Planung:

Die Niederlande werden voraussichtlich mit Deutschland sogenannte Panzerhaubitzen an die Ukraine liefern. (…)
Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren sagte am Freitag nach der Sitzung des Ministerrats, dass sich die Konsultationen mit den Deutschen in dieser Angelegenheit in einem abschließenden Stadium befinden. Sie ist optimistisch, dass dies gelingen wird.
Die Ukraine hatte ausdrücklich um gepanzerte Haubitzen gebeten. Anfang der Woche hatte das Kabinett bereits angekündigt, dass die Niederlande schwerere Ausrüstung liefern würden.
Ollongren wollte nicht sagen, um wie viele Panzerhaubitzen es sich handelt, sprach aber von einer „begrenzten“ Anzahl. Insgesamt verfügen die Niederlande über 54 Panzerhaubitzen. (…)
Es ist noch nicht klar, wie die Aufgaben zwischen Deutschland und den Niederlanden aufgeteilt werden sollen. Die Niederlande könnten z. B. die Ausrüstung liefern und Deutschland könnte die Ausbildung übernehmen. Auch darüber werde noch diskutiert, so Ollongren.
(Übersetzt mit deepl.com)

Nachtrag: Da es recht viele Fragen zu Details gab und gibt, hier zum Nachhören das komplette Briefing von Rohrschneider (mit dem technischen Problem, dass ausgerechnet meine eigenen Fragen nicht mit aufgezeichnet wurden; an der Stelle ist ein kurzes Rauschen zu hören):

BMVg_Rohrschneider_Waffen_Ukraine_22apr2022     

 

 

(Archivbild 2009: French soldiers conduct a live-fire exercise with their Nexter Systems Caesar self-propelled wheeled armored vehicles outside of Bagram Airfield, Afghanistan – U.S. Army photo by Sgt. Teddy Wade)