Debatte über schwere Waffen für die Ukraine: Materialmangel und rote Linien (Ergänzung: BPK)

In der Debatte über die deutsche Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg ist eine innenpolitische Debatte über Waffenlieferungen entbrannt: Welche Unterstützung ist sinnvoll, welche ist – wenn nicht Bundeswehrbestände übermäßig geleert werden sollen – möglich und wo droht bei Lieferung schwerer Waffen eine Eskalation? Zur Übersicht ein Fakten-Sammler.

Zahlreiche NATO-Staaten haben der Ukraine die Lieferung auch von schweren Waffen zugesagt und zum Teil bereits geliefert.

• Weit vorne sind dabei die USA, die Mitte März unter anderem die Lieferung von Geschützen zusagten und zugleich auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Haubitzen anboten. Aus der Ankündigung des Pentagon:

As of April 14, United States security assistance committed to Ukraine includes:
(…)
18 155mm Howitzers and 40,000 155mm artillery rounds;
16 Mi-17 helicopters;
Hundreds of Armored High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles;
200 M113 Armored Personnel Carriers;
(…)
Four counter-mortar radars;

Weitere Unterstützungspakete sind bereits angekündigt.

Ergänzung dazu: Inzwischen haben die USA mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten an den Haubitzen begonnen, offensichtlich in Europa, wie die Stars&Stripes-Reporterin Caitlin Doornbos im täglichen Hintergrundgespräch des Pentagon erfuhr:

Senior U.S. defense official:
-U.S. troops have begun training Ukrainian forces on U.S. howitzers. It is expect to last for „about a week.“
-Some U.S. 155mm howitzers Ukraine arrived in Europe in the past 24 hours. Official declined to say if they were M777s or the older M198.
Q: Are our stocks depleted after consecutive drawdown [military aid] packages?
– The Joint Staff chairman „personally provides a readiness assessment drawdown package & resource it and he continues to assess that we have enough in our stocks to maintain our own combat readiness.“
Q: Does the US have enough in its stocks now to give a significant number more artillery pieces if called upon ?
„We have significant inventory levels of 155mm artillery, and I don’t believe that that’s a matter of deep concern right now.“

• Die osteuropäischen NATO-Länder Polen, Tschechien und Slowakei haben bislang bereits Kampfpanzer, gepanzerte Fahrzeuge und Flugabwehrsysteme des sowjetischen Typs S-300 geliefert.

• Weitere NATO-Länder wie Großbritannien und die Niederlande haben angedeutet, zur Lieferung von Artillerie bereit zu sein, ebenso Kanada – die Details sind allerdings überwiegend noch nicht öffentlich.

Bedeutsam ist diese Übersicht über die Lieferungen anderer NATO-Staaten deshalb, weil die Bundesregierung betont, ihre Unterstützungsleistungen für die Ukraine seien eng in der Allianz und der EU abgestimmt. Das hatte zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Erklärung am (gestrigen) Dienstag betont:

Unsere Fähigkeit, Deutschland und das Gebiet unserer NATO-Verbündeten gegen einen russischen Angriff zu verteidigen, werden wir auch in dieser Situation immer aufrechterhalten. Deshalb haben wir es in einem zweiten Schritt ermöglicht, dass die Ukraine Militärgüter aus industrieller Produktion in unseren Ländern kaufen kann. Unsere Lieferungen fügen sich auch weiterhin in das ein, was unsere engsten Verbündeten und Freunde ihrerseits auf den Weg gebracht haben. Unser gemeinsames Ziel ist es, das ukrainische Militär weiterhin so zu ertüchtigen, dass es sich auch weiterhin gegen den Angriff zur Wehr setzen kann. Wir haben die deutsche Rüstungsindustrie gebeten, uns zu sagen, welches Material sie in der nächsten Zeit liefern kann. Die Ukraine hat sich nun eine Auswahl von dieser Liste zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung. Darunter sind wie bisher Waffen, die Panzerabwehrwaffen und Luftabwehrgeräte umfassen. Darunter sind auch andere Dinge wie etwa Munition und das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann.
Zusätzlich sind wir bereit, unsere NATO-Partner, die noch über Waffensysteme verfügen, die aus der russischen Produktion stammen, in der Ukraine selbst genutzt werden und sofort einsetzbar sind, zu unterstützen. Das machen wir mit vielen anderen zusammen, die den gleichen Weg einschlagen wie wir. Dieser Weg ist richtig. Denn sofortige, schnelle Einsetzbarkeit und Verfügbarkeit sind dafür wichtig.
Natürlich gibt es auch Waffensysteme, die unsere Partner liefern, wie zum Beispiel Artillerie, die voraussetzen, dass es eine enge Kooperation unter den Verbündeten gibt. Auch diesbezüglich sind wir bereit, das Notwendige zu tun. Ob es sich nun um Entscheidungen handelt, die die USA treffen oder die Niederlande: Die enge Zusammenarbeit in diesen Fragen ist uns wichtig.
Es geht um diese militärischen Mittel, die wir wie in der Vergangenheit weiterhin zur Verfügung stellen werden, mit den verschiedenen Techniken, die ich beschrieben habe, und den ganz massiven Unterstützungen, die damit verbunden sind.

Das lässt allerdings weiterhin offen, ob und woher auch aus Deutschland schwere Waffen an die Ukraine geliefert werden können – und auch tatsächlich werden. Dass aus den Beständen der Bundeswehr nichts geht, machte der stellvertretende Generalinspekteur Markus Laubenthal am Mittwochmorgen noch mal deutlich: Alle vorhandenen Waffensysteme der deutschen Streitkräfte seien entweder für NATO-Verpflichtungen vorgesehen oder würden für die Ausbildung gebraucht.

Direkte Lieferungen der deutschen Rüstungsindustrie sind dagegen eine Zeitfrage: Zwar könnten die Unternehmen der Ukraine genügend auch schwere Waffen zur Verfügung stellen – aber in einem Zeitrahmen, der sich je nach System auch über Jahre strecken kann. Ein für einzelne Systeme vorgeschlagener Ringtausch, bei dem die Bundeswehr ihre Ausrüstung abgibt und möglichst schnell Ersatz beschafft, scheint weder politisch noch militärisch gewünscht – oder auch nur machbar.

Hinzu kommt die Debatte, welche schweren Waffen aus Sicht Russlands dazu führen könnten, dass die NATO oder auch ein einzelnes Mitgliedsland als Kriegspartei angesehen würde. Nach Ansicht von Völkerrechtlern nicht zwingend, aber auch das ist eine politisch geprägte Ansichtssache. Dazu sagte der frühere SPD-Vorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel im Deutschlandfunk:

Ob Belgien oder die Niederlande das machen, oder Großbritannien, die USA und Deutschland, ist ein Riesenunterschied. Meine Hoffnung ist, dass die Bundesregierung sich mit den USA abstimmt, mit dem Weißen Haus, auch mit den Briten, um zu klären, wie weit wollen wir gehen und wo ist die Grenze, die wir nicht
überschreiten wollen, weil hier in Europa, glaube ich, niemand ein Interesse daran hat, auch die Ukraine nicht, an einer Ausweitung des Krieges in Richtung des Einsatzes von taktischen Nuklearwaffen.

Update: Inzwischen zeichnet sich eine Arbeitsteilung ab, die von der Bundesregierung nur indirekt bestätigt wird: Wenn andere Länder schwere Waffen liefern, könnte Deutschland Munition und Training zur Verfügung stellen – zum Beispiel für die Panzerhaubitze 2000, die die Niederlande liefern könnten. Wie die Wirtschaftsagentur Bloomberg das aufgeschrieben hatte:

Germany will provide Ukraine with ammunition and training for heavy artillery as Chancellor Olaf Scholz comes under pressure to give more support to the effort to fend off Russian forces.
The training and ammunition are for the PzH 2000, a self-propelled, rapid-fire artillery system, which the Netherlands is sending to Ukraine, according to a senior government official. The training could be provided in Poland or Germany, but not in Ukraine because of ongoing attacks from Russia, said the official, who asked not to be identified because talks between NATO allies and Ukraine are confidential.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte bei ihrem Besuch in Lettland lediglich, Deutschland könne auch Ausbildung für Waffensysteme bereitstellen, die die Ukraine auf anderen Wegen erhalte.

Zur Ergänzung: Die – möglichen – Waffenlieferungen waren ein umfangreiches Thema in der Bundespressekonferenz; die Aussagen dazu von Regierungssprecher Steffen Hebestreit, Oberst Arne Collatz vom Verteidigungs- und Susanne Ungrad vom Bundeswirtschaftsministerium (einschließlich der Nicht-Bestätigung der Lieferung von Panzerhaubitzen aus den Niederlanden am Schluss):

Frage (zum russischen Angriff auf die Ukraine): Herr Hebestreit, der Bundeskanzler hat gestern in seinem Statement im Kanzleramt gesagt, die deutsche Rüstungsindustrie könne oder werde auch das liefern, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann. Was genau ist damit gemeint? Was genau kann man aus Sicht des Kanzlers in einem Artilleriegefecht einsetzen?

Hebestreit: Ich könnte es mir ganz einfach machen und Artillerie sagen. Ich glaube, die Frage müssten Sie dann einmal der deutschen Rüstungsindustrie stellen und nachfragen, was da so im Angebot ist. Wir wissen – wir haben Informationen darüber -, dass andere Verbündete auch gewisse Artilleriemöglichkeiten liefern wollen. Da sieht er auch Möglichkeiten, die man in Deutschland bestellen kann.

Zusatzfrage: Welche Länder wollen konkret liefern? Welche Länder wollen Sie dann finanziell unterstützen?

Hebestreit: Jetzt kommen wir ein bisschen durcheinander. Die Artillerie beziehungsweise das, auf das Sie sich bezogen haben, sind ja Käufe, die die Ukraine bei deutschen Rüstungsherstellern tätigen könnte und die dann durch die Ausrüstungsinitiative Deutschlands mitfinanziert oder finanziert werden könnten.

Sie spielen jetzt eher auf Folgendes an: Wenn osteuropäische Staaten, deren Militärmaterial ja zumeist aus sowjetischer oder russischer Produktion stammt, über Modelle verfügen, die in der Ukraine bereits Verwendung finden und dadurch sofort einsetzbar und nutzbar wären, und dieses Material an die Ukraine liefern wollen, dann bemühen wir uns, wie es der Bundeskanzler gesagt hat, es mitzufinanzieren beziehungsweise zu organisieren, dass sie mit modernerem westlichen Gerät nachgerüstet werden können.

Das dauert allerdings seine Zeit; das muss man auch klar sagen. Es ist in Deutschland im Augenblick nirgends so, dass wie bei einem Autohaus auf irgendeinem Hof nagelneues Rüstungsmaterial steht, das nur auf den nächsten Kunden wartet. Das ist einfach die Realität. Die Regierung hat sich bereit erklärt, diesen Ringtausch oder dieses Backloading, wie man im Englischen sagt, zu ermöglichen. Das hat der Bundeskanzler gestern deutlich gemacht.

Frage: Herr Hebestreit, Herr Collatz, es geht mir um die Äußerungen des ukrainischen Botschafters Melnyk, der beklagt, dass auf der deutschen Waffenliste für die Ukraine dezidiert keine schweren Waffen gestanden hätten. Können Sie das so bestätigen?

Wenn ja, warum standen sie nicht auf der Liste?

Hebestreit: Ich werde mich bestimmt nicht in diese Diskussion begeben. Ich kann auf das verweisen, was der Bundeskanzler gestern gesagt hat. Ich kann sagen, dass der Gesprächspartner für die Bundesregierung das ukrainische Verteidigungsministerium ist und dass die Gespräche zwischen beiden Seiten gut laufen.

Zusatzfrage: Das Verteidigungsministerium?

Collatz: Was ist die konkrete Frage an das Verteidigungsministerium?

Zusatz: Ob Sie bestätigen können, dass schwere Waffen auf dieser Waffenliste standen.

Collatz: Ich kann bestätigen, dass unverändert die Hauptwaffensysteme der Bundeswehr benötigt werden, um die parlamentarischen Aufträge seitens der Bundeswehr wahrzunehmen und insofern eine Lieferung aus den Beständen der Bundeswehr von schwerem Gerät, wie Sie es bezeichnen, nicht vorgesehen ist.

Zusatzfrage: Eine Nachfrage. Vielleicht können Sie uns da helfen, Herr Collatz. Herr Melnyk behauptet weiter, die Bundeswehr könne durchaus Panzer, gepanzerte Fahrzeuge aus ihren eigenen Beständen entbehren. Vielleicht können Sie für Klarheit sorgen, warum das eben nicht geht.

Collatz: Sehr gerne. – Herr Melnyk hat gestern deutlich gemacht, dass er diese Information direkt aus der Marketingabteilung von Rüstungsfirmen hat. Daher bleibe ich gerne bei meiner Aussage, die, wenn Sie es verfolgt haben, heute auch durch Generalleutnant Laubenthal im „Morgenmagazin“ eindrücklich belegt und hinterlegt worden ist. Unterm Strich steht die gleiche Aussage: Wir brauchen auch die Marder als Hauptwaffensystem der Bundeswehr, um unsere Landes- und Bündnisverteidigung und unsere Bündnisverpflichtungen sowohl in den Einsätzen vor Ort an der Ostflanke der Nato als auch in der dahinterstehenden Ausbildung, Ausrüstung und Logistik wahrzunehmen.

Frage: Herr Hebestreit, der Kanzler hat gestern gesagt, man könne den osteuropäischen Staaten Ersatz für Waffen liefern, die sie ihrerseits an die Ukraine liefern. Jetzt sagen Sie: Bei der Industrie steht nirgends etwas auf dem Hof, was man so ohne Weiteres liefern kann. Herr Collatz sagt: Die Bundeswehr kann auch nicht liefern. Wer liefert dann bitte schön?

Was bleibt dann sozusagen von der Aussage des Bundeskanzlers übrig, dass man da Ersatz schaffen kann?

Hebestreit: Ich glaube, Ihre Fragen lösen sich auf der Zeitschiene auf. Im Augenblick haben wir eine Situation, in der eine Offensive in der Ostukraine seitens der russischen Invasionsarmee stattfindet oder begonnen haben soll. Es ist jetzt die Suche nach Militärmaterial, das schnell verfügbar, schnell einsatzbar und schnell handhabbar ist. Das sind Modelle, die bereits in der ukrainischen Armee vorhanden sind, mit denen sie umgehen können, bezüglich derer die Logistikketten stimmen, die Instandhaltung geklärt ist und es die Ersatzteile gibt. Das sind in der Regel Modelle aus russischer oder sowjetischer Produktion. Diese sind in den meisten westlichen Ländern nicht vorrätig. Es gibt sie noch in gewissen Beständen in einigen osteuropäischen Armeen.

Wenn es dort zu der Entscheidung kommt, zu sagen „Diese Waffen wollen sie an die Ukraine liefern, so schnell und unkompliziert das eben möglich ist“, sagen wir, wie auch andere Verbündete, zu, dass wir sie dabei unterstützen, diese Lücken, die es dann ja in ihrer eigenen Armee gibt, sukzessive aufzufüllen. Das passiert aber nicht über Nacht, weil eben, wie ich gesagt habe, nirgends Waffen auf dem Hof stehen. Das würde dann mit moderneren Nato-Standard-Waffen ergänzt werden. Aber das ist etwas, was Zeit braucht. Sonst könnte man ja sagen: Warum kriegen sie denn nicht die Waffen, die ihr jetzt an die Osteuropäer – oder wen auch immer- liefern wollt? Warum gehen die denn nicht direkt in die Ukraine? Da fehlt es an Ausbildung, an Material, an Logistikketten. Das Material muss auch erst einmal hergestellt werden. Deshalb mein Verweis, etwas fußgängerisch, auf das Autohaus.

Vorsitzender Feldhoff: Eine Frage von einem Kollegen an das Verteidigungsministerium bezüglich der Lieferung von Waffen: Bundeswehrprofessor Carlo Masala sagte heute Morgen im ZDF-Morgenmagazin, er halte das Argument der Bundesregierung, keine Marder-Panzer zu liefern, für vorgeschoben. Die Verteidigung der Nato könne nicht an 15 Schützenpanzern Marder hängen. Jetzt die Frage: Welche schweren Waffensysteme hält das Verteidigungsministerium nach derzeitigem Stand für absteuerbar, also quasi für lieferbar?

Collatz: Ich bleibe bei meiner Aussage.

Frage: Herr Hebestreit, eine Nachfrage zum Ringtausch. Wird es beim Auffüllen der Bestände der osteuropäischen Staaten darum gehen, dass zu einem späteren Zeitpunkt aus Bundeswehrbeständen geliefert wird oder geht es um Waffen, die die Industrie neu herstellt?

Sind auch schon konkrete Projekte mit den Osteuropäern abgesprochen beziehungsweise besprochen oder ist das zunächst einmal ein Gesprächsangebot der Bundesregierung?

Hebestreit: Vielen Dank, weil mich das zu einer Klarstellung führt. Die sind natürlich nicht aus Bundeswehrbeständen. Es würde ja absurd sein, wenn wir einerseits sagen „Wir haben nicht genug“ und anderseits sagen wir „Wir liefern es woanders hin“. Das sind dann neu produzierte Militärgüter, die die Bundesregierung auch bezahlen würde. Das ist ja der Teil davon, auf den wir hingewiesen haben. Das würde auch dauern.

Zu Ihrer zweiten Frage: Man ist in Gesprächen. Aber es ist noch nicht so weit, dass das – in Anführungszeichen – unterschriftsreif wäre. Das ist alles auch nicht ganz einfach. Man ist dazu in konkreteren Vorgesprächen.

Frage: Herr Hebestreit, eine Nachfrage zu den zwei Milliarden Euro, die letzte Woche von der Bundesregierung zusätzlich beschlossen wurden. Können Sie uns bitte eine Aufsplittung geben, was für welchen Bereich eingeplant wurde? Ein Element waren 400 Millionen Euro für diese European Peace Facility. Dann geisterte die Zahl herum, dass, wenn man die verschiedenen Wege sieht, von diesen zwei Milliarden Euro eine Milliarde Euro insgesamt für die Ukraine sind. Können Sie diese Aufsplittung bestätigen und vielleicht erklären, wie sich diese Zahl überhaupt zusammensetzt?

Hebestreit: Diese Aufsplittung kann ich genau so bestätigen, wie Sie es sagen. Etwa 400 Millionen Euro beträgt der deutsche Anteil an der European Peace Facility. Das ist im Prinzip der europäische Topf, um die Ukraine beim Einkauf von Militärgütern zu unterstützen. Die weitere Milliarde, die darin enthalten ist, ist dafür vorgesehen, dass man damit weitere Anfragen aus der Ukraine oder das, was ich eben als Ringtausch beschrieben habe, finanzieren kann. Dann ist auch noch Geld enthalten, um die Bundeswehr weiter aufzurüsten.

Zusatzfrage: Wenn ich richtig rechne, sind es 1,4 Milliarden Euro für die Ukraine?

Hebestreit: Wie gesagt, das ist nicht scharf in dem Sinne gerechnet, dass das am Ende tatsächlich ausgegeben wird. Das ist erst einmal das, was man dafür bereitstellt. Der Bundeskanzler hat gestern in der Pressekonferenz auch gesagt, dass man Geld schnell und unkompliziert zur Verfügung stellen kann. Es müsse keiner Sorge haben, dass seine Rechnung nicht bezahlt werde.

Frage: Eine Frage an das Bundeswirtschaftsministerium. Es gibt Meldungen, dass, wenn ich mich richtig erinnere, seit Anfang März beim Bundeswirtschaftsministerium Listen über Waffenlieferungen vorliegen, die genehmigt werden sollen. Die Genehmigungen seien bis jetzt noch nicht erteilt. Können Sie das bestätigen?

Wenn dem so ist, um welche Waffensysteme handelt es sich? Woran scheitert es, dass diese Genehmigungen bisher noch nicht erteilt worden sind?

Ungrad: Das BMWK ist für die Ausfuhrkontrolle von Industriegütern zuständig. Innerhalb des vereinbarten Korridors, den wir beschlossen haben, haben wir in den letzten Wochen alles unverzüglich genehmigt und werden das auch weiterhin tun. Insofern kann ich das nicht bestätigen.

Zusatzfrage: Es stimmt also nicht, dass bei Ihnen Listen liegen, die noch nicht abgearbeitet sind?

Ungrad: Ich kann sagen, dass wir in den letzten Wochen alles unverzüglich genehmigt haben.

Ich weiß nicht, ob Sie auf bestimmte Meldungen anspielen. Falls Sie auf Twittermeldungen anspielen, wonach Helme nicht genehmigt werden, kann ich sagen: Das muss natürlich im Rahmen der Richtlinien der Bundesregierung überprüft werden. Es kann sein, dass dazu noch die Überprüfung läuft. Dabei geht es aber nicht um Listen oder um nicht genehmigte Ausfuhren.

Frage: Ich habe eine Frage zum Einkauf von Militärgütern. Frau Ungrad, wie wird jetzt verhindert, dass die deutsche Waffenindustrie exorbitante Gewinne einstreicht, wenn die ukrainische Regierung nun in der Not bei ihnen einkauft?

Ungrad: Ich habe die Frage nicht verstanden. Was ist mit der Rüstungsindustrie?

Zusatzfrage: Die Ukraine bekommt ja jetzt Geld, unter anderem von der Bundesregierung, damit sie Waffengüter auf dem europäischen Rüstungsmarkt einkaufen kann. Wie verhindern Sie, dass sich die deutsche Rüstungsindustrie an der Not der Ukraine bereichert?

Ungrad: Wir handeln innerhalb der Bundesregierung. Die Frage kann ich so nicht beantworten.

Zusatzfrage: Der Hintergrund ist: Herr Habeck hat auch beim Thema Energie auf Kriegsgewinne hingewiesen, das angeprangert und wollte etwas dagegen machen. Wie verhindert man jetzt, dass die deutsche Waffenindustrie nicht mit der Not Gewinne macht?

Ungrad: Das ist ein Unterschied. Es geht hier darum, dass es innerhalb der Bundesregierung – dazu hat sich ja der Regierungssprecher geäußert – Gespräche gibt. Bei dem anderen Punkt der Energieunternehmen, den Sie angesprochen haben, geht es darum, dass sie sich oft unrechtmäßig bereichern, indem sie Preise verlangen, die nicht gerechtfertigt sind. Das überprüfen wir derzeit.

Zusatz: Man könnte sich auch unmoralisch bereichern.

Ungrad: Ich habe mich dazu geäußert.

Frage: Ich habe eine Lernfrage in Bezug auf den Bundessicherheitsrat. Wenn es zu Exporten als Ersatz an osteuropäische Staaten kommt, die ihrerseits an die Ukraine liefern, müsste dann der Bundessicherheitsrat in irgendeiner Weise involviert werden oder ginge das quasi alles ohne Genehmigung?

Zweitens. Herr Hebestreit, es wird die Frage diskutiert, ob das Statement von Herrn Scholz eigentlich nötig war, weil bei vielen der Eindruck entstanden ist, er hat eigentlich substanziell nichts Neues gesagt, sondern mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben. Können Sie einmal den Sinn dieses Statements erklären? Welchen politischen Nutzen hat das gebracht?

Hebestreit: Ich fange mit dem ersten Teil an. Alle Rüstungsexporte müssen genehmigt werden. Ich verweise aber darauf, dass Rüstungsexporte an Nato-Partner in der Regel relativ unkompliziert durchlaufen, insbesondere in so einem Fall.

Zur zweiten Frage: Ich würde Ihrer Grundthese natürlich erst einmal nicht folgen. Grundsätzlich ist es so, dass der Bundeskanzler entscheidet, wann und wie er sich äußern will, unabhängig von der Frage, ob es für Sie einen Neuigkeitswert gibt oder nicht. Ich hatte gestern nicht wenige Anfragen, Anrufe: Will er sich äußern? Wird er sich äußern? Kommt er zu uns in die Sendung? Will er ein Interview machen?

Es gab gestern die Videoschalte mit den wichtigen Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, USA, Polen, Rumänien, [ergänzt: Japan] – ich hoffe, ich habe niemanden vergessen – und es haben dort noch Vertreter von Nato, Europäischer Kommission und EU-Rat gesprochen. Das hat er zum Anlass genommen, noch einmal deutlich zu machen, wie die Position der Bundesregierung ist. Die Bundesregierung ist diejenige, die dafür gewählt ist, zu entscheiden, wie wir in dieser Phase handeln.

Der Kanzler hat sehr deutlich gemacht, dass die Bundeswehr alles geliefert hat, was sie im Augenblick entbehren kann. Jeder weitere Schritt wäre einer zu viel, was Generalleutnant Laubenthal heute auch noch einmal deutlich gemacht hat, um das noch einmal gründlicher einzuordnen.

Der Kanzler hat diesen Ringtausch deutlich gemacht, von dem wir gesprochen haben. Er hat die Zusagen für die Finanzierung von ukrainischen Waffenkäufen in der deutschen Industrie klar dargelegt. Er hat dargelegt, dass wir unsere internationalen Partner unterstützen, die jetzt beispielsweise schwere Artillerie liefern wollen. Er hat deutlich gemacht, dass sich in Bezug auf die 50 Milliarden Euro Finanzhilfen, die die Ukraine im Laufe dieses Jahres noch braucht, die G7-Präsidentschaft, also Deutschland, in der Verantwortung sieht, die noch fehlenden Mittel zu organisieren. Das waren, glaube ich, die Kernthesen, die er dargelegt hat. Insofern war das, glaube ich, ein Statement, das nötig war.

Frage: Herr Hebestreit, die militärische Lage in der Ukraine ist mit der Großoffensive im Donbass ja durchaus dramatisch. Konkret nachgefragt: Sie haben jetzt diesen Ringtausch beschrieben. Wann konkret kann die Ukraine durch diesen Ringtausch mit schweren Waffen rechnen? In fünf Tagen, in zwei Wochen, in drei Wochen, in vier Wochen?

Herr Collatz, habe ich richtig verstanden, dass Sie sagten, dass die Bundeswehr aus ihren eigenen Beständen keinen einzigen Marder an die Ukraine abgeben kann?

Hebestreit: Vielleicht muss man einen halben Schritt zurückgehen und noch einmal deutlich machen: Die Ukraine wird im Augenblick von einer ganzen Reihe von Staaten unterstützt und auch aufgerüstet. Es gibt amerikanische Lieferungen, von denen wir gelesen haben, die innerhalb von 48 Stunden in der Ukraine eingetroffen sind. Es gibt Zusagen der britischen Regierung. Die Niederlande haben angekündigt, dass sie helfen werden. Deutschland hilft auch mit vielerlei Material. Polen hilft und viele andere Länder auch. Es ist jetzt also nicht so, dass wir bange gucken müssen, ob es irgendwo in Südosteuropa irgendein Material gibt, das man jetzt allein seligmachend dahin schicken kann, sondern es läuft ein kontinuierlicher Strom an Waffen, Munition und Ausrüstung in Richtung der Ukraine. Dieser Strom soll nicht abreißen, und darum bemüht man sich gerade.

Wenn man sich die aktuelle Situation im Donbass und in der ganzen Region anguckt, muss man natürlich sagen: Das ist auch logistisch eine Herausforderung. Das sind weite Strecken, die zurückgelegt werden müssen. Wir fangen ja heute nicht mit Tag eins an, sondern das läuft seit vielen Wochen und Monaten – dieser Krieg läuft seit zwei Monaten – und es läuft auch die Unterstützung vieler Verbündeter der Ukraine. Dabei ist Deutschland einer von mehreren.

Die Frage in Bezug auf die Marder ist, glaube ich, schon mehrfach beantwortet worden.

Collatz: Ich kann es nur so ergänzen, dass mir keine Bedarfsanzeigen einzelner Marder seitens der Ukraine vorliegen. Das ist eine Scheindiskussion.

Frage: Herr Hebestreit, ich würde gerne wieder einen halben Schritt nach vorne machen, sozusagen in die Gegenwart. Es wächst ja auch aus den Reihen der Koalition selbst die Kritik an der Haltung des Bundeskanzlers. Herr Hofreiter, keine unbedeutende Stimme, hat heute gesagt, die Argumentation des Bundeskanzlers, Deutschlands Möglichkeiten für Waffenlieferungen seien begrenzt, weil eben die Ukraine nicht an diesen modernen Systemen ausgebildet sei, sei paternalistisch. Man möge es doch bitte der Ukraine selbst überlassen, zu entscheiden, ob sie mit den Geräten umgehen könne. Wie reagieren Sie auf diese Kritik innerhalb des Regierungslagers?

Hebestreit: Die nehmen wir zur Kenntnis.

Zusatzfrage: Die Kritik wird insofern erweitert, dass gesagt wird: Die Verzögerung der Waffenlieferungen auch aus deutschen Beständen könne dazu führen, dass der Krieg sich eben Tag um Tag verlängere, sodass ein Hineingleiten in einen dritten Weltkrieg möglich sei. Wie schätzen Sie diese Einschätzung ein?

Hebestreit: Auch die nehme ich zur Kenntnis, würde aber darauf verweisen, dass ich im Augenblick keine Verzögerung von Waffenlieferungen erkennen kann. Wir haben ja gerade dargelegt, was die Bundeswehr liefern konnte, liefern kann, geliefert hat und dass wir im Augenblick in den Gesprächen mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium sind, um weitere Hilfe zu organisieren. Aber dass es dabei zu einer Verzögerung kommt, kann ich nicht feststellen.

Vorsitzender Feldhoff: Eine Frage von einer Kollegin: Laut Bloomberg will Deutschland für die Ukraine – das haben Sie ja eben schon dargestellt – Munition und Ausbildung für schwere Artillerie zur Verfügung stellen. Konkret soll es dabei um das Panzerhaubitzensystem 2000 gehen, das die Niederlande liefern soll. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es genau um dieses System geht?

Hebestreit: Das kann ich von dieser Stelle nicht bestätigen.

(Wird ggf. ergänzt)

(Archivbild März 2020: U.S. Soldiers assigned to 1st Platoon, Charlie Battery, 2nd Battalion, 8th Field Artillery Regiment, 1st Stryker Brigade Combat Team, 25th Infantry Division, conduct a live-fire exercise with the M777 towed 155mm howitzer at Al Asad Air Base, Iraq – U.S. Army photo by Spc. Derek Mustard)