Bundeswehr plant Turbo-Beschaffung: Schutzausrüstung bestellen, Parlament soll später zustimmen

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende für die Ausstattung der Bundeswehr führt nun zu Turbo-Beschaffungen der Streitkräfte: Für mehr als 2,3 Milliarden Euro sollen neue Schutzwesten, Helme, Kampfuniformen und Rucksäcke für die Streitkräfte bestellt  – und das Geld erst nachträglich vom Parlament freigegeben werden.

Das neue Vorgehen auf der Grundlage des Regierungsauftrags des Bundeskanzlers vom 27. Februar 2022 erläuterte die Parlamentarische Staatssekretärin Siemtje Möller am (heutigen) Dienstag in einem Schreiben an die Abgeordneten des Bundestags-Verteidigungsausschusses. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Beschaffung der so genannten persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten:

Als erste Maßnahme wurde dabei die vorgezogene Beschaffung zusätzlicher Artikel für die aufgabenorientierte Ausstattung der Bundeswehr mit Bekleidung und persönlicher Ausrüstung identifiziert. Bis Ende des Jahres 2025 könnten weitere 305.000 Schutzwestensysteme MOBAST (Modulare ballistische Schutz-und Trageausstattung), 150.000 Kampfbekleidungssätze Streitkräfte, 122.000 Gefechtshelme sowie 250.000 Rucksäcke 110 l geliefert werden, womit eine vorgezogene Vollausstattung der aktiven Truppe unter Einbeziehung von Regenerationsmengen erreicht würde.

Die persönliche Ausstattung der Soldat*innen gilt schon lange als ein Sorgenkind der Streitkräfte; immer wieder kam es zu Verzögerungen. Das System MOBAST hatte sich nach Angaben des Ministeriums vom vergangenen Jahr wegen juristischer Auseinandersetzungen um Schutzwesten und Lieferproblemen bei Helmen deutlich verzögert. Mit dem jetzt geplanten Vorgehen will allerdings das Wehrressort nicht nur die schnelle Lieferung sicherstellen – sondern geht auch grundsätzlich neue Wege bei der Finanzierung:

Der Gesamtfinanzbedarf für diese Ausrüstung beläuft sich auf rund 2.358 Mio. Euro. Das Bundesministerium der Finanzen prüft derzeit die bestehenden Möglichkeiten einer Finanzierung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Errichtung des Sondervermögens Bundeswehr.
Sofern diese positiv verläuft, beabsichtigt das BMVg, den Abschluss entsprechender Beschaffungsverträge aus Gründen besonderer Dringlichkeit unmittelbar zu beauftragen.
Die vorgenannten Artikel werden in der aktuellen Bedrohungssituation verstärkt nachgefragt. Um die begrenzten Produktionskapazitäten der Industrie für die Bundeswehr zu sichern, müssen die Bestellungen daher sehr kurzfristig erfolgen. Krisenbedingte Beschleunigungsmöglichkeiten in den einschlägigen Vergabevorschriften sowie eine Konzentration auf Artikel, welche in die Bundeswehr bereits eingeführt wurden, ermöglichen diese rasche Vorgehensweise.
Eine parlamentarische Befassung mit den Beschaffungsmaßnahmen ist jedoch aufgrund der Dringlichkeit vor dem Abschluss der Verträge nicht möglich. Um den parlamentarischen Informationsbedürfnissen zu genügen, soll in dieser besonderen Situation eine Vorlage nachträglich erfolgen.

schrieb Möller in ihrem Brief an die Parlamentarier.

Für dieses Vorgehen steht zwar noch die Zustimmung des Bundesfinanzministeriums aus. Aber der Weg, den das Verteidigungsministerium hier – zunächst bei relativ unspektakulären, wenn auch wichtigen Ausrüstungsgegenständen – geht, wird interessant für den weiteren Umgang mit der Ausstattungsmisere der Bundeswehr.

Denn zum einen ist eine Finanzierung vorgesehen, ohne dass diese Summe bislang im Haushalt abgesichert ist; allein schon deshalb, weil der gesamte Etat für dieses Jahr wegen der Bundestagswahl im vergangenen Jahr noch nicht beschlossen wurde. Und zum anderen sollen die Abgeordneten des Haushaltsausschusses das Geld nachträglich freigeben. Es wird interessant zu sehen, ob das so funktioniert – Parlamentarier haben schon bei geringeren Summen erstmal eine Vergabe gestoppt, wenn sie ihre Rechte nicht berücksichtigt sahen.

(Was mit Krisenbedingte Beschleunigungsmöglichkeiten in den einschlägigen Vergabevorschriften gemeint ist, versuche ich noch herauszufinden; bislang ist mir das nicht klar.)

(Foto: Im Gefechtsstand der Artillerie bei der Gefechtsstandübung Stolzer Wettiner der VJTF (L) 2023 in Wildflecken Anfang März 2022)